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5.

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Borago und seine Männer begegneten dem großen Boot des Häuptlings Surkut ungefähr auf halber Strecke zwischen der Ilha de Maracá und der Nordinsel. Vier Kanus begleiteten die große Piragua, in deren Bugpartie Surkut mit erhobenem Haupt und vor der Brust verschränkten Armen stand.

„Ich habe auf euch gewartet!“ rief Surkut seiner Patrouille zu. „Ich habe mir Sorgen um euch gemacht, weil ihr nicht so schnell zurückgekehrt seid, wie ich es mir gedacht hatte! Was ist geschehen?“ Er war ein verhältnismäßig großer Mann, zwar nicht so wuchtig gebaut wie Borago, jedoch gleichfalls kräftig, mit breiten Schultern und grobknochigen Hüften.

Surkut trug einen Federschmuck auf dem Kopf und hatte sich einen blaßroten Umhang um die Schultern geschlungen, den er bei „besonderen Anlässen“ anzulegen pflegte. Die Stunde verlangte nach einem eindrucksvollen Auftritt, denn er rüstete zum Kampf gegen Tubuago und dessen Stamm, wollte die große Insel besetzen und alle Macht an sich reißen.

Das Mienenspiel Surkuts war faszinierend und beunruhigend zugleich. Sein breiter Mund schien fast ständig in Bewegung zu sein. In seinen großen dunklen Augen glomm ein gefährliches Feuer. Von einen Moment auf den anderen konnte der Ausdruck seines Gesichts von Übellaunigkeit in Arroganz umschlagen, von Haß in vorgetäuschte Güte, von Feindseligkeit in Jovialität.

Surkut empfand sich als charismatischer Führer seines kleinen Volkes. Er hatte die Schamanen, die dereinst auf der Nordinsel geherrscht hatten, verbannt und sich eine eigene Religion geschaffen. Seine geräumige Wohnhütte und den Dorfplatz hatte er mit grell bemalten Puppen und holzgeschnitzten Standbildern ausstaffiert. Überall hatte er geheimnisvolle Zeichen auf den Boden gemalt, die seinen Darstellungen zufolge den Hekura, den Geistern, den Weg wiesen, wenn sie das Dorf besuchten.

Auf der Nordinsel gab es genau wie auf der Ilha de Maracá nur jeweils eine Siedlung, in der sich alles Leben konzentrierte, denn ein einziges Dorf war im Falle eines Angriffs von außen leichter zu verteidigen als viele Dörfer. Das Regime, das Surkut führte, war jedoch nicht von Menschlichkeit und Rücksichtnahme bestimmt wie das des Häuptlings Tubuago. Es beruhte vielmehr auf einem diktatorischen Prinzip, das eine ganze Reihe von schweren Strafen für die geringsten Vergehen bereithielt.

Der Mythos, den Surkut mit sich selbst als der zentralen Figur geschaffen hatte, besagte, daß sich dereinst das Blut des Mondes auf die Erde ergossen hatte, um ein Volk von Männern zu gebären – Männer, die als das „grimmige Volk“ ewig Krieg führen sollten gegen alle anderen, irrgläubigen Menschen, ganz gleich, ob sie nun braunhäutig oder weiß waren.

Seit Surkut sein totalitäres Reich errichtet hatte, gab es auf der Nordinsel immer weniger Frauen und Mädchen, denn die Neugeborenen wurden getötet, wenn sie weiblichen Geschlechts waren. Surkut wollte sein Volk von Männern zahlenmäßig stärken – und schien sich nicht der Tatsache bewußt zu sein, wie fatal sein Handeln war.

Borago brachte sein Boot neben die Piragua des Häuptlings. Surkut blickte ihn an und nickte.

„Gut. Ich sehe, ihr tragt Wunden. Ihr habt gekämpft, und ich hoffe, ihr habt möglichst viele der räudigen Hunde, die dem Gekläff des närrischen Tubuago folgen, umgebracht.“

Borago schüttelte den Kopf. „Es war anders.“

Surkuts Augen weiteten sich, sein Mund verzerrte sich, seine Miene wurde zu einer Grimasse der Wut und Bestürzung. „Wie? Ihr habt verloren? Ihr habt Prügel bezogen und habt euch fortjagen lassen? Ist es so?“

Borago sah betreten ins Wasser, doch Surkut schrie ihn an: „Berichte, oder ich steche dich mit dem Kaoba, dem Häuptlingsmesser!“

Borago begann zu sprechen. Wohl oder übel mußte er die Geschehnisse auf der Ilha de Maracá schildern. Aber er verschweig, daß sie wegen der fünf Mädchen am Südstrand gelandet waren, und seine Kumpane hüteten sich, auf die wahre Ursache, die schließlich zum Kampf mit den „Viracocha“ geführt hatte, hinzuweisen.

Surkut hätte Borago getötet, wenn er dies erfahren hätte.

So aber beruhigte er sich allmählich und sagte, als Borago geendet hatte: „Sie haben also ein großes Schiff, und ihr wolltet es ihnen wegnehmen. Aber sie haben auch die Feuerrohre, deren Brüllen selbst wir ganz schwach vernehmen konnten. Ihr habt euch tapfer verhalten, und es ehrt dich, Borago, daß du mir das Schiff holen wolltest.“

„Ich weiß, daß es schon lange dein Wunsch ist, ein solches Schiff zu besitzen“, sagte Borago.

Surkut lächelte kalt. „Ja, denn damit werden wir zum Festland hinüberfahren und tun, was wir mit unseren Kanus und Piraguas nie und nimmer vermögen. Wir rotten die weiße Brut aus, die sich dort niedergelassen hat, wir töten sie alle und werfen sie ins Wasser. Dann ebnen wir den Weg für die Hekura, die Geister, und bauen ihnen ein riesengroßes Schabono, ein Dorf.“

„Ja!“ riefen die Männer in den anderen Booten. „Ein Schabono für die Hekura!“

Surkut hob in einem Gefühl grenzenloser Überlegenheit den Kopf. Er blickte zu Borago und sah, wie dieser ihm langsam zunickte.

Die Zeit war reif für Surkuts Plan. Es war ratsam, auf der Ilha de Maracá zu landen, ehe Tubuago und die weißen Männer überall Wachen aufstellten und sich auf eine Nacht voller Gefahren vorbereiten. Der Angriff mußte zu einer Zeit stattfinden, in der die Gegenseite am wenigsten damit rechnete – bei Tag, möglichst noch um die Mittagsstunde.

„Ein Kanu kehrt zur Nordinsel zurück und holt Verstärkung!“ gab Surkut nun seine Befehle. „Wir anderen warten hier. Dann sammeln wir uns, nehmen Kurs auf die Insel Maracá und erobern sie im Sturm. Unser wird auch das Schiff der ‚Viracocha‘ sein, unser Sieg ist nicht mehr aufzuhalten. Wir sind die Grimmigen, die Starken, die Unüberwindlichen!“

Die braunhäutigen Kerle jubelten ihm zu. Ein Kanu löste sich von dem Verband und glitt in nördlicher Richtung davon, zurück zur Nordinsel.

Surkut bedeutete seinen Männern, sie sollten jetzt die Kriegsbemalung anlegen. Er selbst bückte sich und griff nach den Blätterbündel, die er im Bug der Piragua angehäuft hatte. Er begann, sie von Boot zu Boot zu verteilen, damit die Krieger sie sich in den Mund schieben und sie zerkauen konnten.

Es handelte sich um Blätter des Kokastrauches und um Ebena, ein Mittel, das aus der Rinde und den Trieben des Nakona-Baumes gewonnen wurde – um Drogen, mit denen Surkut seine Krieger in regelmäßigen Zeitabständen zu versorgen pflegte. Der Gebrauch des Rauschgiftes machte die Männer ihm, Surkut, gegenüber gefügig und anderen Menschen gegenüber ungemein aggressiv. Mit Koka und Ebena hatte er seine Macht auf der Nordinsel gefestigt. Ohne sie wäre er vielleicht schon längst nicht mehr der Schoabe, der Häuptling und Dorfvater, gewesen. Die Drogen verblendeten den Geist, wer Koka kaute und sich Ebena in die Nase rieb, stellte kaum Fragen und zweifelte nicht an seiner Obrigkeit.

Die Begrüßung war ein langwieriges Zeremoniell. Hasard, Ben, Shane, der Profos, Ferris, Dan und Smoky mußten sich zwischen den Hütten unter ein offenes Schutzdach kauern. Als erstes wurde ihnen ein kühles Palmfruchtgetränk gereicht, das ihnen ganz gegen ihre Erwartung ausgezeichnet mundete.

Im Anschluß daran hielt Tubuago – dem mittlerweile von Kewridi und den übrigen jungen Kriegern alles ausführlich berichtet worden war – eine Ansprache an seinen Stamm, wobei er immer wieder auf die Männer der „Isabella“ wies.

Hasard und seine Männer verstanden kein Wort, aber selbstverständlich konnten sie sich ausmalen, welches der Inhalt von Tubuagos Rede war.

Ilanas gestenreichen Erklärungen war es zu verdanken, daß sie inzwischen wenigstens die wichtigsten Namen kannten und wußten, wie sie den Häuptling, einige Krieger sowie die Mädchen, die sie vor einem häßlichen Schicksal bewahrt hatten, anreden konnten.

Tubuago verstummte, und die Dorfbewohner bekundeten durch Ausrufe, die wie „Kaba ischu tao“ klangen, ihren Beifall.

Jetzt trugen die Mädchen dampfende Bananensuppe in Kalebassen auf, brachten Kürbisse, Melonen und wilden Truthahn und breiteten das gesamte Mahl auf geflochtenen Matten vor den Gästen aus.

Carberry versuchte zu grinsen, aber es gelang ihm nicht recht.

„Na schön, der Trank war nicht schlecht“, erklärte er. „Aber wer sagt uns, wie dieses Zeug hier schmeckt?“

„Überwinde dich und greif zu“, entgegnete der Seewolf. „Wenn wir nicht essen, beleidigen wir diese Menschen, das weißt du genauso gut wie ich.“

„Aye, Sir.“

„Und anschließend sollten wir durch kräftiges Schmatzen zeigen, daß es uns geschmeckt hat“, meinte Ben Brighton. „Ich glaube, auch das gehört dazu.“

„Na, dann mal los“, sagte Big Old Shane. Er streckte die Hand aus und nahm sich einen Truthahnschenkel, den der Profos soeben hatte erhaschen wollen.

Carberry murmelte einen Fluch, nahm sich ein anderes Stück und begann, darauf herumzukauen. Bald wurde seine Miene freundlicher, ja, am Ende grinste er sogar.

„Donnerkeil!“ rief er. „Das ist ja wirklich gut! Hätte ich gar nicht gedacht, Sir!“

Sir John, der auf seiner linken Schulter saß, nickte aufgeregt, schlug ein paarmal mit den Flügeln und krächzte: „Backbrassen, ihr Rübenschweine, wir laufen auf Grund!“

Die Indios lachten, als sie den Papagei sprechen hörten. Tubuago klatschte in die Hände, und nun erschienen auf dem Dorfplatz drei Schamanen, die eine Art Tanz aufführten und dabei merkwürdige Gesänge anstimmten.

Als sie aufhörten und fortgingen, um sich zu den anderen Männern zu gesellen, gab Tubuago ein Handzeichen, und nun ließ sich der gesamte Stamm auf Matten nieder, um an dem Festmahl teilzunehmen.

Hasard fiel es auf, daß Ilana und Kewridi immer wieder zu ihm blickten – aus recht unterschiedlichen Anlässen, wie ihm schien. Er mußte lächeln.

Er wartete, bis das Mahl vorbei war, dann wandte er sich an den Häuptling und dessen Tochter und versuchte, ihnen zu erklären, was er an Bord der „Isabella“ dringend brauchte.

Tubuago begann aufgeregt zu gestikulieren. Ilana lächelte. Der Seewolf hatte den Eindruck, daß sie ihn verstanden hatten. Tubuago klatschte wieder in die Hände, und sofort eilte ein halbes Dutzend Frauen herbei, lauschte seinen Anweisungen, ging wieder fort und verschwand in den Hütten.

Wenig später tauchten die Frauen wieder auf. Sie trugen Kalebassen und Bananenbüschel, gerupfte Truthähne und ganze Bündel Urwaldgemüse.

Hasard sah Ilana entsetzt an.

„Nein, nein“, sagte er. „Das habe ich nicht gemeint. Ihr sollt uns zeigen, wo man am besten jagen kann, wo man Früchte und Gemüse pflücken und sammeln kann.“

Sie schüttelte lachend den Kopf. „No comprendo, nicht verstehen“, sagte sie. Diese Worte hatte sie von Ben Brighton gelernt.

„Doch, du verstehst mich.“ Der Seewolf wies auf die Frauen. „Das – nicht gut.“ Er deutete auf Tubuago, auf das Mädchen, auf die umstehenden Krieger. „Es ist eure Nahrung.“

Tubuago legte ihm in einer freundlichen Geste die Hand auf die Schulter.

„Waiterimou no modahawa“, sagte er. Erst später sollte Hasard erfahren, was dieser Satz bedeutete: „Dieses Geschenk dürft ihr nicht zurückweisen.“

Alle Bemühungen des Seewolfs, die Eingeborenen am Zusammentragen von Wild und Früchten, Pökelfleisch und Gemüse zu hindern, fruchteten nichts. Ilana gab ihm durch ihre Zeichen zu verstehen, daß die Vorräte an Bord der „Isabella VIII.“ gebracht werden sollten.

„Also gut“, sagte er schließlich. „Ich nehme an.“ Er wandte sich wieder an den Häuptling und versuchte ihm zu erklären, daß er auf jeden Fall Doppelposten an verschiedenen strategischen Punkten der Insel aufstellen sollte, denn es war denkbar, daß die Indios von der Nordinsel bei Anbruch der Dunkelheit noch einmal auf der Ilha de Maracá landeten, um eine Racheaktion wegen der erlittenen Niederlage durchzuführen.

Tubuago schien jedoch nicht zu begreifen, was der Seewolf meinte, und auch Ilana schüttelte immer nur den Kopf. Schließlich gesellte sich Kewridi zu ihnen.

„Ich weiß, was der weiße Mann will“, sagte er zu Tubuago. „Wir sollen Wachen an die Ufer unserer Insel schicken. Surkut wird sich rächen, und wir müssen darauf vorbereitet sein.“

Tubuago blickte den jungen Mann lange an, dann endlich versetzte er: „Du bist stark und klug, Kewridi, und alle wissen, daß du auch ein guter Jäger bist. Aber dein Gemüt ist noch zu hitzig und unbeherrscht. Surkut hatte seine Krieger geschickt, um zu sehen, ob wir so schwach und so dumm sind, daß wir uns gegen seinen Überfall nicht wehren. Jetzt aber weiß er, daß er hier scheitern wird.“

„Aber – aber wir haben es doch nur den ‚Viracocha‘ zu verdanken, daß unseren Mädchen kein Leid zugefügt wurde und daß man sie nicht verschleppt hatte!“ rief Kewridi. „Wollen wir uns etwa hinter dem Mut dieser Männer verstecken?“

„Zügle deine Zunge“, sagte Tubuago scharf.

Ilana schob sich zwischen ihren Vater und den jungen Mann.

„Bitte, Vater“, sagte sie. „Nimm es Kewridi nicht übel, daß er so spricht. Er meint es doch nur gut.“

Der Häuptling seufzte, hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. „Also gut, dann teile ich die Wachtposten ein und schicke sie los. Aber ich sage euch, es ist überflüssig. Surkuts Bande von Buschteufeln wird es nicht wagen, zu uns zurückzukehren.“

Der Seewolf glaubte, in etwa verstanden zu haben, über was sie debattiert hatten. Er blickte zu Kewridi und las Erstaunen in dessen Miene. Kewridi hatte nicht damit gerechnet, daß Ilana nach dem Disput von vorhin Partei für ihn ergreifen würde.

Tubuago erhob sich und begann die Männer einzuteilen, die ab sofort von verschiedenen Plätzen der Inselküste aus das Meer beobachten sollten. Kewridi und einige seiner Freunde hatten sich für diese Aufgabe freiwillig gemeldet. Sie eilten davon, um so schnell wie möglich ihre Posten zu beziehen.

Auch Hasard stand auf und ging zu seinen Männern hinüber.

„Es wird Zeit, daß wir zu ‚Isabella‘ zurückkehren und nach Blacky sehen“, sagte er. „Außerdem muß ich wissen, ob Donegal bereits damit angefangen hat, das Trinkwasser an Bord zu mannen.“

„Ja, Sir“, sagte Ben Brighton. Er wies auf die Männer und Frauen, die eben auf Tubuagos Befehl hin die großen Packen und Bündel Proviant vom Boden des Dorfplatzes aufhoben und schulterten. „Aber was hat das zu bedeuten?“

„Die Leute begleiten uns. Das Wild, Obst und Gemüse sind ein Geschenk des Häuptlings an uns.“

„Das können wir doch nicht annehmen!“ rief Shane.

„Wir müssen es tun“, sagte der Seewolf. „Und – um ganz ehrlich zu sein – ich bin auch sehr froh darüber, daß wir so schnell zu frischen Nahrungsmitteln gekommen sind.“

Seewölfe Paket 12

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