Читать книгу Seewölfe Paket 12 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 9

5.

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Die Mittagszeit war nicht mehr fern, und die Sonne würde bald ihren höchsten Stand erreichen. Unbarmherzig verwandelte sie das Land, das nur achtzig Seemeilen südlich des Äquators liegt, in eine schwüle Dunstglocke.

Auf der „Isabella“, der ranken Galeone der Seewölfe, war bereits kurze Zeit nach dem Gefecht mit den Piraten wieder Ruhe eingekehrt.

Die meisten Schäden waren belanglos und würden sich rasch beseitigen lassen. Die Männer hatten sofort damit begonnen, nachdem die „Esmeralda“ schwer angeschlagen aus ihrem Gesichtsfeld verschwunden war.

Es wäre ein Leichtes für den Seewolf gewesen, das fliehende Seeräuberschiff zu verfolgen und auf Grund zu schicken, aber gemäß seiner Auffassung hätte ein solches Verhalten, wenn kein zwingender Grund vorlag, den Regeln der Fairneß widersprochen. Die Piranhas hatten angegriffen, und ihr Angriff war kräftig zurückgeschlagen worden. Allein die panische Flucht der dickbauchigen Galeone war ein Beweis dafür, daß den Schnapphähnen vorerst jegliche Angriffslust vergangen war.

Sofort nach dem Verschwinden der „Esmeralda“ hatte Hasard Befehl gegeben, zum ursprünglichen Ankerplatz zurückzukehren. Die Mannschaft der „Isabella“ wollte schließlich noch ein Rätsel lösen, das die Männer, nachdem das kurze Gefecht vorbei war, erneut zu beschäftigen begann – das Rätsel um die menschlichen Skelette in der wrakken Galeone. Mittlerweile sahen sie eine Aufgabe darin, dieses Geheimnis zu lüften. Und davon wollten sie sich auch von der sengenden Hitze nicht abhalten lassen.

Hasard ließ das Beiboot abfieren.

Als Sir John, der Aracanga-Papagei, das sah, verließ er sofort die Vormarsrah und schwang sich zur Kuhl hinunter. Sein Ziel war die linke Schulter Ed Carberrys, mit dem ihn eine besonders enge, wenn auch manchmal rauhe Freundschaft verband.

„An die Brassen!“ krächzte der Vogel. „Hopp, hopp, ihr lahmen Säcke!“ Dabei äugte er neugierig zu den Männern hinüber, die das Beiboot ins Wasser brachten. Da ihm die Arbeit offensichtlich zu langsam vonstatten ging, setzte er noch ein wütendes „Affenärsche! Rübeschweine!“ hinzu, bis ihn Ed Carberry von seinem Landeplatz vertrieb.

Aber auch Sir John war von der harten Sorte, und der Profos mußte sich von der Großrah herunter klipp und klar sagen lassen, daß er „backbrassen“ solle.

Als Ed Carberry drohend die Fäuste nach oben schwang, zog es der karmesinrote Papagei vor, auf seinen Lieblingsplatz, hoch oben auf der Vormarsrah, zurückzukehren.

Hasard benannte inzwischen den kleinen Landtrupp, der unter seiner Führung zur Sandbank hinüberpullen sollte.

Außer Ed Carberry waren diesmal Stenmark, Matt Davies und der schwarze Herkules Batuti mit dabei.

Ferris Tucker, der sich während des gestrigen Landausfluges ebenfalls mit dem gefährlichen Mohrenkaiman herumgeschlagen hatte, wurde noch an Bord der „Isabella“ gebraucht, um die Holzschäden auszubessern, die während des Piratenangriffs an der Balustrade zwischen Back und Galionsdeck entstanden waren.

Philip und Hasard, die Zwillinge, hatten sich inzwischen an ihren Vater herangepirscht.

„Dad“, sagte Philip junior mit hoffnungsvollem Blick, „hast du nicht einmal gesagt, daß es nicht genügt, seinen Kopf nur mit vielen Theorien vollzustopfen, sondern daß man vor allem auch die Praxis kennenlernen muß?“

Für einen Moment sah der Seewolf seinen Sprößling irritiert an. „Ja – ja, natürlich, du hast recht. Aber was bezweckst du mit dieser Frage?“

„Nun ja“, erklärte Philip junior, „Mister Brighton hat uns gestern erzählt, daß es hier viele Tiere gibt. Ich meine, außer dem riesigen Krokodil, mit dem ihr gekämpft habt. Und da dachten wir, daß wir – nun ja, wir könnten uns natürlich entsprechend bewaffnen …“

„Aha!“ sagte Hasard. „Daher also weht der Wind, von wegen Theorie und Praxis. Tut mir leid, ihr beiden, auf die Praxis werdet ihr heute noch mal verzichten müssen. Die werdet ihr noch früh genug kennenlernen. Wenn wir da rüberpullen, dann ist das eine Fahrt ins Ungewisse. Wir haben keine Ahnung, was dort drüben geschehen ist und was uns dort erwartet. Vorerst brauchen wir zwei starke Männer wie euch noch dringend hier an Bord. Was ist, wenn noch einmal ein Piratenschiff hier auftaucht? Mister Brighton ist dann auf jeden Mann an Bord angewiesen, auch auf euch, zumal er euch schon einmal an den Drehbassen eingesetzt hat.“

Im ersten Augenblick zeigten die beiden Zehnjährigen ein enttäuschtes Gesicht. Aber dann, als sie die Worte ihres Vaters, der von starken Männern und von Drehbassen sprach, verdaut hatten, blickten sie plötzlich stolz in die Runde. Daß sie auch nicht eher darauf gekommen waren! Klar, daß sie an Bord der „Isabella“ gebraucht wurden. Völlig logisch, was sollte sonst Mister Brighton ohne sie nur anfangen?

„Aye, aye, Sir!“ sagten die beiden wie aus einem Munde, und damit war der Fall vorerst erledigt.

Philip Hasard Killigrew nahm als Bootsführer auf der achteren Ducht des Beibootes Platz, nachdem der kleine Trupp von der „Isabella“ abgeentert war. Die übrigen Männer legten sich kräftig in die Riemen.

„Ob wir heute wohl mehr Glück haben als gestern?“ fragte Ed Carberry. Seine Augen glitten dabei über die glitzernde Wasserfläche.

„Auf den ersten Anhieb wohl kaum“, meinte Hasard. „Aber heute steht uns wesentlich mehr Zeit zur Verfügung, in der wir uns auch die weitere Umgebung des Wracks etwas näher ansehen können.“

Auch der blonde Stenmark und Matt Davies, ein kräftiger Mann, dessen Haare durch ein schreckliches Erlebnis mit Haien vorzeitig ergraut waren, brannten darauf, die mysteriöse Stätte dort drüben auf der Sandbank kennenzulernen.

Gleich ihrem Kapitän und dem Profos waren auch sie schwer bewaffnet. Der gestrige Angriff des Mohrenkaimans war für alle ein Warnsignal gewesen, das in höchst gefährlicher Weise daran erinnert hatte, wie ernst die vielfältigen Überraschungen und Gefahren des Dschungels genommen werden mußten.

Matt Davies, dessen fehlende rechte Hand durch eine von Ferris Tukker angefertigte Spezialmanschette ersetzt worden war, die unten in einem Metallring mit spitzgeschliffenem Haken auslief, sah dadurch furchterregend aus. Und gar mancher, der im Nahkampf mit dieser recht vielseitig verwendbaren Prothese Bekanntschaft geschlossen hatte, konnte bestätigen, daß dieser Eindruck nicht fehl am Platze war.

In gleichmäßigem Rhythmus tauchten die Riemen ins Wasser und brachten das Beiboot der „Isabella“ immer näher an die Sandbank heran. Deutlich war bereits das Mangrovendickicht zu erkennen, das sich im Hintergrund fast bis an das Wrack heranschob.

In unmittelbarer Nähe des Wracks mündete ein kleiner Fluß, der höchstens eine Kabellänge, also zweihundert Yards, breit war. Das war nicht viel im Vergleich zu den gewaltigen Strömen, die sich, wie beispielsweise der noch etliche Seemeilen entfernte Rio Tocantins, in die Baja de Marajo ergossen.

Hasard blickte als erster wie erstarrt zu der Galeone hinüber, von der nur noch das Spantengerippe übriggeblieben war.

Ed Carberry, Batuti, Matt Davies und Stenmark folgten seinem Blick, dann huschte ein erstaunter Ausdruck über ihre Gesichter. Vergeblich versuchten sie, die Skelette durch das Gerippe des Wracks, dessen Beplankung vollständig fehlte, zu entdecken. Sie waren verschwunden, ganz einfach weg, als wären sie nie dagewesen.

Der Profos fand als erster die Sprache wieder.

„Ich weiß genau“, sagte er, „daß ich heute noch keinen einzigen Schluck Rum getrunken habe. Und ich werde auf der Stelle des Teufels Großmutter heiraten, wenn dort drüben auch nur noch ein einziger Knochenmann auf dem Kielschwein hockt.“

Nachdem die erste Verblüffung vorbei war, sagte der blonde Stenmark: „Schade, Ed, daß aus dieser Hochzeit nichts wird. Ich hätte zu gern als Brautjungfer teilgenommen. Aber dort drüben ist wirklich kein einziges Skelett zu sehen.“

Das Boot war inzwischen an der flachen Sandbank angelangt. Nachdem sich die Männer vergewissert hatten, daß im Moment zumindest keiner der gefährlichen Mohrenkaimane zu sehen war, sprangen sie in das niedrige Wasser und zogen das Boot ein Stück auf den Sand.

Wenig später standen sie, Musketen in der Hand und Pistolen und Entermesser im Gürtel, vor dem Gerippe, das einmal eine Galeone zusammengehalten hatte.

Es war tatsächlich kein einziger Knochen mehr zu sehen. Dort, wo am Vortag noch ein gutes Dutzend Skelette, die alle ziemlich klein gewesen waren, auf dem Kielschwein gesessen hatte, herrschte jetzt gähnende Leere.

„Die können doch nicht von selber weggelaufen sein“, ließ sich der grauhaarige Matt Davis vernehmen. „Vielleicht hat sie das Wasser fortgespült?“

Hasard schüttelte den Kopf. „Das ist unmöglich, dazu ist es viel zu flach. Selbst die Flut hat gestern das Wrack nur zwei Handbreiten unter Wasser gesetzt. Das reicht natürlich nicht aus, um die Skelette oder gar das Wrack wegzutragen. Die Reste der Galeone müssen deshalb schon sehr lange am selben Platz liegen, und auch die Skelette waren sicherlich schon längere Zeit hier.“

„Also müssen die Skelette geholt worden sein“, stellte der Profos fest. „Aber von wem?“

„Es bleibt nur die Schlußfolgerung, daß sie in der Nacht von Indianern oder Buschmännern abgeholt worden sind“, sagte Hasard und legte nachdenklich die Stirn in Falten. „Es müssen Skelette von Eingeborenen gewesen sein“, setzte er noch hinzu, „zumindest wenn man die Größe in Betracht zieht. Vielleicht hat man uns gestern beobachtet und befürchtet, daß wir die Ruhe der Toten stören könnten, wer weiß.“

Stenmark blickte sich unwillkürlich um. „Das heißt also, daß wir hier mit Indianern oder Buschmännern rechnen müssen.“

Hasard nickte. „Ich nehme es an. Übrigens, Sten und Matt, ihr beide habt doch in der vergangenen Nacht Wache gehabt. Ist euch da nichts aufgefallen?“

Die beiden Männer blickten sich einen Moment fragend an und schüttelten dann die Köpfe.

„Nein“, sagte Stenmark, „mir ist absolut nichts aufgefallen. Es war zwar nicht gerade stockfinster, aber trotzdem habe ich bei der Entfernung keine einzige Bewegung hier auf der Sandbank bemerkt.“

„Ja, und hören konnte man natürlich auch nichts“, pflichtete ihm Matt Davies bei. „Denn gerade nachts ist der ganze Klamauk, der vom Urwald bis zum Schiff herüberdringt, ohrenbetäubend.“

Gesehen hatte auch er nichts.

„Wie dem auch sei“, sagte Hasard, „die Kerle müssen es fertiggebracht haben, während der Nacht die Skelette abzutransportieren, ohne daß etwas aufgefallen ist.“

Irgendwie gefiel ihm die ganze Sache nicht, und manchmal hatte er das Gefühl, als würden sie von tausend unsichtbaren Augen belauert.

Er kannte schließlich die Indianer und deren Einstellung zu den Weißen, die immer wieder versuchten, ihnen das aufzudrängen, was sie unter „Zivilisation“ verstanden.

Besonders die Spanier und Konquistadoren hatten daran den Hauptanteil. Die „Zivilisation“, die sie den Eingeborenen bis jetzt gebracht hatten, bestand größtenteils aus Bekehrungen und üblen Krankheiten, an denen zum Teil ganze Volksstämme zugrunde gingen. Kein Wunder also, daß die meisten Indianer immer wieder Weiße mordlustig angriffen und dabei ihren aufgestauten Haß ins Spiel brachten.

„Wenn es hier Eingeborene gibt“, unterbrach Ed Carberry die Überlegungen Hasards, „dann haben die uns natürlich längst bemerkt. Die verschwundenen Skelette beweisen das ja. Aber das bedeutet für uns auch, daß wir unsere Augen verdammt offenhalten müssen, wenn unsere Schädel nicht als Schrumpfköpfe an irgendeinem Hütteneingang baumeln sollen. Die kleinen, braunen Kerle verstehen sich darauf.“

Die rauhen Männer konnten nicht verhindern, daß ihnen bei dieser Bemerkung des Profosses ein kalter Schauer über den Rücken lief. Sie waren bereits früher den Tsantas, den oft nur faustgroßen Schrumpfköpfen, begegnet, die die Indianer durch ein besonderes Verfahren aus den Köpfen besiegter Feinde herstellten.

Selbst jene Eingeborenen, die durch die verschiedenen Ansiedlungen häufigen Kontakt zu Weißen hatten, waren nach wie vor auf Tsantas mindestens genauso verrückt wie auf den Schnaps und die Waffen der weißen Siedler und Abenteurer.

„Bis jetzt haben wir unsere Köpfe noch“, unterbrach Hasard das betretene Schweigen, „und zwar in altgewohnter Größe. Nur sollten wir tatsächlich darauf achten, daß wir sie auch behalten.“

Unwillkürlich schlossen sich die Hände der Männer fester um die Waffen, die sie bei sich trugen.

Batuti hatte während des Gespräches damit begonnen, das Gerippe der Galeone zu umrunden. Er versuchte, Fußspuren im Sand zu entdecken. Seinen scharfen Augen entging kein Zoll der Sandbank, vom Wasser bis hinüber zum beginnenden Mangrovendickicht.

Aber die Mühe war vergebens, es war kein Anzeichen einer Spur zu finden. So blieb nur der Schluß, daß die Flut inzwischen alle Spuren verwischt haben mußte.

Schulterzuckend kehrte der schwarze Herkules, der vor Jahren in einer Mission gebrochen Englisch gelernt und bis zu seiner Befreiung durch den Seewolf als Sklave unter Spaniern gelebt hatte, zu den übrigen Männern zurück.

„Keine Spuren“, sagte er. „Batuti nichts finden. Buschmänner müssen Flügel haben wie Sir John.“ Mit beiden Armen ahmte er die Flugbewegungen des Aracanga-Papageis nach und verzog sein knochiges Gesicht zu einem breiten Grinsen.

Doch seine Gesichtszüge wurden jäh wieder ernst. „Da!“ sagte er und deutete zum Dschungelrand hinüber. „Batuti hat etwas gesehen.“

Seine muskulöse Gestalt straffte sich, und in diesem Moment glich er einem sprungbereiten Löwen, der seine Beute ins Auge gefaßt hat.

„Was hast du gesehen?“ knurrte Ed Carberry. „Ein Bilgengespenst vielleicht?“

„Nix Gespenst“, sagte Batuti, der unverwandt zu der scheinbar undruchdringlichen grünen Mauer hinüberstarrte. „Es war kleines, braunes Mann. Es hat uns gesehen, dann schnell wieder weg. Batuti hat gute Augen. Sieht nix Gespenster. Da – wieder braunes Gestalt“, setzte er hinzu.

Noch während die übrigen Männer angestrengt zum Waldrand hinübersahen, ohne etwas Auffälliges wahrzunehmen, geriet Leben in die schwarze Gestalt Batutis.

Ohne noch ein Wort zu sagen, schnellte der Mann aus Gambia wie ein Pfeil von der Sehne los und jagte mit langen Sprüngen auf das Mangrovendickicht zu.

Der kleine Piratentrupp unter der Führung Miguel Camaros hatte den Tapir, den sie den Indianern abgejagt hatten, fachgerecht ausgenommen.

Nun banden sie dem Tier die Füße zusammen und hängten es an ein langes, kräftiges Aststück. Ibrahim, der Türke, und ein Araber namens Abdullah packten die Last und legten sich die Stangen über die Schultern. Die übrigen Männer sicherten mit ihren Waffen den Transport, der sich rasch in Bewegung setzte, und zwar in Richtung Küste, wo in ihrem Beiboot bereits ein erlegtes Wasserschwein und verschiedene Früchte auf sie warteten.

Obwohl der Weg beschwerlich war und den Piraten der Schweiß in Strömen über den Körper rann, versuchten sie, so rasch wie möglich ihr Ziel zu erreichen. Sie achteten kaum auf die Scharen von lästigen Insekten, die ihnen brennende und jukkende Bißwunden beibrachten und auch nicht auf die Zweige, die ihnen blutige Striemen ins Gesicht schlugen.

Der Grund für ihre Eile war nicht schwer zu erraten. Er lag bei den kleinen, nackten Gestalten, denen sie den Tapir abgejagt hatten. Und José, einer der brauchbarsten Männer an Bord der „Esmeralda“, hatte dafür mit dem Leben bezahlt. Er war einen harten, grausamen Tod gestorben, verursacht durch einen vergifteten Pfeil, der ihm in die rechte Schulter gefahren war.

Obwohl auch José einen Indianer durch einen Musketenschuß getötet hatte, war Miguel Camaro davon überzeugt, einen schlechten Tausch abgewickelt zu haben. Sie hatten zwar weisungsgemäß einen Tapir erbeutet, aber dafür war ein Mann auf der Strecke geblieben.

Was würde wohl ihr Kapitän, Alfredo Fernandez, dazu sagen? Diese Frage schwebte, wenn auch unausgesprochen, über ihm. Nicht etwa, daß der Señor Capitán am Kummer und Gram über den Tod Josés zerbrechen würde, o nein, aber an Bord der „Esmeralda“ zählte nach wie vor jeder Mann, der mit seinen Waffen umzugehen verstand. Und so marschierte der kleine Trupp von fünf Männern mit gemischten Gefühlen seinem Ziel entgegen.

Miguel Camaro führte die Gruppe an. Fernando und Manuel, zwei Landsleute bildeten die Nachhut. Dazwischen marschierten Ibrahim und Abdullah mit dem erlegten Tapir.

Miguel Camaro schätzte, daß sie bereits die Hälfte ihres Weges zurückgelegt hatten, als ihn plötzlich ein markerschütternder Schrei herumfahren ließ.

Es war Fernando, der diesen Schrei ausgestoßen hatte, und die Ursache war ganz offensichtlich.

Der große, breitschultrige Mann taumelte, versuchte dann, sich an einem Ast festzuhalten, aber seine Hände griffen vorbei. Dann sank er langsam, mit einem erstaunten Gesichtsausdruck, zu Boden und rührte sich nicht mehr. Aus seinem Rücken ragte der Schaft eines Pfeils. Nicht eines kleinen Giftpfeils, sondern eines Pfeils, der mit einem Bogen abgeschossen worden war.

„Bei Allah, das waren Indianer!“ stieß Abdullah, der Araber, hervor.

Wie auf Kommando ließen die beiden Träger den ausgenommenen Tapir auf den Boden fallen. In Windeseile drückten sich die Männer ins Dickicht, die Musketen schußbereit in den Händen.

Aber sie sahen und hörten nichts, außer den Geräuschen des Dschungels, an die sich ihre Ohren bereits gewöhnt hatten. Trotzdem wußten sie, daß irgendwo hinter ihnen im dichten Gestrüpp kleine, aber muskulöse Gestalten lauerten – jederzeit bereit, den lautlosen Tod zu ihnen zu schicken.

„Verdammt, die Buschmänner werden immer angriffslustiger“, zischte Miguel Camaro den anderen Piraten zu. „Vor einiger Zeit sind sie über einen einzigen Musketenschuß noch so erschrocken, daß sie sich nie mehr blicken ließen. Jetzt wollen sie wohl den offenen Kampf. Sie haben anscheinend Verstärkung geholt und sind uns gefolgt.“

„Allah sei uns gnädig“, flüsterte Abdullah, der Araber, und die Züge seines Gesichtes verrieten nackte Angst. „Ein Seegefecht wäre mir zehnmal lieber. Da sieht man wenigstens seinen Feind vor sich. Aber hier – hier lauert ein unsichtbarer Tod in unserem Rücken.“

„Nun laß nicht gleich deine Hosen flattern, du Ratte“, gab Miguel Camaro mit leiser Stimme zurück. „Sieh lieber zu, daß du deinen Eierkopf auf den Schultern behältst, statt hier vor Angst zu schlottern.“

Im selben Augenblick sah Camaro ungefähr dreißig Yards entfernt eine kleine, nackte Gestalt hinter dem Stamm einer Chonta-Palme verschwinden. Sofort riß er seine Muskete hoch, und gleich darauf krachte der Schuß. Aber zu spät, von dem Indianer war nichts mehr zu sehen. Die Kugel mußte den Stamm der Palme gestreift haben, denn man konnte sehen, wie einige Holzsplitter zur Erde geschleudert wurden.

Ein Papageienschwarm war durch den Schuß aufgescheucht worden. Laut schnatternd und kreischend stoben die Vögel aus dem Geäst über den Piraten und hoben sich in den Himmel. Auch das Gebrüll der Affen klang plötzlich lauter und aufgeregter.

Aber sonst rührte sich nichts. Trotzdem waren die Indianer da. Niemand zweifelte daran, und es war ein nervenzerfressendes Gefühl, sich aus vielen Augen beobachtet zu fühlen, ohne selbst jemanden zu sehen.

„Los!“ sagte Miguel, der Anführer. „Pirschen wir uns vorsichtig etwas näher an sie heran. Wir müssen sie erwischen oder in die Flucht schlagen, sonst werden wir sie nicht mehr los. Sie folgen uns unter Umständen wie unsichtbare Schatten bis zur Küste. Bevor wir uns versehen, haben wir wie Fernando einen Pfeil im Rücken oder, was noch schlimmer ist, einen dieser kleinen Giftpfeile irgendwo im Fleisch.“

Abdullah murmelte irgend etwas in einer Sprache, von der Miguel Camaro kein Wort verstand. Es mußte wohl Arabisch sein, und mit ziemlicher Sicherheit mußte er wiederum Allah beschworen haben, sich seiner doch endlich zu erbarmen.

Aber die für himmlisches Erbarmen zuständige Stelle mußte bei dieser Affenhitze wohl auch geschlossen haben, denn nichts ließ darauf schließen, daß sich an der bestehenden Lage etwas veränderte.

Vorsichtig krochen die vier übriggebliebenen Piraten durch das Dikkicht. Dann verhielten sie wieder einen Moment lauschend.

Da plötzlich schnellte sich die braune Gestalt wieder hinter dem Stamm der Palme hervor und schoß flink wie eine Katze auf das dichte Gestrüpp zu seiner Linken zu.

Ibrahim, der Türke, der die ganze Zeit über recht schweigsam gewesen war, reagierte als erster. Ein Schuß aus seiner Muskete krachte, und die Kugel traf.

Die braune Gestalt stürzte zu Boden, raffte sich aber sofort wieder auf und verschwand hinkend im Gebüsch.

Miguel Camaro stieß einen langen Fluch aus. „Warum hast du nicht besser gezielt? Der Kerl ist nur angeschossen. Selbst in diesem Zustand sind die Burschen noch gefährlich.“

Doch Ibrahim konnte ihm auf diesen Vorwurf nicht mehr antworten. Irgend etwas zischte durch die Luft, unheimlich und fast lautlos, und der Türke brach mit einem Aufstöhnen zusammen. Seine Augen starrten Miguel Camaro an, aber es war ein Blick, der alles und nichts zu sehen schien. Ibrahim war tot.

Ein ellenlanger spanischer Fluch tönte durch das Dickicht. Die drei übrigen Piraten schienen die Nerven zu verlieren. Miguel Camaro, Manuel und Abdullah schossen blindlings ihre Musketen ab, ohne ein Ziel vor Augen zu haben. Dann rissen sie noch die Pistolen aus den Gürteln und feuerten blindwütig in die Richtung, aus der man den Pfeil wahrscheinlich abgefeuert hatte.

Aber kein Laut, kein Aufschrei verriet, daß eine ihrer Kugeln ein lebendes Ziel gefunden hatte.

Die Piraten waren sich darüber im klaren, daß sie zu dritt keinen Kampf mehr gewinnen konnten. Deshalb begannen sie sofort, sich zurückzuziehen, und zwar so schnell sie konnten. Sie dachten nicht mehr an den Tapir, der auf der Erde lag. Nachdem sie sich ins Dickicht zurückgezogen hatten, begannen sie zu laufen, so rasch ihre Beine sie zu tragen vermochten.

Doch sie konnten keinen Verfolger wahrnehmen. Die Indianer schienen mit ihrer Rache zufrieden zu sein und mit ihrer „Beute“ ebenfalls.

Die drei fliehenden Piraten wußten sehr wohl, was mit ihren beiden Kameraden, Fernando und Ibrahim, die sie nicht einmal hatten begraben können, geschehen würde.

Tsantas – das war das Wort, das ihnen trotz der Hitze eiskalte Schauer über die Rücken jagte.

Allein der Gedanke daran ließ sie ihre Schritte immer wieder beschleunigen. Sie achteten nicht mehr auf Zweige, die ihnen das Gesicht zerkratzten und auf Lianen, deren Geschling sie schon mehrmals zu Fall gebracht hatte.

Immer wieder rafften sie sich auf, um so rasch wie möglich die Küste zu erreichen. Dabei hofften sie inbrünstig, daß die „Esmeralda“ schon auf sie warten würde. Anderenfalls würden sie mit dem Beiboot ein Stück in die Bucht hinauspullen, um aus der Reichweite der tödlichen Pfeile der Indianer zu gelangen.

Endlich war es so weit.

In der feuchten Luft lag bereits der salzige Geruch des Wassers. Jeden Moment mußte die Bucht vor den Augen der Piraten auftauchen. Schon wenige Augenblicke später betraten sie den Sand, der leicht abschüssig ins Wasser mündete.

Dann sahen sie ihr Schiff, die „Esmeralda“. Aber was war mit der Galeone geschehen? War das noch dieselbe „Esmeralda“, auf der sie seit Monaten durch die See gefahren waren? Oder war es ein Geisterschiff, das da als halbes Wrack eine Kabellänge vom Ufer entfernt vor Anker gegangen war?

Der Schreck fuhr ihnen durch alle Glieder, als sie die schwer angeschlagene Galeone mit den Augen abtasteten. Sie schien im Kampf mit irgendeinem Gegner eine kräftige Abfuhr erhalten zu haben. Allein der zerfetzte Besanmast war dafür ein trauriger Beweis.

Einige Männer an Bord begannen zu winken. Da schoben die drei Schnapphähne in Windeseile das Beiboot ins seichte Wasser und pullten wie die Besessenen zu ihrem Schiff hinüber.

Wie ein Wirbelwind raste Batuti in das hoch aufspritzende Wasser. Wenn er den Waldrand, der dicht an der nahen Flußmündung begann, erreichen wollte, mußte er ein Stück durch das von Mangroven durchwucherte Wasser waten.

„Nix Bilgengespenst!“ rief er mit grimmigem Gesicht. „Batuti hat echtes Buschmann gesehen. Dort drüben am Flußufer, wo Wald beginnt.“

Noch bevor jemand den schwarzen Herkules zurückrufen konnte, arbeitete er sich bereits durch das flache Wasser, das die Wurzeln des Dikkichts umspülte. Die Muskete hielt er fest in der Hand, immer darauf bedacht, die Waffe nicht feucht werden zu lassen.

Batuti wollte beweisen, daß er sich nicht irrte. Schließlich hatte er sich stets auf seine Augen verlassen können. Es waren zwei nackte, muskulöse Gestalten mit gedrungenen Oberkörpern, die dort drüben hinter der grünen Mauer des Urwaldes verschwunden waren.

Er selbst war ein Mann des Dschungels. Kaum jemand kannte wie er die Gefahren und Tücken der grünen Hölle, und kaum jemand verstand es wie er, Spuren, Bewegungen und Geräusche wahrzunehmen und zu deuten.

Er war im Dschungel Gambias, an der Westküste des schwarzen Kontinents, aufgewachsen und schon als Kind stolz gewesen auf sein ausgeprägtes Wahrnehmungsvermögen. So war es nichts Außergewöhnliches, daß er dort etwas sah, wo andere nur das Wogen des Blätterdaches oder das leichte Schwingen der Lianen registrierten.

Batuti, der wie die anderen Mannschaftsmitglieder der „Isabella“ dem Seewolf als zuverlässiger Partner zur Seite stand, war schnell und wendig wie eine Katze. Und er war ein Kämpfer, dem man besser nicht unter die kräftigen Fäuste geriet. Schon in vielen brenzligen Situationen hatte er unter Beweis gestellt, daß er absolut in Form war und es verstand, wie ein Löwe zu kämpfen.

So rasch es ging, durchwatete der schwarze Mann das tiefer werdende Wasser, in dem sich das grelle Sonnenlicht spiegelte.

Wurzeln und Zweige des dichten Gestrüpps peitschten dabei an seinen Körper und zerkratzten ihm stellenweise die Haut. Aber Batuti maß dem nicht mehr Bedeutung bei als einem lästigen Moskitostich. Er sah ein Ziel vor Augen, und um das zu erreichen, gab es nur diesen unbequemen und gefährlichen Weg. Er mußte ihn gehen, wenn er jenseits der Mangroven in die Nähe des Flußufers den Wald erreichen wollte, in dem die beiden Gestalten verschwunden waren.

Batuti war davon überzeugt, daß sich die Indianer noch dort drüben aufhielten – versteckt und lauernd im dichtwuchernden Gebüsch. Er mußte deshalb vorsichtig sein, um nicht in eine Falle zu tappen oder von einem der gefürchteten Giftpfeile erwischt zu werden, die die Eingeborenen dieses riesigen Kontinents so geschickt aus ihren Blasrohren abzuschießen verstanden.

Der schwarze Mann aus Gambia vermutete, daß die Eingeborenen, die er für einen winzigen Augenblick gesehen hatte, eng mit dem Geheimnis verknüpft waren, das das Wrack hinter ihm auf der Sandbank umgab.

Nichts tat er lieber, als zur Lösung dieses Rätsels beizutragen. Die Indianer dort drüben im Wald durften deshalb nicht entwischen. Sonst wäre es unmöglich, sie in der Tiefe der Urwälder aufzuspüren.

Das sumpfige Wasser reichte Batuti jetzt fast bis zur Brust. Vorsichtig hob er die Muskete hoch über den Kopf. In unmittelbarer Nähe bemerkte er plötzlich einen Schwarm winziger Fische, die er wohl durch seine raschen Bewegungen aufgeschreckt hatte. Sie stoben für einen Moment scheinbar in alle Richtungen auseinander und verschwanden dann blitzschnell im tieferen Wasser.

Batutis Augen waren hellwach. Seine Blicke tasteten nicht nur den Waldrand ab, sondern auch die nähere Umgebung. Er war nicht scharf darauf, plötzlich auf einen Kaiman zu stoßen. Es war höchst gefährlich, sich im Wasser auf einen Kampf mit diesen gefräßigen Räubern einzulassen.

Der Gambia-Neger hatte gerade die tiefste Stelle im sumpfigen Brackwasser hinter sich gebracht, da ließ ihn plötzlich ein dunkler Schatten im Wasser heftig zusammenzukken.

Es war jedoch kein Kaiman, was da blitzschnell, keine zwei Yards von ihm entfernt, hinter einigen Mangrovenwurzeln hervorschoß. Es war vielmehr ein mindestens eineinhalb Yards langer, schlangenähnlicher Fisch, der wohl von ihm in seinem Versteck aufgeschreckt worden war.

Die rechte Hand Batutis zuckte zum Gürtel, um das Entermesser hervorzuholen.

Aber er schaffte es nicht mehr.

Der merkwürdige Fisch erreichte ihn in diesem Moment. Noch bevor der schwarze Mann einen weiteren Schritt tun oder seine Waffe zum Einsatz bringen konnte, erhielt er einen gewaltigen Schlag gegen die Beine.

Batuti, der bis zur Brust im Wasser stand, war plötzlich unfähig, sich zu bewegen. Der Schlag, der eine geheimnisvolle Kraft auf seinen Körper übertrug, durchzuckte ihn wie ein Blitz.

Ein furchtbarer Schmerz durchraste ihn, ein heftiges Stechen und Brennen tobte durch seine Glieder. Für einen Augenblick hatte er das Gefühl, innerlich zerrissen zu werden, als hätte er eine ganze Ladung Pulver verschluckt und gezündet.

Ein Schütteln wogte durch seinen Körper und entrang seinen Lippen ein langgezogenes Stöhnen. Er konnte sich nicht mehr bewegen, sein ganzer Körper schien steif wie eine Decksplanke zu werden. Vor seinen Augen wurde es für kurze Augenblicke dunkel. Dann wurde die schwarze Wand, die sich vor ihm aufgetan hatte, wieder zerrissen, wich aber gleich darauf neuen schwarzen Wolken.

Es war eine Ohnmacht, die den riesigen Neger zu überwältigen drohte. Doch der Mann aus Gambia bäumte sich mit aller Kraft, die seinem Körper verblieben war, gegen diese Ohnmacht auf. Er wußte, daß sie hier im brusthohen Wasser den Tod bedeutete. Er würde unweigerlich hilflos ertrinken.

Die Muskete, die er hoch über dem Kopf gehalten hatte, war seiner Hand längst entglitten und mit einem Klatschen, das er kaum noch wahrgenommen hatte, im Wasser versunken.

Wieder brauste eine schwarze Woge über ihn weg. Batuti versuchte, die Augen weit aufzureißen, um wenigstens noch einen Fetzen Licht zu erhaschen, aber es sollte ihm nicht mehr gelingen. Vor seinen Augen wurde es dunkler und dunkler, und er hatte plötzlich das Gefühl, als ziehe ihn eine ungeheure Kraft in die dunkelsten Tiefen des Wassers.

Kaum war der Gambia-Neger zwischen den Mangroven verschwunden, setzte Philip Hasard Killigrew mit langen Sätzen hinterher. Das war auch für Stenmark, Ed Carberry und Matt Davies ein Zeichen.

Nach wenigen Augenblicken wateten auch sie durch das sumpfige Wasser, das hoch hinter Batuti und dem Kapitän der „Isabella“ aufgespritzt war.

„Ob Batuti nun was gesehen hat oder nicht!“ rief der Profos. „Wir können ihn schließlich nicht allein dort rüberlassen. Wenn tatsächlich Indianer in der Nähe sind, ist es für einen viel zu gefährlich.“

Das Wasser schäumte auf unter ihren raschen Schritten, die sich jedoch durch den Widerstand des nassen Elements zwangsläufig verlangsamten.

Ed Carberry wollte gerade eine Bemerkung über das brühwarme, supfige Wasser von sich geben, da ließ sie ein plötzlicher Ruf Hasards, der ihnen vorausgeeilt war, aufhorchen.

Sie sahen ihn im brusthohen Wasser stehen und winken, sobald sie einen dichten, fast mannshohen Mangrovenbusch umrundet hatten.

Und sie sahen Batuti.

Hasard hatte ihn gerade erreicht, und Batuti schien hilflos, ja besinnungslos im Wasser zu hängen.

Allmächtiger, hoffentlich hat er noch nicht zuviel Wasser geschluckt“, sagte Stenmark mit ernstem Gesicht. „Was ist nur passiert? Batuti ist doch sonst nicht so leicht unterzukriegen.“

So schnell es nur ging, wateten sie auf Hasard zu, der Batuti bereits unterfangen und auf die Beine gestellt hatte. Sein rechter Arm war um die Schultern des Gambia-Negers geklammert, um seinen Kopf über Wasser zu halten.

„Hier Ed, nimm meine Muskete!“ rief Hasard, sobald die Männer bei ihm angelangt waren.

Wortlos griff der Profos nach der Waffe, damit Hasard die Hände frei hatte. Der Kapitän der „Isabella“ versetzte Batuti sofort zwei schallende Ohrfeigen und klopfte dann mit seiner rechten Hand kräftig auf dessen Rücken. Das Wasser spritzte dabei in alle Richtungen, aber die gewünschte Wirkung blieb nicht aus.

Batuti blinzelte und verdrehte die Augen, bis nur noch das Weiße darin zu sehen war. Dann straffte sich sein Körper urplötzlich, und er schien wieder auf eigenen Beinen stehen zu können.

Sprachlos sah er die Männer an, die rund um ihn im Wasser standen.

„Was war los, Batuti?“ fragte der Seewolf.

Aber Batuti konnte noch nicht antworten. Ein starker Husten begann seinen Körper zu schütteln, denn er mußte, wie der Profos sofort mit Kennermiene feststellte, wenigstens fünf Mucks Wasser geschluckt haben.

Aber der schwarze Herkules war hart im Nehmen. Es dauerte nur Augenblicke, und er war wieder der alte. Er schüttelte sich und wischte sich über die Augen, als könne er sie mit seinen nassen Händen trocken reiben.

„Nun, was war, Batuti?“ wiederholte Hasard seine Fragen.

„Ja, was war los?“ fügte Ed Carberry hinzu. „Hat dich vielleicht die Sonne niedergeknüppelt oder dich ein Wassermann an den Beinen gezogen, oder hast du gar des Teufels Großmutter gesehen und bist vor Schreck ohnmächtig geworden?“

Batuti grinste und schüttelte den Kopf. „Nix Großmutter, nix Sonne und nix Wassermann“, berichtete er, „sondern sehr langes, magisches Fisch. Sieht aus wie eine Schlange.“

Er beschrieb mit entsprechenden Armbewegungen die ungefähre Länge und den Umfang des „magischen“ Fisches.

Die Männer sahen sich für einen Moment ungläubig an.

„Und was hat der Fisch mit dir getan?“ fragte Hasard. „Bist du verletzt? Los, sag schon, ob du verwundet bist, sonst müssen wir jeden Moment mit den Piranhas rechnen. Wenn die Biester Blut wittern, ist hier gleich der Teufel los. Denkt an den Kaiman, mit dem wir gestern die Ehre hatten.“

„Batuti nicht verletzt“, erwiderte der schwarze Mann. „Der Fisch hat nur geschlagen.“

„Geschlagen?“ fragte der Profos mit entgeistertem Gesicht. „Du willst uns wohl auf den Arm nehmen, du Stint. Nun erzähl bloß noch, daß er einen Belegnagel dabei hatte und dich damit verprügelt hat …“

„Nix Belegnagel, Mister Carberry“, sagte Batuti. „Ganzes Fisch hat geschlagen. Viel schlimmer als Belegnagel. Ganzes Körper steif, nix mehr bewegen und dann alles dunkel. Wie ein Zauber. Es war magischer Fisch. Hat viel Kraft in Körper wie großes Feuer.“

Die Männer sahen sich mit skeptischen Blicken an. Das war ihnen doch nicht ganz geheuer, was Batuti da von einem Zauber und von einem magischen Fisch erzählte. Sollte vielleicht doch die Hitze schuld sein? Aber sie kannten Batuti schließlich. Er war so schnell nicht kleinzukriegen.

Sie konnten sich andererseits auch nicht vorstellen, daß er sich plötzlich einen so gefährlichen Ort, wie hier in den Mangroven, aussuchen würde, um Seemannsgarn zu spinnen. Schließlich konnten hier jeden Moment die gefährlichen Mohrenkaimane auftauchen.

„Laßt uns später darüber reden“, unterbrach Hasard die Stille. „Wenn dort drüben Indianer waren, dann sind sie wahrscheinlich längst untergetaucht, und es wäre jetzt sinnlos, dort im Wald nach ihnen zu suchen. Kehren wir zunächst um, es ist nicht ratsam, zu lange in diesem Wasser zu bleiben.“

Sofort watete der kleine Trupp durch das Brackwasser zurück zur Sandbank.

Den Profos schien die ganze Sache noch sehr zu beschäftigen.

„Also so was“, knurrte er. „Fische, die hexen können und dabei noch ausgewachsene Männer bewußtlos prügeln, das habe ich auch noch nicht erlebt. Wehe, du Hering hast uns einen Bären aufgebunden, dann werde ich dir nämlich eigenhändig …“

„… nein, Profos“, unterbrach Batuti. „Haut bleibt dran an Affenarsch. Batuti hat keinen Bären aufgebunden. Es war ein magischer Fisch. Schade, daß nun Indianer fort sind. Batuti hat sie deutlich gesehen.“

Er schnitt ein ärgerliches Gesicht.

„Wir werden uns später noch darum kümmern“, sagte Hasard. „Ich zweifle nicht daran, daß du Eingeborene gesehen hast, Batuti. Alles deutet darauf hin, daß sie auf irgendeine Weise auch an uns interessiert sind. Wir werden bestimmt noch Kontakt zu ihnen kriegen. Dann wird sicherlich auch das Geheimnis um die verschwundenen Skelette gelüftet werden.“

Kurz danach bestiegen die Seewölfe ihr Boot und pullten zur „Isabella“ zurück. Obwohl sie auch dabei die Augen offenhielten, war kein Eingeborener mehr zu entdecken. Wahrscheinlich hatten sich die mysteriösen Gestalten vorerst zurückgezogen.

Trotzdem konnten sich die Männer des Gefühls nicht erwehren, von vielen Augen beobachtet zu werden, als sie, begleitet von einem vielstimmigen Urwaldkonzert, an Bord ihres Schiffes zurückkehrten.

Seewölfe Paket 12

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