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Das Bankgebäude befand sich eingangs der Herrengasse. Nicht weit davon, auf dem Kohlmarkt, gab es das Geschäft des Hofkonditors Demel, in dessen Schaufenster Ronald Reagan und Michail Gorbatschow als beinahe lebensgroße Zuckerpuppen posierten und dessen Inhaber, wusste Kersting aus einer Zeitung, die er sich gekauft hatte, in Ostasien flüchtig war.

Er stand am Michaelerplatz, gegenüber jenem Hause, das 1909, als es Adolf Loos umzubauen begann, der Firma Goldman und Salatsch gehörte. Die Säulen mit ihren grauen Marmorverkleidungen existierten noch. Die oberen Stockwerke hatten ihren glatten weißen Verputz. Die Fenster ohne alle Umrahmung hatte der Kaiser Franz Josef augenbrauenlos genannt, eine hübsche Metapher, doch Franz Josef hatte sie als vernichtenden Tadel gemeint. Die Empörung, die damals ganz Wien erfasst hatte wegen des Loos-Entwurfs und die zu einer Unterbrechung des Baugeschehens im Jahre 1910 führen würde, war inzwischen unbegreiflich geworden. Die Tragödie des Adolf Loos bestand unter anderem darin, dass er sich ausdrücklich als Traditionalist begriff und den Wienern damals als im höchsten Maße modern und umstürzlerisch erschien. Er entwarf mehr, als er baute. Noch seine Entwürfe blieben häufig bloß Sprache, statt wenigstens Bauskizze oder Modell zu sein. Verständlich die ohnmächtige Feindschaft dieses Mannes zu dem beängstigend produktiven Josef Hoffmann, den Loos verächtlich überquellend nannte.

Kersting war gekommen, ein Ausländerkonto zu eröffnen, damit ihm die dafür zuständige österreichische Behörde sein Arbeitsstipendium überweisen konnte. Er stand in der Schalterhalle. Er sagte sein Anliegen. Er musste seinen Reisepass vorweisen. Die Frau hinter dem Schalter durchblätterte die hellblauen Seiten, als sehe sie so was zum ersten Mal. Vielleicht sah sie es zum ersten Mal. Ihr Gesicht zeigte den Ausdruck beflissener Feindseligkeit. Sie bat Kersting um etwas Geduld. Sie ging davon, in Händen Kerstings Reisepass mit dem Abbild des DDR-Staatswappens auf dem Deckel. Kersting hatte Gelegenheit, die anderen Kunden und das übrige Personal zu betrachten.

Die in der langen Schalterhalle aufgestellten Computer-Monitore wuschen, so schien es, mit ihren Strahlungen aus den Angestellten alle Natürlichkeit fort. Die junge Beamtin, die schräg gegenüber von Kersting stand, hatte die Aura einer Untoten. Sämtliche Unterhaltungen erfolgten halblaut. Niemand, der nicht gemeint war, konnte von dem Mitgeteilten etwas verstehen. Die geraunten Laute standen für Konten, Beträge, Anlagen, Zinsen, Kredite, und alle verhielten sich, als sei dies etwas Obszönes.

Die Gesichter der Kunden waren den Mündern der Bankangestellten gierig lauschend zugeneigt. Eine Welle der Lüsternheit lief über ihre Mienen wie ein Lichtstrahl. Kersting stand neben einer mageren alten Dame. Ihr Hals war schlaff. Ihre Hände waren knotig und zeigten Altersflecken. Den Kupon, gegen den an der Kasse die gewünschte Auszahlung erfolgen sollte, erfasste sie, als handle es sich um ein zuckendes Tier oder ein männliches Genital. Der Wiener Seelenarzt Sigmund Freud, erinnerte sich Kersting, hatte das Geld dem Exkrement zugeordnet. Das Tabu ergab sich aus einem die Lust bloß mühsam zurückhaltenden Schamgefühl. Das Wiener Verhalten zum Geld war eine ins Unaufhörliche ausgedehnte anale Phase. Kersting wurde Zeuge eines analen Kapitalismus.

Die Beamtin, die Kersting bediente, kehrte zurück. Sie händigte Kersting eine Kunststoffkarte aus, dazu ein Bündel Scheckvordrucke in einer Kunststofftasche, alles in leuchtendem Gelb. Kersting setzte auf einen Vordruck seine Unterschrift. Der Gesichtsausdruck der Beamtin zeigte jetzt nur mehr Beflissenheit. Kersting war zum Teilhaber des analen Kapitalismus geworden.

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