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7. Kapitel Köln/Deutz

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Die Architektur ist die Fortsetzung der Natur in ihrer konstruktiven Tätigkeit. (Karl Friedrich Schinkel)

Es ist zwei Jahre her, dass die Kölner Stadtväter beschlossen, durch eine fünfhundert Meter lange Freitreppe am Rhein der rechtsrheinischen Seite der Stadt eine neue touristische Attraktion zukommen zu lassen, den so genannten Rheinboulevard. Die Stadt hat sich dieses Projekt gut zwanzig Millionen Euro kosten lassen, aber wie die Akzeptanz in der Bevölkerung zeigt, war das eine gute Investition, auch wenn es, zumal in den Abendstunden, dort auch schon mal zu Randale und Ausschreitungen kommt und mehr Polizisten als Touristen aufmarschieren.

Die rechtsrheinische Seite Kölns ist eigentlich die falsche Seite und wird von den Kölnern, jedenfalls denen, die auf der richtigen Seite wohnen, leicht despektierlich Schäl Sick genannt. Der mundartliche Begriff soll aus der Zeit stammen, in der die Schiffskähne rheinaufwärts noch von Pferden gezogen wurden. Die Pferde auf der linken Rheinseite wurden demnach aufgrund der Spiegelungen der Sonne auf dem Fluss geblendet und manche wurden sogar auf einem Auge blind. Als man das erkannte, wurde den Pferden fortan immer auf dem Auge, welches dem Rhein zugewandt war, eine Scheuklappe angelegt. Dadurch waren sie schäl, was im kölschen Dialekt in etwa „schlecht sehen“ bedeutet. Und so hatte die „Schäl Sick“ ihren Ruf weg.

Der frühere Oberbürgermeister Kölns und spätere erste Bundeskanzler der Bundesrepublik soll einmal, als er über die Brücke fuhr und sich dieser Rheinseite näherte, die Gardinen seines Abteils mit dem Kommentar „in Deutz beginnt der Bolschewismus“ zugezogen haben. Aber das ist lange her und vielleicht nicht mehr als eine der zahlreichen Anekdoten, die sich um diesen großen Mann ranken.

Aber zurück zum neuen Rheinboulevard.

Auf den breiten Stufen dieses Boulevards konnte man herrlich sitzen, die Sonne genießen und dem Treiben auf dem mächtigen Strom zusehen. Riesige Lastschiffe, die sich in beiden Richtungen gemächlich begegneten, Jetski-Fahrer, die wagehalsig zwischen den Schiffen rasten, gelegentlich Ruderboote, die auf dem Fluss trainierten. Machte Spaß, das alles zu beobachten.

Und genau das tat der Mann auch.

Das Wetter hatte sich endlich gebessert, die Regenwolken waren nach Osten abgezogen und die Sonne überschüttete die Stadt mit ihren wärmenden Strahlen. Die Menschen waren wieder herausgekommen, saßen auf den breiten Stufen und genossen die Sonne des frühen Nachmittags.

Der Mann auch.

Er war gut, aber unauffällig gekleidet, maß fast 190 Zentimeter und war von schlanker, aber kräftiger Figur. Ein Beobachter hätte kaum vermuten können, dass sein Körper über eine Vielzahl gut trainierter Muskeln verfügte, weshalb er die Kleidung gern etwas größer trug. Heute trug er eine leichte, weiße Sommerhose, ein blaues Polohemd und darüber ein leichtes, hellbraunes Leinensakko. Sein struppiges, mittelblondes Haar zeigte an den Schläfen ein erstes zartes Grau und war in der Stirnmitte schon reichlich ausgedünnt, gleichwohl warfen ihm Frauen interessierte Blicke zu, wenn er auf den Straßen unterwegs war. Daran änderte auch die kleine rötliche Narbe nichts, die sein Kinn prägte und als Andenken an seinen Einsatz in Peru zurückgeblieben war.

Im Auftrag der Agency hatte er dort über Wochen einen sehr gefährlichen Mann beobachtet, den Kopf eines Drogenhändlerrings, der den Markt in den USA mit seinen todbringenden Artikeln überschwemmte und dabei vor allem Kinder und Schüler im Auge hatte. Am Schluss hatte er ihn auftragsgemäß liquidiert und war dabei fast draufgegangen. Bei einem mörderischen Gefecht mit den Leibwächtern des Drogenbosses war er getroffen worden und nur knapp dem Schicksal mancher seiner Kollegen entgangen.

Dieser Mann hieß Peter Wills und war Agent First Grade der CIA.

Dank seiner außergewöhnlichen Sprachkenntnisse, zu denen neben Grundkenntnissen in Arabisch auch Deutsch und Spanisch gehörten, hatte er jetzt Einsätze im Irak, im Sudan, in Deutschland und in Peru hinter sich. Immer war er für den Tod von Menschen verantwortlich gewesen, aber das hatte ihm weder Gewissensbisse verursacht noch seinen Schlaf nachhaltig gestört.

Die Opfer – das waren alles Menschen gewesen, die es verdient hatten. Drogenhändler, Verräter, feindliche Agenten, Terroristen.

Sie waren die Bösen.

Und er war einer von den Guten – und das hatte ihm seine Tätigkeit erleichtert und einen guten Schlaf ermöglicht.

Als er sich nach fünfjähriger Tätigkeit bei der Polizei von New York bei der Agency beworben hatte, was er ohne die ausdrückliche Empfehlung seines Commissioners wohl nie getan hätte, war ihm bewusst, dass seine neue Tätigkeit gefährlich sein würde. Aber neue Herausforderungen reizten ihn und so hatte er ohne Probleme das Aufnahmeverfahren in Langley durchlaufen und war inzwischen Agent First Grade.

Allerdings hatte sein Familienleben darunter sehr gelitten, er hatte keins.

Einige Affären, ja, aber keine Frau, keine Kinder. Zwei ernsthaftere Beziehungen, die in die Brüche gegangen waren, alles zum Wohle des Landes, das ihm seine Gehaltsschecks ausstellte.

Jetzt flogen seine Blicke über den Rhein und streiften die Besucher, die neben ihm auf der Freitreppe saßen. Er scannte seine Umgebung und versuchte, jede Form von Gefahr rechtzeitig aufzunehmen, ein Verhalten, das ihm in den Jahren, die er im Dienst der Agency verbracht hatte, in Fleisch und Blut übergegangen war.

Gelegentlich nippte er an einer Flasche Bitter Lemon, seinem Lieblingsgetränk. In der Hand hielt er eine zusammengerollte Zeitung.

Seine Gedanken wanderten zurück zu seinem letzten Auftrag, der ihn vor einem halben Jahr in die Domstadt geführt hatte. Es galt, an ein historisches Dokument zu kommen, das für seine Regierung von großer Bedeutung war. Im Laufe dieser Aktion hatte er hier in Köln einen alten Nazi getötet, ohne dass ihm diese Tat Gewissensbisse eingetragen hätte. Die Aktionen gegen den katholischen Pfarrer, wie hieß er noch gleich, ja … Diefenstein, hatten ihm weniger gefallen. Der Mann war ihm sympathisch gewesen und trotzdem hatte er ihn unter Druck setzen müssen.

Aber schließlich handelte er in nationalem Interesse, da darf man nicht zimperlich sein und so konnte er seinen Auftrag hier erfolgreich beenden. Wie das mit dem jetzigen Auftrag aussah, war noch nicht so klar.

Aber – Fuck – sein Kollege war erschossen worden.

Auf der Domplatte!

Vor der herrlichen Kathedrale!

Gordon Rush! Ein liebenswerter Kollege aus Chicago, verheiratet, zwei Kinder und Anhänger der Chicago White Sox, einem sympathischen Loserteam.

Jünger als er und erst seit fünf Jahren bei der Agency. Vielleicht hatte ihm noch ein wenig die nötige Härte gefehlt, die in diesem Job unausweichlich war. Er zeigte gerne die Bilder seiner hübschen Frau und der beiden Kinder, was in diesen Kreisen eher unüblich war.

Und jetzt war er tot!

Wer hatte ihn erschossen und warum?

Ihre Ermittlungen gegen die Waffenhändler waren noch in einem so frühen Stadium, dass von daher noch keine Gefahr drohen konnte.

Oder doch?

Wills schüttelte ratlos den Kopf.

Man hatte ihm aus Langley Hilfe zugesagt. Morgen schon sollte die eintreffen und er war gespannt, wer zu seiner Verstärkung kommen würde. Auch wenn ihm grundsätzlich das Gefühl von Furcht fremd war, konnte man in dieser Situation Hilfe gebrauchen.

Wills griff in sein Sakko und holte eine Packung Camel Filter heraus. Eigentlich hatte er mit dem Rauchen aufgehört. Eigentlich! Aber der Stress, den sein Job mit sich brachte, hatte ihn wieder nach den Glimmstängeln greifen lassen, auch wenn er wusste, dass das seiner Kondition abträglich war. Egal! Immerhin hatte er keine Partnerin, die ihn deswegen mit schiefen Blicken oder dummen Bemerkungen nervte.

Er zündete die Zigarette an, inhalierte tief und genoss die beruhigende Wirkung des Nikotins, die sich langsam in seinem Körper verbreitete.

Kleine Wölkchen stiegen wie kleine Rauchsignale auf, während er die Leute, die um ihn herumsaßen, eindringlich musterte. Touristen aus Asien, die auf den Rhein und den gegenüber liegenden Dom wiesen und in ihrer Sprache lachten und plapperten.

Andere standen mit dem Rücken zum Dom, machten wie verrückt Selfies mit einem Stick, und amüsierten sich dabei königlich.

Ein Eisverkäufer mit Wagen, der seine überteuerten Bällchen an naive Touristen verscheuerte.

Rentner im grauen Einheitsdress, die behaglich in der Sonne saßen und ihre alten Glieder wärmten, zwei Rollatoren standen in der Nähe. Ein Liebespaar, das sich in inniger Verzückung abschleckte. Ein paar Mädchen, die wie Hühner gackerten und sich gegenseitig Sprachnachrichten schickten, obwohl sie nebeneinander saßen. Ein persönliches Gespräch galt offenbar als extrem uncool. Flaschensammler, die aufmerksam das Territorium nach Beute absuchten. Ein Student, der weltverloren auf seinen Laptop hämmerte und zwischendurch Blicke in den Himmel warf, als könne von da die notwendige Erleuchtung kommen.

Auch einige Flüchtlinge, offenbar Araber, hatten den Boulevard entdeckt. Sie flüsterten miteinander und beobachteten aufmerksam die fremde Szenerie. Ihre Blicke wanderten zu den Mädchen in den kurzen Röcken und drückten abwechselnd Begehren und Missfallen aus. Alles normal und völlig unauffällig.

Und doch!

Ein Mann fiel ihm auf.

So durchschnittlich und unauffällig, dass er auffallen musste. Er saß etwa zwanzig Meter weiter. Der Mann trug einen breiten Sommerhut, war von mittlerer Größe und untersetzter Figur. Sein beigefarbener Leinenanzug war ein wenig zu groß und schlotterte um die schlanke, sehnige Gestalt. Er schien sich für seine Umwelt nicht zu interessieren und blätterte versunken in einem Reiseführer. Aber Wills hatte sofort bemerkt, dass er unter seiner Jacke ein Schulterhalfter trug, und die Ausbuchtung zeigte, dass es nicht leer war.

Wills trank die Flasche aus und ließ sie für die Flaschensammler stehen. Er drückte den Glimmstängel aus und sah sich um. Aschenbecher gab es hier nicht, und trotzdem war alles sauber. Keine Zigarettenreste auf dem Boden. Das machte Eindruck auf ihn und er versenkte die Kippe in der Flasche.

Langsam stand er auf und schlenderte in die entgegengesetzte Richtung. In Sichtweite war ein großes Hotel, auf das er zustrebte. Plötzlich ließ er seine Zeitung fallen, bückte sich und drehte sich ruckartig rum. Der Mann war weg. Wills spürte die Gefahr, seine Nackenhaare sträubten sich. In schnellen Schritten eilte er zu dem Hotel, kam gerade an einem Metallcontainer vorbei, als er das Geräusch hörte.

Das Geräusch einer Pistole, die durchgeladen wurde.

Er ließ sich fallen.

Keine Sekunde zu früh.

Der Schuss traf den Container, die abprallende Kugel streifte seinen Arm. Wills griff blitzschnell nach der SIG Sauer Scorpion, die er im Halfter unter der Jacke trug.

Er blickte vorsichtig über den Container, fand den Schützen aber nicht. Stattdessen eine weitere Kugel, die seinen Kopf nur um Haaresbreite verfehlte.

Er duckte sich und gab blind zwei Schüsse in die Richtung ab, in der er den heimtückischen Schützen vermutete.

Die Schüsse hatten inzwischen Aufmerksamkeit erregt. Hysterische Schreie, Rufe nach der Polizei, Sätze wie „Geht in Deckung!“ und „Ein Terrorangriff“ kamen vom Rheinboulevard. Die Menschen duckten sich in Panik, suchten so weit wie möglich Deckung oder liefen hektisch die Stufen hinauf, um sich in Sicherheit zu bringen.

Wills sah noch einen beigefarbenen Anzug samt Sommerhut in Richtung Messehalle verschwinden, dann kehrte plötzlich Ruhe ein, eine unheimliche Ruhe!

Er hatte wenig Lust auf die Polizei zu warten, deren schrille Sirenen in größerer Entfernung bereits zu hören waren. Er verschwand ebenso unauffällig wie sein Angreifer, aber jetzt hatte er immerhin eine Vorstellung, wie der Killer aussah.

Über die Gründe allerdings grübelte er nach wie vor, aber das würde er noch herausfinden. Und eine zweite Chance sollte der Killer nicht bekommen.

Die Köln-Affäre

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