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6.

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„Heiliges Kanonenrohr“, sagte Matt Davies entgeistert. Mit der Hakenprothese kratzte er sich am Hinterkopf. „Wenn an dieser Geschichte nicht was faul ist, fresse ich meine Stiefel ungekocht und ohne Zutaten.“

„Aus dem Genuß wird nichts“, entgegnete Dan O’Flynn, „die Sache stinkt nämlich zum Himmel.“

Unter ihnen, so nahe, daß man fast hinüberspucken konnte, hatte die Schaluppe den Ausgang der Bucht hinter sich gebracht und ging nun auf Westkurs.

„Es gibt keinen Zweifel“, sagte Don Juan. Er stützte sich auf den rechten Ellenbogen und blickte seine beiden Gefährten an. „Der Dicke auf der Achterducht des Beiboots war kein anderer als Don Antonio de Quintanilla.“

„Keine Verwechslung möglich?“ entgegnete Dan.

„Ausgeschlossen. Ich habe den sehr ehrenwerten Gouverneur zur Genüge kennengelernt. Und das in jeder Beziehung.“

„Also gut.“ Dan richtete sich halb auf. „Dann gibt’s nicht mehr viel zu überlegen. Nehmen wir die Verfolgung auf, und sehen wir, was der hochwohlgeborene Fettsack im Schilde führt!“

Die drei Männer machten auf der Gurtschnalle kehrt, krochen ein paar Yards abwärts und richteten sich dann auf, als keine Gefahr mehr bestand. Die Ausguckposten auf Grand Turk mußten ohnehin sehr scharfe Augen haben, wenn sie in der Dunkelheit überhaupt etwas bemerken wollten.

So schnell es der Strauchbewuchs erlaubte, eilten Dan O’Flynn, Don Juan und Matt Davies auf den schmalen Strand zu. Auf der „Empress“ war keine Lampe gesetzt worden. Eine Vorsichtsmaßnahme, die vielleicht überflüssig war, aber der alte O’Flynn gehörte zu denen, die stets auf Nummer Sicher gingen. Überraschungen hatte es für den Bund der Korsaren bereits zur Genüge gegeben. Es bestand bei keinem der Männer ein Verlangen nach neuen Unwägbarkeiten. Jeden einzelnen von ihnen erfüllte der feste Wille, den Auftrag zur Zufriedenheit auszuführen. Das Fortbestehen der Schlangen-Insel und ihrer aller Zukunft hingen davon ab.

Am Strand angelangt, zogen die drei Männer das Beiboot aus dem Gestrüpp. Zwei Minuten später pullten sie mit kraftvollen Schlägen auf die „Empress“ zu.

Old Donegal, Jean Ribault und die anderen erwarteten sie bereits. Auch die Zwillinge harrten erwartungsvoll an Deck aus. Lediglich Plymmie war in einen der Unterdecksräume gesperrt worden, aus Sicherheitsgründen, denn man konnte nie wissen, wann und aus welchem Anlaß sie plötzlich in Gebell auszubrechen gedachte.

„Hievt das Boot an Bord“, befahl der alte O’Flynn, noch bevor die Nußschale längsseits ging. „Schnell, beeilt euch.“

„Kannst du Gedanken lesen?“ rief Dan verwundert.

Old Donegal lachte krächzend.

„Mein Sohn, ich habe nicht das zweite Gesicht, wenn du das meinst. Aber ich kann zwei und zwei zusammenzählen. Und aus der Tatsache, daß ihr alle drei den Beobachtungsstand verlassen habt, läßt sich nur eines folgern: Es gibt einen besonderen Grund, weshalb wir sofort ankerauf gehen sollten. Genau deshalb habe ich auch alle Mann an Deck befohlen.“

„Was ist unser Old Man doch für ein kluges Kerlchen“, sagte Matt Davies halblaut und mit einem glucksenden Lachen.

Dem Alten entging es dennoch nicht.

„Und gute Ohren hat das kluge Kerlchen auch schon“, sagte Old Donegal giftig. „Paß auf, daß ich dir die deinen nicht gleich langziehe, Mister Davies!“

Die drei Beobachter enterten auf, und Matt befleißigte sich, respektvollen Abstand von dem Alten zu bewahren. Wenn Old Donegal einen seiner Wutausbrüche erlitt, geriet man besser nicht in seine Nähe.

Nachdem sie das Beiboot aufgehievt hatten, begaben sich Jean Ribault, Dan O’Flynn und Don Juan gemeinsam mit Old Donegal auf das Achterdeck. Die übrigen Männer waren unterdessen dabei, den Anker zu lichten und die Segel zu setzen.

„Was hältst du von der Sache?“ wandte sich Jean Ribault an den Spanier, nachdem Dan O’Flynn einen knappen Bericht erstattet hatte. „Du kennst unseren hochverehrten Gouverneur schließlich am allerbesten.“

„Das kann man wohl sagen“, erwiderte Don Juan grimmig. „Für mich ist es völlig klar: Don Antonio will sich absetzen. Er sieht seine Felle davonschwimmen, und ihn hält nichts mehr bei dem kläglichen Rest des Kampfverbandes.“

„Und wenn es sich nun um eine Patrouillenfahrt handelt?“ sagte Old Donegal. „Vielleicht wollen sie sogar bei Nacht die Schlangen-Insel erkunden.“

Don Juan lachte.

„Nie und nimmer. Dafür ist Don Antonio de Quintanilla nicht der richtige Mann. Außerdem ist die Schaluppe heimlich verschwunden – zu einem Zeitpunkt, der dafür besonders gut geeignet war. Nur die Deckswachen hielten sich auf den oberen Decks der Kriegsschiffe auf. Im übrigen hatte der Einmaster vorher rechtzeitig zum Ausgang der Bucht verholt. Ich bin sicher, der ehrenwerte Gouverneur hat wieder einmal sein Bestechungsgeschick angewandt, damit alles reibungslos klappt. Außerdem: Wenn Cubera wirklich die Schaluppe zur Erkundung losgeschickt hätte, dann wäre das bei Einbruch der Dunkelheit geschehen und nicht erst um Mitternacht.“

„Alles sehr logisch“, sagte Dan O’Flynn. „Ich bin dafür, daß wir sofort die Verfolgung aufnehmen.“

„Ich auch“, sagte Old Donegal, „aber damit vernachlässigen wir unsere eigentliche Aufgabe. Die lautete, den spanischen Verband zu beobachten.“

„Cubera und seine Leute sitzen noch eine Weile in der Bucht fest“, entgegnete Don Juan. „Mit der schnellen ‚Empress‘ müßten wir den Gouverneur sehr bald schnappen und rechtzeitig wieder hier sein.“

Trotz der Dunkelheit war das stolze Lächeln des alten O’Flynn zu erkennen. Schließlich war er es gewesen, der Hesekiel Ramsgate verklart hatte, wie die „Empress of Sea“ auszusehen hatte. Demzufolge war auch dieses Prachtexemplar einer Kleinstkaravelle entstanden, mit der man allen Teufeln sämtliche Ohren absegeln konnte.

Die Abstimmung der Männer fiel einstimmig aus: Sofortige Verfolgung der Schaluppe, die ohne Zweifel auf Westkurs gegangen war.

Die Männer an Bord der „Empress“ arbeiteten so leise wie möglich, als sie Segel setzten und die Bucht verließen. Erst außerhalb der Sichtweite von Grand Turk gingen sie ebenfalls auf Westkurs. Über Backbordbug segelnd, lief der kleine Dreimaster sehr bald rauschende Fahrt. Eine spanische Schaluppe konnte mit dieser Geschwindigkeit beim besten Willen nicht mithalten.

Der Wind zeigte sich abermals als zuverlässiger Verbündeter, denn er blies handig und stetig aus Nordosten wie an den Tagen zuvor.

Jean Ribault, Dan O’Flynn und die anderen teilten jene Meinung, von der Don Juan felsenfest überzeugt war.

Der Gouverneur würde die kürzeste Route nach Havanna nehmen – südlich an Great Inagua vorbei auf die östliche Nordküste Kubas zu und an ihr entlang weiter westwärts nach Havanna. Auf diese Weise hatte er stets die Möglichkeit, nötigenfalls einen der Häfen anzulaufen, um Proviant und Trinkwasser zu ergänzen.

Don Antonio wandte sich noch einmal um, hielt sich an der Heckverschanzung der Schaluppe fest und spähte nach achteraus.

Er war nicht müßig gewesen, immer wieder darauf hinzuweisen, welche Strapazen er in den letzten Stunden durchgestanden hatte. Trotzdem genoß er es, zumindest vorübergehend die Rolle des Kommandierenden zu spielen. Mit Hinweis auf sein Pflichtbewußtsein hatte er darauf verzichtet, sich in die für ihn hergerichtete Kammer zu begeben, bevor die unmittelbare Gefahr ausgestanden war.

Don Antonio drehte sich wieder um.

„Wenn meine Augen nicht allzu müde sind“, sagte er, „dann meine ich, daß Grand Turk jetzt endgültig außer Sichtweite ist. Ich sehe nur noch schwarze Nacht. Habe ich recht, Señores?“

De Pinzón und Coloma beeilten sich, im Chor zu antworten.

„Voll und ganz, Señor Gouverneur. Keine Gefahr mehr.“

„Keine direkte Gefahr mehr“, verbesserte Don Antonio und unterdrückte ein Gähnen. „Wichtig ist für uns, daß wir unbeobachtet verschwunden sind. Jetzt aber kommt es auf unsere weitere Taktik an. Früher oder später werden die Kerle in der Bucht feststellen, daß die Schaluppe verschwunden ist. Und was werden sie dann tun? Nun, was glauben Sie, Señores?“

Coloma hielt sich aus dem Gespräch heraus, da er derartige Erwägungen nicht als sein Ressort betrachtete.

„Sie werden den Verbandsführer alarmieren“, sagte Vicente de Pinzón indessen eilfertig.

Don Antonio nickte zufrieden. Er lehnte sich gegen die Verschanzung und stöhnte leise, um die Schmerzen seiner Verwundung im achteren Bereich zu dokumentieren. Er faltete die Hände über dem mächtigen Bauch.

„Sehr richtig, de Pinzón. Nun folgt aber das Entscheidende: Wie wird Cubera reagieren? Glauben Sie, daß er die Hände in den Schoß legt und den Verlust einfach hinnimmt?“

Der Schaluppenführer schüttelte den Kopf.

„Bestimmt nicht, Señor Gouverneur. Ich nehme an, er bläst sofort zur Verfolgung.“

Wieder nickte Don Antonio mit der gnädigen Miene eines Schulmeisters, der die Fortschritte seines Zöglings beobachtet.

„Genau das. Und welches Schiff würden Sie an Cuberas Stelle für die Verfolgung einsetzen?“

De Pinzón grinste breit.

„Da hat er keine große Auswahl, Señor Gouverneur. In Anbetracht der Umstände kann er sich nur für die Karavelle entscheiden.“

„Auch richtig. Und auf welchen Kurs wird er die Karavelle schicken?“

„Hm …“ De Pinzón überlegte diesmal etwas länger. Schließlich gab er sich einen Ruck. „Mit Verlaub, Señor Gouverneur, er wird annehmen, daß Sie auf direktem Weg nach Havanna zurückkehren wollen. Also wird Capitán Cubera die Karavelle auf Westkurs schicken.“

„Sehr gut!“ rief Don Antonio strahlend. „Nun, da wir das wissen, was tun wir?“

„Wir gehen auf einen anderen Kurs“, sagte de Pinzón sofort.

„Prächtig, prächtig.“ Don Antonio atmete schnaufend durch. „Und was schlagen Sie in Ihrer Eigenschaft als erfahrener Schiffsführer vor?“

Geschmeichelt straffte Vicente de Pinzón seine Haltung.

„Angesichts der herrschenden Winde sollten wir auf Nordwestkurs gehen und Great Inagua nördlich passieren. Damit wird kein Verfolger rechnen – immer vorausgesetzt, daß man vermutet, wir segeln auf direktem Wege nach Havanna.“

Don Antonio stieß sich von der Verschanzung ab, bewegte sich watschelnd auf den Schaluppenführer zu und klopfte ihm auf die Schulter.

„Genauso ist es richtig. Geben Sie die entsprechenden Anweisungen an Ihre Mannschaft, de Pinzón. Ich sehe schon, Sie haben das Zeug zu einem wirklich guten Teniente.“

De Pinzón strahlte über das ganze Gesicht, bedankte sich überschwenglich und wandte sich nach vorn, um seine Befehle zu bellen. Voller Zufriedenheit stellte er fest, daß die Männer spurten wie selten zuvor. Auch sie hatten begriffen, daß es sich auszahlte, wenn man mit dem Gouverneur auf gutem Fuß stand. Wenn sie erst in Havanna eingetroffen waren, das wußten sie, erwartete sie ein feines Leben voller Vergünstigungen.

„Ich möchte mich jetzt zurückziehen“, sagte Don Antonio und gähnte herzhaft. „Gibt es an Bord jemanden, der als Feldscher ausgebildet ist? Ich glaube, meine Verwundung müßte vor der Nachtruhe noch einmal versorgt werden. Nun, Señores, Sie sehen, die Folgen schwerster Kampfhandlungen verschonen auch einen Gouverneur nicht.“

„Ich schicke Ihnen Marino“, sagte de Pinzón. „Er versteht sein Fach und hat hier auf dem Schiff alle Verwundeten stets zur Zufriedenheit behandelt.“

Don Antonio bedankte sich mit einer Handbewegung.

„Darf ich Sie auf dem Weg zu Ihrer Kammer begleiten?“ meldete sich Alonzo Coloma ehrerbietig zu Wort.

„Dagegen ist nichts einzuwenden“, erwiderte der Gouverneur gnädig.

Der Proviantmeister der „San José“ verneigte sich und ließ sich von einem der Decksleute eine Laterne bringen. Dann führte er Don Antonio im Schein des blakenden Lichts durch den engen Gang im Achterschiff.

„Ich weiß, die Räumlichkeiten sind nicht im entferntesten mit dem Komfort einer Galeone zu vergleichen“, sagte Coloma. „Aber ich habe mich dennoch bemüht, Ihnen den Aufenthalt auf der Schaluppe so angenehm wie möglich zu gestalten, Señor Gouverneur.“

„Sie?“ fragte Don Antonio erstaunt.

Coloma öffnete das Schott und wich beiseite, um ihn eintreten zu lassen.

„Nun, es blieb vor unserer – hm – Abreise genügend Zeit, um einiges zu organisieren, Señor Gouverneur.“ Coloma sagte es mit verhaltenem Selbstlob und beobachtete den Dicken voller Erwartungsfreude, als dieser sich schwerfällig in die Kammer schob.

Im nächsten Moment verharrte Don Antonio und sperrte die Augen auf. Der Proviantmeister erschien neben ihm und stellte die Lampe auf den Tisch, der mit einer feinen weißen Decke verziert war. Von feinstem Damast war auch die Bettwäsche in der Koje. Ein handgeknüpfter Teppich bewahrte den Gouverneur davor, daß er mit seinen Füßen die nackten Planken berühren mußte.

Don Antonios Kinnlade sackte herunter, als sein Blick auf den kleinen Hocker neben der Koje fiel. Eine Schale stand darauf, und im Lampenlicht schimmerte ein kleiner Berg kandierter Früchte.

„Donnerwetter!“ entfuhr es Don Antonio. „Wo, in aller Welt, haben Sie die aufgetrieben?“

Coloma lächelte geschmeichelt, senkte den Kopf und verschränkte die Hände vor dem Bauch.

„Ich habe mir erlaubt, in Remedios einen kleinen Vorrat beiseite zu schaffen – als Reserve für besondere Fälle, gewissermaßen. Leider hatte ich bislang keine Gelegenheit, Ihnen diese Reserve auszuhändigen. Aber vielleicht ist der jetzige Anlaß sogar noch der beste.“

Don Antonio watschelte auf die Leckerbissen zu und schob sich gierig eins der roten Kügelchen zwischen die Wulstlippen.

„Ihr Organisationstalent ist bemerkenswert“, sagte er schmatzend. „Ich bin sicher, daß ich Sie im Gouverneurspalast für besondere Aufgaben einsetzen werde, Coloma.“

„Ich weiß die Ehre zu schätzen, Señor Gouverneur“, erwiderte der Proviantmeister mit einer Verneigung.

Dann zog er sich dezent zurück, denn der mit der Funktion des Feldschers betraute Decksmann tauchte auf.

Unter Ächzen und Stöhnen ließ sich Don Antonio von dem drahtigen kleinen Mann namens Marino behandeln. Unerheblich war es dabei für ihn, welche Gedanken der Mann angesichts der mächtigen Kehrseite und der winzigen Splitterverletzung hegte. Schließlich wechselte ein Goldtaler den Besitzer, und Don Antonio erwarb damit das Recht, sich ausgiebig bemitleiden und bedauern zu lassen.

Mit einer kühlenden Salbe und einem neuen Verband versorgt, riskierte es Don Antonio, sich vorsichtig auf die Koje zu setzen – die kandierten Früchte in Reichweite.

Natürlich traf Coloma keine Schuld, daß er ihm die Leckereien nicht vorher hatte aushändigen können. Cubera hatte das verhindert, dieser sture Hund, der sich erdreistet hatte, keinen geringeren als den Gouverneur von Havanna unter Arrest setzen zu lassen.

Das sollte noch ein Nachspiel haben, schwor sich Don Antonio – wenn Cubera nicht von den Piraten auf den Meeresgrund geschickt wurde. Letzteres war allerdings sehr wahrscheinlich, so daß man sich die Mühe eines neuerlichen Mordanschlags zweifellos ersparen konnte.

Seufzend stopfte Don Antonio eine kandierte Frucht nach der anderen in sich hinein. Er fühlte sich ganz als geplagter Mann, dem endlich einmal wieder die verdiente Erleichterung beschert worden war.

Wenige Minuten später näherten sich Schritte, und jemand pochte an das Schott der kleinen Kammer.

Don Antonio grinste. Seine neuen Handlanger hatten es eilig damit, sich im voraus seiner Gunst zu versichern. Ganz nach seinem Geschmack. Zu wissen, daß man immer noch Autorität hatte, war ein wohltuendes Gefühl.

„Herein!“ rief er gutgelaunt.

Vincente de Pinzón schob seinen hageren Kopf durch das nur vorsichtig geöffnete Schott und blinzelte vertrauenheischend.

„Ist es gestattet, Señor Gouverneur? Trotz der späten Stunde?“

„Ich pflege nicht mit den Hühnern ins Bett zu gehen“, sagte Don Antonio kauend. „Wie ist die Lage, Sub-Teniente?“ Er sprach das „Sub“ mit einer besonderen Betonung aus und grinste dabei freundlich.

„Alles zum besten“, erwiderte de Pinzón, trat eilig ein und schloß das Schott hinter sich. „Ich habe zwei Männer als Ausgucks eingeteilt. Bei dem prächtigen Nordost haben wir keine Mühe, den Kurs zu halten. Bislang wurden keine Verfolger gesichtet.“

„Ausgezeichnet“, sagte Don Antonio mit zufriedenem Nicken. „So soll es auch bleiben. Ich verlasse mich darauf, daß Sie uns heil nach Havanna bringen, de Pinzón.“

„Ich werde Sie nicht enttäuschen, Señor Gouverneur“, sagte der Sub-Teniente selbstbewußt. „Auf meiner Schaluppe sind Sie so sicher wie in Abrahams Schoß. Capitán Cuberas Karavelle wird uns nicht mehr aufspüren, und auch wegen der Piraten brauchen wir uns nicht zu sorgen. Ich denke, die Halunken haben genug damit zu tun, ihre Wunden zu lecken.“

„So wird es sein“, erwiderte Don Antonio, nachdem seine Zähne eine weitere kandierte Frucht zermalmt hatten. Der Vorrat in der Schale war bereits auf die Hälfte zusammengeschmolzen.

Vicente de Pinzón trat zögernd einen Schritt näher. Seine geneigte Körperhaltung spiegelte Unterwürfigkeit.

„Wir haben eine Weile Ruhe“, sagte er vorsichtig. „Darf ich die Gelegenheit nutzen, um Ihnen einige Fragen zu stellen, Señor Gouverneur?“

Don Antonio nickte väterlich herablassend.

„Fragen, die mit Ihrer Zukunft zu tun haben, wie? Ein kleines bißchen Vorfreude auf das aufregende Leben im großen Havanna?“

„Nun, ja …“ De Pinzón trat verlegen von einem Bein auf das andere. „Wenn ich ehrlich sein soll, habe ich an zuviel Aufregung eigentlich nicht gedacht – zumindest, was das berufliche Leben betrifft.“

Don Antonio zog die Augenbrauen hoch, was seine Schweinsäuglein ungewöhnlich groß erscheinen ließ.

„Ah, ich verstehe. Nach dem nervenzehrenden Dienst vor der Küste bei Remedios wünschen Sie sich einen etwas ruhigeren Posten, nicht wahr?“

De Pinzón knetete seine Finger, daß es knackte.

„Ja, also, so direkt will ich das nicht einmal sagen, Señor Gouverneur. Natürlich werde ich den Aufgaben, die man mir stellt, vollauf gerecht werden. Ein Mann muß wissen, daß er an seinem Platz das zu tun hat, was von ihm verlangt wird.“

„Schöne Worte, de Pinzón. Ich muß sagen, so etwas gefällt mir.“ Don Antonio fuhr fort, seine Früchte zu kauen.

„Andererseits“, sagte der Sub-Teniente gedehnt, „lege ich nicht unbedingt Wert darauf, auf See eingesetzt zu werden. Ich schätze den Dienst an Land nicht geringer. Wissen Sie, ich gehöre nicht zu denen, die nur dann zufrieden sind, wenn sie Schiffsplanken unter den Stiefelsohlen spüren.“

Don Antonio hob die Arme und klatschte die Handflächen gegeneinander.

„Warum reden Sie so lange um den heißen Brei herum? Sie kriegen Ihre Beförderung zum Teniente, und ich gebe Ihnen einen Posten an Land. Nichts einfacher als das. Loyale Leute brauche ich immer – beispielsweise in der Stadtgarde. Oder sogar in der Palastwache. Wir können uns darüber noch im einzelnen unterhalten, wenn wir erst einmal in Havanna sind.“

De Pinzón verneigte sich tief.

„Ich weiß Ihr Entgegenkommen sehr zu schätzen, Señor Gouverneur. Glauben Sie mir, ich werde Ihnen dafür immer dankbar …“

Don Antonio wischte energisch mit der Hand durch die Luft.

„Papperlapapp. Bedanken Sie sich nicht im voraus und nicht mit Worten. Taten, die ich später sehe, sind mir wichtiger. Wie gesagt, Loyalität von Untergebenen ist eine Eigenschaft, die ich sehr zu schätzen weiß.“

De Pinzón verneigte sich abermals.

„Ich verstehe, Señor Gouverneur.“ Er richtete sich auf, und ein listiges Funkeln entstand in seinen eng zusammenstehenden Augen. „Ich freue mich auf unsere künftige Zusammenarbeit.“

„Ich auch“, sagte Don Antonio gelassen.

Seine Aufmerksamkeit war bereits wieder voll auf die kandierten Früchte gerichtet, als der Schaluppenführer die Kammer verließ.

Seewölfe Paket 21

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