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Die meisten der in Ost-Berlin verhafteten jungen Leute seien wieder frei und ausgereist nach Westdeutschland. Ein paar von ihnen weigerten sich allerdings, den dazu erforderlichen Ausreiseantrag zu stellen. Mitteilungen solcher Art, als Schlagzeile von Zeitungen, die in Kiosken der Inneren Stadt auslagen, erreichten Kersting in einem überwiegend mit Empfindungen der Taubheit und der Euphorie besetzten Zustand.

Seine augenblickliche Erlebniswelt konnte er sich mit den Namen und Verläufen von Straßen im achten Wiener Gemeindebezirk umreißen, der den Namen Josefstadt trug und westlich der Ringstraße lag. Das Studentenhotel, in dem Kersting wohnte, stand an der Pfeilgasse. Sie durchquerte die Josefstadt in ihrer fast gesamten Ausdehnung. Als bauliche Sonderbarkeit gab es eine mehr als mannshohe Mauer, die zwischen Lerchen- und Tigergasse die Pfeilgasse gleichsam auseinanderschnitt und dadurch unpassierbar machte. Kersting musste an Berlin denken, wo es Straßen solcher Art seit dem Jahre 1961 in beträchtlicher Anzahl gab. In der Pfeilgasse war die Mauer eine weitgehend zweckfreie Einrichtung oder bloß gemacht, dass Kersting die Stadt seines Herkommens keinesfalls vergaß.

Er konnte eine Treppe benutzen, um aus seiner Wohnung ins Erdgeschoss zu gelangen, oder den Lift. Die Treppe begann unmittelbar neben seiner Wohnungstür. Die Stufen bestanden aus grauweißem Kunststein. Auf dem Wege zum Lift ging er an der stets offen stehenden Tür einer Teeküche vorbei. Hier begegnete er immer wieder dem jungen Mann mit den etwas ungelenken Bewegungen. Sie nickten einander zu. Beim dritten Treffen grüßte der andere Kersting hörbar mit dessen Namen. Kersting wollte stehen bleiben, sich umwenden und fragen, wieso sein Name bekannt sei. Dann erinnerte er sich, dass seit dem Datum seiner Anreise an seiner Wohnungstür seine Visitenkarte klebte. Er sah, wie der andere durch eine Tür ging, die sich nur zwei Türen entfernt von der seinen befand.

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