Читать книгу Seewölfe Paket 12 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 8

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Die Nacht hatte wenigstens einen Hauch von Abkühlung gebracht, und der neue Tag war mit einer leichten, wohltuenden Brise heraufgezogen. Wie ein glutroter Ball war die Sonne hinter der Kimm aufgetaucht. Schon wenig später hatte sie wieder damit begonnen, die Luft über der Baja de Marajo aufzuheizen.

Die „Isabella VIII.“ schwoite noch immer gemächlich an der Ankertrosse – zwei Kabellängen von der Flußmündung entfernt, an der das Wrack, mit dem sie gestern auf höchst ungemütliche Art Bekanntschaft geschlossen hatten, auf einer Sandbank lag.

In den Nachtstunden hatte sich manch einer der Männer an Bord, wenn er sich nicht gerade mit den lästigen Moskitos herumgeschlagen hatte, den Kopf über die Bedeutung der menschlichen Skelette zerbrochen, die dort drüben in den traurigen Schiffsresten auf dem Kielschwein hockten. Aber auch die Nacht hatte dieses Geheimnis nicht entwirren können, und so beschäftigte das ungelöste Rätsel nach wie vor die Mannschaft der „Isabella“.

Noch während des kräftigen Frühstücks, das der Kutscher zubereitet hatte, war das Wrack Mittelpunkt der Gespräche.

„Ein Wrack bedeutet nichts Gutes, Skelette schon gar nicht“, murmelte der alte O’Flynn. „Habe ich nicht gestern erst gesagt, daß es zwischen Himmel und Erde …“

„… Dinge gibt, die uns ganz fürchterlich auf den Magen schlagen, wenn man darauf wie auf zähem Stiefelleder herumkauen muß“, unterbrach ihn der Profos und warf dem Kutscher einen schrägen Blick zu, als könnte der etwas dafür, daß das Brot infolge des feuchten Klimas etwas zäh geworden war. Im selben Atemzug vollzog er mit einem klatschenden Geräusch die Hinrichtung zweier Moskitos, weil sie es gewagt hatten, sich auf seinem linken Unterarm niederzulassen.

Während der Kutscher vorzog, die Bemerkung des Profosses mit Mißachtung zu strafen, konnten sich einige ein Grinsen nicht verkneifen. Stenmark, der Schwede, mußte dabei den Mund wohl um einige Zoll zu weit verzogen haben. Jedenfalls verschluckte er sich und begann heftig zu husten.

„Ho, jetzt grassiert auch noch die Schwindsucht an Bord“, kommentierte der Profos und hieb dem blonden Stenmark seine Pranke in gutgemeinter Weise so kräftig auf den Rücken, daß dieser beinahe mit der Nase in die Muck getaucht wäre, die er krampfhaft in der linken Hand hielt. Auf jeden Fall war der Hustenanfall sofort vorüber, und die Männer begannen schallend zu lachen.

Old O’Flynn, dessen Rede so jäh unterbrochen worden war, wollte gerade wieder die Stimme erheben, aber da sorgte sein Sohn Dan, der den Moses Bill im Ausguck abgelöst hatte, dafür, daß er eine weitere tiefsinnige Bemerkung verschlucken mußte.

„Deck!“ rief Dan aus dem Großmars. „Eine Galeone, dick wie eine Seekuh, segelt in die Bucht!“

Die Männer horchten auf, und der Seewolf griff sofort zum Spektiv.

„Ist es ein Don?“ fragte Ben Brighton.

„Ich weiß nicht“, erwiderte Hasard. „Das Schiff ist noch etwas zu weit weg. Ein Name oder eine Flagge ist noch nicht zu sehen. Aber es hält direkt auf uns zu. Man muß uns natürlich ebenfalls gesehen haben.“

Auch Ben Brighton hatte inzwischen zum Kieker gegriffen.

„Die Galeone sieht zwar nicht unbedingt nach einem Piratenschiff aus, aber das muß nichts heißen“, stellte er dann fest. „Allerdings rechne ich eher damit, daß es ein Spanier ist.“

Hasard nickte. „Wir stellen uns auf jeden Fall auf eine Begegnung ein, um keine unliebsame Überraschung zu erleben. Hievt den Anker ein und setzt die Segel!“ brüllte er dann von Achterdeck. „Und klar Schiff zum Gefecht!“

Hasard wollte so rasch wie möglich aus dem flachen Wasser heraus, in dem die „Isabella“ vor Anker gegangen war, denn hier wäre das Schiff im Ernstfall wenig manövrierfähig.

Augenblicklich geriet Leben unter die Männer an Bord. Aber kein Handgriff und kein Schritt, die getan wurden, waren unnütz. Jeder wußte, was er zu tun hatte. Alles, was die Männer bis zum Augenblick noch bewegt hatte, war in diesem Moment zur Nebensache geworden. Niemand interessierte sich noch für das Wrack, das dort drüben auf der Sandbank lag, und niemand dachte noch über die rätselhaften Skelette nach.

Was im Moment zählte, war die Galeone, die hinter ihnen aufgetaucht war und von der man zunächst annahm, daß es sich um ein spanisches oder portugiesisches Schiff handele. Diese beiden Nationalitäten waren in dieser Gegend jedenfalls am häufigsten anzutreffen.

Pete Ballie, der Rudergänger, stand bereits im Ruderhaus, um die „Isabella“ so schnell wie möglich aus den flachen Gewässern herauszusteuern.

Der Waffen- und Stückmeister, Al Conroy, gab gerade den Befehl, die Stückpforten zu öffnen. Bill, der Moses, half dem Kutscher, die Kupferbecken mit den glühenden Holzkohlen aus der Kombüse zu holen und verteilte sie sofort auf die Geschütze.

Die beiden „Rübenschweinchen“, die Söhne des Seewolfs, die sich längst zu brauchbaren Schiffsjungen entwickelt hatten, waren eifrig damit beschäftigt, Sand auf der Kuhl auszustreuen, um den Füßen der Männer festen Halt auf den Decksplanken zu geben.

Während sich der Seewolf mit seinem Radschloß-Drehling und dem Schnapphahn-Revolverstutzen bewaffnete, um notfalls zahlreiche Schüsse zur Verfügung zu haben, besetzten Ben Brighton, Ed Carberry, der Kutscher und Old O’Flynn die Drehbassen.

Ferris Tucker, der rothaarige Schiffszimmermann, wandte sich der von ihm erfundenen Schleudervorrichtung zu, die dem Abfeuern der verheerenden Flaschenbomben diente, und Batuti und Big Old Shane, der ehemalige Schmied der Feste Arwenack, spannten ihre Bogen, um damit notfalls ihre gefürchteten Brand- und Pulverpfeile auf den Gegner abzuschießen.

Auch die übrigen Männer waren auf Stationen: Smoky, Blacky, Gary Andrews, Matt Davies, Dan O’Flynn, Jeff Bowie, Sam Roskill, Bob Grey, Luke Morgan, Will Thorne und Stenmark.

Die Siebzehnpfünderculverinen waren längst ausgerannt, als die „Isabella“, die den letzten Fetzen Tuch gesetzt hatte, auf die dickbauchige Galeone zurauschte.

Ben Brighton setzte für einen Augenblick das Spektiv ab.

„Sie sind ebenfalls klar zum Gefecht!“ rief er. „Ihre Stückpforten sind hochgezogen, aber sie geben sich nicht zu erkennen.“

„Ist auch nicht mehr nötig“, erwiderte der Seewolf. „Schau dir mal die Kerle an Bord etwas genauer an. Ich fresse ein Pulverfaß, wenn das keine Piraten sind! Ed“, setzte er dann mit lauter Stimme hinzu, „begrüße die Schnapphähne mit einem Warnschuß!“

„Aye, aye, Sir!“ brüllte der Profos zurück. „Wir werden ihnen die Haut in Streifen von ihren karierten Affenärschen ziehen!“

Aber bevor er den Befehl des Seewolfs ausführen konnte, begann die Geschütze des Piratenschiffes Feuer und Eisen zu spucken.

Die Sonne stand hoch am Himmel und hatte den Dschungel rasch in einen kochenden, dampfenden Kessel verwandelt. Das Atmen wurde den sechs Männern, die von der „Esmeralda“ an Land gesetzt worden waren, um die Lebensmittelvorräte zu ergänzen, zur Qual. Aber sie waren rauhe Burschen, die bereits einiges gewohnt waren. Die meisten von ihnen hielten sich nicht das erste Mal im Dschungel auf und wußten, wie man sich hier zu verhalten und vor was man sich in acht zu nehmen hatte.

Schon seit einigen Stunden war der kleine, schwer bewaffnete Trupp unter der Führung des breitschultrigen Miguel Camaro unterwegs. Die verwegen aussehenden Männer hatten auch schon Erfolg gehabt. Sie hatten bereits ein kleines Wasserschwein erbeutet und es zusammen mit Maniok, Bananen und anderen Früchten zum Beiboot gebracht und dort mit einem Stück Segeltuch abgedeckt. Dann waren sie wieder in den Dschungel marschiert.

War zwischen ihrem Kapitän, Alfredo Fernandez, und dem Profos nicht von einem oder zwei Tapiren die Rede gewesen? Sie wollten jedenfalls, soweit das möglich war, die Wünsche des Kapitäns befolgen, denn manchmal war er unberechenbar und brutal. Aber sie wußten auch seine Großzügigkeit zu schätzen, wenn fette Beute erworben worden war.

Schwitzend bahnten sich die Männer einen Weg durch den stellenweise sehr dichten Dschungel. Oft mußten sie mit den großen Buschmessern einen Pfad durch das dichte Gestrüpp hauen, um voranzugelangen.

Die Schläge ihrer Buschmesser gingen zumeist in dem Geschrei der Affen und Vögel unter. Schon mehrmals waren sie erschreckt zusammengefahren, als sich plötzlich ein Schwarm bunter Papageien über ihnen aus dem Geäst eines Baumes erhoben und laut kreischend davongeflattert war.

Man mußte schon auf der Hut sein, in dieser tiefen, unerforschten Wildnis, in der tödliche Gefahren hinter jedem Baum und jedem Strauch lauern konnten. Tausend Stimmen aus den verschiedensten Richtungen übertönten ein rechtzeitiges Wahrnehmen etwaiger Gefahren.

„Können wir nicht mal eine Pause einlegen, Miguel?“ fragte José, ein kleiner, drahtiger Mann mit schwarzem Bart und einer breiten Narbe über dem linken Auge. „Verdammt, wir sind doch keine Sklaven! In dieser ekelhaften Hitze löst man sich ja fast auf. Dazu noch diese elenden Stechmücken.“

„Wir haben unseren Auftrag noch nicht erfüllt“, erwiderte Miguel Camaro. „Wir brauchen noch wenigstens ein bis zwei Tapire, sonst wird der Alte wild. Ausruhen könnt ihr hinterher an Bord, wenn’s dort gerade nichts Besseres zu tun gibt.“

„Aber wir haben doch noch mehr als einen halben Tag vor uns.“

„Mag sein“, sagte Miguel unnachgiebig. „Aber die Beute dürfte nicht gerade leicht zu transportieren sein. Sie bis zu unserem Boot zu schaffen, wird wesentlich länger dauern, als nur ein Fußmarsch durch den Busch. Ganz davon abgesehen, daß wir bis jetzt noch gar nichts erbeutet haben. Auch das kann noch eine Weile dauern. Sollten wir vorzeitig bei unserem Boot sein, ich meine, noch vor der ‚Esmeralda‘, dann können wir uns immer noch auf die faule Haut legen. Aber erst ist die Arbeit dran!“

Die Männer schnitten mürrische Gesichter und zogen es vor, den Mund zu halten.

Nach einer Weile ließ sich Miguel Camaro wieder vernehmen. „Wenn wir nicht auf Indianer stoßen, müssen wir die Arbeit selber erledigen. Hier in der Nähe haben wir das Wasserschwein erwischt. Also muß sich irgendwo in dieser Gegend auch Wasser befinden. Dort werden wir auch auf Tapire stoßen, denn die halten sich ja meist in Wassernähe auf. Am besten, wir teilen uns hier in zwei kleine Gruppen. Wer zuerst auf Wasser stößt, gibt zwei Musketenschüsse ab.“

Doch die Männer kamen nicht mehr dazu, dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen. Ein lautes Rascheln und Knacken im Gehölz, ein Trampeln und Rumoren ließ sie plötzlich zusammenfahren.

Die Geräusche mußten ganz aus der Nähe stammen.

Sofort verstummte das Gespräch der Piraten. Mit hastigen Griffen brachten sie ihre Musketen in Anschlag.

„Kein Wort mehr“, sagte Miguel mit leiser Stimme. „Mir nach!“

Rasch folgten die Männer ihrem Anführer durch das Unterholz, bis sich nach wenigen Schritten eine große, nur mit niedrigen Büschen und Sträuchern bewachsene Lichtung vor ihnen auftat. Nur vereinzelt ragte der Stamm einer Chonta-Palme in den Himmel. Zu ihrer Rechten fiel die Lichtung etwas ab, bis hin zu einem breiten Urwaldbach, der sich weiter hinten, irgendwo im Dickicht, verlor.

Aber nicht das war es, was die sechs Piraten von der „Esmeralda“ wie angewurzelt stehenbleiben ließ. Es war vielmehr das Geschehen, das sich vor ihren Augen auf der Lichtung abspielte.

Zwei merkwürdige Tiere liefen durch das Gestrüpp. Die Körper waren plump und außerdem hatten die Tiere lange und bewegliche Schnauzen und zierliche Füße an dünnen Beinen. Sie waren nicht viel größer als Schweine und rannten in panischer Angst durch das Gestrüpp.

Es waren unverkennbar Tapire, jene Dschungelbewohner, hinter denen die Männer der „Esmeralda“ her waren. Die beiden Tapire hatten die Richtung auf den breiten Urwaldbach eingeschlagen, weil sie meist, wenn sie eine drohende Gefahr bemerkten, dem Wasser zustrebten.

Und jetzt sahen die Piraten auch, was die beiden Tapire so in Panik versetzt hatte. Es waren fünf kleine, braune Gestalten mit langen blauschwarzen Haaren, die außer einer dünnen Schnur um den Leib nackt waren und von zwei Seiten auf die fliehenden Tiere zustürmten. In ihren Händen trugen sie lange Bambusrohre.

„Halt!“ zischte Miguel Camaro. „Das sind Indianer, und die kleinen, braunen Kerle sind hinter den Tapiren her. Seid vorsichtig! Die langen Bambusdinger, die sie in den Händen haben, sind nicht so harmlos, wie sie aussehen. Es sind Blasrohre, mit denen sie ihre vergifteten Pfeile abschießen. Wenn ein solcher Pfeil auch nur die Haut ritzt, muß das Opfer qualvoll sterben.“

„Warum erzählst du das, Miguel?“ flüsterte der kleine José. „Hältst du uns für blöd? Wir sind doch nicht das erste Mal im Dschungel, und mit Indianern hatten wir schon einige Male zu tun. Meinst du, wir wissen nicht, wie gefährlich diese Waffe ist?“

„Sei still jetzt!“ erwiderte Miguel mit zornigem Gesicht. „Sancho und Ibrahim, der Türke, sind das erste Mal mit uns auf Jagd. Es schadet nicht, wenn sie rechtzeitig erfahren, daß sie vorsichtig sein müssen.“

Die beiden Tapire begannen Haken zu schlagen. Aber auch die fünf braunhäutigen Indianer waren flink wie Katzen. Sie verstanden es, die Tapire einzukreisen und rückten so immer näher an sie heran. Der erste stoppte bereits seine Schritte und hob das gefährliche Blasrohr an den Mund. Es war bestimmt länger als zwei Yards.

Da zerschnitt die Stimme Miguels die Stille. „Los, José, leg die Muskete an! Du zielst auf das erste Tier und ich auf das zweite. Die kaufen wir uns rechtzeitig. Ihr anderen behaltet die Indianer im Auge. Schießt nicht auf die Tiere, sondern spart euch die Kugeln für die kleinen, braunen Teufel auf. Feuer, José!“

Zwei Schüsse krachten. Das Tier, das sich Miguel Camaro vorgenommen hatte, bäumte sich kurz auf und ging zu Boden. Der andere Tapir jedoch rannte unbeirrt weiter und hatte schon fast das Wasser erreicht.

„Verdammt!“ zischte Miguel Camaro. „Warum hast du nicht besser gezielt? Hast du keine Augen im Kopf? Oder hast du vielleicht Schiß vor den Indianern?“

José sagte nichts, warf aber Miguel einen bösen Blick zu. Für einen Streit oder auch nur einen kurzen Wortwechsel wäre jetzt auch keine Zeit gewesen.

Als die beiden Schüsse über die Lichtung gepeitscht waren, suchte eine Schar Wollaffen mit lautem Geschrei das Weite. Die kleinen, braunen Männer mit den langen, schwarzen Haaren blieben plötzlich wie angewurzelt stehen. Für einen Moment waren sie starr vor Schreck, denn sie hatten während der Tapirjagd nicht auf ihre Umgebung geachtet.

Aber der Schreckmoment war nur sehr kurz. Dann geriet plötzlich wieder Leben in die nackten Gestalten. Wie auf Kommando drehten sie sich um und hetzten auf das Uferdickicht des breiten Urwaldbaches zu.

„Los, Leute, nur nicht einschlafen!“ brüllte Miguel Camaro. „Kauft euch die Burschen, bevor sie dort irgendein Boot erreichen und verschwinden. Sie können uns das Fleisch des Tapirs zur Bucht tragen. Darüber wird sich mancher von euch bestimmt freuen. Auf, ihnen nach!“

Mit lauten Flüchen nahmen die sechs Piraten die Verfolgung der Indianer auf.

José, der wohl meinte, die vorausgegangene Schlappe wieder ausgleichen zu müssen, stoppte plötzlich seine Schritte, ging in die Knie, legte erneut an und schoß.

Ein Feuerstrahl fuhr aus dem Lauf der Muskete, und Pulverdampf wolkte hinterher.

Im selben Augenblick begann einer der Indianer zu taumeln, stürzte zu Boden und wollte sich wieder aufrappeln, blieb dann aber still liegen.

José hatte ihn erwischt.

Der Pirat ging aus der Hocke und lief weiter. Einem seiner Kameraden drückte er noch während des Laufens die leergeschossene Muskete in die Hand.

„Lade sie nach!“ rief er. „Und gib deine her!“

Er wartete gar nicht erst ab, sondern riß Ibrahim, dem Türken, die Waffe aus der Hand. „Ich werde mir den nächsten kaufen. Paß mal auf, wie man das erledigt!“

Wieder stoppte er und riß die Muskete hoch, um zu zielen. Da trat eine unerwartete Wende ein.

Die braunen Männer hatten das Ufer des Baches erreicht und zogen blitzschnell ein langes, schmales Boot aus dem Dickicht. Drei davon drehten sich plötzlich um, hoben die langen Blasrohre, und dann zischten drei tödliche Pfeile den Verfolgern entgegen – völlig still und lautlos, ohne Krachen und Pulverdampf.

Zwei der kleinen Pfeile, deren Spitzen man in irgendein hochgiftiges Gebräu getaucht hatte, verfehlten ihr Ziel. Sie verloren sich irgendwo im Gebüsch.

Aber einer der Pfeile traf, und zwar José, der gerade den Hahn der Muskete durchziehen wollte. Er stieß einen kurzen Schrei aus, verdrehte die Augen und ließ die Waffe fallen. Dann kippte er langsam zur Seite. Für einen Augenblick lag er still, dann begann sich sein Körper in Krämpfen zu winden.

Es war gut für die anderen, daß sie sich im Moment ganz auf die flüchtenden Indianer konzentrieren mußten, sonst wäre ihnen das Blut in den Adern erstarrt, wenn sie den Todeskampf Josés miterlebt hätten.

Die Indianer hatten es inzwischen geschafft, ihr langes, aber sehr leichtes Boot in das flache Wasser zu bringen. In Windeseile tauchten sie die Riemen ein und pullten los. Gleich darauf verschwanden sie in der Dunkelheit des dichten Blätterdaches, das über dem Bach zusammenwuchs. Die Kugeln, die die Piraten noch hinterherschickten, verfehlten ihr Ziel.

Miguel Camaro war wütend und ließ eine Serie der lästerlichsten Flüche vom Stapel, als sie zu jener Stelle zurückgekehrt waren, an der José lag. Er war inzwischen tot. Mit weit aufgerissenen Augen lag er auf dem Rücken und blickte ins Leere.

Betroffen sahen sich die Männer an. Hatten sie nicht noch vor wenigen Augenblicken über die Gefährlichkeit der Giftpfeile gesprochen? Und hatte nicht gerade José seinen Unmut darüber geäußert? Jetzt lag er da – mit gebrochenen Augen, deren Blick sich in der endlosen Weite des blauen Himmels verlor.

„Fernandez wird toben“, sagte Miguel, „denn José war ein vielseitig verwendbarer Mann. Aber wir können es nicht mehr ändern. Da hätte er eben besser aufpassen müssen. Los, sehen wir zu, daß wir ihn notdürftig begraben. Und dann wird der Tapir ausgenommen und zum Beiboot getragen, verstanden? Und beeilt euch gefälligst, sonst kann es passieren, daß wir noch die ganze Meute auf den Hals kriegen.“

Sofort gingen die vier übrigen Männer an die Arbeit, nicht ohne von Zeit zu Zeit innezuhalten und verstohlene Blicke zum Waldrand hinüberzuwerfen.

Die schweren Eisenkugeln, die das Piratenschiff abgefeuert hatte, verfehlten ihr Ziel nur um Haaresbreite. Zwei der Kugeln klatschten unmittelbar vor der Steuerbordseite der „Isabella“ ins Wasser und rissen hohe, gischtende Fontänen auf.

„Laßt uns die passende Antwort geben!“ brüllte Philip Hasard Killigrew vom Achterdeck. „Feuer!“

Augenblicklich war in der stillen und scheinbar so friedlichen Baja de Marajo, in der einige Urwaldflüsse zusammenströmten und ihre ungeheuren Wassermassen in den Atlantik ergossen, die Hölle los.

Kaum hatte der Seewolf den Schießbefehl erteilt, dröhnte der vielstimmige Schlachtruf seiner Crew zu dem angreifenden Piratenschiff hinüber.

„Ar-we-nack – Ar-we-nack!“ tönte es aus rauhen Männerkehlen. Und im selben Atemzug sollten die Angreifer zu spüren kriegen, was dieser Schlachtruf zu bedeuten hatte.

Die acht Siebzehnpfünderculverinen auf der Steuerbordseite der „Isabella“ brüllten los und stießen mit ungeheurer Wucht ihre Ladungen aus den Rohren. Die Culverinen rollten zurück, und grauschwarze Wolken von Pulverdampf zogen über die Kuhl.

Während eine Kugel die Schmuckbalustrade auf dem Achterdeck des Piratenschiffes wegfegte und einen Trümmerregen auf das Wasser der Bucht niedergehen ließ, zerfetzte eine weitere Kugel den Besanmast und ließ den Angreifern die Holzsplitter um die Ohren fliegen. Ein drittes Geschoß schlug der Galeone, deren Name „Esmeralda“ nur mit Mühe zu entziffern war, ein Loch in die Bordwand, und zwar direkt unterhalb eines Geschützes.

Laute Flüche und Wutgeschrei drang zu den Seewölfen herüber. Dazwischen ertönte ein erschreckter Ausruf, der an Bord der „Isabella“ deutlich zu verstehen war.

„El Lobo del Mar! Das ist El Lobo de Mar, Señor Capitán“, brüllte eine Stimme auf Spanisch. Die Piraten mußten also begriffen haben, mit wem sie sich da angelegt hatten.

Aber es blieb ihnen nur wenig Zeit, darüber weiter nachzudenken, denn Ed Carberry und der Kutscher hatten inzwischen die Lunten in die Zündlöcher je einer der beiden vorderen und achteren Drehbassen gestoßen. Unmittelbar darauf prasselte ein verheerender Regen aus Eisenstücken zu der dickbauchigen Galeone hinüber.

Als Folge wies das Focksegel der „Esmeralda“ ein wüstes Lochmuster auf, und zwei Gestalten mit Stirnbinde und zerlumpten Leinenhosen schrien auf und gingen hinter dem Schanzkleid auf die Planken.

Aber auch die Piraten waren inzwischen nicht untätig gewesen. Offensichtlich hatten sie ihre Geschütze inzwischen nachgeladen.

Seit der überraschte Ausruf „El Lobo del Mar!“ die Besatzung des Piratenschiffes aufgeschreckt hatte, erreichten die Aktivitäten an Bord der „Esmeralda“ einen Zustand der Hektik. Dazu trugen sicherlich auch die geballten Ladungen bei, die ihnen die Seewölfe bis jetzt verpaßt hatten.

Eine solch rasche und verheerende Reaktion hatten sie von der „Isabella“, die sie wahrscheinlich für ein spanisches Handelsschiff gehalten hatten, nicht erwartet. Trotzdem schienen sie nach wie vor entschlossen zu sein, den Kampf für sich zu entscheiden.

Zum zweiten Male krachten die Geschütze des Piratenschiffes und schickten ihre Ladung zur „Isabella“ herüber.

Diesmal zerfetzte eine Kugel teilweise die Balustrade, die die Back zum Galionsdeck hin abgrenzte.

Eine weitere Kugel ließ den Profos der „Isabella“, der an einer achteren Drehbasse auf Station war, rasch den Kopf einziehen. Und diese Reflexbewegung war es wohl auch, die ihn vor ernsterem Schaden bewahrte. Die übrigen Geschosse waren zu kurz gesetzt und peitschten das Wasser in unmittelbarer Nähe der „Isabella“ auf.

Noch während die Culverinen der „Isabella“ ausgewischt und nachgeladen wurden, begannen wieder die Drehbassen auf dem Vorder- und Achterdeck, die außer von Ed Carberry und dem Kutscher noch von Old O’Flynn und Ben Brighton bedient wurden, Feuerstöße zur „Esmeralda“ hinüberzuschicken.

„Jawohl, zeigt es ihnen!“ schrie der Profos, der um Haaresbreite dem Verhängnis entgangen war. „Zeigt diesen Bilgengespenstern, was passiert, wenn man mit Eisenbröckchen nach uns wirft. Ho, Leute, drauf auf diese Kanalratten!“

Wenig später entlud sich auch seine Drehbasse wieder mit heftigem Krachen und einer Wolke von Pulverdampf.

Schreie, die von dem Piratenschiff herüberdrangen, zeigten, daß der Feuerregen nicht ohne Folgen geblieben war. Die Löcher im Focksegel hatten sich inzwischen reichlich vermehrt.

Ein wüstes Gebrüll in mehreren Sprachen war die Antwort. Gleich darauf gingen die Seewölfe in Dekkung, um dem Metallsegen der beiden PiratenDrehbassen zu entgehen. Die Geschosse richteten jedoch außer einigen geringfügigen Schäden am Besansegel nicht viel an.

Der wilde Haufen an Bord der „Esmeralda“ mußte inzwischen nervös und hektisch geworden sein. Man nahm sich kaum noch die Zeit, ein Ziel anzuvisieren und brachte sich damit in eine Gefechtssituation, die den Seewölfen absolut fremd war.

Die Männer an Bord der „Isabella“ kannten keine Kopflosigkeit. Jeder Handgriff, den sie taten, war überlegt, erprobt und sorgfältig abgewogen. Das war es, was sie ihren Gegnern voraushatten.

Auch Big Old Shane und Batuti, der schwarze Mann aus Gambia, hatten nur auf ein Zeichen des Seewolfs gewartet. Sofort schnellten die ersten beiden Pulverpfeile von den Sehnen ihrer Bogen und zogen eine Rauchspur hinter sich her.

Die Wirkung blieb nicht aus. Augenblicke später bereits waren die Detonationen zu hören, gleich darauf züngelten an vielen Stellen der „Esmeralda“ kleine Flammen hoch.

Aus der Hektik an Bord des Piratenschiffes entstand Wuhling. Erstaunte Rufe tönten über das Deck, und eine hohe Stimme brüllte nach Wasser. Gleich darauf konnte man beobachten, wie einige Männer über die Kuhl rannten und eine Pütz Wasser nach der anderen anschleppten, um das auflodernde Feuer zu löschen.

Eine Entscheidung stand dicht bevor.

Philip Hasard Killigrew rechnete damit, daß die Piraten, sobald sie das Feuer unter Kontrolle hätten, gewissermaßen in einem letzten Aufbäumen versuchen würden, die Isabella zu entern. Aber dem wollte er rechtzeitig einen Riegel vorschieben.

„Feuer!“ tönte wieder die Stimme des Seewolfs über die Decks der „Isabella“.

Der schwarzhaarige, fast sechs Fuß große Mann stand wuchtig wie ein Denkmal auf seinem Platz und beherrschte souverän die Lage. Nicht zuletzt diese eiserne Ruhe und Besonnenheit waren es, die immer wieder auf seine Männer übergriffen und sie selbst in den kniffligsten Situationen veranlaßten, Ruhe zu bewahren und mit Verstand vorzugehen. Seine sachkundige Führung und die Ergebenheit seiner Leute war es, was die Crew der „Isabella“ zu einer Mannschaft zusammengeschweißt hatte, die weder Tod noch Teufel fürchtete.

Es war nicht von ungefähr, daß die englische Königin Elisabeth I. diesen Mann, der über einen Kaperbrief verfügte, zum Ritter geschlagen hatte. Philip Hasard Killigrew wußte diese Geste zwar zu schätzen, legte aber keinerlei Wert darauf, Sir Hasard genannt zu werden. Was er von seinen Männern erwartete, war keine kriecherische Ergebenheit, sondern eine aufrichtige Partnerschaft. Und die war stets auf der „Isabella“ zu finden, bis hin zum letzten Mannschaftsglied.

Noch während eine Breitseite der „Isabella“ zu dem Piratenschiff hinüberbrüllte und verheerende Schäden anrichtete, gab der Seewolf den Befehl, hart nach Steuerbord abzulaufen, bis nur noch das Heck der „Isabella“ den Angreifern zugewandt war.

Dann traten auf sein Zeichen hin noch einmal die achteren Drehbassen in Aktion, und das schien die Piraten wohl endgültig davon zu überzeugen, daß sie sich etwas zu viel vorgenommen hatten, als sie den schlanken Rahsegler in der Bucht von Marajo erblickt hatten.

Weitere Schlappen konnten sie sich jedenfalls nicht mehr leisten. Gegen dieses englische Schiff, das – wie sie wohl erkannt hatten – unter dem Befehl des legendären „Lobo del Mar“, des Seewolfs, stand, konnten sie sich im Moment keinerlei Chancen mehr ausrechnen. Deshalb zögerten die verwegenen Gestalten an Bord der „Esmeralda“ auch keinen Augenblick, die Befehle ihres Kapitäns zu befolgen.

„Heißt Blinde und Marssegel!“ brüllte eine Stimme so laut, daß sie auf der „Isabella“ zu hören war.

Und die Seewölfe wußten sehr wohl, was dieser Befehl zu bedeuten hatte: Die Piraten gaben auf und suchten jetzt schleunigst ihr Heil in der Flucht. Wahrscheinlich befürchteten sie für ihr schwer angeschlagenes Schiff das Schlimmste.

Ein zufriedenes Grinsen zog über die verschwitzten Gesichter der Männer an Bord der „Isabella“. Bis jetzt hatten sie im Eifer des Gefechtes die brütende Hitze, die über der Bucht und dem Dschungel lag, kaum wahrgenommen. Erst jetzt, da die Piratengaleone die Flucht ergriff und sie sich wieder etwas mehr auf sich selbst konzentrieren konnten, merkten sie, daß der Schweiß nicht nur in Rinnsalen und Bächen über ihre Körper lief, sondern in Strömen. Trotzdem hielten sie sich nicht zurück, dem fliehenden Seeräuberschiff noch ein lautes „Ar-we-nack“ hinterherzubrüllen. Nur hörte sich dieser Schlachtruf diesmal wie eine Trompete des Sieges an.

Auch Ed Carberry, der bullige Profos der „Isabella“, zog ein zufriedenes Gesicht.

„Ho, war das etwa nichts, Männer?“ rief er. „Der fetten ‚Esmeralda‘ haben wir doch anständig was auf den Achtersteven gegeben. Diese verlausten Kakerlaken werden sich bestimmt nicht mehr in unserer Nähe blicken lassen. Wenn sie es trotzdem tun, dann werde ich jedem einzelnen von ihnen eigenhändig die Haut in ganz schmalen Streifen …“

Der Rest der vom Profos angekündigten Zeremonie ging im Lachen der Seewölfe unter, die sofort damit begannen, auf der „Isabella“ die Spuren des kurzen Kampfes zu beseitigen.

Seewölfe Paket 12

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