Читать книгу Seewölfe Paket 21 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 37

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Erst nach Einbruch der Dämmerung steuerten Old O’Flynn und seine Gefährten von Osten her jene kleine Insel an, die Grand Turk auf der Atlantikseite vorgelagert war.

Für die Ausguckposten, die die Männer auf Grand Turk vermuteten, war die „Empress“ auf diese Weise keinesfalls zu sehen. Auf Anhieb erspähte Dan O’Flynn eine geschützte Bucht, die sich gleichfalls nach Osten öffnete – wie es auch drüben, beim Ankerplatz der Spanier, der Fall war.

Als Kapitän der „Empress“ hatte Old Donegal die Befugnis, die ersten Beobachter einzuteilen. Gleich nachdem die Karavelle in der Bucht vor Anker gegangen war, schickte er Dan, Don Juan und Matt Davies mit dem Beiboot los.

Die Vegetation auf der kleinen Insel war recht üppig. Dichter hüfthoher Strauchbestand reichte bis unmittelbar an den schmalen Strand und erstreckte sich auch bis hinauf zu einer flach ansteigenden Anhöhe.

Die drei Männer zogen das Boot an Land und verbargen es zwischen dem Gebüsch – eine Sicherheitsmaßnahme für alle Fälle. Man konnte nie wissen, ob Old Donegal nicht durch einen unvorhersehbaren Umstand gezwungen sein würde, das Weite zu suchen. In einem solchen Fall war es gut, wenn etwaige Beobachter von See her in der Bucht kein Zeichen entdeckten, das auf die Anwesenheit von Menschen hindeutete.

Zügig erklommen die Männer die Anhöhe. Rechtzeitig bevor sie den höchsten Punkt erreichten, duckten sie sich. Schließlich legten sie die letzten Yards kriechend zurück.

Dann, als sie vorsichtig die Zweige teilten, wechselten sie zufriedene Blicke. Die Anhöhe war zur Beobachtung der gegenüberliegenden Bucht geradezu ideal. Da das Strauchwerk eine hervorragende Deckung bot, konnten die Ausguckposten drüben auf Grand Turk unmöglich Verdacht schöpfen. Überdies war die Dunkelheit mittlerweile hereingebrochen. Die Männer vom Bund der Korsaren konnten sich völlig sicher fühlen.

Sie zogen ihre Spektive aus und widmeten sich den Einzelheiten, die sie so deutlich wie auf einem Präsentierteller erspähten.

Die Bucht der Spanier erstrahlte regelrecht im Lichterglanz. Capitán Cubera hatte alle verfügbaren Lampen setzen lassen, damit die Arbeiten an Bord der Schiffe offenbar möglichst lange andauern konnten. Wie es schien, hatte er sogar vor, die Schiffszimmerleute und ihre Helfer die ganze Nacht hindurch arbeiten zu lassen.

Gegen zehn Uhr änderte sich die Szenerie jedoch. Einige der Lampen hatten zu blaken begonnen und waren schließlich ganz erloschen. An Bord des Flaggschiffs „San José“ hatte ein Palaver zwischen Offizieren und Decksleuten eingesetzt. Die Entscheidung wurde schließlich von einem Mann getroffen, bei dem es sich dem Auftreten und dem Erscheinungsbild nach nur um Cubera handeln konnte.

Die Reparaturarbeiten wurden eingestellt.

„Die haben nicht genug Öl für die Lampen“, sagte Matt Davies halblaut. Das Blitzen seiner Zähne in der Dunkelheit zeigte an, daß er grinste.

Es zeigte sich, daß er recht hatte. Bis auf die Heck- und die Kuhllaternen wurden auf den großen Schiffen der Spanier alle Lampen gelöscht. Auf der Schaluppe brannte ohnehin nur ein einsame Funzel.

Dann, gegen Mitternacht, wurden die Männer von der „Empress“ Zeugen eines Geschehens, das ihnen zunächst in höchstem Maße rätselhaft erschien.

Folgsam hatte sich Don Antonio de Quintanilla gleich nach Abbruch der Reparaturarbeiten in seine Kammer begeben. Ächzend hatte er sich auf die Koje fallen lassen und alle viere von sich gestreckt.

Noch immer lag er regungslos und betrachtete seinen Bauch, der sich bei jedem Atemzug hob und senkte. Don Antonio fühlte sich so erschöpft wie selten zuvor. Wirklich harte Arbeit hatte er geleistet, und er war überzeugt, daß das auch anerkannt wurde. Den ganzen Tag über war er auf den Beinen gewesen, um die Listen zusammenzustellen, die Cubera brauchte.

Ein Grinsen huschte über die Wulstlippen de Quintanillas.

Cubera, dieser Einfaltspinsel, hatte sich tatsächlich beeindrucken lassen. Das folgerte nicht zuletzt aus der Tatsache, daß er den Posten vor der Kammer abgezogen hatte. Seit er sich hierher zurückgezogen hatte, lauschte Don Antonio immer wieder angespannt.

Aber da waren keine Schritte zu hören, die sich dem Schott seiner Achterdeckskammer näherten. Nun gut, es entband ihn von der lästigen Notwendigkeit, einen Aufpasser mit unauffälligen Mitteln aus dem Weg zu räumen.

Don Antonio verspürte einen unbändigen Appetit auf kandierte Früchte. Aber er mußte sich zwingen, seine Gedanken auf die wichtigeren Dinge zu konzentrieren. Sein Vorrat an Süßigkeiten war längst aufgebraucht. Zwar litt er keinen Hunger, denn die Verpflegung war hervorragend gewesen. Doch der Verzicht auf die Naschgewohnheiten gab ihm trotzdem das Gefühl, ein schmerzendes Loch im Bauch zu haben.

Mit aller Willenskraft konzentrierte er sich auf die Fäden, die er während der vergangenen Stunden gesponnen hatte. Er wußte, wie wichtig es war, noch einmal alles zu überdenken. Denn einen Fehler konnte er sich nicht leisten.

Der geringste Fehler bedeutete den sicheren Tod.

Nach dem Mordversuch würde Cubera nicht mehr mit sich spaßen lassen. Dann würde ihn auch der Gouverneursrang nicht mehr davon abbringen, ein Standgericht abzuhalten. Daher mußte alles reibungslos und ohne Zwischenfall ablaufen.

Die wichtigste Voraussetzung hatte Don Antonio durch seinen Arbeitseinsatz geschaffen. Cubera glaubte an seinen ehrlichen Einsatzwillen. Gut so.

In seiner Eigenschaft als „Listenführer“ hatte Don Antonio bereits in den Nachmittagsstunden seine Netze ausgeworfen – unauffällig, vorsichtig und doch wirkungsvoll. Für ihn gab es nur ein einziges Ziel:

Flucht!

Der einstmals stolze Kampfverband war dem Untergang geweiht. Daran gab es für den Gouverneur nicht den leisesten Zweifel. Der klägliche Rest an Schiffen hatte praktisch keine Chance gegen die Piraten. Nein, Don Antonio de Quintanilla wollte nicht sterben. Unvorstellbar der Gedanke, noch einmal an einem Kampfgeschehen teilnehmen zu müssen. Jegliches eigene Risiko für Leib und Leben mußte vermieden werden.

Tapferkeit vermochte Don Antonio nur dann vorzutäuschen, wenn er sich in den hintersten Linien einer Streitmacht wußte, die dem Feind mit absoluter. Sicherheit überlegen war.

Auch die Reichtümer der Piraten hatten jeglichen Reiz für ihn verloren. Jetzt ging es nur noch um das nackte Leben, und da mußte man alle anderen Überlegungen ausklammern. Das Totenhemd hatte eben keine Taschen.

Die geeignete Person für die Verwirklichung seines Vorhabens hatte Don Antonio mit untrüglichem Instinkt gefunden.

Der Schaluppenführer, ein Sub-Teniente namens Vicente de Pinzón, war haargenau der richtige Mann für das Unternehmen. Natürlich hatte Don Antonio es nicht als Fahnenflucht bezeichnet, was es im Grunde war. Seine vornehme Ausdrucksweise erlaubte den Gebrauch solcher Worte nicht. Und de Pinzón hatte denn auch offenbar genügend Bildung, um die Dinge nicht auf vulgäre Weise offen auszusprechen.

Don Antonio war beim Zusammenstellen der Listen aufgefallen, daß der Schaluppenführer beim Landungsangriff auf die Schlangen-Insel offenbar jene vornehme Zurückhaltung geübt hatte, die unter Umständen solcher Art nun einmal geboten war, wenn man ein Minimum an Wertschätzung für die eigene Person hatte. De Pinzón hatte sich beim Angriff jedenfalls nicht in den Vordergrund gedrängt und auf diese Weise die Schaluppe vor der Versenkung bewahrt. Sein Leben war ihm also erhalten geblieben.

Vicente de Pinzón war ein hagerer Mann mit verkniffenem Gesicht und eng zusammenstehenden Augen, die stechend und unruhig wirkten. Don Antonio ließ sich zum Teil auch von solchen äußeren Eindrücken leiten. Ein Mann von dieser Sorte war in der Lage, jeweils schnell und folgerichtig die für den eigenen Vorteil wichtigen Entscheidungen zu treffen.

Auch de Pinzón hatte den Ist-Bestand seines Proviants und seiner Munition melden müssen. Dabei war Don Antonio aufgefallen, daß der Schaluppenführer merkwürdig wenig Schwarzpulver und Kugeln verbraucht hatte. Ein unmißverständliches Zeichen also, daß sich dieser Mann gewiß nicht ins dickste Kampfgetümmel gestürzt hatte.

Es war Don Antonio gelungen, de Pinzón unbemerkt beiseite zu nehmen und ein paar vertrauensvolle Worte mit ihm zu wechseln. Auf Anhieb hatte sich gezeigt, daß der Instinkt richtig gewesen war. Vicente de Pinzón war sofort Feuer und Flamme gewesen.

Die Andeutung des Gouverneurs, man müsse sich von diesem Wahnsinnsunternehmen absetzen, bevor es zu spät sei, hatte ihn wahrhaftig begeistert. Dann war die Begeisterung des Schaluppenführers kaum noch zu zügeln gewesen, als er ein Säckchen mit Goldtalern aus den Wurstfingern des Gouverneurs empfangen hatte.

De Pinzón, soviel stand fest, war ab sofort ein durch und durch zuverlässiger Gefolgsmann.

Letzteres hatte sich auch dadurch gefestigt, daß Don Antonio es an weiteren goldenen Versprechungen nicht hatte mangeln lassen. Großherzig hatte er zugesagt, daß der Sub-Teniente nach Havanna versetzt und dort sofort zum Teniente befördert werden würde – nach geglückter Mission, versteht sich. Weiteren Beförderungen in zügiger Folge solle dann ebenfalls nichts mehr im Wege stehen.

Solche Glockenklänge hörte Vicente de Pinzón überaus gern.

Denn bisher hatte er mit seiner Schaluppe eintönigen Küstenwachdienst vor Remedios versehen – eine Aufgabe, bei der auch die Aufstiegsmöglichkeiten gleich Null waren.

Was die Zuverlässigkeit der Schaluppen-Crew betraf, hatte de Pinzón Don Antonio sofort zu beruhigen verstanden. Seine Männer waren samt und sonders aus ähnlichem Holz geschnitzt wie er. Wenn es schon sein mußte, ließ sich das Kämpfen nicht immer vermeiden, aber sterben – nein, sterben mußte man deshalb wirklich nicht gleich.

„Wie der Herr, so’s Gescherr“, hatte Don Antonio grinsend bemerkt. Und Vicente de Pinzón hatte zurückgegrinst. Ja, seine Männer hätten die Schnauze gestrichen voll nach allem, was sie mit diesem verteufelt harten Gegner bislang erlebt hatten.

Gegen Mitternacht rappelte sich Don Antonio aus seiner Koje hoch. Es war an der Zeit, aktiv zu werden – wie vereinbart. An Bord war es mittlerweile endgültig still geworden. Wenn alle Vorbereitungen reibungslos abgelaufen waren, dann konnte beim besten Willen nichts mehr schiefgehen.

Zu diesen Vorbereitungen gehörte eine weitere Person, die Don Antonio auf seine Seite gezogen hatte:

Alonzo Coloma, seines Zeichens Proviantmeister des Flaggschiffs „San José“. Ein vollgefressener, bestechlicher Bursche, dem der eigene Wanst mehr wert war als alles andere.

Dies hatte Don Antonio unumwunden festgestellt, ohne dabei einen Vergleich mit seiner eigenen Person zu ziehen. Was ein Mann niederen Standes an Fressalien in sich hineinstopfte, war eben nicht gleichzusetzen mit den erlesenen lukullischen Genüssen, denen ein Gouverneur zu frönen vermochte. Folglich konnte man auch das Ergebnis an Leibesfülle bei zwei so völlig unterschiedlichen Menschen nicht auf eine Ebene stellen.

Coloma hatte indessen Vorzüge, die für Don Antonio von unschätzbarem Wert waren. Zum einen handelte es sich dabei um den hellwachen Verstand des Proviantmeisters. Ein Verstand, der stets dann blitzschnell und präzise funktionierte, wenn aus einer Sache Vorteile in klingender Münze herauszuschlagen waren.

Zum anderen hatte Coloma dank dieses Verstandes aber auch begriffen, daß es an der Zeit war, auf seine Pfründe zu verzichten. Lebensmittel und Wein, an Bord unterschlagen und an Land verschachert, waren nichts im Vergleich zu dem kostbaren eigenen Leben, das man womöglich auf dem Altar des Vaterlandes opfern sollte.

Don Antonio öffnete das Schott seiner Kammer, ohne dabei auch nur das leiseste Geräusch hervorzurufen. Langsam, um keine unbedachte Bewegung zu verursachen, beugte er sich vor und horchte angespannt.

Kein Laut war im Achterschiff zu hören.

Don Antonio grinste. Capitán Cubera und seine Offiziere waren eben pflichtbewußte Männer. Sie gehörten zur Sorte der Frühaufsteher, und da geziemte es sich, rechtzeitig in die Koje zu kriechen. Sollten sie. Auf diese Weise richteten sie wenigstens zu später Stunde keinen Schaden an.

Vorsichtig schob Don Antonio seine Leibesfülle aus der Kammer in den finsteren Gang. Matte Helligkeit fiel lediglich von links herein. Aufatmend stellte er fest, daß das Schott zur Kuhl offenstand. Die Helligkeit rührte von der Laterne her. Letztere war allerdings noch nicht zu sehen.

Mit größter Sorgfalt setzte Don Antonio einen Fuß vor den anderen. Schlafende sollte man nicht stören. Ein Leitsatz, der besonders in dieser Situation galt. Aus einem völlig unangebrachten Drang heraus reizte ihn dieser Gedanke, zu kichern. Er konnte es sich gerade noch verkneifen.

Nach einigen Schritten verharrte er und lauschte abermals.

Von Deck waren jetzt gedämpfte Stimmen zu hören.

Don Antonio atmete auf und setzte seinen lautlosen Weg fort. Es konnte sich nur um Coloma handeln, der zur vereinbarten Zeit zur Stelle war und ordnungsgemäß die Vorbereitungen getroffen hatte.

Der Proviantmeister hatte nach heimlicher Absprache mit dem Gouverneur vom Bootsmann der „San José“ ein Beiboot requiriert. Als Grund hatte er angeführt, man müsse die Proviantmeister der beiden anderen Schiffe aufsuchen. Es gelte, mit ihnen das Problem der Verproviantierung zu lösen. Denn wahrscheinlich sei man gezwungen, die Rationen zu kürzen. Das Gespräch der Proviantmeister sei aber nicht vor Mitternacht möglich, da erst dann eine endgültige Auswertung der Bestandslisten abgeschlossen sein könne.

Natürlich war dies ein lebenswichtiger Grund, dem Proviantmeister der „San José“ das Beiboot auch wirklich zur Verfügung zu stellen. Coloma war überdies so freundlich gewesen, auf Rudergasten zu verzichten und wollte selbst zu den anderen Schiffen pullen, sobald er mit der Zusammenstellung seiner Listen fertig war.

Don Antonio näherte sich dem offenen Schott zur Kuhl, und im nächsten Moment vollführte sein Herz einen Freudenhüpfer.

Am Steuerbordschanzkleid stand Alonzo Coloma vor den beiden Wachsoldaten und redete auf sie ein. Folglich war der Plan geglückt. Der Bootsmann hatte keinen Argwohn gehegt und das Beiboot tatsächlich zur Verfügung gestellt.

Don Antonio beschleunigte seine Schritte und gab sich nun weniger Mühe mit einer leisen Fortbewegungsart.

Bereits nach wenigen Sekunden wurden die Wachen auf das Geräusch seines Watschelgangs aufmerksam und wandten sich um.

Don Antonio beachtete sie nicht. Er ging schnurstracks zum Schanzkleid und spähte abwärts. Dort unten über dem Wasser war es fast völlig dunkel. Doch mit ein bißchen Anstrengung konnte er die Umrisse des Beiboots erkennen, das längsseits an der Jakobsleiter lag.

Der Gouverneur stieß sich vom Schanzkleid ab und watschelte auf den Proviantmeister zu. Die Wachsoldaten, die ihm mißtrauisch entgegenblickten, beachtete er nicht.

„Was hat das zu bedeuten?“ fragte der Ranghöhere der beiden Soldaten, ein Sargento. „Haben Sie Erlaubnis, sich unbewacht an Deck zu bewegen, Señor Gouverneur?“

Don Antonio musterte ihn mit der Miene einer verblüfften Katze, die mit einer furchtlosen Maus konfrontiert wird. Dann wandte er sich an den Proviantmeister.

„Erklären Sie es ihm, Coloma. Ich habe weder Zeit noch Lust, mich mit unnötigem Geschwätz aufzuhalten.“

Coloma deutete eine Verbeugung an.

„Selbstverständlich, Señor Gouverneur“, sagte er unterwürfig. Dann, als er sich wieder der Wache zuwandte, wurde sein Ton schroff und herrisch. „Der Capitán hat mir alle Vollmachten erteilt, das wißt ihr, verdammt noch mal. Das Proviantproblem muß vordringlich gelöst werden, alles andere ist vergleichweise unwichtig. Klar?“

„Allerdings“, erwiderte der Sargento gepreßt.

„Na also. Und ich brauche den Señor Gouverneur bei der Besprechung mit den anderen Proviantmeistern. Don Antonio hat ein hohes Amt inne, wie ihr wohl wißt. Deshalb verfügt er über einen reichen Erfahrungsschatz. Außerdem habe ich sein organisatorisches Talent kennengelernt. Mit seiner Hilfe wird es uns also gelingen, auch die schwierigsten Proviantprobleme zu meistern. Wollt ihr den Señor Gouverneur und mich bei dieser Aufgabe etwa behindern?“

Er hatte die Worte beinahe drohend ausgestoßen, und die Mienen der beiden Wachsoldaten spiegelten echtes Erschrecken. Zweifellos malten sie sich in ihren Gedanken aus, welche schlimmen Konsequenzen es geben konnte, wenn sie die so überaus wichtige Besprechung der Proviantmeister und des Gouverneurs vereitelten.

„Selbstverständlich dürfen, Sie passieren, Señores“, sagte der Sargento schnell.

Don Antonio und der Proviantmeister nickten gnädig und bewegten sich auf die Pforte im Schanzkleid zu.

Coloma enterte als erster ab. Zwar hatte er wegen seines Körperumfangs beträchtliche Schwierigkeiten, das Beiboot sicher zu erreichen, doch war er häufiger als Don Antonio gezwungen, die gewöhnlichen Arten der Fortbewegung zu praktizieren. So gelang es ihm vergleichsweise zügig, auf der mittleren Ducht des Bootes Platz zu nehmen. Für den Gouverneur wurde es indessen ein lebensgefährlich aussehendes Unternehmen, auf der schwankenden Jakobsleiter abzuentern.

Coloma zog unwillkürlich den Kopf ein, als er aufblickte und den Koloß hoch über sich schweben sah. Der Gedanke, von diesen Zentnerlasten womöglich erschlagen zu werden, war alles andere als erheiternd.

Ausgerechnet in diesem Moment stieß der Dicke auch noch einen quiekenden Laut aus.

Alonzo Coloma erschrak. Er war versucht, in aller Eile die Leine zu lösen und das Boot von der Bordwand abzustoßen. Aber er begriff, daß er dies im Ernstfall sowieso nicht mehr schaffen konnte. Wenn der Gouverneur fiel, dann fiel er – und zwar so schnell, daß jeder Rettungsversuch aussichtslos war.

Wieder dieses Quieken hoch oben auf der Jakobsleiter.

Coloma schloß entnervt die Augen. Seine Hände umkrampften das Dollbord. Ein Planungsfehler, natürlich. Man hätte den Koloß in einem Bootsmannsstuhl abfieren müssen, um alle Schwierigkeiten zu vermeiden. Aber das wiederum hätte zuviel Aufsehen erregt.

Andererseits war der Señor Gouverneur imstande, mit seinem Gejammer die ganze Schiffsbesatzung zu alarmieren.

Alonzo Coloma wußte keinen Rat mehr. Seine Gedanken drehten sich im Kreis. Er verspürte etwas, was ihm sonst völlig fremd war: Nervosität.

„Coloma, um Himmels willen!“ rief der Gouverneur wimmernd. „So helfen Sie mir doch, Sie Narr! Ich hänge fest! Ich finde die nächste Sprosse nicht! Ich stürze ab!“ Es folgte ein abermaliges Quieken, schriller noch als zuvor.

Colomas Augen hatten sich an das Halbdunkel gewöhnt. Voller Bestürzung mußte er erkennen, daß der linke Fuß des Gouverneurs tatsächlich suchend in der Luft kreiste. Und der Radius, den sein Leibesumfang erlaubte, reichte nicht aus, um die vorstehende Sprosse zu erreichen.

Das Quieken und das Wimmern nahmen zu.

Zu allem Überfluß wurden auch noch die Wachen aufmerksam. Ihre neugierigen Gesichter erschienen über dem Schanzkleid.

„Können wir helfen?“ rief der Sargento.

Coloma überlegte nicht lange. Allein konnte er es unmöglich schaffen, den Fettsack sicher ins Boot zu bringen.

„Das wäre sehr freundlich“, erwiderte der Proviantmeister. „Werfen Sie ein Seil herab, wenn es recht ist.“

„Sofort.“ Der Sargento erteilte seinem Untergebenen einen Befehl.

Coloma richtete sich im Boot auf und begann, die Jakobsleiter zu erklimmen.

„Halten Sie aus, Señor Gouverneur!“ rief er. „Nicht loslassen, um Himmels willen nicht loslassen. Ich bin sofort bei Ihnen. Dann kann nichts mehr passieren.“

Don Antonios Stimme klang wie ein Greinen.

„So beeilen Sie sich doch, Coloma! Schnell, schnell!“

„Sie schaffen es“, versicherte der Proviantmeister, der auf der Jakobsleiter selbst erhebliche Mühe hatte. Doch es war die Furcht vor dem Mißlingen der Aktion, die ihn beflügelte. Wenn der fette Gouverneur ins Wasser fiel, dann fiel buchstäblich alles ins Wasser. Dann konnte man nur noch dem Untergang ins Auge sehen. Denn auch Alonzo Coloma war überzeugt davon, daß Cuberas Restverband dem Verderben geweiht war.

Ein Tampen klatschte gegen die Bordwand, als Coloma den hilflosen Gouverneur fast erreicht hatte.

„Zufassen!“ rief der Sargento. Er fierte das Seil weiter ab und hielt es dann gemeinsam mit dem anderen Soldaten.

Coloma schaffte es, sich den Tampen zu schnappen. Doch der schwierigste Teil der Arbeit begann erst. Im ersten Moment erschien es fast unmöglich, den wimmernden und zitternden Koloß zu sichern, geschweige denn, überhaupt an ihn heranzukommen. Erneut mußte der Proviantmeister erkennen, daß ihm in der eigenen Beweglichkeit ebenfalls Grenzen gesetzt waren.

Kurzerhand schlang er dem Gouverneur das Seil in Form einer Acht zweimal um die dicken Oberschenkel. Das Ende schob er hoch, so weit es ging.

„Nehmen Sie schon!“ rief Coloma. Der Schweiß rann ihm bereits in Strömen über das Gesicht. „Und dann halten Sie den Tampen mit dem Seil zusammen gut fest. Um die Jakobsleiter brauchen Sie sich nicht mehr zu kümmern. Unsere hilfreichen Wachsoldaten werden Sie sicher abseilen.“

Don Antonio wimmerte von neuem los.

„Aber ich kann doch nicht – das geht doch nicht …“

„Sie haben keine andere Chance“, entgegnete der Proviantmeister keuchend. Langsam hatte er die Nase voll von dieser Schinderei. Das angebliche Organisationstalent des Gouverneurs war ein Witz. Er hätte selbst daran denken müssen, wie beschwerlich es für ihn war, in ein Beiboot abzuentern. „Oder wollen Sie lieber wieder an Bord?“

Der Gedanke behagte Don Antonio noch viel weniger, und er gewann neue Kraft. Ächzend und prustend gelang es ihm schließlich, das Seil festzuhalten. Coloma hatte sich eilends wieder ins Boot begeben. Frei pendelnd sackte der Gouverneur langsam abwärts. Die Soldaten bemühten sich, das Abseilen möglichst ruckfrei zu gestalten.

Coloma gab ihnen ein Zeichen, als der Dicke knapp über dem Boot schwebte. Rasch drehte der Proviantmeister ihn in der Luft, und auf ein erneutes Zeichen ließen die Soldaten ihn präzise auf die Achterducht sinken.

Augenblicklich stieg der Bug des Bootes in die Höhe.

Coloma befreite den Gouverneur von den Seilwindungen und bedankte sich mit einem Winken bei den Wachen, die das Seil sofort wieder einholten.

Der Proviantmeister löste die Leine, stieß das Boot ab und wuchtete die Riemen in die Dollen. Unverzüglich begann er zu pullen.

Don Antonio betastete seine Oberschenkel und stöhnte leise.

„Dieses verfluchte Seil hat mir tief ins Fleisch geschnitten“, klagte er. „Hoffentlich gibt es an Bord der Schaluppe einen brauchbaren Feldscher.“

Coloma schüttelte verständnislos den Kopf und grinste. Im Dunkeln konnte es der Gouverneur sowieso nicht sehen.

„Sicherlich sind Sie schwer verletzt, Señor Gouverneur. Aber ist es nicht besser, als dem sicheren Untergang ins Auge sehen zu müssen?“

Don Antonio überhörte den Spott in der Stimme seines Verbündeten.

„Wie wahr, wie wahr“, sagte er seufzend. „Was nimmt man nicht alles auf sich, um den Ungerechtigkeiten dieses Lebens zu entgehen.“

„Und wir sind auf dem besten Weg, es zu schaffen“, erwiderte Coloma mit leisem Lachen. „Sehen Sie sich einmal um, Señor Gouverneur. Die Wachen kümmern sich nicht mehr um uns, und auf allen Schiffen herrscht selige Nachtruhe.“

Don Antonio folgte der Aufforderung und nickte zufrieden. Er kicherte, als er sich wieder nach vorn wandte. Es klang wie ein Glucksen, und es ließ die Fettmassen seines Oberkörpers wogen.

„Wer schläft, der sündigt nicht, mein lieber Coloma. Das gilt zur Zeit in besonderem Maße für unseren verehrten Capitán Cubera.“

„Man soll den Tag aber auch nicht vor dem Abend loben“, entgegnete Coloma.

Don Antonio faltete die Wurstfinger über dem Bauch und betrachtete den Proviantmeister, der sich beim Pullen nach Kräften abmühte. Ein wohlwollender Ausdruck zeigte sich in der Miene des Gouverneurs.

„Ich sehe, mein lieber Coloma, wir beide liegen auf einer Ebene. Wenn wir uns weiter so gut verstehen, haben Sie noch eine glänzende Karriere vor sich. Das kann ich Ihnen heute schon versprechen.“

„Vielen Dank, Señor Gouverneur.“ Coloma verbeugte sich beim Pullen. „Ich darf sagen, daß es mir ein besonderes Vergnügen ist, Ihnen zu dienen. Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, aber wenn man das Gefühl hat, daß sich etwas lohnt, dann – dann …“

„Dann ist die Einsatzfreude besonders groß“, ergänzte Don Antonio wohlwollend. Schnaufend holte er Luft. „Sehen wir also erst einmal zu, daß wir diese Episode hinter uns bringen.“

Von den Kriegsschiffen aus war das Beiboot in der Dunkelheit der Bucht mittlerweile kaum noch zu erkennen. Auch hatte niemand darauf geachtet, daß die Schaluppe des Vicente de Pinzón bereits kurz zuvor an den Ausgang der Bucht verholt worden war.

Auf dem Flaggschiff „San José“ war bekannt, daß die Proviantmeister eine nächtliche Besprechung beabsichtigten und zu diesem Zweck zuvor ihre Bestandslisten auswerten mußten. Dem Beiboot mit Coloma und dem Gouverneur, so sagten sich die Wachen, brauchte man folglich keine weitere Aufmerksamkeit zu widmen. Eben dies galt auch für die Schaluppe, die man offenbar als Besprechungsort ausgewählt hatte.

Bald darauf erreichte das Boot den Einmaster. Schweißgebadet manövrierte Coloma die hecklastige Nußschale längsseits und holte die Riemen ein.

De Pinzón erschien höchstpersönlich an Deck, um dem Gouverneur beim Aufentern zu helfen. Den Männern der Besatzung gab er einen Wink, sich um Coloma und das Beiboot zu kümmern. Eine zusätzliche kleine Jolle konnte man immer brauchen.

Eilends wurden die Segel gesetzt. Fünf Minuten später war die Schaluppe bereits westwärts in der Dunkelheit verschwunden.

Seewölfe Paket 21

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