Читать книгу Seewölfe Paket 12 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 17
2.
ОглавлениеIlana hatte Oruets Arm losgelassen. Nebeneinander verließen sie das flache Wasser. Ilana wagte nicht, sich umzudrehen. Leicht geduckt lief sie über den Sand und hoffte, daß ihre Freundin mithalten würde, doch Oruet fiel zurück.
Ilana drehte sich zu ihr um. Voll Panik gewahrte sie, daß die ersten Kanus die Brandung erreicht hatten. Vier, fünf, sechs und noch mehr Gestalten ließen sich ins Wasser fallen, richteten sich blitzschnell wieder auf und stürmten lachend ans Ufer.
„Beeil dich!“ schrie Ilana. „Mach doch jetzt nicht schlapp!“
„Ich komme“, stieß Oruet hervor. „Lauf weiter. Kümmre dich nicht um mich!“
Mit einem Satz war Ilana bei ihr, griff ihre Hand und zog sie hinter sich her.
Surkuts Männer waren jetzt ebenfalls auf dem Strand und nahmen die Verfolgung der Mädchen auf. Einer wollte eine Lanze schleudern, doch ein anderer hielt ihn zurück.
„Nicht!“ brüllte er. „Wir wollen sie doch nicht verletzen! Für uns taugen sie nur, wenn sie gesund und kräftig sind!“
Die anderen lachten wieder.
Mileva, Ziora und Saila versuchten, schwimmend und tauchend zur anderen Seite des Strandes zu fliehen, doch auch ihnen waren die Männer dicht auf den Fersen. Zwei Kanus und zwei Piraguas glitten ihnen nach, und schon forderten einige der Männer sie durch Zurufe auf, sich zu ergeben.
Die Männer stammten von der Nordinsel. Surkut, ihr Anführer, hatte sie geschickt, und sie waren fast die ganze Nacht über unterwegs gewesen, um die Entfernung zwischen der Nordinsel und der Insel Maracá zu überbrücken und anschließend am Westufer der „Ilha de Maracá“ entlangzupaddeln.
Sie sollten eigentlich nur auskundschaften, wie es um die Bewachung der Insel Tubuagos bestellt war, damit Surkut seinen Überfall auf die Insel Maracá – den er schon seit langer Zeit durchführen wollte – entsprechend planen konnte. Jetzt aber hatten die Späher die fünf Mädchen ganz überraschend entdeckt und wollten sich ihr brutales Vergnügen nicht nehmen lassen.
Oruet strauchelte und fiel. Sie wollte sich von Ilana losreißen, doch Ilana stürzte mit ihr, und ehe sie sich wieder aufrappeln konnten, waren die wild grölenden Kerle über ihnen.
Die Mädchen wehrten sich mit Händen und Füßen, sie schlugen um sich, kratzten und bissen, doch die Übermacht war zu groß.
Drei Angreifer packten Ilana, zwei andere hielten Oruet an den Armen und an den Beinen fest, ein sechster beugte sich über die Mädchen und betrachtete sie, als seine Kumpane sie derart fest im Griff hatten, daß sie sich nicht mehr regen konnten.
„Borago!“ rief einer von den beiden, die die stöhnende Oruet auf den Boden preßten. „Auf was wartest du? Fällt dir die Auswahl so schwer? Ich an deiner Stelle würde die Schlanke, Langbeinige nehmen. Überlaß uns die Kleine hier mit den großen Brüsten, wir werden sie schon zähmen.“
Borago war ein großer Mann mit dichtem, schwarzem Haar, breiten Schultern und einem muskulösen Körper. Er zählte zu den besten Kriegern des Stammes der Nordinsel, und Surkut hatte ihn zum Führer der Bootspatrouille ernannt, die die Ufer der „Ilha de Maracá“ erkunden sollte.
Er beugte sich über Ilana und las in ihren Zügen. Doch in ihren Augen war keine Angst, an der er sich weiden konnte.
Zornig rief sie: „Laßt mich los! Ihr werdet es sonst schwer bereuen, was ihr tut!“
„Was tun wir denn?“ fragte Borago mit unverhohlenem Spott in der Stimme. „Bislang ist dir doch noch gar nichts geschehen, mein Täubchen. Vielleicht will ich dich nur beschützen, wer weiß?“
„Sag deinen Kerlen, daß sie mich freigeben sollen!“
„Ich gebe ihnen nur dann den Befehl dazu, wenn du mir versprichst, dich nicht vom Fleck zu rühren.“
„Ihr habt kein Recht, uns festzuhalten!“ stieß Ilana aus. „Ich bin die Tochter des Häuptlings Tubuago, und wenn ihr mir und meinen Freundinnen auch nur ein Haar krümmt, geschieht ein großen Unheil. Dann erklärt mein Vater euch den Krieg!“
Die Kerle lachten, und Borago erklärte mit hämischer Miene: „Es wird mir eine besondere Ehre sein, die Tochter des Feiglings und Tagediebes Tubuago ein Stück über diesen schönen weißen Sand zu schieben.“
Wieder brüllten die Kerle vor Vergnügen.
Ilana biß sich auf die Unterlippe. Sie wußte jetzt, daß sie einen Fehler begangen hatte. Der Hinweis auf ihren Vater und darauf, wer sie war, hatte die Strolche nicht im geringsten beeindruckt – im Gegenteil. Es würde ihnen jetzt eine doppelte Freude bereiten, sie zu entehren und zu erniedrigen.
Sie begriff, daß sie wohl besser den Mund gehalten hätte, doch die Einsicht erfolgte zu spät.
Im Wasser schrie eins der drei anderen Mädchen auf. Es war Mileva, die jetzt von einem der Kerle, die inzwischen von den Kanus und Piraguas in die Fluten gesprungen waren, gefaßt worden war. Er zog sie unter die Oberfläche, tauchte wieder mit ihr auf und lachte, als sie ihm die Faust ins Gesicht hieb.
Ein paar andere stellten Ziora und Saila nach und holten sie ein, noch ehe sie durch die Brandung auf den Strand gelangen konnten. Auch sie setzten sich zur Wehr und schrien, doch jeder Widerstand, alle Schläge und Tritte, die sie austeilten, nutzten ihnen nichts.
Borago kniete sich hin und streckte die Hände aus, um Ilanas Körper zu betasten.
„Schrei, soviel du willst“, sagte er. „Ich glaube nicht, daß jemand aus eurem verfluchten Dorf euch hört, denn meines Wissens liegt es ziemlich weit im Inneren der Insel.“
Ilana preßte die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. Sie war bleich unter ihrer braunen Gesichtsfarbe, und plötzlich verspürte sie Angst, doch sie zwang sich dazu, die Angst nicht zu zeigen.
Oruet jedoch schrie auf, so verzweifelt und gellend, daß einer der Männer ihr fluchend den Mund zuhielt. Sein Kumpan richtete sich halb auf und traf Anstalten, sich seines Lendenschurzes zu entledigen.
Hinter den ersten Hügeln begann die eigentliche tropische Vegetation der Insel: ein dichter Regenwald, wie ihn die Seewölfe zur Genüge kannten. Eine Laune der Natur hatte verhindert, daß die Mangroven und Lianen und all die anderen üppig wuchernden Pflanzen der „Selvas“ bis über die östlichen Hänge der Insel hinaus zum Ufer krochen. Hasard nahm an, daß dies mit der Beschaffenheit des Untergrundes zusammenhing, der ihm in Küstennähe härter und lehmiger erschien als hier, am Saum des Dschungels.
Im Busch erwachte das Leben. Bunte Vögel flatterten zwischen den Baumriesen auf und ab und stießen empörte und warnende Schreie aus. Äffchen keckerten, Insekten tanzten im ersten Morgenlicht, und irgendwo verschwand ein scheues Reptil lautlos im verfilzten Unterholz. Neugierige Augen schienen die Männer zu beobachten.
Sir John, der karmesinrote Aracanga, der mit Carberry die „Isabella“ verlassen hatte und bisher zahm und sittsam auf der Profos-Schulter gehockt hatte, erhob sich mit einem krächzenden Laut in die Luft und flog zu seinen Artgenossen. Hier fühlte er sich in seinem Element, hier war er ja praktisch zu Hause, denn Carberry hatte ihn seinerzeit bei einer Fahrt auf dem Amazonas aufgelesen.
Der Seewolf beschloß, den Waldrand in südlicher Richtung abzuschreiten. Vorerst wollte er nicht in das Dickicht eindringen.
Er hatte Glück mit seiner Strategie: Nicht sehr viel später trafen sie hart am Saum des Dschungels auf eine Quelle, die aus einem kleinen Gesträuch hervorsprudelte.
Hasard bückte sich und untersuchte zunächst, ob sich in dem Gebüsch etwa Schlangen verborgen hielten. Aus Erfahrung wußte er, daß besonders die giftigen Exemplare mit Vorliebe in den frühen Morgen- und während der späten Nachmittagsstunden die Nähe des Wassers anstrebten, um ihren Durst zu löschen.
Big Old Shane und Ben Brighton standen schon mit ihren Entermessern bereit, um nötigenfalls auf die Reptile einzuschlagen, aber ihre Vorsicht erwies sich in diesem Fall als übertrieben.
„Die Quelle ist sauber“, sagte Hasard. „Um so besser, das erspart uns eine längere Säuberung und unliebsame Überraschungen. Mal sehen, wie das Wasser schmeckt.“
Er wollte beide Hände zu einer Art Schale formen, um etwas von dem Naß zu schöpfen, doch plötzlich hielt er inne und hob lauschend den Kopf.
„Hört ihr das?“ fragte er.
„Sicher, Sir“, erwiderte Ferris Tukker. „Der Dschungel ist voller merkwürdiger Geräusche, und man muß sich wundern, daß man bei dem Lärm überhaupt noch sein eigenes Wort versteht.“
„Unsinn, Ferris, das meine ich nicht. Ich habe ganz deutlich einen Schrei gehört.“
„Du meinst – den Schrei eines Raubtiers?“ fragte Smoky, der Decksälteste.
Der Seewolf schüttelte den Kopf und richtete sich auf. „Nein. Das war der Ruf eines Menschen, und wenn mich nicht alles täuscht, befindet er sich in höchster Gefahr. Vorwärts, sehen wir mal nach, was da los ist. Der Laut kam von Süden.“
Er lief los und steuerte am Busch vorbei auf die sanften, nur mit Strauchwerk und niedrigen Bäumen bewachsenen Kuppen zu, die im Süden jetzt zu erkennen waren. Ben, Shane, der Profos, Ferris, Blacky, Dan und Smoky schlossen sich ihm an und hatten Mühe, nicht hinter ihm zurückzubleiben. Wieder einmal bewies der Seewolf, daß er nicht nur ausgezeichnete Seebeine hatte. Er lief sehr schnell, mit langen Sätzen, und wich geschickt Unebenheiten und anderen Hindernissen im Gelände aus.
Big Old Shane, der neben Ben Brighton lief, entsann sich der Worte Old O’Flynns. Er hatte den Mahnungen und Prophezeiungen des Alten nie Glauben geschenkt, aber jetzt mußte er doch daran denken.
Plötzlich hakte er mit dem rechten Fuß hinter eine Buschwurzel und geriet ins Taumeln. Um ein Haar wäre er hingefallen, nur durch rasche Beinarbeit und wildes Rudern mit den Armen konnte er sein Gleichgewicht halten. Fluchend lief er weiter.
„Siehst du, Shane“, sagte Dan O’Flynn hinter ihm. „Mein Alter hat mal wieder recht gehabt. Paß bloß auf, daß du nicht noch hinfliegst und dir die Ohren brichst.“
„Der Teufel soll den Alten holen!“ rief Shane. Er wollte noch etwas hinzufügen, aber der Seewolf drehte sich zu ihm um und gab ihm durch seinen Blick zu verstehen, daß er still sein sollte.
Hasard hatte die letzte Kuppe fast erreicht, die ihn und seine Männer noch vom südlichen Ufer der Insel trennen mußte, und wieder vernahm er jetzt einen Schrei, diesmal erstickt, aber nicht minder verzweifelt als der vorherige.
Er duckte sich zwischen die Büsche, verlangsamte seine Schritte und hielt nach dem Ausschau, was sich offenbar direkt am Ufer abspielte. Von dort war jetzt das rauhe Lachen von Männern zu hören, dann ein paar Worte, die Hasard nicht verstand.
Als er seinen Kopf wieder etwas anhob, konnte er den halbkreisförmigen Streifen weißen Strandes erkennen, auf dem sich mehrere Gestalten bewegten – Männer und Frauen, man brauchte kein Spektiv, um sie unterscheiden zu können.
Ben, Shane und der Profos waren neben ihrem Kapitän, und auch Ferris, Blacky, Smoky und Dan trafen in diesem Moment ein.
Der Seewolf drehte sich zu ihnen um.
„Wir müssen den Mädchen aus der Klemme helfen“, sagte er leise. „Es ist unsere verdammte Pflicht. Versuchen wir also, diese Kerle zu verjagen. Geschossen wird nur im äußersten Notfall, und auch mit den Blankwaffen haltet ihr euch zurück, verstanden? Ich will kein unnötiges Blutvergießen.“
„Aye, aye, Sir“, murmelten die sieben.
Borago blickte plötzlich auf, weil einer seiner Männer einen warnenden Laut ausgestoßen hatte. Borago kniff die Augen etwas zusammen, und seine Miene veränderte sich. Sie wurde hart und undurchdringlich, denn er sah jetzt die acht weißen Männer, die den Hang hinunterstürmten. Keinen Moment gab er sich Illusionen darüber hin, was ihre Absichten sein mochten.
Er sprang auf und griff nach seiner Lanze, die einer der Kumpanen ihm sofort zuwarf.
Er lief los, zwischen Ilana und Oruet hindurch, hielt auf die Fremden zu und rief dabei seinen Leuten zu: „Los, schlagen wir diese Hunde zurück, sie wollen uns nur den Spaß verderben!“
Im Voranstürmen ließ Borago die Fremden nicht aus den Augen und prägte sich ihre Physiognomien genau ein. Der Mann an der Spitze des kleinen Trupps hatte schwarze Haare, eisblaue Augen und ein verwegenes, von tausend Wettern geprägtes Gesicht, das zusätzlich durch eine Narbe gekennzeichnet war, die über seine Stirn und seine eine Wange verlief.
Hinter diesem großen Mann liefen drei Riesen, von denen der eine durch seinen gewaltigen grauen Vollbart auffiel, der zweite durch seinen roten Haarschopf und der dritte durch sein narbiges Gesicht mit dem mächtigen Kinn. Die vier übrigen registrierte Borago als einen etwas untersetzten Mann mit lichtem Haar, einen ziemlich düster wirkenden Dunkelhaarigen, einen jungen Mann mit dunkelblondem Haar und einen Braunhaarigen, der der älteste von allen zu sein schien.
Borago hatten von der „Viracocha“ gehört, von den bärtigen weißen Männern, die mit ihren Schiffen fast überall an der Festlandküste gelandet sein sollten und dort jetzt ihre Herrschaft immer mehr ausweiteten. Einmal hatten er und seine Stammesbrüder von der Nordinsel aus auch einen der großen, stolzen Segler gesichtet, mit denen die Eroberer über die See fuhren.
Die Maracá-Inseln jedoch waren bislang von diesen Männern, die von allen Indios gefürchtet wurden, nicht beachtet worden, und so wußte man hier wenig über ihre Bräuche, über ihre Religion, ihre Waffen und ihre Art.
Vielleicht aber, so dachte Borage, sind sie heute erschienen, um auch uns zu unterwerfen, sowohl Tubuagos Stamm als auch den unseren, und es ist gut, ihnen gleich zu zeigen, mit wem sie es hier zu tun haben.
Er hatte keine Furcht vor diesen seltsamen Männern. Außerdem waren er und seine Kumpane in der Überzahl, so daß er sich leichtes Spiel von einer Auseinandersetzung mit diesen acht Fremden versprach.
Der Schwarzhaarige rief ihm etwas zu, das er nicht verstand. Borago wußte nicht, daß es die spanische Sprache war, und er kannte auch nicht den Indio-Dialekt, dessen der Seewolf sich gleich darauf bediente. Das Sprachengewirr in der Neuen Welt war groß, kein Indio verstand einen anderen Ureinwohner des Kontinents, wenn dieser auch nur hundert Meilen von ihm entfernt wohnte.
„Laßt die Mädchen in Ruhe!“ rief Hasard noch einmal, diesmal wieder auf spanisch. „Haut ab! Verschwindet!“
Er hatte keine Hoffnung, daß die Indios auch nur eins seiner Worte begriffen. Mit seinen Kenntnissen der indianischen Sprachen haperte es, und im übrigen hatte er schon mehrfach einen Eindruck davon erhalten, wie vielfältig das Ketschua, Guarani, Araukanisch und die anderen Dialekt-Formen Südamerikas waren.
Jede andere Form der Verständigung wurde durch Borago selbst verhindert. Er blieb abrupt stehen, hob seinen Speer und schleuderte ihn den Männern der „Isabella“ entgegen.
„Zur Seite!“ rief der Seewolf.
Sie wichen aus, und die Lanze flog mit surrendem Geräusch an ihnen vorbei. Sie blieb nicht weit vom Fuß des Hanges entfernt im Sand stekken.
Hasard und seine Männer hoben die Waffen. Der Seewolf hatte seinen Radschloß-Drehling von Bord der „Isabella“ mitgenommen, Ben Brighton hielt den Schnapphahn-Revolverstutzen, in dessen Schloß er die Trommel mit acht Kammern eingesetzt hatte. Die anderen hatten Musketen und Tromblons.
„Auf was warten wir?“ sagte Carberry. „Daß sie uns abstechen?“
Hasard blickte zu Borago und sprach kein Wort. Borago stieß einen wilden Schrei aus, nahm seinen Bogen zur Hand, riß einen Pfeil aus dem Köcher und legte dessen Schaftende an die Sehne.
„Schießt!“ schrie Borago seinen Begleitern zu, die jetzt ebenfalls vorgerückt waren und die langsamer vorrückenden Fremden lauernd betrachteten. „Tötet sie!“
Drohend hoben sich die Lanzen, die Spitze von Boragos Pfeil wies auf Hasards Brust.
Hasard legte mit dem Radschloß-Drehling an und gab einen Schuß in die Luft ab. Donnernd raste die Ladung hoch über die Köpfe der Indios weg, und eine weißliche Wolke Pulverqualm stieg in den Morgenhimmel auf.
Die Indios zuckten unwillkürlich zusammen und blieben stehen. Sie hatten von Fischern, die einmal vom Festland aus zu ihnen herübergepaddelt waren, zwar vernommen, daß die „Viracocha“ über lärmende Feuerrohre verfügten, unter deren Gluthauch die Gegner reihenweise umfielen, doch hatten sie bisher keinen allzu genauen Begriff davon gehabt, wie diese Waffen wirklich aussahen und benutzt wurden.
Wütend wandte sich Borago zu seiner Meute um. In den Gesichtern der Kerle spiegelten sich Verwirrung und Bestürzung, sie wußten nicht mehr, wie sie sich verhalten sollten.
„Laßt euch nicht beirren!“ rief Borago ihnen zu. „Seht ihr, wir leben alle noch! Die Feuerrohre können keine Wunderdinge vollbringen, sie töten nicht! Ihr Krachen und Qualmen ist nur ein billiger Zauber!“
Ruckartig drehte er den Kopf, zielte wieder auf Hasard und ließ den Pfeil von der Bogensehne schwirren. Der Seewolf ließ sich auf den Strand fallen und entging auf diese Weise dem sicheren Tod. Ben, Shane, Carberry und die anderen fluchten, aber sie schossen immer noch nicht, weil sie nicht den Befehl dazu erhalten hatten.
Die Indios stießen Schreie aus, die wie Siegesgeheul klangen. Sie schleuderten ihre Lanzen und schossen ihre Pfeile auf die Fremden ab, und einige von ihnen zückten die langen Hartholzmesser, die sie im Lendenschurz stecken hatten, um auch diese nach den weißen Männern zu schleudern.
Hasards Gruppe löste sich auf. Die Männer ließen sich zu Boden gleiten oder wichen nach den Seiten aus. Blacky stöhnte jedoch plötzlich auf. Entsetzt blickten sich Hasard und die anderen nach ihm um. Sie sahen, daß Blacky einen Pfeil in der linken Schulter stecken hatte. Blut sickerte aus der Wunde.
„Hölle und Teufel!“ begann Carberry zu fluchen. „Sir, diese Bande von braunen Bastarden will uns wirklich erledigen. He, sie wollen uns fertigmachen, diese Satansbraten, diese triefäugigen, verlausten Saftärsche – und das sollen wir uns gefallen lassen?“
„Feuer!“ schrie der Seewolf.
Er drückte als erster ab, und der Drehling spuckte seine Kugel mit einer rotgelben Feuerzunge aus. Sofort darauf krachten die Musketen von Shane und von Smoky, dann donnerte Bens Stutzen los, und im Anschluß daran feuerten auch Carberry, Ferris Tucker und Dan O’Flynn. Blacky hatte sein Tromblon losgelassen. Er kniete auf dem Sand und hielt sich mit beiden Händen die Schulter.
„Dan!“ rief der Seewolf. „Kümmre dich um Blacky!“
„Aye, Sir!“
Borago und seine Kumpane gerieten unter der Salve, die jetzt geballt über ihre Köpfe strich, wieder ins Stocken. Borago stand dem Seewolf inzwischen jedoch so nahe, daß er nur noch sein Messer zu ziehen brauchte und sich auf ihn werfen konnte, um ihn zu töten.
Hasard ließ den Drehling sinken und sprang vom Boden auf, ehe Borago das Messer zur Hand nehmen oder einen neuen Pfeil anlegen konnte. Mit einem großen Satz flog er auf den Kerl zu, packte seine Schultern und riß ihn mit sich auf den Strand. Borago verlor seinen Bogen aus der Hand. Während sie sich zweimal überrollten, tastete er verzweifelt nach seinem Messer, doch in seiner Hast konnte er es nicht schnell genug finden.
Dan hatte sich umgedreht, war jetzt neben Blacky und drückte ihn vorsichtig nach unten, bis er mit dem Rücken auf dem Sand lag.
„Ganz ruhig, alter Junge“, sagte Dan. „Wenn du denkst, du kannst jetzt schon den Hintern zukneifen und der Welt einfach Lebewohl sagen, hast du dich getäuscht. So einfach ist das nun mal nicht.“
„Hab ich das vielleicht gesagt?“ zischte Blacky. „Mann, red nicht so viel. Zieh mir lieber den Pfeil ’raus.“
„Blacky, das Ding hat Widerhaken.“
„Und wenn schon …“
„Ich würde das lieber dem Kutscher überlassen“, sagte Dan.
„Herrgott, ich wußte gar nicht, daß du so ein elender Jammerlappen bist, Mister O’Flynn“, brummte Blacky. „Laß mal, ich erledige das schon selbst.“
Er legte die Hand an den Pfeilschaft und versuchte, die Spitze mit einem Ruck aus seiner Schulter zu reißen. Aber schon beim ersten Ansetzen war der Schmerz, der ihn durchzuckte, so stark, daß er wieder aufstöhnte und die Augen verdrehte.
Ben, Big Old Shane, der Profos, Ferris Tucker und Smoky feuerten noch einmal über die Köpfe der Eingeborenen, dann erhoben auch sie sich vom Strand und stürmten auf die Meute zu. Sie nutzten die kurze Verwirrung aus, schlugen und rissen den Indios die Waffen aus den Händen und drangen dann mit den Fäusten auf sie ein. Im Nu war ein wildes Handgemenge entbrannt.
Auch Ilana, Oruet und die drei anderen Mädchen, die sich inzwischen von ihrem schlimmsten Schrecken halbwegs erholt hatten, nahmen nun an dem Kampf teil, indem sie verlorengegangene Waffen einsammelten und damit gegen die Feinde von der Nordinsel vorgingen.
Hasard wälzte sich immer noch mit Borago auf dem Boden. Rechtzeitig bemerkte er, daß der Indio jetzt doch das Hartholzmesser gezogen hatte und sofort nahm er Boragos Handgelenk mit beiden Fäusten in einen Klammergriff.
Schon einmal hatte Hasard Bekanntschaft mit solch einem Hartholzmesser geschlossen, und zwar auf höchst unliebsame Art. Der Vorfall lag zwar schon Jahre zurück, aber er konnte sich immer noch so gut daran erinnern, als wäre das vor einer Woche geschehen.
Mit einem Ruck drehte er Boragos Gelenk um. Der Indio gab nicht nach. Sein Gesicht war verzerrt, und der Seewolf glaubte, seine Zähne knirschen zu hören.
Hasard lockerte seinen Griff, um es sofort darauf noch einmal zu versuchen. Borago nahm an, er habe jetzt die Oberhand gewonnen. Sie lagen nebeneinander, und er versuchte, sich über den Seewolf zu bringen, den Arm ganz freizukriegen und mit der Klinge zuzustoßen.
Aber Hasard stoppte sein Vorhaben im Ansatz. Wieder packte er fest zu und bog das Handgelenk herum, und diesmal schmolz Boragos Widerstand. Mit einem Schmerzenslaut ließ er das Messer los. Hasard ließ ihm nicht die Chance, sich von der erlittenen Schlappe zu erholen und eine neue Attacke zu starten. Er nahm eine Hand von dem Arm des Mannes, ballte sie und hieb sie ihm gegen die Kinnlade. Er schlug noch einmal zu und sah mit grimmiger Genugtuung, wie die Gestalt des Indios erschlaffte und von ihm wegsackte.
Hasard sprang auf und eilte Ben zu Hilfe, der es gleich mit drei Gegnern zu tun hatte.
Carberry hatte einen der Indios so kräftig verhauen, daß dieser entsetzt die Flucht vor ihm ergriff. Jetzt packte sich der Profos einen drohend anmarschierenden gedrungenen Kerl, der ihm mit dem Messer zu Leibe rücken wollte. Erstaunlich schnell schlug er ihm die Waffe aus der Hand. Während der Eingeborene noch verwundert auf seine leeren Finger blickte, griff Carberry ihn bei den Schultern, stieß ihn vor sich her und beförderte ihn mit Schwung auf die Brandung zu. Erst kurz davor ließ er ihn wieder los. Der Indio taumelte – von seiner eigenen Körperbewegung vorangetrieben – ins Wasser, stolperte und fiel der Länge nach hin.
Borago erwachte aus seiner kurzen Bewußtlosigkeit, schlug die Augen auf und sah den Seewolf, Ben Brighton, Shane und Ferris Tucker ganz in seiner Nähe mit den Fäusten gegen die Indios kämpfen. Vorsichtig richtete er sich auf. Er entdeckte sein Messer auf dem Sand und wollte sich danach bücken. Sein Ziel war es, dem großen Schwarzhaarigen, den er am meisten von diesen acht Fremden haßte, die Klinge in den Rücken zu stoßen.
Doch eine Stimme hinter ihm sagte plötzlich: „Halt! Hebe nicht das Messer auf, Borago! Ich töte dich, wenn du auch nur einen Schritt tust!“
Betroffen wandte er den Kopf.
Hinter ihm stand Ilana. Sie hatte seinen Bogen aufgehoben und auch einen Pfeil gefunden, mit dem sie jetzt auf seinen Bauch zielte. Die Sehne hatte sie so stark gespannt, daß sie jeden Augenblick zu zerreißen schien. Es war erstaunlich, daß Ilana überhaupt die Kraft aufbrachte, den großen Bogen zu handhaben.
„Sag deinen Männern, sie sollen aufgeben und verschwinden!“ rief Ilana.
Borago wollte aufbegehren, doch es war etwas in Ilanas Augen, das ihn warnte und ihm verriet, daß sie tatsächlich den Pfeil loslassen würde, wenn er nicht sofort gehorchte. Er hatte in seiner momentanen Lage keine Chance gegen sie.
Er wandte sich dem Wasser zu und schritt darauf zu. Plötzlich hob er die Hand und schrie: „Fort! Wir verlassen die Insel! In die Kanus, in die Piraguas! Wir kehren zurück zu Surkut, unserem großen Führer. Aber das letzte Wort ist noch nicht gesprochen!“
Sein Kommando galt: Die Indios ließen von den Männern der „Isabella“ ab und liefen ins flache Wasser. Sehr schnell hatten sie ihre Boote erreicht, kletterten hinein und griffen zu den Paddeln. Ein paar Nachzügler hasteten gestikulierend hinter ihnen her und schienen Angst zu haben, nicht mitgenommen zu werden.
Carberry und Shane wollten ihnen nachlaufen, doch der Seewolf hielt sie zurück.
„Laßt sie“, sagte er. „Es wäre nicht fair von uns, sie jetzt noch aufhalten zu wollen.“
„Sie haben Blacky angeschossen!“ stieß der Profos wutentbrannt aus. „Und überhaupt, warum hauen sie jetzt so plötzlich ab?“
Der Seewolf deutete auf das nackte Mädchen, das nur drei Schritte von ihm entfernt stand und immer noch mit Pfeil und Bogen auf Borago zielte.
„Ich glaube, sie hat es diesem muskelbepackten Kerl befohlen“, sagte er. „Und wenn er nicht gehorcht hätte, hätte sie ihn bestimmt getötet, ohne mit der Wimper zu zucken.“
Carberry stand plötzlich da wie vom Donner gerührt. Erst jetzt wurde ihm richtig bewußt, daß das Mädchen splitterfasernackt war – eine echte Schönheit der Natur mit langen und geraden Beinen, einem prächtig gerundeten Gesäß, festen, prallen Brüsten und einem ebenmäßig geschnittenen Gesicht, das von schwarzen Haaren umrahmt war.
Mileva, Ziora, Saila und Oruet liefen zu Ilana, umringten sie und sprachen aufgeregt auf sie ein.
„Hol’s der Henker!“ ächzte der Profos. „Die sind ja auch nackt wie die – wie die Seehunde!“
„Mann, Mann“, sagte Big Old Shane. „Merkst du das jetzt erst?“
„Ich glaube, er hat Schlick auf den Augen“, sagte Ferris Tucker. Er rechnete fest damit, daß der Profos ihm dafür einen wilden Fluch an den Kopf schleudern würde, doch er hatte sich getäuscht. Carberry sah nach wie vor zu den fünf Mädchen und schien total vernagelt zu sein.