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10. Kapitel Köln/Pantaleonsviertel

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Es ist nichts schrecklicher als eine tätige Unwissenheit. (Goethe)

Einen Tag nach jenem abgebrochenen Mordversuch saßen wir auf der Terrasse meines gemütlichen Pfarrhauses von St. Pantaleon bei einem Glas Weißwein zusammen und diskutierten die Situation. Wir, das waren ich, Monsignore Dr. Peter Diefenstein, meines Zeichens Pfarrer von St. Pantaleon und mein Freund Markus Bassler, Pastor der in unmittelbarer Nähe liegenden Johanniskirche. Er war von gleichem Alter wie ich, wirkte aber jünger, wie ich neidlos zugeben musste. Die noch in reichem Maße vorhandenen blonden Haare und die kräftigere Figur ließen ihn jünger und dynamischer erscheinen.

Neben ihm saß seine Frau Doris, die inzwischen viel von ihrer einstigen Strahlkraft eingebüßt hatte. Gesicht und Körper ausgezehrt, die Hände fahrig, die Frau wirkte krank, versuchte aber, sich unbeschwert zu geben.

Die Basslers hatten ausführlich Bericht erstattet und ich hatte konzentriert zugehört. Zu der Frage, wie man Anne Mundorf helfen konnte, gab es verschiedene Antworten, und keine konnte richtig überzeugen. Unsicherheit beherrschte den Raum.

„Man sollte das Jugendamt einschalten“, meinte ich, „die Eltern sind offenbar überfordert und der Vater scheint ein besonders schlimmer Finger zu sein.“

„Ja, ist er, ein wahres Ekel“, meinte Bassler, „aber das Jugendamt? Bis sich das um die Sache kümmert, ist das Mädchen schon in Syrien und hat sich der IS angeschlossen.“

Er hatte offenbar keine gute Meinung von der städtischen Behörde, und diese Meinung basierte auf unguten Erfahrungen, die er mit der Behörde gemacht hatte.

„Aber ohne die Einwilligung der Eltern können wir nichts tun“, meinte Doris Bassler lakonisch und nippte an ihrem Glas. Sie versuchte, die Schmerzen in ihrem Leib, die ihr wieder seit Tagen zu schaffen machten, so gut wie möglich zu ignorieren. „Und wenn wir die Polizei einschalten“, meinte ich lahm, „ich kenne da jemanden, der uns vielleicht helfen könnte.“

In das Schweigen hinein, das nun herrschte, klingelte Basslers Handy. Bassler blickte entschuldigend um sich, dann drückte er die Taste.

„Ja, Bassler.“

Während er konzentriert zuhörte, verdüsterte sich seine Miene zusehends.

„Wir sind im Pfarrhaus von St. Pantaleon. Kennen Sie das? Gut, können Sie zu uns kommen, wir diskutieren ihr Problem gerade. Und bringen Sie den Zettel mit. Bis gleich.“

Er legte auf. Doris Bassler und ich blickten ihn fragend an.

„Das war Frau Mundorf“, sagte er und leerte sein Glas mit einem Zug.

„Und?“, kam es wie aus einem Munde.

„Anne ist weg. Abgehauen. Sie hat einen Zettel da gelassen. Ich hab der Mutter geraten, hierhin zu kommen. War doch in Ordnung, Peter, oder?“

Ich nickte und machte eine ausholende Handbewegung.

„Selbstverständlich. Wir müssen ihr helfen. Ihr Mann wird ihr keine große Hilfe sein.“

Ich schenkte Wein nach und wir hingen unseren Gedanken nach, bis es schon nach wenigen Minuten klingelte. Von der Merowingerstraße bis hierhin dauerte es höchstens fünfzehn Minuten, und länger hatte die Besucherin auch nicht gebraucht. Sie musste gelaufen sein.

Meine Haushälterin hatte sich schon in ihr kleines Zimmer zurückgezogen, also ging ich herunter um die Tür zu öffnen, und kam mit Frau Mundorf zurück, einer Frau, die Basslers kaum wiedererkannten.

Verhärmt hatte sie schon lange vorher ausgesehen, aber jetzt standen Furcht und Entsetzen in ihrem Gesicht. Das dünne graue Haar trug sie dieses Mal nicht als Zopf, sondern es hing strähnig am Kopf herunter und rahmte ein Gesicht ein, das von Kummer und Not entstellt war.

Schwer atmend ließ sie sich in den Sessel sinken, den ich ihr angeboten hatte, griff in ihre Louis-Vitton-Tasche und kramte einen Zettel hervor.

Sie wedelte mit dem Zettel herum und ihre Augen füllten sich mit Tränen.

„Sie ist weg“, keuchte sie, „heute, irgendwann in der Nacht ist sie abgehauen. Ich war auf Arbeit und Eduard, mein Mann, hat nichts gemerkt. Er hat geschlafen, wie immer. Wenn er nicht schläft, trinkt er oder er guckt irgendeinen Schwachsinn im Fernseher.“

Sie begann zu weinen und holte sich umständlich ein Taschentuch aus ihrer Tasche.

„Das hier, das hat sie dagelassen. Das ist alles nach sechzehn Jahren, was sie uns da gelassen hat.“

Sie reichte den Zettel herüber.

Liebe Mutter Ich bin jetzt weg. Ich werde jetzt das tun, was Allah, sein Name sei gepriesen, mir aufgetragen hat. Suche mich nicht, ihr werdet mich nicht finden. Ich werde eine Kriegerin Gottes sein und ihr könnt stolz auf mich sein.

Übrigens heiße ich jetzt Aabidah, das heißt Dienerin Allahs. Gib Guido einen Kuss, ihn werde ich vermissen, und dich auch, aber nicht deinen Mann, den ich nicht mehr Vater nennen werde.

Aabidah

Über Minuten herrschte Schweigen. Das musste erst verdaut werden.

Ich hatte der Frau inzwischen ein Glas Wein geholt, das sie hastig herunterschluckte.

Dann begann Bassler mit leiser Stimme. „Wir müssen die Polizei informieren!“

„Die Polizei? Wieso das denn?“

Die Stimme von Frau Mundorf klang leicht hysterisch.

„Ich habe von Fällen wie diesem schon mehrfach gehört“, meinte ich, „es besteht die Gefahr, dass sich Anne äh … radikalisiert hat und sich entweder im Ausland einer terroristischen Organisation anschließt oder hier im Inland Anschläge begeht. Das muss verhindert werden!“

„Und was meint Anne, wenn sie von dem Mann spricht, den sie nicht mehr Vater nennen will?“, warf Doris Bassler ein.

Elke Mundorf schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht, aber vielleicht“, sie stockte und rang nach Luft, „vielleicht hat Eduard sich nicht immer so benommen, wie man es von einem Vater erwarten müsste.“

„Sie meinen, er hat sie … missbraucht?“

Basslers Miene verzog sich vor Ekel.

„Ich weiß es nicht“, hauchte Elke Mundorf tonlos, „aber ich würde es nicht ausschließen.

Er hat sich so verändert, vor allem seit er arbeitslos ist. Jahrelang hat er beim Schutz- und Wachdienst gearbeitet. Er hatte einen Wagen, fuhr nachts herum und sicherte Objekte und so.

In seiner Uniform hat er richtig gut ausgehen, so … stattlich. Einmal ist er von einem Einbrecher niedergestochen worden, aber das hat er gut verkraftet. Er hat den Typ trotz der Verletzung verprügelt und der Polizei übergeben. Ein tapferer Mann! Ein guter Mann!

Aber dann hat er angefangen zu trinken, Gott weiß, warum. Er wurde unpünktlich und kam besoffen zur Arbeit. Und dann, dann haben sie ihn entlassen. Von heute auf morgen. Und ab da hat er sich verändert. Ich erkenne ihn gar nicht wieder. Das ist nicht der Mann, den ich einmal geheiratet habe!“

Sie seufzte tief auf und schielte nach dem leeren Weinglas. Während ich das Glas sofort wieder füllte, sagte ich: „Es gibt bei der Stadt Köln eine Beratungsstelle für moslemische Frauen und Mädchen, die Gefahr laufen radikalisiert zu werden. Ich habe mit dieser Stelle schon einmal zusammengearbeitet und könnte den Kontakt herstellen.“

Mein Vorschlag wurde angenommen und während die Runde auseinander ging, nahm sich Doris Bassler vor, endlich einen Arzt aufzusuchen, denn die Schmerzen in ihrem Leib nahmen unerträgliche Formen an.

Die Köln-Affäre

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