Читать книгу Seewölfe Paket 21 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 26
3.
ОглавлениеDon Antonio de Quintanilla war bereits übel, als die Schiffe das Feuer auf die Insel eröffneten. Als aber zurückgeschossen wurde, als die Kugeln heranheulten und sich zischende, sausende Pfeile wie todbringende Rieseninsekten auf die Schiffe senkten, war es endgültig um seine Beherrschung geschehen. Er begann vor Angst zu schreien.
Ein Pfeil bohrte sich nicht weit von ihm entfernt in die Planken. Es war ein Brandpfeil. Er starrte ihn an, würgte ohne Erfolg an einem dicken Kloß, der in seiner Kehle zu stecken schien, und brach dann in den Knien zusammen. Er knallte auf die Planken – und das tat weh. Er hatte die Hände von den Ohren genommen und stützte sich an der Nagelbank des Besanmastes ab. Er stöhnte und wimmerte und glaubte, jeden Moment sterben zu müssen.
Der Dritte Offizier war bei dem Pfeil, packte ihn mit beiden Händen und riß ihn aus dem Holz. Er schleuderte ihn außenbords und verbrannte sich dabei die Finger. Er stieß einen Fluch aus, dann tauchte er die Hände in einen der Kübel mit Seewasser, die zum Anfeuchten der Wischer bei den Kanonen bereitstand den.
Don Antonio sah einen Mann, der von einem heranfliegenden Pfeil durchbohrt wurde, dann verfolgte er, wie auf dem Hauptdeck ein Pulverpfeil auseinanderflog. Die rußgeschwärzten Gesichter der Umstehenden färbten sich rot. Gräßlich sahen sie aus, und noch schlimmer waren die Laute, mit denen die Schwerverletzten zusammensanken.
Don Antonio keuchte und schrie, und mit einer Hand griff er nach dem Herzen. War dies das Ende? Ja – so war es, wenn man starb. Er war verloren, verraten und verkauft, für ihn gab es keine Rettung mehr. Auch ein Sprung ins Wasser nutzte ihm nichts, denn er konnte nur zur Insel schwimmen, und dort würden sie ihn greifen und köpfen oder pfählen oder bei lebendigem Leibe in Stücke reißen. So grausam waren diese Piraten, so sprangen sie mit den Gegnern um, die ihnen in die Hände fielen.
Es gab nur die eine Möglichkeit – er mußte an Bord der „San José“ bleiben und auf das Ende warten. Aber wenigstens wollte er sich in seine Kammer zurückziehen, um nicht mehr das Entsetzliche miterleben zu müssen, das hier, an Oberdeck, seinen Lauf nahm.
Er wollte sich aufrappeln, fiel aber hin und wälzte sich auf den Planken. Ein Schuß donnerte, die Kugel heulte heran, und er kreischte vor Panik, drehte sich auf den Bauch und schirmte mit beiden Händen seinen Kopf ab. Die Perücke hatte er längst verloren.
Krachend ging das achtere Schanzkleid der „San José“ in die Brüche. Die Splitter wirbelten durch die Luft, und alle Männer – von Don Garcia Cubera bis zum Rudergänger – warfen sich sofort in Deckung, um nicht getroffen zu werden.
Den dicken Gouverneur aber erwischte es. Ein Splitter bohrte sich in seinen Allerwertesten, und er kreischte und quietschte wie ein Schwein, das geschlachtet werden soll. Er sprang auf, taumelte, prallte gegen die Nagelbank des Besanmastes, griff mit beiden Händen nach dem Gesäß und brüllte vor Schmerz. Dann führte er eine Art Veitstanz auf, und es war ein Wunder, daß er dabei nicht durch die im Schanzkleid entstandene Bresche außenbords stürzte.
Manch einer wünschte es ihm im stillen – auch der Erste Offizier, der in diesem Augenblick wieder den Kopf hob und zu ihm blickte. Es war kein Haß, der sie dazu trieb, eher die Verachtung, die sie für ihn empfanden. Kein Mensch konnte ihn leiden, weder an Bord der „San José“ noch auf den anderen Schiffen des Verbandes. Aber das hatte er, Don Antonio, sich selbst zuzuschreiben. Fast hatte es den Anschein, als habe er von Anfang an darauf hingearbeitet, sich sämtliche Sympathien zu verderben.
Don Antonio wankte zum Backbordniedergang, der das Achterdeck mit dem Hauptdeck verband, breitete die Arme aus, begann zu fuchteln und schrie mit verzerrtem Gesicht: „Hilfe! Capitán! Ich bin verletzt! Ich blute! Ich sterbe! Einen Arzt – rasch!“
Don Garcia Cubera richtete sich hinter ihm auf. „Señor! Ich bin hier!“
Don Antonio fuhr zu ihm herum. Er ruderte mit den Armen und hatte wieder Mühe, das Gleichgewicht zu halten.
„Ich bin getroffen!“ kreischte er mit hoher, seltsam gequetscht klingender Stimme. „Zu Hilfe! Ich verblute!“
Er verlor auf dem leicht schwankenden Deck die Balance und stürzte den Niedergang hinunter. Seiner Körperfülle hatte er zu verdanken, daß er sich nicht ernstlich verletzte oder sich die Knochen brach. Wie eine große Kugel rollte er auf die Kuhl hinunter, dann streckte er die Arme und Beine weit von sich und pumpte wie ein zu Tode erschrockener Mondfisch, den es an Land verschlagen hat, Atemluft.
Kurz darauf fiel es ihm wieder ein: Er war verletzt, schwer verletzt. Die Blessur konnte ihn das Leben kosten, wenn nicht sofort etwas geschah. Warum rührte sich niemand? Warum rannten die Kerle nicht, um sein edles Leben zu retten?
„Au!“ brüllte er. „Capitán, um Himmels willen!“ Erst jetzt schien er richtig zu registrieren, daß er diesmal auf dem Rücken lag. Der feine Splitter, so schien es, hatte sich bei dem Aufprall auf die Planken der Kuhl noch ein wenig tiefer ins Fleisch gebohrt. Don Antonio japste und keuchte, verschluckte sich, hustete und schien irgend etwas, vielleicht grünes Gift, auszuspucken.
„Er spuckt sich die Galle aus dem Leib“, sagte der Zweite Offizier.
„Nur zu“, sagte der Dritte. „Recht so. Weiter so. Er hat es verdient. Seht ihn euch an. Ist er nicht ein Jammerlappen?“
Sie alle gönnten dem Dicken von Herzen, was ihm widerfahren war. Und keiner rührte sich, keiner zeigte Einsatz.
„Stehenbleiben“, sagte der Profos mit dunkler Stimme. „Wir haben keinen Befehl vom Comandante. Ohne Befehl läuft nichts.“
„Ein Ding steckt in seinem Achtersteven“, sagte der Schiffszimmermann. „Aber es wäre besser gewesen, wenn er eine Kugel abgekriegt hätte, und zwar mitten hinein in den fetten Hintern. Ja, das hätte mir weitaus besser gefallen.“
„Daß es ihm den Arsch aufreißt?“ fragte der Profos unverblümt. „Stimmt. Er hätte es verdient.“
„Señor!“ rief Don Garcia Cubera noch einmal, nachdem er bereits den Befehl zum Anluven und zum Rückzug gegeben hatte. „Was ist los? Was ist geschehen?“
„Ich sterbe!“
„Es hat nicht den Anschein, Señor!“
„Sie wollen mich verrecken sehen!“ kreischte der Dicke. „Darauf haben Sie’s angelegt? Ja, das könnte Ihnen so passen!“
„Reden Sie keinen Unsinn“, sagte Cubera scharf, indem er sich der Schmuckbalustrade am vorderen Querabschluß des Achterdecks näherte. „Versuchen Sie doch, sachlich zu bleiben.“
„Sachlich? In dieser Hölle?“
„Es ist ein Gefecht“, sagte Cubera so ruhig wie möglich. „Wir haben gewußt, daß wir keine Spazier- oder Lustfahrt unternehmen.“
„Sie mit Ihren Reden!“ stieß Don Antonio keuchend hervor und versuchte, sich erneut aufzurappeln. Diesmal wollte es einfach nicht gelingen. Mit einem Schrei plumpste er auf die Planken zurück – wieder auf die „schwere Blessur“. Er stöhnte und wimmerte und wand sich vor Schmerz und Qual.
Einige der Seeleute und Seesoldaten wandten sich angewidert ab. Andere lachten trotz der bedrohlichen Situation, in der sie sich befanden. Auch die „San José“ hatte einige Treffer zu verzeichnen, von denen zwei bedenklich stimmten, weil sie unmittelbar über der Wasserlinie lagen.
Hinzu kam das Unheil, das die Pfeile angerichtet hatten: Zwei Tote mußten geborgen und beigesetzt, sechs Verletzte so schnell wie möglich verarztet werden. Außerdem galt es, die Feuer zu löschen, die nach wie vorauf den Decks und in der Takelage flackerten. Die Männer waren mit Pützen und Kübeln unterwegs und gossen Seewasser auf die Brände.
„Helfen Sie mir!“ stieß Don Antonio flehend und händeringend hervor.
Cubera betrachtete ihn ohne die geringste Spur von Mitleid. „Señor, für Blessuren bin nicht ich zuständig. Darum kümmert sich der Schiffsarzt.“
„Wo ist er?“
„Er ist jetzt schwer beschäftigt.“
„Was?“ Don Antonio stieß pfeifend die Luft aus. Er war hochrot im Gesicht angelaufen, und ein jäher Schlaganfall schien jeden Moment seinem Dasein ein Ende bereiten zu wollen – was dann aber doch nicht der Fall war. „Der Kerl hat gefälligst mich, den Gouverneur, als ersten zu versorgen!“
Cubera tat drei Schritte nach links und stand am Niedergang.
„Welchen Kerl meinen Sie?“ fragte er kalt.
Das Donnern der Kanonen hatte aufgehört, es flogen auch keine Brand- und Pulverpfeile mehr. Zu hören waren nur noch das Stöhnen der Verwundeten, das Knarren der Rahen und Blöcke und das Plätschern des Seewassers an den Bordwänden. In aller Deutlichkeit waren Cuberas Worte nun zu vernehmen, und die eisige Kälte, mit der er sprach, traf Don Antonio wie eine Reihe von Peitschenhieben.
„Sie wissen, daß ich von dem Arzt spreche“, sagte er etwas leiser. „Wo, zum Teufel, steckt er?“
„Wahrscheinlich im Schiffslazarett, das Gott sei Dank unbeschädigt geblieben ist. Und danken wir auch dem Herrn, daß unser Arzt am Leben ist“, entgegnete Cubera.
„Señor“, sagte der Dicke. „Ich wiederhole es: Ich bin verwundet und habe Anspruch auf Behandlung.“
„Wo hat es Sie getroffen?“
„An einer – empfindlichen Körperstelle.“
„Am Kopf?“
„Sie wissen genau, wo!“ stieß Don Antonio hervor.
„Nein, Señor! Wenn Sie sich nicht dazu bequemen, es mir zu erklären, kann ich dem Arzt auch nicht die Order erteilen, Sie zu versorgen! In dem Fall müssen Sie so in Ihre Kammer zurückkehren!“
„Nein“, stöhnte Don Antonio. „Nur das nicht. Ich brauche – Hilfe.“
„Dann beantworten Sie meine Frage!“ rief Cubera.
Langsam richtete sich der Dicke an der Nagelbank des Hauptmastes auf, dann drehte er sich um und deutete mit dem Finger der rechten Hand wehleidig und mitleidheischend auf sein Hinterteil.
„Ich sehe nichts!“ rief Cubera. „Es kann sich höchstens um eine Lappalie handeln!“
„Nein! Ich leide große Schmerzen!“
„An welcher Seite?“
„Links!“ schrie Don Antonio.
„Linke Backe!“ brüllte der Profos. „Backbord! Wißt ihr jetzt, warum man Backbord sagt, ihr Himmelhunde?“
„Ja!“ schrien die Männer, und für einen Moment war es, als sei nichts geschehen und als gelte es nicht mehr, einen zähen, bis zum äußerten kämpfenden Gegner zu bezwingen.
„Wollen Sie sagen, daß Sie einen Splitter empfangen haben, Señor?“ fragte Cubera laut – beinahe so laut, daß es auch an Bord der Schaluppen zu verstehen war, auf die sie jetzt zuhielten.
„Ja!“ stieß Don Antonio mit spitzer Stimme hervor. „Und hören Sie auf, mich vor Ihren Leuten zu erniedrigen!“
„Ich erniedrige Sie nicht, ich stelle nur den Sachverhalt fest“, sagte Don Garcia Cubera, „das ist alles. Profos!“
„Señor?“
„Don Antonio de Quintanilla verlangt, von unserem Arzt behandelt zu werden. Wie ist zur Zeit die Lage?“
„Es sind noch vier andere vor dem Di… dem Señor Gouverneur an der Reihe!“ rief der Profos. „Er kann sich auf die Warteliste setzen lassen, wenn er will!“
„Das ist eine Unverschämtheit!“ schrie Don Antonio.
Cubera beugte sich etwas vor. „Eine was? Habe ich Sie richtig verstanden?“
„Will sagen – daß ich natürlich so lange warte, bis ich an der Reihe bin“, murmelte der Dicke mit kläglicher Miene. Sein innerer Widerstand war zusammengebrochen, er war nur noch ein Häufchen Elend – und der Splitter steckte nach wie vor Vierkant in seinem Allerwertesten.
Was tun? Es hatte keinen Zweck, aufzubegehren und herumzuschreien, dadurch wurde alles nur noch schlimmer. Ein Mann wie Cubera war auch durchaus imstande, ihn einfach wieder unter Kammerarrest zu stellen.
Deshalb stand Don Antonio de Quintanilla da, klammerte sich fest und wartete darauf, endlich in das Schiffslazarett geführt zu werden, das im Vordeck der Galeone eingerichtet war.
Der Schiffsarzt der „San José“ war nicht der derbe und grobschlächtige Zeitgenosse, als den man sich den Wundarzt und Feldscher einer Kriegsgaleone im allgemeinen vorstellte. Er war ein schlanker Mann mit feinsinnigen Zügen und einer gehörigen Portion Humor – die er auch brauchte, um in seinem Metier bestehen zu können.
Er hieß Almenara und stammte aus Fornovalasco. Kein Mensch außer ihm hatte jemals von diesem Ort gehört, der nicht in Spanien, sondern in Italien lag und wohl nicht einmal mehr als hundert Seelen zählte. Früh, im Alter von drei Jahren, hatte es Almenara nach Spanien verschlagen, wo sein Vater als Arzneimittelhändler reichlich Arbeit und ein bescheidenes, aber hübsches Heim im tiefsten Andalusien gefunden hatte.
Almenara war als die Verschmitztheit des reinblütigen Italieners zu eigen, wenn er sonst auch wie ein typischer Spanier empfand. Diese Charaktereigenschaft hatte er sich bewahrt, und sie half ihm über viele Situationen hinweg, in der manch anderer an seiner Stelle zumindest die Nerven verloren hätte.
Zum Beispiel der Seemann, den er gerade auf dem Behandlungstisch des Lazarettraumes unter sich hatte: Diesen armen Teufel hatte es mitten ins Gesicht getroffen, als ein Pulverpfeil auf dem Hauptdeck explodiert war. Er hatte das linke Auge eingebüßt, es war nicht mehr zu retten. Sein Mund war verunstaltet, seine Wangen bluteten, seine Stirn war durch eine ebenfalls heftig blutende Platzwunde böse gezeichnet. Am schlimmsten aber waren die Laute des Mannes. Er stöhnte und schrie zum Gotterbarmen, und die beiden Sanitätsgasten, die Almenara zur Hand gingen, wußten nicht, wie sie ihn zum Schweigen bringen sollten.
„Warum wirst du nicht ohnmächtig?“ fragte ihn der eine. „Hölle, es wäre besser für dich, Kamerad. Wenn du nachher wieder zu dir kommst, ist alles vorbei.“
„Mein Auge!“ schrie der Mann. „Ich seh’ nichts mehr!“
„Holt mal die eiserne Reserve aus dem Schapp“, sagte Almenara. „Her damit. Beeilt euch!“
Ein Sanitätsgast eilte zum Schapp, riß die Tür auf und holte die bauchige Flasche, die gemeint war. Almenara ließ sie sich aushändigen.
Er entkorkte sie, setzte sie dem Patienten an die Lippen, nickte ihm aufmunternd zu und brummte: „Trink. Das ist ein feiner Tropfen, den du richtig kosten solltest.“
Der Seemann saugte an der Flasche wie ein Kind. Das scharfe Getränk brannte in seiner Kehle, in seinem Hals und tief in seinem Inneren, und es schien ihm die Sinne rauben zu wollen. Gleichzeitig ließen aber auch die gräßlichen Schmerzen etwas nach.
„Das ist echter Grappa“, sagte Almenara. „Aus meiner Heimat Italien. Das Zeug wird aus dem Trester, den Rückständen bei der Weinherstellung, gewonnen.“ Sorgfältig tupfte er das gesunde Auge des Mannes mit einem sauberen, weißen Tuch ab, das er mit einer seiner geheimnisvollen Substanzen getränkt hatte. „So, und jetzt versuche mal, das rechte Auge zu öffnen.“
„Ich trau’ mich nicht.“
„Du bist ein dummer Tropf“, sagte Almenara. „Weil du dich im Moment nur selbst bemitleidest. Das zählt bei mir nicht. Stell dir vor, ich hätte dir ein Bein oder einen Arm abnehmen müssen. Oder den Kopf. Das wäre viel schlimmer gewesen.“
Der Seemann mußte trotz seiner Lage grinsen – und er versuchte es. Das Augenlid öffnete sich, er konnte alles erkennen: Almenara, die Sanitätsgasten und alle Einzelheiten des Raumes, die ihn umgaben.
„Ich bin ja doch nicht ganz blind“, murmelte er erstaunt.
Almenara verabreichte ihm noch rasch einen Schluck Grappa, dann sagte er: „Und du solltest froh sein. Du hättest sterben können.“
„Ja, ich weiß.“
„Bei mir zu Hause sagt man: Ein Auge reicht zum Sehen, zwei sind überflüssig. Ein reiner Luxus. Ist dir das klar?“
„Ja“, erwiderte der Seemann und grinste weiterhin. „Und du bist ein verfluchter Satansbraten, Señor Doktor. Ich danke dir für das, was du für mich tust.“
„Das ist meine verdammte Pflicht“, sagte Almenara, dann säuberte und verband er das Gesicht des Mannes. „Steh mal auf“, sagte er anschließend. „Du kannst nämlich auf deinen beiden Beinen stehen und bestens laufen, wette ich.“
Auch das gelang. Der Seemann verließ allein und aus eigenen Kräften das Lazarett, obwohl er natürlich noch entsetzliche Schmerzen litt. Aber der scharfe Grappa hatte sie tatsächlich etwas gedämpft.
„So“, sagte Almenara. „Das war der letzte, nicht wahr?“
„Nein“, entgegnete einer seiner Helfer – jener, der die Grappaflasche aus dem Schapp geholt hatte. „Da wäre noch einer: Don Antonio.“
„Don was? Nein, tut mir das nicht an.“
„Haben Sie ihn nicht schreien hören?“ fragte der zweite Sanitäter.
„Schon, aber der schreit ja, seit das Gefecht begonnen hat. Er dürfte wohl die Beinkleider gestrichen voll haben.“
„Auch das“, erklärte der erste Helfer. „Aber inzwischen ist er von einem Splitter getroffen worden.“
„Wo?“
„In seinem dicken Hintern.“
„Das geschieht ihm recht.“
„So denken wir auch, Señor“, sagte der zweite Mann. „Aber der Kommandant hat soeben den Befehl gegeben, Don Antonio ins Lazarett zu schaffen, sobald die Decksleute und Soldaten versorgt sind.“
„Dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als dem Kerl zu helfen“, sagte Almenara grimmig. „Aber verdient hat er’s nicht, beim Henker nicht.“
Wenig später schleppten die Sanitätsgasten den Dicken an. Er jammerte und schien sich kaum noch auf den Beinen halten zu können. Almenara stemmte die Fäuste in die Seiten und blickte ihn an, als sie sich gegenüberstanden.
„Nun? Wo zwickt es denn?“ fragte er.
„Das wissen Sie bereits“, versetzte der Gouverneur gepreßt.
„Das weiß ich nicht.“
„Der Kapitän …“
„Ich bin der Schiffsarzt, Señor“, sagte Almenara höflich, aber bestimmt. Ungeniert musterte er ihn von oben bis unten. „Und in dieser Eigenschaft muß ich Ihnen eine solche Frage schon stellen und habe auch Anspruch auf eine präzise Antwort.“
„Hinten“, sagte Don Antonio gequält. „So beeilen Sie sich doch, Mann.“
„Links oder rechts?“
„Links.“
„Er riecht auch unangenehm“, sagte der erste Sanitätsgast.
„Wie ich richtig vermutet habe“, sagte Almenara mit feinem Lächeln. „Also säubert ihr ihn, bevor wir ihn der erforderlichen Operation unterziehen.“
„Operation?“ wiederholte Don Antonio ersetzt. „Aber das … So schlimm kann es doch gar nicht sein.“
„Ihrem Geschrei nach zu urteilen, Señor, könnten durchaus noch andere, wichtige und empfindliche Körperpartien verletzt sein“, sagte Almenara. „Verzeihen Sie, aber Sie können das nicht beurteilen. Überlassen Sie das ruhig mir. Es ist meine Pflicht und Aufgabe, Sie gründlich zu untersuchen.“
„Aber ich flehe Sie an, beeilen Sie sich!“
„Waschen“, befahl Almenara. „Schnell und gründlich. Holt heißes Wasser aus der Kombüse, rasch!“
Während des Beschusses der Insel waren die Kombüsenfeuer gelöscht worden, aber inzwischen hatte der Koch sie auf Befehl des Profos’ hin wieder angeheizt, weil Don Garcia Cubera angeordnet hatte, daß der Mannschaft und den Soldaten eine Extraration Branntwein mit heißem Wasser verabreicht werden sollte.
So ergab es sich, daß auch Don Antonio in den Genuß eines heißen Bades kam – aber so ganz anders, als es beim erstenmal auf der „San José“ der Fall gewesen war.
Schreiend ließ er die Prozedur über sich ergehen, aber er war völlig am Ende und wünschte sich in diesem Augenblick wirklich, so schnell wie möglich zu sterben.