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Aus den Aufzeichnungen von Monsignore

Dr. Peter Diefenstein,

Pfarrer der Basilica St. Pantaleon – Band II

1. Kapitel

Köln/Domplatte

Dickes, bitteres Bier, schmutzige Gasthäuser, schmutzige, dicke Frauen und viel Speck. (aus dem Kölnbericht eines unbekannten englischen Reisenden, 17. Jahrhundert)

Aber das war vor mehr als zweihundert Jahren! Heute … Ein Schuss! Panisch flattern Tauben davon und suchen ihr Heil auf den nahen Dächern. Menschen schreien auf, blicken sich irritiert um. Der Mann, dem der Schuss gegolten hat, fällt wie vom Blitz getroffen um, sein Schädel explodiert. Blut und Gehirnfetzen verleihen dem Pflaster auf der Domplatte ein neues, bizarres Muster.

Aber wie konnte es dazu kommen?

Ein nahezu tropischer Sommer hatte die Domstadt an diesem frühen Augustabend fest im Griff. Karibik am Dom! Klimaerwärmung am Rhein! Globale Krise. Kennt jeder – fast jeder, wenn man von gewissen amerikanischen Amtsträgern absieht!

Schwüle, heiße Luft hatte sich wie ein Panzer über die Stadt gelegt, erschwerte die meisten sommerlichen Aktivitäten und machte das Atmen schwer. Die meisten Menschen trotteten in übler Laune dahin und warteten auf die Kühle des Abends, wenn sie dann käme.

Allerdings kündeten dunkle Wolken im Westen von einem aufziehenden Gewitter, das tatsächlich etwas Abkühlung bringen mochte und mancher Blick richtete sich zum Himmel, hoffnungsvoll oder furchtsam, je nach Stimmungslage. Wer konnte, verzog sich in die überfüllten Schwimmbäder, suchte die Kühle des umliegenden Grüngürtels auf oder lag zu Hause, die Füße in einen Eimer mit kaltem Wasser getaucht, in der Hand ein kühles Getränk, sorgsam darauf bedacht, im Einflussbereich des Ventilators zu bleiben.

Aber das waren naturgemäß nur wenige. Die, die das nicht konnten, und das waren die meisten, schleppten sich träge dahin, gingen in den Büros und Werkstätten lustlos ihrer Tätigkeit nach und sehnten sich nach dem Feierabend. Nur die meisten Schüler, die jauchzend in den Bädern rumtobten, teilten diese Sehnsucht nicht – sie hatten hitzefrei.

Die Gegend um den Kölner Dom dagegen war wie immer mit Touristen aus aller Welt überfüllt. Die Kölner überließen das Zentrum der Stadt zu dieser Zeit gerne kampflos den ausländischen Besuchern, die keine Wahl hatten. Sie waren an ihrem heutigen Ziel angekommen, und Wetter hin und Hitze her, jetzt galt es, das touristische Pflichtprogramm abzuwickeln, denn morgen war man schon auf der Kö in Düsseldorf, oder am Brandenburger Tor oder in einem der Märchenschlösser in Bayern oder …

Und so standen sie schnatternd vor der imposanten Kathedrale, machten mit langen Sticks ihre Selfies, tranken in den anliegenden Brauhäusern ungewohntes Bier aus seltsamen Gläsern und beobachteten mit verzückten Blicken die Ober in ihren blauen Schürzen, die für ihren rheinischen Charme gleichermaßen bekannt waren wie für ihre barsche Art.

Dä Köbes!

Und die, die nicht nur drei Stunden durch die Stadt hetzten, sondern sie mit aufmerksamem Blick durchstreiften, nahmen eine Menge Dinge wahr. Sie nahmen mit Erstaunen wahr, dass schwule Pärchen hier völlig unbehelligt durch die Menge flanierten, dass neben wunderschönen Altbauten Neubauten von erschreckender Hässlichkeit standen, dass die Straßen vielfach recht schmutzig waren, dass Kölsch offenbar nicht nur ein Getränk, sondern auch eine Sprache war, dass die wenigen Einheimischen, mit denen sie manchmal in Kontakt kamen, eben komisch, aber mit liebenswürdigem Akzent sprachen und von überbordender, leider aber auch meist oberflächlicher Freundlichkeit waren, dass es so viele Einheimische aber auch gar nicht mehr gab, weil ein hoher Anteil der Menschen hier einen Migrationshintergrund zu haben schien. Dass es viele wunderschöne Kirchen gab, aber die meisten leer waren, dass die Kölner auch auf Beerdigungen schon mal Karnevalslieder sangen und Trauer deshalb hier auch schon mal schnell in Frohsinn überging.

Dass das Verkleiden und Absingen seltsamer Lieder zu einer bestimmten winterlichen Jahreszeit, neuerdings sogar im Sommer üblich war und die Straßen zu dieser Zeit voller feiernder Menschen waren, von denen allerdings viele total betrunken waren und sich auch nicht scheuten, an Kirchen und Denkmäler zu urinieren.

Und dass es zu dieser Zeit nur hier eine Jungfrau gab, die eindeutig männliche Geschlechtsmerkmale hatte, dass es auch einen bekannten Fußballverein gab, der aber schon deutlich bessere Zeiten gesehen hatte und dass das alles in einer Stadt möglich war, wofür eigentlich mehrere Städte nötig gewesen wären.

Das alles nahmen Touristen in Köln wahr, wenn sie nur lange genug da blieben.

Aber es waren ja nicht alle Touristen auf der Domplatte.

Der Mann, der mit eiligem Schritt über die Domplatte ging, jene Domplatte, die Silvester vor zwei Jahren Schauplatz unsäglicher Ausschreitungen gewesen war und im Bewusstsein der aufnahmewilligen Bevölkerung so vieles verändert hatte, gehörte zweifellos nicht zur Gattung der Touristen.

Er hatte keinen Stadtplan unter dem Arm, keine Wasserflasche in der Hand und keinen Rucksack auf dem Rücken. Er machte keine Selfies und fragte niemanden nach irgendwelchen Wegen. Ihn interessierten nicht die Pflastermaler und nicht die Bettler, die mit gekrümmten Händen und Mitleid heischendem Gesicht um den Dom herum saßen.

Er war etwa Mitte Dreißig, von durchschnittlicher Größe, mit vollem schwarzem Haar, einem markanten Gesicht und kräftiger Figur. Sein beigefarbiger Anzug passte genau und verhüllte diskret die Pistole P226 X-Six Classic, die er in einem Schulterhalfter trug. Er war nur wenige Schritte vom Domhotel entfernt, dem ältesten und prächtigsten Grandhotel Kölns aus dem Jahr 1893, das nach den Zerstörungen im Krieg vereinfacht wieder aufgebaut worden war, aber wegen erheblicher Baumängel, die bei einem Sanierungsversuch vor einigen Jahren aufgetaucht waren, nun schon seit Jahren geschlossen war. Hier in Köln dauert so etwas eben länger als geplant und übersteigt die veranschlagten Kosten gerne um das Dreifache. Aber das stört den Kölner an sich nicht, er lebt nach der Devise:

Et hätt noch immer jot jejange!

Aber dann passierte es.

Ein Schuss, laut hörbar, offenbar aus geringer Entfernung abgegeben. Er traf den Mann in den Hinterkopf, ließ seinen Schädel förmlich explodieren und verteilte Blut und Gehirnmasse in bizarren Mustern auf dem Pflaster. Ohne einen Laut sank der Mann zusammen, während die Menschen in seiner Nähe in Panik schreiend auseinander stoben und die beiden japanischen Touristinnen, die gerade das Hotel fotografieren wollten, in namenlosem Entsetzen die Hände vor den Mund schlugen.

Nur wenige Minuten später eilten die Beamten von der nahen Wache der Bundespolizei am Bahnhof herbei. Wenige Minuten später rasten drei Streifenwagen der Kölner Polizei auf die Domplatte, ihr zuckendes Blaulicht spiegelte sich in den zahllosen Fenstern des verlassenen Hotels, schien ihnen für kurze Zeit ein geisterhaftes Leben zu verleihen.

Die neuen Beamten lösten die Kollegen der Bundespolizei ab, die nur für den Bahnhofsbereich, nicht aber für die davor liegende Domplatte zuständig waren und kurze Zeit später hatte sich die Szene in einen veritablen Tatort verwandelt, wie ihn die Gaffer aus dem Fernsehen zu kennen schienen.

„Dat is ja wie im Fernsehen“, rief ein Taxifahrer seinem Kollegen zu und biss genussvoll in sein Salamibrötchen.

Mit rot-weißen Bändern, mit grimmigen Beamten, die den Tatort großräumig absperrten, mit zwei Stellwänden um das Opfer und einem Notarztwagen der Kölner Feuerwehr, deren Besatzung freilich schnell einsah, dass hier weniger ein Arzt als vielmehr ein Bestatter zum Zuge kommen würde.

Hinter der Stellwand kniete ein schmaler Mann um die vierzig, schlank und hoch gewachsen, mit kurzem schwarzem Bart, grauen stechenden Augen und einem schlecht sitzenden, karierten Jackett, das er schon in den Tagen der Polizeischule getragen haben muss. Hauptkommissar Leo Breuer musterte den Toten aufmerksam.

Mit Handschuhen fischte er vorsichtig die Brieftasche des Mannes aus der Jacke und blickte überrascht auf das Siegel mit dem Adler, das auf dem Ausweis des Mannes prangte: Gordon Rush, Central Intelligence Agency C18 Field Agent Er pfiff leise durch die zusammengepressten Lippen. CIA!

Was macht ein Agent dieses ausländischen Dienstes hier bei uns? Und weshalb wurde er umgebracht? Da wartet eine Menge Arbeit auf uns! Oder auch nicht? Vermutlich wird das LKA die Sache an sich reißen. Oder der BND. Egal, erst mal weitermachen!

Ohne weiter etwas zu berühren, wandte er sich an seinen uniformierten Kollegen: Spurensicherung und Rechtsmedizin verständigt?“

„Sind in fünf Minuten da?“

Breuer nickte. Jetzt galt es, die Kollegen abzuwarten und darauf zu achten, dass der Tatort nicht kontaminiert wurde, aber wie sein Blick zeigte, hatten die Kollegen ganze Arbeit geleistet.

Fünfzehn Minuten später bog ein grauer Mazda auf die Domplatte, die sich inzwischen mit Gaffern und neugierigen Touristen gefüllt hatte. Ein Polizist winkte sie durch. Eine Frau in einem grauen Hosenanzug stieg aus, die langen grauen Haare zu einem Zopf gebunden, in der Hand trug sie einen schwarzen Ärztekoffer. Mit festem Schritt bahnte sie sich ihren Weg durch die Gaffer und eilte auf die Stellwände zu.

„Ah, Frau Dr. Wendler. Schön, dass Sie so schnell hier sein konnten.“

„Herr Breuer.“

Die angesprochene Rechtsmedizinerin, eine resolute Endvierzigerin in einem altmodischen, grauen Kostüm, nickte knapp, zog ihre Handschuhe an und machte sich an die Arbeit.

Sie drehte den Kopf des Opfers, betrachtete die grässliche Wunde am Hinterkopf und unterzog den restlichen Körper einer kurzen Untersuchung. Dann machte sie einige Fotos vom Kopf des Toten. Dachte einen Augenblick nach.

„Tod durch Gewehrschuss. Projektil ausgetreten, sollte hier in der Nähe zu finden sein. Nach der Größe der Wunde vermute ich, dass es sich um ein großes Kaliber gehandelt hat, vielleicht 12 mm. Der Schütze war kaum mehr als hundert Meter entfernt. Tod trat unmittelbar ein. Alles Weitere nach der Obduktion.“

Sie vermaß den Schusswinkel und blickte auf das Domhotel. „Schuss kam wahrscheinlich von dort“, sie deutete auf das Hotel. „Vielleicht zweiter oder dritter Stock.“

Dr. Wendler war nicht gerade für übermäßige Geschwätzigkeit bekannt, ihre Analysen waren knapp aber zutreffend, weshalb sie bei der Polizei sehr geschätzt wurde.

Breuer nickte und schickte sofort einige Beamten zum Domhotel, auch wenn er ahnte, dass der Täter dort wohl kaum auf die Beamten warten würde.

Inzwischen hatte sich der Himmel verdunkelt, in einiger Entfernung durchzuckten erste Blitze das drohende Grau der Wolken.

„Danke, Dr. Wendler. Wir sehen uns bei der Obduktion. Sie geben meinem Büro den Termin?“

„Morgen früh, zehn Uhr!“, lautete die knappe Antwort, bevor die Ärztin so unauffällig verschwand, wie sie gekommen war. Sofort machte sich die Spurensicherung an die Arbeit und die Blitze der Fotoapparate hellten die zunehmende Dunkelheit auf.

Kurz darauf leitete ein Donnerschlag einen heftigen Regenguss ein, der Gaffer und Touristen vertrieb und Spuren zunehmend verwischte. Nur Breuer und seine Kollegen standen im Regen und machten ihre Arbeit, während ihnen das Wasser über die grauen Wangen lief.

Die Köln-Affäre

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