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Welfen und Staufer in Schwaben
ОглавлениеSeit der Mitte des 11. Jahrhunderts vollzog sich in Schwaben und Bayern eine bemerkenswerte Veränderung: Die Herzöge kamen wieder aus ihrer Region. In Schwaben war 1079 Friedrich von Staufen eingesetzt worden, aus einem Geschlecht, das ursprünglich aus dem Ries kam – um 1000 sind mit ihrer Burg Wallerstein die Grafen im Riesgau belegt, die heute als Vorfahren Friedrichs von Büren gelten. Um 1040 heirateten sie in das Gebiet ein, dessen Güter nun die Besitzgrundlage abgaben: am Nordrand der Alb im Fils- und Remstal um die Stammburgen Hohenstaufen und Büren (Wäschenbeuren), mit den Städten Göppingen und Schwäbisch Gmünd und dem Hauskloster Lorch – und weiterem Besitz im Elsass. Um die gleiche Zeit wurde 1070 Welf IV. als Herzog von Bayern – dort nun als Welf I. gezählt – eingesetzt, der seinerseits die jüngere Linie der Welfen begründete und aus der Ehe der Kunigunde mit Markgraf Azzo von Este in Oberitalien abstammte. Die Besitzungen dieses Hochadelsgeschlechtes umfingen gleichsam Ostschwaben: Ein Schwerpunkt lag im alten welfischen Stammland um das Hauskloster Altdorf-Weingarten und die Burg Ravensburg, ein zweiter zog sich am Lechrain von Mering über Peiting und Alt-Schongau nach Süden bis in den Raum Füssen.
Beide Familien wetteiferten um die Vorherrschaft in Süddeutschland, wobei die jeweilige Herzogsgewalt und der damit verbundene Reichsfürstenstand eine willkommene Erweiterung ihrer Basis bedeuteten und gleichzeitig den potentiellen Aufstieg in die Königswürde signalisierten. Dass ein drittes Geschlecht, die Zähringer, im äußersten Südwesten am Oberlauf der Donau, im Breisgau und in der Nordschweiz die gleichen Ambitionen hegte, komplizierte die Lage noch mehr – aber das lag außerhalb unserer Region.
Das Ringen um die Vorherrschaft war programmiert, und Ostschwaben war ein wichtiges Feld, in dem sich die Interessen überschnitten, zumal wir mit diesen Familien in eine Phase der mittelalterlichen Geschichte eintreten, in der sich die Ausformung der Territorialgewalt abzuzeichnen begann. Es dauerte ein gutes Jahrhundert, bis die Weichenstellungen zugunsten der Staufer getroffen wurden: Für diese Zeitspanne, in der beide Familien ihr Herzogtum jeweils weitgehend in der Hand behielten, spricht man in Bayern von einem welfischen Jahrhundert und in Schwaben von der staufischen Ära.
Dabei war Friedrich von Büren von Kaiser Heinrich IV. eingesetzt worden, um als Stütze des Reiches in dieser Region zu wirken – als Gegenpol zur süddeutschen Fürstenopposition; nicht umsonst hatte der Staufer seine Tochter Agnes zur Frau erhalten. Das Herzogtum Schwaben hatte zuvor Berthold, der Sohn Rudolfs von Rheinfelden, an sich gerissen, und das hieß, dass sich Friedrich erst einmal durchsetzen musste. Noch 1092 wurde mit Berthold II. von Zähringen ein Gegenherzog vom antikaiserlichen Adel gewählt, der seinerseits im südlichen Schwaben eigene Landtage einberief. Und in Ostschwaben saß Herzog Welf I. „Kein Wunder, wenn schwäbische Quellen förmlich von ‚Herzogen der Schwaben‘ (duces Sueborum) sprechen“ (Klaus Schreiner). Als schließlich zwischen 1096 und 1098 ein Ausgleich zustande kam, war das Ergebnis eine Aufteilung Schwabens in Interessensphären: Die Zähringer erhielten die Reichsvogtei über Zürich und nannten sich nun Herzöge von Zähringen nach der Burg nördlich von Freiburg, Welf, der Herzog von Bayern, beherrschte nach wie vor das Gebiet nördlich des Bodensees und nannte sich nach der Ravensburg, und Friedrich von Staufen, der Herzog von Schwaben, war auf das Gebiet nördlich der Donau beschränkt, erhielt aber mit Ulm eine wichtige Stadt zuerkannt, die nach Süden orientiert war.
Aus einem Herzogtum waren drei geworden, die sich allerdings grundlegend von dem alten schwäbischen Herzogtum unterschieden: Sie waren nur mehr auf das jeweilige eigene Herrschaftsgebiet bezogen, nicht mehr auf Gesamtschwaben. Immerhin, Friedrich hatte sich durchgesetzt. Aber seine Herzogsgewalt war nun anders definiert: Seine herzoglichen Landtage wurden auf Dauer nur mehr von den Großen besucht, die zum eigenen Herrschaftsbereich gehörten; nur noch ‚seinen‘ Adel konnte er zum Heerbann aufbieten, und auch der Schutz über die Kirchen und Klöster wurde zunehmend auf sein Gebiet bezogen. Verortet man die Teilnehmer der Herzogslandtage um 1140 und 1185, so zeigt sich sehr klar, dass sich der Kreis zunehmend auf den Raum zwischen Neckar und Bodensee verengte und auch aus Ostschwaben nur mehr die Grafen von Kirchberg an der Iller und die Grafen von Berg (Ronsberg) aus dem Allgäu vertreten waren (Helmut Maurer).
Diese neue räumliche Begrenzung der schwäbischen Herzogsgewalt, die sich herauskristallisierte, weil nur so der Konflikt lösbar war, korrespondierte aber mit einer zunehmenden Verdichtung der Herrschaft. Für die Staufer begann sie mit Herzog Friedrich II. dem Einäugigen (1105–1147) zielstrebig als Burgen- und Städtepolitik. Der Vorstoß nach Südosten erfolgte 1129/32 zunächst mit einem – wenn auch erfolglosen – Angriff von Ulm aus auf die welfischen Zentren in Oberschwaben, dann unter seinem Sohn Friedrich III. (1147–1152) – ehe er König ‚Barbarossa‘ wurde – mit politischen Mitteln: Die Vogtei über Stadt und Hochstift Augsburg 1168 brachte einen äußerst wichtigen Stützpunkt ein, auf den auch die Welfen zielten, zudem trat eine ganze Reihe von Adelsgeschlechtern Schwabens auf seine Seite. Der Sprung auf die Ebene des Königtums bot eine glänzende weitere Chance zum Landesausbau, brachte er doch auch die Reichsgüter ein, die zusammen mit dem Haus- und Herzogsgut eine dichte Herrschaft ermöglichten.
Um die Bedeutung dieses Vorgangs einschätzen zu können, ist aber zunächst der Blick auf die andere Seite notwendig, auf die der Welfen. Ihre Rolle in Altbayern war durch den Kampf um das Herzogtum bestimmt – das soll hier nicht weiter verfolgt werden. Doch auch in Ostschwaben waren sie zweifellos anfangs die gewichtigeren Herrscher: Neben den schon genannten beiden Besitzschwerpunkten im Linzgau und am Lechrain hatten sie zeitweise die Grafschaften im Inntal, am Eisack und im Pustertal sowie im Vischgau innegehabt, also die Passstraßen nach Süden kontrolliert, sie jedoch an die Bischöfe von Brixen und Trient abgeben müssen. Als nun Welf IV. 1070 das Herzogtum Bayern erhielt, bot sich für ihn seinerseits die Chance, den süddeutschen Machtausbau zu betreiben: Schrittweise erfolgte der Ausbau der welfischen Positionen auch in Ostschwaben. Schon 1025 war der Königshof Mering an sie gekommen. Altomünster fungierte als Hauskloster; die Gründung des Reformklosters Rottenbuch im Pfaffenwinkel um 1073 schuf ein weiteres wichtiges Zentrum, das mit umfangreichem Grundbesitz im Ammergau ausgestattet wurde.
Im 12. Jahrhundert wurde Welf VI. zur Schlüsselfigur: Um 1115/16 geboren, hatte er zunächst in Reichsitalien seine Machtbasis; aus der Teilung der Güter mit seinem Bruder Heinrich dem Stolzen resultierte der Besitz in Schwaben, doch erst um 1160 verlagerte er seine Präsenz hierher. Der gezielte Ausbau der schwäbisch-bayerischen Güter zu einer terra Welfonis, wie eine Quelle das bezeichnet, zog das gesamte Register der zeitgenössischen Möglichkeiten: Die Forsthoheit im Altdorfer Wald konnte er zu Rodungen nutzen, Ministerialen zur Verwaltung einsetzen – unter ihnen die Waldburg, Schmalegg, Fronhofen-Königsegg –, das steigerte die Effektivität des Besitzes. Zentrale Orte neben der Ravensburg als Hauptsitz und Peiting wurden die präurbanen Siedlungen, die Märkte und Burgen von Memmingen und Altenstadt (das alte Schongau). Indirekte Herrschaft bedeutete die Schutzvogtei über die Hausklöster; dazu gründete er 1147 – bevor er zum Kreuzzug aufbrach – die Prämonstratenserabtei Steingaden, erweiterte diese Vogteien um Zwiefalten, Rot a. d. Rot, Weißenau im Westen und Wessobrunn, Polling, St. Mang in Füssen im Osten; es gelang ihm sogar, die alte Reichsabtei Kempten in dieses Geflecht einzubeziehen. Einige potente Adelsfamilien wurden zu seinen Vasallen, neben den Herren von Mindelberg vor allem die von Ursin-Ronsberg. Damit war die Brücke zwischen den beiden alten Besitzschwerpunkten geschlagen. Und schließlich gelang auch die Exemtion von der geistlichen Aufsicht des Bischofs für Teile des Besitzes.
Es bietet sich ein Gesamtbild, für das der Begriff terra tatsächlich im Ansatz schon eine flächendeckende Herrschaft bedeutete, ein „früher Territorialstaat“ (Pankraz Fried) oder vielleicht vorsichtiger: eine ‚präterritoriale‘ Herrschaft. Die adelige Hofhaltung mit den klassischen Hofämtern des Marschalls, Truchsesses, Kämmerers und Schenks spiegelt dieses Selbstbewusstsein, und man kann sich gut vorstellen, wie auf den Burgen höfische Kultur gepflegt wurde.
Stiftung des Klosters Steingaden durch Welf VI. – Fresko von Johann Georg Bergmüller über der Orgel in der Klosterkirche (heute Pfarrkirche) Welfenmünster in Steingaden, 1741/51.
Die Weiterentwicklung blieb freilich stecken: Welf VI., dessen Sohn 1167 auf einem Italienzug Barbarossas wie so viele andere Adelige an einer Seuche gestorben war, sah sich erbenlos. Sein Leben hatte einen Bruch bekommen, von dem er sich nicht mehr erholte: Er schickte seine Ehefrau Uta nach Calw zurück und führte ein Leben in „maßloser Trauer und grenzenloser Vergnügungssucht“.
„Anderen Lüsten zu frönen …“
„Der ältere Welf konnte nach dem Tode seines Sohnes keinesfalls mehr darauf rechnen, von seiner Gattin noch einen Erben zu bekommen, zumal seine Liebe zu ihr gering war und er den Verkehr mit anderen Frauen vorzog. So hatte er nur noch das eine Streben, ein glänzendes Leben zu führen, dem Waidwerk zu obliegen, Tafelfreuden und anderen Lüsten zu frönen und durch Festlichkeiten und wahllose Vergabungen sich den Ruf der Freigebigkeit zu erwerben.“ (Historia Welforum, Fortsetzung)
Am Lebensende erblindet, holte er seine Frau zurück und starb 1191. Seinen Besitz erhielt aber nicht sein welfischer Neffe Heinrich der Löwe, sondern er war schon 1178/79 an seinen anderen Neffen Friedrich Barbarossa gegangen, den Sohn seiner Schwester Judith, und damit an die Staufer als rechtmäßige Erben, vorbehaltlich einer lebenslangen Nutzung.
Die Folgen für Schwaben waren immens: Zusammen mit dem eigenen Besitz und dem Reichsgut gelang den Staufern damit eine herrschaftliche Durchdringung, die Schwaben eindeutig zu ihrer Region machte. Die Instrumente waren dieselben wie bei den Welfen, aber die Dimensionen waren ungleich ausgreifender. Die welfischen Burgen und präurbanen Siedlungen wurden eingebaut in eine zunehmend flächige staufische Besitzlandschaft. Sie wurde unter den späten Stauferkönigen Friedrich II. und Konrad IV. weiter verdichtet. Die Zahl der Ministerialen erhöhte sich sprunghaft; ein ganzes Spektrum von derartigen Funktionsträgern, teilweise aus der Unfreiheit, teilweise aus dem niederen Adel stammend, zählte zur staufischen Dienstmannschaft – und sie erhielt nun die Chance zum gesellschaftlichen Aufstieg im Reich. Zu den Spitzen dieser Reichsministerialität gehörten etwa die Reichsmarschälle von Kallentin-Pappenheim, die neben ihrem Stammsitz an der Altmühl auch zeitweise im Donaumoos um Neuburg, dann in Biberbach, Druisheim und Rechbergreuthen zwischen Augsburg und Donauwörth saßen. Volkmar II. der Weise von Kemnat war als Kämmerer des Herzogtums Schwaben im Gebiet der Reichsstraße um Buchloe begütert. Im westlichen Oberschwaben bauten die Reichstruchsessen von Waldburg samt ihren Zweigen der Herren von Tanne und der Schenken von Winterstetten ihre eigene weit verzweigte Herrschaftsbasis auf. Eng verbunden waren auch die Vasallen, die ihrerseits durchaus eigenständige Adelsherrschaften besaßen, aber Reichsdienste z. B. bei den Italienzügen leisteten: die Markgrafen von Ursin-Ronsberg, von Berg-Burgau. Ganz neue Impulse nutzten die Staufer aber mit der Städtepolitik, die vom Allgäu bis ins Ries eine wirtschaftliche Dynamik entfaltete.
Gelingen konnte diese flächige Ausbreitung auch deshalb, weil die Staufer das Herzogtum Schwaben in ihre Reichspolitik integrierten und Schwaben zu einer zentralen Region ihrer weit ausgreifenden ‚Reichslandpolitik‘ machten: Nach der Übernahme der Königswürde, wurde das Herzogtum zunächst in der Familie weitergegeben, dann aber seit Kaiser Heinrich VI. (1190–1197) als Bestandteil der Königsherrschaft behandelt. Die Kehrseite der Medaille ergab sich zwangsläufig, als die staufische Linie ins Trudeln geriet.