Читать книгу Seewölfe Paket 14 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 45
3.
ОглавлениеOld O’Flynn kratzte sich mit dem Zeigefinger der rechten Hand am Hinterkopf.
„Nun ja, Ben“, sagte er. „Wir waren doch wohl ein bißchen zu optimistisch, was? Das hat man davon.“ Er sah zu den anderen, die an der Reling der Backbordseite standen und darüber nachgrübelten, ob der Wind wohl ganz einschlafen oder bald wieder auffrischen würde. „He, ihr“, sagte er. „Aus einem Besuch in Tunis wird so schnell doch nichts. Schlagt euch das aus dem Kopf. Ich hab’ mich da vertan.“
„Schon gut, Donegal“, sagte Smoky. „Wir haben das auch wirklich nicht wörtlich genommen.“
„Aber Tobruk müßten wir bald erreichen“, meinte Will Thorne. „Oder täusche ich mich?“
„Nein, du liegst sogar goldrichtig“, entgegnete Ben Brighton und sah von den Karten auf. „Heute abend müßten wir dort eintreffen – vorausgesetzt, wir kriegen keine totale Flaute.“
Das war denn doch nicht der Fall, und so gelangten die Seewölfe an diesem Abend gegen acht Uhr nach Tobruk und gingen ein bis zwei Meilen westlich von der Stadt in einer Bucht vor Anker, weil der Wind nun, da er sie gnädig noch bis hierher geschoben hatte, doch einzuschlafen drohte.
Bald herrschte völlige Stille, aus dem Weitersegeln wurde vorläufig also nichts. Ben ordnete eine zweistündige Ankerwache an, die erste übernahm er selbst. Der zweite Turnus fiel Pete Ballie zu, und von Mitternacht bis zwei Uhr morgens – vier Glasen also – war es Smoky, der über die Sicherheit von Schiff und Mannschaft wachte.
Er trat an die Steuerbordreling und legte die Hände darauf. Sein Blick wanderte zum Ufer, dessen Sand er in der Dunkelheit ganz schwach zu erkennen vermochte, dann wieder über die Bucht und zur offenen See. Wenn sich irgendwer anschleicht, dachte er, irgendein Küstenhai oder Wüstenteufel, dann ist es deine verdammte Pflicht, diesen Hurensohn früh genug zu sehen. Halte also die Augen offen, Freundchen, noch ist es still, aber die Nacht ist lang genug. Wenn was passiert, mußt du verhindern, daß wir alle abgemurkst werden.
Und er war auf der Hut. Gegen ein Uhr glaubte er eine schwache Bewegung an Land wahrzunehmen, und sofort duckte er sich hinter das Schanzkleid und regte sich dann nicht mehr.
Einige Zeit tat sich aber gar nichts mehr, und so begann sich Smoky allmählich zu fragen, ob seine Sinne ihm nicht vielleicht etwas vorgegaukelt hätten. Er hockte weiterhin auf seinem Posten hinter dem Schanzkleid, ohne sich zu rühren, doch seine Gedanken schweiften ein wenig ab, und er sinnierte darüber nach, wo jetzt wohl Hasards und Ferris Tukkers Gruppe sein mochten und wie es den Kameraden ergangen war.
Plötzlich aber schreckte er auf.
Da war nicht nur eine Regung, da waren jetzt auch Geräusche am Ufer, und zwar in den Klippen, die den Strand im Westen begrenzten. Mit einemmal flatterte ein ganzer Schwarm Strandvögel auf und strich zeternd ab.
Verdammt, dachte er, das geht nicht mit rechten Dingen zu. Er tastete mit der einen Hand nach seinen Waffen, dann lauerte er wieder zu der Stelle hinüber, an der er schon vorher eine verdächtige Regung registriert hatte.
Das Kreischen der Vögel entfernte sich in der Nacht, es trat wieder Stille ein. Smoky kauerte da und glich einer Skulptur, ein grimmiger Zug hatte sich in seine Mundwinkel gekerbt. Wer immer da am Ufer herumkroch und die Tiere aufgescheucht hatte – er würde schon noch herausfinden, was da los war.
Wieder verstrichen einige Minuten, und es geschah nichts, aber Smoky ließ sich nicht beirren. Seine Ausdauer zahlte sich schließlich aus, denn unversehens huschten ein paar Schemen über den Strand und bewegten sich auf das Wasser zu. Sie schienen Djelabas zu tragen, die langen Übergewänder der Araber, die den Seewölfen inzwischen ja schon zur Genüge bekannt waren.
Sie begannen, durchs Wasser zu waten, und jetzt gab es keinen Zweifel mehr an ihren Absichten, denn sie hielten genau auf die Sambuke zu.
Na wartet, dachte Smoky. Er legte sich bäuchlings auf die Planken und robbte zu seinen schlafenden Kameraden.
Ben Brighton drehte plötzlich ein wenig den Kopf, öffnete halb die Augen und erkannte den Decksältesten, der auf dem Deck herumkrebste, als habe er dort etwas verloren.
„He, Smoky“, flüsterte er. „Was ist denn mit dir los? Fühlst du dich nicht wohl?“
„Still“, raunte Smoky ihm zu. „Ganz ruhig bleiben.“ Er kroch in Bens Nähe, dann fuhr er noch etwas leiser fort: „Mir geht’s prächtig, aber das kann sich gleich ändern. Wir kriegen nämlich Besuch von den Muselmanen. Ich glaube nicht, daß die uns Geschenke bringen wollen.“
„Wie viele sind es?“
„Ich habe sieben gezählt.“
„Sind sie bewaffnet?“
„Bestimmt mit Messern und Säbeln.“
„Na, dann wollen wir mal die anderen wecken“, murmelte Ben in seiner gewohnt ruhigen Art, wandte sich zu Old O’Flynn um, der neben ihm lag, und berührte ihn mit der Hand an der Schulter. Der Alte war sofort wach und lauschte schweigend dem, was Ben ihm mitzuteilen hatte.
Dann alarmierte Old O’Flynn Pete Ballie, der sich seinerseits lautlos, nur durch Zeichen, mit Al Conroy verständigte. Smoky und Ben gaben unterdessen Sam Roskill, Bob Grey und Will Thorne Bescheid. Im Nu war die gesamte Gruppe einsatzbereit und kroch hinter das niedrige Schanzkleid, um die „Besucher“ gebührend zu empfangen.
Hamed, Jussuf, Achmed, Fausi, Amra und Saied schwammen unter der Führung von Muley Salah durch das Wasser der Bucht auf die Sambuke zu. Ihre Messer hatten sie zwischen die Zähne geschoben, Ersatzdolche trugen sie in ihren Gurten. Nachdem sie unweit der schwachen Brandung ihre Kleidung bis auf kurze Hosen abgelegt hatten, konnten sie sich jetzt bewegen, ohne in irgendeiner Weise behindert zu werden. Bis auf Hamed waren sie alle gute Schwimmer.
Hamed blieb ein wenig hinter seinen Kumpanen zurück, gab sich aber redlich Mühe, sich mit heftigen Arm- und Beinbewegungen über Wasser zu halten. Er arbeitete mit verbissener Miene, dachte daran, wie es war, wenn er etwas von dem Wasser schluckte und abzusinken begann, und fragte sich auch, ob die Haie bei Nacht wohl schliefen oder möglicherweise doch auf sie lauerten. Dann aber blieb keine Zeit mehr für weitere Überlegungen dieser Art, denn Muley Salah und die anderen hatten die Sambuke mittlerweile erreicht.
Von der Stille an Bord des Zweimasters getäuscht, glaubte Muley, leichtes Spiel mit den verhaßten Giaurs zu haben. Daher beging er den Fehler, nur die eine Bordseite entern zu wollen, statt einen Teil seiner Männer auch auf die andere Seite zu schicken. Er war so überzeugt von dem Gelingen seines Vorhabens und davon, daß die Wache des Gegners fest schlief, daß er alle Vorsicht vergaß.
Schon zog er sich als erster an der Bordwand der Sambuke hoch und schickte sich an, über das Schanzkleid an Deck zu klettern. Sehr schnell sollte er jedoch begreifen, wie sehr er sich geirrt und die Giaurs unterschätzt hatte. Als ihm aufging, was für ein Reinfall sein Unternehmen zu werden drohte, war es zum Umkehren jedoch bereits zu spät.
Urplötzlich wurde es an Bord der Sambuke sehr lebendig. Da wuchsen die Gestalten wie Ungeheuer hinter dem Schanzkleid hoch, Gegenstände wurden angehoben, die sich dem entsetzten Muley als Musketen und Pistolen entpuppten – und dann schlugen die acht Christenhunde auch schon mit voller Wucht zu. Flüche wurden in einer Sprache ausgestoßen, die die Araber beim besten Willen nicht zu verstehen vermochten, und Muley Salah und seine Gefolgschaft ließen ihrerseits üble Verwünschungen vernehmen, die den Seewölfen bei aller Kenntnis, die sie mittlerweile von der arabischen Sprache hatten, nicht geläufig waren. Man begriff sich also gegenseitig nicht, aber die Kolben der Musketen und Pistolen vermittelten eine allzu deutliche Sprache, die keiner weiteren Erläuterungen bedurfte.
Jussuf, Ahmed und Fausi purzelten gleich als erste ins Wasser, Amra und Saied folgten ihnen. Muley Salah versuchte mit aller Macht, sich zu halten und wenigstens einen seiner Feinde ins Jenseits zu befördern, doch auch daraus wurde nichts.
Old O’Flynn stand jählings mit wüstem Grinsen vor ihm, knallte ihm den Kolben eines Tromblons auf den Kopf und schrie: „Hau ab, du Rübenschwein, oder ich dresche dir das ganze Kabelgarn raus, das in deinem Kopf steckt!“
Muley wurde regelrecht von der Bordwand wegkatapultiert, und in seinem Schädel dröhnte es, als habe man damit gegen einen riesigen bronzenen Gong gehauen. Betäubt, schwer angeschlagen und keiner Gegenwehr mehr fähig, landete die ganze Bande im Wasser und ging unter.
Hamed schwamm noch unter einigen Schwierigkeiten bis zum Schiff, konnte sich aber erst gar nicht festhalten. Schon donnerte Pete Ballie ihm die hölzerne Armstütze seiner Muskete auf den Kopf, und es war Hameds Glück, daß er daraufhin gleich untertauchte. So kriegte er von allen am wenigsten ab, was wiederum Muley Salah zum Vorteil gereichte, der in diesem Augenblick zu ertrinken drohte. Hamed stieß mit ihm zusammen, packte ihn und zerrte ihn mit sich.
Bei dem Versuch, Muley vor einem höchst unrühmlichen Ende zu bewahren, schluckte Hamed zwar selbst viel Wasser, doch Muley kam jetzt bereits wieder zu sich, spuckte einen Schwall Flüssigkeit aus und packte dann seinerseits den Helfer, der sich so aufopfernd um ihn bemüht hatte.
Gemeinsam paddelten sie von den Giaurs fort, von denen sie fest annahmen, daß sie sogleich das Feuer auf sie eröffnen würden. Irgendwie gelangten sie schließlich zurück ans Ufer, obwohl sie sich mit ihren Armen und Beinen ständig selbst behinderten. Immerhin, die „verfluchten Christenhunde“ schossen doch nicht auf sie, und so blieb der erwartete zweite, blutige Akt des Dramas aus.
Muley Salah war weit davon entfernt, diese Geste des Feindes als Gnade zu werten. Als Fairneß schon gar nicht, diesen Begriff kannte er nicht, und es existierte in seiner Sprache und geistigen Haltung kein gleichbedeutendes Wort.
Sein Schädel schmerzte nach wie vor heftig und ihm wurde fast übel. Wer der Kerl war, der ihn auf derart ruppige Weise traktiert hatte, wußte er nicht, doch eins war gewiß: Er würde dessen verwittertes, verkniffenes Gesicht und das Grinsen, das er gerade noch gesehen hatte, nicht wieder vergessen.
Muley sah sich nach seinen Kumpanen um. Prustend und japsend stiegen auch Jussuf und Ahmed aus dem Wasser und wateten an Land, Saied aber mußte von Fausi und Amra abgeschleppt werden, sonst wäre er zweifellos ertrunken. Er hing in den Armen seiner Kumpane, als diese mit ihm auf den Strand traten, und gab würgende Laute von sich.
Von Bord der Sambuke tönte höhnisches Gelächter herüber.
Muley Salah hob die rechte Hand, ballte sie zur Faust und schüttelte sie.
„Ihr Hunde!“ brüllte er. „Das werdet ihr noch bereuen!“
Ben Brighton wandte sich zu seinen Männern um. „Die haben erst mal die Nase voll“, sagte er. „Hat jemand verstanden, was der Kerl eben gerufen hat?“
„Nicht ein Wort“, entgegnete Old O’Flynn. „Aber er wird uns wohl die schlimmsten Sachen an den Hals wünschen.“
„Mann, Smoky“, sagte Will Thorne. „Ein Glück, daß du aufgepaßt hast. Stell dir vor, du hättest die Hurensöhne nicht rechtzeitig genug bemerkt, die Sache wäre verdammt übel für uns ausgegangen.“
Smoky sah vorsichtshalber nach, ob die vier Schatztruhen noch unversehrt waren, dann brummte er: „Das war ja schließlich meine Pflicht. Eins habe ich inzwischen begriffen: Hier sind wir auf die Dauer doch nicht sicher, und es ist wohl besser, wenn wir aus dieser Bucht so rasch wie möglich wieder verschwinden.“
„Unbedingt“, pflichtete Ben bei. „Überhaupt, ich habe den Eindruck, daß es dieselben Kerle waren, die uns auch in der Bucht von Kanais überfallen haben. Sie müssen uns die ganze Zeit über verfolgt haben. Verflucht, daß ich sie auch nicht bemerkt habe!“
„Den Vorwurf müssen wir uns auch machen“, sagte Old O’Flynn. „Aber ich dachte, die Kerle wären alle tot.“
„Eben nicht“, sagte Smoky. „Sie sind wohl zäher, als wir angenommen haben, und jetzt sind sie natürlich auf Rache aus. Was tun wir, Ben?“
„Wir verschwinden erst mal“, antwortete Ben. „Los, lichten wir den Anker.“
So zogen sie den alten Stockanker, der noch zur Ausrüstung der einen Jolle der „Isabella VIII.“ gehört hatte, vom Grund der Bucht hoch, bargen ihn und zurrten ihn am Bug der Sambuke fest. Dann brachten sie die überlangen Riemen aus und begannen zu pullen.
Die Sambuke verließ die Bucht und glitt weiter hinaus, auf die offene See. Je zwei Mann arbeiteten an einem Riemen. Draußen erwischten die Männer zu ihrer Überraschung einen Hauch Wind, und so setzten sie unverzüglich die Segel und gingen auf westlichen Kurs. Bald hatte die Nacht die Umrisse des Zweimasters verschluckt, und die am Ufer zurückbleibenden Araber konnten jetzt nur noch ahnen, wo sie sich befand.
Muley Salah kochte vor Wut, aber alles Fluchen und Toben nutzte ihm nichts. Er zwang sich zur Ruhe und überlegte, was er noch tun konnte. Viele Möglichkeiten blieben ihm nicht, und er würde Uluch Ali gegenüber wohl Farbe bekennen müssen.
Er untersuchte seine Kumpane und stellte fest, daß es Ahmed, Fausi, Amra und Saied am schwersten erwischt hatte. Ihnen war speiübel. Saied hatte sich schon zweimal übergeben müssen, und gerade in diesem Augenblick sank er bewußtlos zu Boden. Die drei anderen hielten sich die Köpfe und die Bäuche und stöhnten unentwegt.
Muley wußte, daß es für einen Mann, dessen Kopfknochen angebrochen waren, lebensgefährlich war, sich in den Sattel eines Dromedars zu schwingen. Auch hatte er mal einen Arzt darüber sprechen hören, daß das Gehirn dem Menschen üble Streiche zu spielen pflegte, wenn es eine größere Erschütterung erlitten hatte.
Auch sein eigener Zustand und die Verletzungen von Jussuf und Hamed mochten zu denken geben, aber sie hatten nicht über solche Beschwerden zu klagen wie die vier anderen.
„Wir drei haben wohl bloß einen Brummschädel“, sagte Muley darum zu dem dicken Jussuf und zu Hamed. „Wir können reiten, die anderen können es vorläufig nicht.“
„Du willst der Sambuke folgen?“ fragte Jussuf entgeistert.
„Was denn wohl sonst?“ fuhr Muley ihn an.
„Nichts, ich habe keinen anderen Vorschlag.“
„Dann halt deinen Mund“, sagte Muley scharf. Er ging zu den vier anderen Männern hinüber, blieb vor ihnen stehen und blickte nachdenklich auf sie hinunter. Schließlich sagte er: „Ihr bleibt hier und wartet darauf, daß ihr abgeholt werdet.“
„Du willst Uluch Ali verständigen?“ fragte Amra.
„Das muß ich wohl. Er wird sich um euch kümmern und jemanden schicken. Ihr könnt so, wie es um euch bestellt ist, nicht einfach weiterziehen.“
„Wir möchten aber gern mit dir reiten“, sagte Ahmed.
Muley Salah ließ sich zu einem Lächeln herab. „Ich weiß das zu schätzen, Ahmed, aber ich schwöre dir, es wäre Wahnsinn von mir, deinem Angebot nachzugeben. Allah ist mein Zeuge, ich will nur euer Bestes, glaube es mir.“
„Ja.“
„Zieht euch in die Klippen zurück, dort können euch die Giaurs nicht finden, falls sie zurückkehren.“
„Diese räudigen Schakale!“ stieß Fausi hervor. „Ein Sturm soll sie überraschen und wie die Ratten in der See ertränken! Aber rechnest du wirklich damit, daß sie zurückkehren, Muley?“
„Kaum, aber ihr müßt euch dennoch verstecken.“
„Das versprechen wir dir“, sagte Amra.
„Dann ist es gut.“ Muley Salah drehte sich zu den beiden anderen um. Bei Ahmed, Fausi, Amra und Saied ging es ihm weniger darum, sie in Sicherheit zu wissen, damit ihnen nichts mehr passierte, als vielmehr darum, daß sie von den Giaurs nicht gefaßt und verhört werden konnten. Diese waren mit dem Scheitan im Bund und zu jeder Teufelei fähig, vielleicht sogar dazu, bis zu Uluch Ali vorzudringen und diesen zu bedrohen.
„Wir reiten“, sagte er zu Jussuf und zu Hamed. „Sofort.“
So stiegen sie in die Sättel der drei schnellsten Meharis und eilten davon, stets dem Verlauf der Küste folgend in westlicher Richtung.