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2. Kapitel Warschau (eine Woche vorher)

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Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift. Allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist. (Paracelsus)

Die polnische Hauptstadt lag friedlich in der Abendsonne, froh, einen weiteren Tag kaum erträglicher Hitze überstanden zu haben.

Unweit vom Kulturpalast, dem Warschauer Wahrzeichen, das die Sowjetunion im Jahre 1952 dem polnischen Volk zum Geschenk gemacht hat (die Alternative wäre der Bau einer U-Bahn gewesen, was weniger prestigeträchtig, aber praktischer gewesen wäre), der im Baustil des sozialistischen Klassizismus immer noch alle anderen Bauwerke Warschaus wie auch Polens überragt, liegt die Ul.Grzybowska. Sie verbindet das Geschäfts -und Bankenviertel Wola mit der Innenstadt und der Zlote Tarasy, dem modernen, großen Einkaufszentrum, ist Tag und Nacht belebt und von zahllosen Geschäften, Bars und Restaurants aller Ausrichtungen gesäumt.

Viele der Bars und Diners verfügen über eine Außengastronomie und die Menschen gönnen sich nach einem heißen Arbeitstag gerne einen kühlen Drink an den kleinen, mit bunten Decken gedeckten Tischen. Hier trifft man den Banker ebenso wie den Handwerker, die Studentin sitzt neben dem Touristen, der Busfahrer neben dem Versicherungsangestellten. Die Hausfrau hat ihre Einkäufe abgestellt und schlürft Hugo, der Arzt, der bemüht ist, Abstand von seiner Praxis zu bekommen, trinkt genüsslich seinen Weißwein.

Dazwischen Jugendliche, die neben ihren Eltern sitzen und unbekümmert auf ihre Smartphones hämmern, als gäbe es kein Morgen mehr. Sie haben der Welt ihre Belanglosigkeiten mitzuteilen oder spielen ihre Spiele, immer in dem Bemühen, ein Leben mehr zu erreichen. Andere checken ihren Account bei Facebook und kontrollieren die Zahl ihrer Follower. Schon wieder fünf neue! Wieder andere, die unvermeidlichen Kopfhörer in den Ohren, nippen gedankenverloren an ihrer Cola und wippen im Takt berauschender Töne mit, von ihrer Umwelt nehmen sie kaum noch etwas wahr.

An einem der Tische saß eine attraktive junge Frau, die die vierzig noch nicht erreicht hatte. Ihr langes blondes Haar fiel in Locken weit über die Schulter. Sie trug einen engen, schwarzen Rock, der ihre sportliche Figur vorteilhaft betonte und eine weiße Bluse, die einen dezenten Blick auf ihre schmalen Brüste zuließ. Ihr Gesicht war ebenmäßig, aber herb, weil sich an den Mundwinkeln Falten eingegraben hatten, die von vielen, wohl auch leidvollen Erfahrungen zeugten.

Die hochhackigen Pumps hatte sie ausgezogen und neben den Tisch gestellt.

Sie zog an ihrer Zigarette, nippte an einem Cocktail, blätterte durch ein englisches Modejournal und ignorierte völlig die interessierten Blicke, die die Männer ihr zuwarfen. Ein Bild völliger Entspannung, wie es nur jemand bieten kann, der mit sich und der Welt im Reinen ist. Eher keine gestresste Touristin, vielleicht eine entspannte, einheimische Urlauberin? Oder eine erfolgreiche Geschäftsfrau?

Von der Straße näherte sich ein Mann von mittlerer Größe und untersetzter Figur.

Sein beigefarbener Anzug war ein wenig zu groß und verdeckte die sehnige Gestalt.

Die stechenden grauen Augen waren unter einem gleichfarbigen, breitkrempigen Sommerhut und einer schmalen Sonnenbrille verborgen. Er schien einen Tisch zu suchen und steuerte den Tisch neben der Frau an.

„Autsch! Can’t you be careful?“

„Oh, I am so sorry, Madam!“ Englisch mit deutlichem Akzent. Der Mann hatte die Frau angerempelt und die Frau hatte einen kurzen, stechenden Schmerz in der Seite gespürt, der sie zu dieser unwirschen Bemerkung veranlasst hatte.

Der Mann murmelte einige weitere Worte der Entschuldigung, entfernte sich aber dann wieder, ohne an einem der Tische Platz zu nehmen. Irritiert blickte die Frau ihm nach, griff nach ihrer juckenden Hüfte, maß dem Vorfall aber keine Bedeutung bei. Sie widmete sich wieder ihrer Lektüre.

Minuten später, der Mann war längst aus dem Blickfeld verschwunden, griff die Frau plötzlich an ihren Hals. Die Zigarette glitt aus ihren Fingern, Schaum trat aus ihrem Mund und sie begann zu röcheln. Ihr Gesicht wurde weiß wie ein Tischtuch, verkrampfte sich zu einer grauenhaften Fratze.

Die Kellnerin ließ vor Schreck einen Cappuccino auf das Bein eines russischen Touristen fallen, der empört aufschrie und fluchend mit seiner Zeitung nach der Kellnerin schlug.

Ein kleines Mädchen starrte entsetzt auf die Frau und fing in Panik an zu schreien.

An den Nebentischen sprangen Männer auf und eilten zur Hilfe.

Aber jede Hilfe kam zu spät!

Die Frau verdrehte ihre Augen, die Hände verkrampften sich und das Modejournal fiel auf den Boden. Sie schrie vor Schmerzen auf und sank auf den Boden.

„Tut doch was!“

„Holt die Ambulanz“

„Die Polizei! Alarmiert die Polizei!“

„Lockert den Kragen!“

Die Männer überschlugen sich in blindem Aktionismus und dem vergeblichen Versuch Hilfe zu holen.

Und während die Frau ihre letzten Atemzüge tat, stand der Mann mit den stechenden Augen und dem breitkrempigen Sommerhut keine zweihundert Meter entfernt im Eingang eines Wohnhauses und betrachtete die Szenerie mit unverhohlener Befriedigung.

Zufrieden verließ er den Tatort.

Die Köln-Affäre

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