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14. Kapitel Köln/Innenstadt

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Seit jenem Tag, an dem der erste Schuft seinen ersten Dummkopf fand, gibt es Quacksalber. (Voltaire)

Dr. Klaus Marquardt galt in Köln als einer der Experten im Bereich der Inneren Medizin.

Seine Praxis auf dem Hohenstaufenring war klein, aber exquisit und nur Privatpatienten zugänglich. Marquardt war überdurchschnittlich groß und sehr schlank, fast schon hager. Sein volles Haar war weiß und lockig, seine randlose Brille betonte ein asketisches, aber freundliches Gesicht. Ein gepflegter Oberlippenbart verlieh ihm einen Hauch von Jugend und das kräftige, weiße Gebiss zeugte von besonderer Pflege. Ein Mann, der Kompetenz und Vertrauen ausstrahlte und dazu ausgesprochen gut aussah.

Daran änderten auch die mehr als sechzig Jahre nichts, die er schon hinter sich gebracht hatte.

Sein gestärkter blütenweißer Kittel verstärkte nachhaltig den Eindruck von Würde und Kompetenz. Er würde nie, wie manche andere Kollegen, ohne Ärztekittel auftreten. In Jeans und Buschhemd vielleicht? Gruselige Vorstellung!

„Ein Polizist trägt auch seine Uniform“, pflegte er zu sagen, wenn er darauf angesprochen wurde.

Doris Bassler hatte sich wieder angezogen und wartete auf das Ergebnis. Sie war nervös und nestelte mit fahrigen Händen an ihrer Tasche. Ihr Mann wusste nichts von dem Arztbesuch. Vielleicht war die Diagnose doch nicht so schlimm, und sie wollte ihm eine sinnlose Beunruhigung ersparen.

Das Ergebnis des Blutbildes lag jetzt ebenso vor wie der Befund des Ultraschalls und der Computertomographie. In den letzten Tagen war ein MRT veranlasst worden, sogar eine endoskopische Darstellung von Pankreasgang und Gallenwegen durch eine Röntgenaufnahme unter Kontrast. Nichts war ausgelassen worden, was gut, teuer und hilfreich war. Die Krankenkasse würde die Hände über dem Kopf zusammenschlagen.

Der Arzt musterte seine Patientin nachdenklich. Er legte seine Hände zu einer Pyramide zusammen, wie er es immer unwillkürlich zu tun pflegte, wenn er schlechte Nachrichten zu überbringen hatte. Vielleicht sollte die Pyramide ein Schutzdach für den Patienten darstellen.

„Frau Bassler, es hat wenig Zweck, um die Sache herumzureden. Sie haben eine sehr gefährliche Krankheit, und sie ist in einem ziemlich fortgeschrittenen Zustand.“

Doris Bassler guckte ihn fragend an. Erste Tränen sammelten sich in ihren Augen.

„Vielleicht sollten wir zuerst Ihren Mann dazuholen.“

Bassler schüttelte den Kopf. „Weiter“, hauchte sie tonlos.

„Ein Pankreaskarzinom oder um es für Sie verständlicher zu machen Bauchspeicheldrüsenkrebs!“

Bassler schlug die Hände vor den Mund. Ein Todesurteil! Von diesem Krebs hatte sie schon gehört und er zählte zu den schlimmsten. Ihre Mutter war daran gestorben. Damals hatten zwischen Diagnose und Tod fünf Monate gelegen!

Dr. Marquardt stand auf und goss ihr ein Glas Wasser ein.

Wieso glauben eigentlich alle Menschen, selbst Ärzte, dass in einer solchen Situation ein Glas Wasser helfen konnte, dachte Bassler und stieß das Glas unwirsch zur Seite.

Wasser schwappte über und versah den dunklen Schreibtisch mit einem Kranz.

Vorsichtig legte der Arzt seine Hand auf die zitternde Schulter seiner Patientin.

„Eigentlich gehören Sie nicht zu der Gruppe von Menschen, die eine Disposition für diese Erkrankung haben.“

„Was wäre denn typisch als Disposition“, sagte Bassler leise. „Riskante Lebensgewohnheiten wie Rauchen, übermäßiger Alkoholkonsum, Übergewicht und fett- und fleischreiche Ernährung, alles Dinge, die ich bei Ihnen ausschließe.“

Er machte eine kurze Pause und sah seine Patientin nachdenklich an.

„Hat es in Ihrer Familie diese Krankheit schon gegeben?“

„Meine Mutter ist daran gestorben“, kam es kaum hörbar.

Dr. Marquardt nickte einfühlsam.

„Die genetische Disposition ist in der Tat eine erhebliche Komponente. Das Problem dieser Krankheit ist, dass es weder geeignete Früherkennungsmaßnahmen gibt noch rechtzeitige Warnzeichen. Bei anderen Krankheiten gibt es Vorsorgeuntersuchungen. Bei Brustkrebs, Prostata, Darmkrebs, das kennen Sie. Aber bei Pankreaskarzinom“, er machte wieder eine kurze Pause und spielte mit seinem Kugelschreiber, „wenn man wie Sie schon erhebliche Beschwerden hat, ist es schon etwas … spät.“

Bassler atmete tief ein.

„Sie meinen, zu spät?“

Dr. Marquardt ersparte sich die Antwort, die nur Ja hätte lauten können.

Doris Bassler griff jetzt doch nach dem Wasser und leerte das Glas in einem Zug.

„Welche Behandlung gibt es und wie erfolgreich sind sie?“

„Nun, da gibt es durchaus viel Hoffnung …“

„Die Wahrheit, Herr Doktor! Reden Sie nicht um den heißen Brei herum, sondern sagen Sie mir die Wahrheit. Ich will sie hören und ich kann sie vertragen!“

Ihre Hände verkrampften sich.

Marquardt legte den Kugelschreiber weg und kehrte zu seiner Händepyramide zurück, seine Stimme senkte sich.

„Die erste Option ist eine Operation. Dabei werden das Tumorgewebe und die umgebenden Lymphknoten möglichst weitgehend entfernt. Aber …“, er machte eine kurze Pause und es fiel ihm offensichtlich schwer weiter zusprechen, „das geht bei Ihnen nicht.“

„Warum nicht?“

„Der Tumor ist zu groß, und er hat bereits Metastasen in Leber und Lunge gebildet.“

Bassler nickte. Ihr Mund war trocken geworden und neue Tränen trübten ihre Sicht. Sie fuhr hastig mit einem Taschentuch über ihre Augen. Aber jetzt wollte sie alles wissen.

„Gar keine Hoffnung mehr?“

„Doch, doch“, wiegelte der Arzt ab. „Wir werden eine Chemotherapie durchführen und die kann sehr erfolgreich sein.“

Bei seiner Aussage fühlte er sich äußerst unwohl, denn er wusste genau, dass er nicht die Wahrheit sagte. Bei diesem Stand der Krankheit konnte eine Chemotherapie bestenfalls eine kurzzeitige Lebensverlängerung bringen. Nein, er wusste genau, dass die liebenswerte Patientin, die vor ihm saß, unweigerlich einem baldigen Tod geweiht war.

„Ich würde Ihnen gerne die Einzelheiten und Folgen dieser Therapie erläutern und …“

Bassler winkte ab.

„Nicht jetzt, Herr Doktor, ich werde das in aller Ruhe mit meinem Mann besprechen und dann entscheiden, wie es weitergeht. Vielen Dank!“

Sie verabschiedete sich und verließ die Praxis.

Im Treppenhaus brach sie zusammen.

Die Köln-Affäre

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