Читать книгу Seewölfe Paket 17 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 9
5.
ОглавлениеDie Ausläufer des nächtlichen Sturms hatten die „Isabella IX.“ und die „Wappen von Kolberg“ stark an die Küste versetzt. Ein Beidrehen der Galeonen war jedoch nicht notwendig geworden, weil man die Segel stark verkürzt hatte, damit sie nicht von den tobenden Naturgewalten in Fetzen gerissen wurden.
Jetzt, am Morgen des 2. April, klüsten die beiden Schiffe wieder unter vollem Zeug an der Küste südwärts und entschieden sich schließlich dafür, bei dem herrschenden Westwind auf Kreuzkurs zu gehen, um quer über die Danziger Bucht zu segeln.
In der Höhe von Palmnicken, einem kleinen, gottverlassenen Küstennest, gingen die Segler auf ihren ersten Kreuzschlag.
Die „Isabella“ hatte gerade mit dem Anluven begonnen und drehte das Heck dem Land zu, da begann sich Gary Andrews, der im Hauptmars Ausguck hielt, zu rühren.
„Deck!“ rief er und drehte mit hastigen Bewegungen an der Optik seines Spektivs. „Am Strand liegt jemand! Sieht aus wie eine Leiche, die angetrieben worden ist. Um ein Haar hätte ich die Gestalt nicht gesehen.“
„Täuschst du dich auch nicht?“ fragte Ben Brighton zurück. „Vielleicht siehst du auch nur einige Tangbündel. Davon dürfte in der vergangenen Nacht genug angeschwemmt worden sein.“
„Nein, es ist eine menschliche Gestalt“, beharrte Gary. „Und ich verschlucke einen Holystone, ohne nachzuspülen, wenn sie sich nicht schwach bewegt! Da – der rechte Arm hat seine Lage verändert! Kein Zweifel, Sir, da ist jemand verletzt!“
Ben Brighton blickte den Seewolf fragend an.
Hasard zuckte mit den Schultern und griff selber nach seinem Spektiv. Wortlos sah er hindurch, dann nickte er.
„Da liegt tatsächlich jemand. Und Bewegungen glaube ich auch erkennen zu können.“
Old Donegal, der alles mitangehört hatte, zog die Stirn in Falten.
„Sir“, sagte er ahnungsvoll, „du wirst doch wohl nicht …?“
„Es wird uns nichts anderes übrigbleiben, Donegal“, antwortete der Seewolf, „das gebietet uns schon die Christenpflicht. Wer immer das auch sein mag, der halbtot dort drüben liegt – er braucht unsere Hilfe!“
„Aber Sir!“ begehrte Old O’Flynn auf. „Du weißt so gut wie ich, daß das ein Trick sein kann. Es wäre nicht das erste Mal, daß man uns mit List und Tücke an einen Strand lockt, um dann über uns herzufallen.“
„Ich weiß, Donegal“, sagte Hasard. „Man hat unsere Hilfsbereitschaft schon oft genug auszunutzen versucht, aber dennoch können wir es nicht verantworten, einen Menschen, der wirklich Hilfe braucht, einfach liegen zu lassen – das geht gegen unsere Prinzipien. Außerdem: Wer soll uns zu dieser Zeit schon am Strand auflauern wollen? Es kann ja niemand gewußt haben, daß uns der Sturm hierher verschlägt. Und zu sehen ist auch niemand.“
Old O’Flynn zeigte ein mißtrauisches Gesicht und fuhr sich durch die Bartstoppeln.
„Ich weiß nicht recht“, murmelte er. „Da könnten beispielsweise Polen hinter den Sanddünen auf der Lauer liegen. Es wäre ja immerhin möglich, daß sie jetzt ihr Glück an Land versuchen, nachdem wir ihnen auf See kräftig die Hucke vollgegeben haben.“
„Diesmal irrst du dich bestimmt“, erwiderte Hasard. „Die Polen konnten nun wirklich nicht wissen, daß wir hier auftauchen. Und wenn die Gestalt dort drüben ein Lockvogel wäre, würde sie sich wesentlich auffälliger benehmen. Es war ohnehin schon reiner Zufall, daß Gary sie überhaupt bemerkt hat.“
Der Alte wiegte zweifelnd den Kopf hin und her.
Da verzog Edwin Carberry das zernarbte Gesicht zu einem freundlichen Lächeln, das freilich nur Eingeweihte als solches zu erkennen vermochten.
„Soll ich dir einen Hocker bringen, Mister O’Flynn, was, wie? Oder vielleicht ein leeres Wasserfaß?“
Old Donegal sah ihn verständnislos an.
„Was, zum Teufel, soll ich damit?“
„Wenn du da draufsteigst“, fuhr der Profos fort, „kannst du besser hinter die Kimm schauen – zumindest aber hinter die Sanddünen! Und wenn du dich dabei noch anstrengst, kannst du den Rübenschweinen, die dort lauern, auf die Köpfe spucken.“
Der alte O’Flynn stieß ein verärgertes Knurren aus.
„Solche Spinnereien sehen dir wieder ähnlich, du quergestreifter Kinderschreck! Aber wenn die Kerle erst einmal über dich herfallen und dir …“
„Laßt es gut sein“, mischte sich Hasard in die sich anbahnende hitzige Diskussion. „Wir wollen den Teufel lieber nicht an die Wand malen und die Zeit mit geistreichen Debatten verbringen, während dort vielleicht ein Mensch hilflos zugrunde geht. Gebt Arne einige Signale – dann wird die kleine Jolle ausgesetzt! Das Kommando übernehme ich. Batuti, Nils, Jan und Ed, ihr begleitet mich. Außerdem soll der Kutscher mit dabeisein, er kann den Zustand des Mannes am besten beurteilen.“
Das war eine klare Entscheidung, und niemand lehnte sich dagegen auf, zumal außer Old Donegal sowieso alle einer Meinung mit Hasard waren, zumindest, was die einsame Gestalt dort drüben am Strand der sogenannten Bernsteinküste betraf.
Die Befehle des Seewolfs wurden sofort weitergegeben. Beide Galeonen geiten die Segel auf und warfen Anker. Kurze Zeit später hielt die kleine Jolle der „Isabella“ bereits auf den Strand zu.
Auf der „Isabella“ hatte Ben Brighton das Kommando übernommen. Er würde den Männern – falls sich die düsteren Ahnungen des alten O’Flynn wider Erwarten bewahrheiten sollten – entsprechenden Feuerschutz geben.
Auch auf der „Wappen von Kolberg“ hatte man aufgrund der Signale die Gestalt bemerkt, die sich erfolglos bemühte, aufzustehen. Arne von Manteuffel ließ ebenfalls ein Boot abfieren und zum Strand hinüberpullen.
Bald konnten die Seewölfe die Gestalt als einen Mann in zerschlissener Kleidung identifizieren. Sie waren höchstens noch eine Kabellänge vom Strand entfernt.
„Er rührt sich nicht mehr“, sagte Hasard, der den Kieker ans Auge gesetzt hatte. „Wahrscheinlich ist er wieder ohnmächtig geworden. Kopf und Kleidung sind blutverschmiert.“
Wenig später gingen die Seewölfe an Land. Der Kutscher ging sofort daran, den besinnungslosen Mann zu untersuchen.
„Er hat eine schlimme Schädelverletzung“, stellte er fest. „Ein Wunder, daß der überhaupt noch am Leben ist. Es muß sich um einen außerordentlich zähen Burschen handeln.“
„Ist es eine Schußverletzung?“ fragte Hasard.
Der Kutscher schüttelte den Kopf.
„Danach sieht es nicht aus. Ich vermute eher, daß man ihn mit einem schweren Schlaginstrument bearbeitet hat. Er muß viel Blut verloren haben. Hier kann ich kaum etwas für ihn tun. Wenn er am Leben bleiben soll, müßten wir ihn schon mit an Bord nehmen.“
„Das geht in Ordnung“, sagte Hasard. „Wir können ihn ja hier nicht liegen lassen.“ Gleichzeitig bückte er sich und hob ein faustgroßes, abgeschliffenes Stück Bernstein auf. Nachdenklich betrachtete er den wertvollen Fund, der zudem noch zahlreiche Insekteneinschlüsse aufwies.
„Hat man ihn damit niedergeschlagen?“ fragte Nils Larsen.
„Mit Sicherheit nicht“, erwiderte Hasard. „Sonst würde man zumindest Blutspuren an dem Stein finden. Ich vermute eher, daß dieses Stück während des Kampfes, der hier ohne Zweifel stattgefunden hat, verlorenging. Wie der Sand hier umgewühlt ist, muß sich einiges getan haben.“
Nun traf Batuti, der den Strand ein Stück abgegangen war, wieder bei der kleinen Gruppe ein.
„Es gibt Spuren“, berichtete er. „Ein Mann muß eine ziemlich weite Strecke den Strand entlanggegangen sein. Zwischendurch ist er immer wieder stehengeblieben, besonders bei den Tanginseln. Dort ist nämlich gewühlt worden, das hat Batuti deutlich gesehen.“
„Vielleicht hat er nach Bernstein gesucht“, sagte der Kutscher. „Das soll ja mit dem Tang an Land treiben.“
„Das ist möglich“, sagte Hasard. „Und er hat zumindest diesen einen Brokken hier gefunden.“
„Batuti sieht noch weitere Spuren“, fuhr der Gambia-Mann fort. Dabei deutete er auf Eindrücke, die sich bis zum Fundort des Schwerverletzten hinzogen. „Es müssen drei andere Männer hiergewesen sein. Einer näherte sich aus Norden, einer aus Osten und einer aus Süden. Aber alle drei müssen sich nach Osten entfernt haben, und zwar gemeinsam. Vorher aber ist hier gekämpft worden.“
Hasard war der Meinung, daß Batuti die Vorgänge ziemlich klar umrissen hatte. Schließlich war der schwarze Herkules ein hervorragender Spurenleser.
„Damit steht zumindest fest“, sagte der Seewolf, „daß man diesen Mann hier überfallen und zusammengeschlagen hat.“
Arne von Manteuffel und vier seiner Männer sprangen in das seichte Wasser und zogen ihr Boot auf den Sand. Mit raschen Schritten näherten sie sich der kleinen Seewölfe-Crew.
Arne machte eine entschuldigende Geste.
„Gut, daß ihr den armen Teufel bemerkt habt“, sagte er. „Unser Ausguck hat ihn nicht gesehen.“
„Bei uns wurde er auch nur durch Zufall entdeckt“, erwiderte Hasard. „Wir werden ihn mit an Bord nehmen, damit ihn der Kutscher richtig verarzten kann.“
„Demnach lebt er noch“, sagte der große, breitschultrige Deutsche, der dem Seewolf bis auf die Haarfarbe so ähnlich war. Er trat näher und ging in die Hocke, um sich den Verletzten etwas genauer anzusehen.
Kaum hatten seine Blicke die ärmlich gekleidete Gestalt mit dem blutverkrusteten Gesicht gestreift, fuhr er wieder hoch.
„Das gibt es doch nicht!“ stieß er hervor. „So viele Zufälle auf einem Haufen kann es doch gar nicht geben!“
Hasard und die übrigen Männer sahen ihn verwundert an.
„Kennst du den Mann etwa?“ fragte der Seewolf.
Arne fuhr sich mit der Hand durch die blonde Haarmähne.
„Ja und nein“, erwiderte er. „Ich kenne zwar seinen Namen nicht, aber ich habe ihn vor etwa einem Jahr in Pillau gesehen, und zwar bei einem Bernsteinhändler, der die Steine auch drechselt und schleift. Der Händler sagte mir damals im Vertrauen, dieser Mann wäre einer seiner besten Zulieferer. Sonst aber würde er sein Dasein als Fischer in Palmnicken fristen.“
„Das ist ja interessant!“ entfuhr es Hasard. „Dann liegen wir mit unseren bisherigen Vermutungen und Feststellungen gar nicht so verkehrt.“ Mit wenigen Worten schilderte er Arne die verschiedenen Fußspuren, die Batuti ausgewertet hatte, und erläuterte ihm die Schlußfolgerungen, die sich daraus ergaben.
„Das paßt alles genau zusammen“, meinte Arne von Manteuffel. „Der Sturm der vergangenen Nacht hat viel Tang hier angeschwemmt und damit auch Bernstein. Aus diesem Grund wohl war der Fischer hier unterwegs gewesen. Man hat ihn überfallen, halbtot geschlagen und ihm den gesammelten Bernstein geraubt, denn außer dem einen Stück, das man wahrscheinlich übersehen hat, ist ja nichts da.“
Hasard nickte.
„Die Räuber müssen ihn für tot gehalten haben, und das war sein Glück – je nachdem, wie man das sieht. Wie stehen seine Chancen, Kutscher?“
„Die Verletzungen sind ernst, aber nicht hoffnungslos“, antwortete der Feldscher der „Isabella“. „Ich nehme an, daß ich ihn durchkriege, aber versprechen kann ich das natürlich nicht.“
Hasard und Arne beschlossen, vorerst noch vor Anker zu bleiben und abzuwarten, was der Mann zu berichten hatte, wenn er ins Bewußtsein zurückkehrte. Dann würde man weitersehen.
Zunächst aber brachte man den Schwerverletzten vorsichtig in die Jolle der Seewölfe und bettete ihn zwischen die Duchten. Dann wurde das Boot eilig zurückgepullt.