Читать книгу Seewölfe Paket 6 - Roy Palmer - Страница 14
10.
ОглавлениеHasard hatte Ben Brighton noch rasch ein Signal geben lassen, dann hatte er das Beiboot in die fjordartige Bucht gesteuert. Er saß auf der Heckducht und hielt die Ruderpinne. Carberry, Shane, Blacky, Matt, Luke und Bob hockten ihm gegenüber und pullten schweigend und mit verkniffenen Mienen.
Der Seewolf war außer sich vor Wut. Sabreras gerufene Worte hatte er nur allzu deutlich verstehen können. Diese Drohung – er wußte, daß der Kerl sie wahrmachen würde, wenn Ben und die anderen Männer auf den Schiffen nicht auf seine absurde Forderung eingingen.
Angenommen, Siri-Tong und die Wikinger hätten keine Fesseln getragen und Arme und Beine frei bewegen können – selbst ein ausgezeichneter Springer mußte beim Sturz in die Tiefe auf den vorgelagerten zackigen Felsen zerschmettert werden. Er konnte nicht so viel Distanz von der Stellmauer gewinnen, daß er in die tiefere Wasserregion geriet.
Am liebsten wäre er direkt zur Grotte gefahren und hätte versucht, auf die Verbrecher zu feuern. Aber das war Wahnwitz. Sicher hatten Sabreras’ Komplicen Wachen in die Grotte hinuntergeschickt.
Somit wäre das Urteil perfekt gewesen.
„Ben muß Sabreras so lange wie möglich hinhalten“, sagte Hasard. „Dann schaffen wir es schon irgendwie, diese gemeinen Hunde zu überrumpeln.“
„Wir brauchen nur einen Platz zu finden, von wo aus wir die Felsen hinaufklettern können“, entgegnete der Profos. „Verdammt, diese Bucht muß doch irgendwohin führen.“
„Das schon“, meinte Big Old Shane. Er hob den Kopf und blickte an den steilen, glatten Uferfelsen hoch. „Aber wenn dieses Gestein nicht wenigstens ein bißchen abflacht, haben wir keine Chance, den Aufstieg heil zu überstehen.“
„Moment“, sagte der Seewolf plötzlich. „Seht doch mal nach vorn.“
Sie wandten die Köpfe und registrierten, daß die enge Bucht in nicht allzu großer Entfernung einen Bogen beschrieb. Diese Krümmung führte offensichtlich in östliche Richtung.
„Weiter, weiter“, sagte Blacky.
„Schneller!“ stieß der Profos erregt hervor.
Sie trieben das Boot voran, so schnell sie konnten. Mehrmals schlugen die Riemenblätter hart gegen die Felsen, und Matt Davies’ Ruder splitterte sogar ein Stück in Längsrichtung auf, aber darum kümmerten sie sich nicht.
Sie brachten die Biegung hinter sich und tasteten sich weiter. Nach rund sechs- bis siebenhundert Yards war die Wassertiefe immer noch ausreichend, um das Boot durchzulassen, aber die Steilwände wuchsen enger zusammen.
Zum Glück entdeckte der Seewolf eine Lücke, die rechts im Felsen klaffte.
Sie war auf ihrem Grund mit Blöcken und Geröll angefüllt, mit einigem Geschick konnte man in ihr hochklettern. Eine Steigung im Untergrund schien, soweit sich das vom Wasser aus feststellen ließ, bis ganz nach oben zu führen.
„Nichts wie ’raus und in die Bresche hinein“, sagte Hasard. „Los, vielleicht können wir den Schuften tatsächlich in den Rücken fallen.“
Kaum waren sie an Land und hatten das Boot vertäut, da schlüpfte Sir John, der karmesinrote Papagei, aus Carberrys Tasche. Er war sozusagen als „blinder Passagier“ mitgefahren. Jetzt schwang er sich in die Lüfte hoch, bevor der Profos es verhindern konnte.
Carberry raufte sich die Haare.
„Schockschwerenot“, ächzte er. „Sir John, wenn du uns verrätst, hast du die längste Zeit gelebt. Jawohl, das schwör ich dir, du Nebelkrähe!“
Ferris Tucker hatte ziemlich tief unten im Vorschiff gekauert, in einem Raum über der Vorpiek. Er hatte geprüft, ob der Vorsteven an dieser Stelle noch intakt war, denn das Vorgeschirr der „Isabella“ war in dem Gefecht ja beschädigt und der Vorsteven ein wenig in Mitleidenschaft gezogen worden.
So begriff er erst spät, daß etwas nicht in Ordnung war. Schreie hallten vom Schiff zum Land – Ben Brighton war es, der da irgend etwas rief. Und jemand brüllte zurück.
Sabreras!
Als Ferris das bewußt wurde – er kannte die Stimme des Kommandanten –, rappelte er sich auf, stieß sich fast den Kopf und eilte auf den nächsten Gang hinaus. Er lief zum Niedergang, der ihn weiter nach oben führte.
Vor dem Mannschaftslogis prallte er dann fast mit dem Kutscher zusammen.
„Augenblick, Ferris“, sagte der schwer atmend. „Ich habe dich schon gesucht. Du mußt für den Seewolf einspringen.“
„Ich muß was? Bist du plemplem?“
Der Kutscher setzte ihm die Lage auseinander. Ferris fluchte und rieb sich das Kinn, aber damit änderte er auch nichts an der Situation. Schließlich hastete er mit dem Kutscher in die Kombüse, und hier packte der Kutscher sein gesamtes Verbandszeug aus.
Wenig später turnte Ferris durch die Frachträume bis ins Achterkastell. Von hier aus gelangte er über den Mittelgang ins Freie. Er taumelte zu Ben, Smoky und den anderen, die sich auf der Back versammelt hatten.
Die Männer erkannten ihren rothaarigen Schiffszimmermann selbst kaum wieder. Sein Schädel war so mit weißen Streifen Leinentuch umhüllt, daß nur die Ohren, der Mund, die Nase und die Augen hervorschauten. Er trug einen Arm in der Schlinge und auch das linke Bein im dicken Verband, und beim Gehen stützte er sich auf eine grob zusammengehauene Krücke.
„Da bleibt einem doch die Spucke weg“, flüsterte Old O’Flynn. „Der kann das ja fast noch besser als unsereiner!“
„Hasard“, sagte Ben laut. Sabreras und die Banditen oben auf dem Klippfelsen konnten es vielleicht doch nicht verstehen, aber Ben verlieh sich selbst und der ganzen Szene mehr Glaubwürdigkeit, indem er den guten Ferris so titulierte. „Komm her und stell dich hier neben mich. Sabreras will dich sehen und mit dir sprechen.“
„Ich kann nicht schreien“, krächzte Ferris. „Ich kann mich kaum auf den Beinen halten.“
„Sie beobachten uns durch Fernrohre“, zischte Smoky. „Aufpassen also.“
„Wo sind die anderen?“ raunte Ferris. „Pete, Gary, Stenmark, Al und Sam? Ich sehe sie nicht.“
„Sie hängen außenbords an der Steuerbordseite“, erwiderte Ben ebenso leise. „Sie warten nur auf ein Zeichen, dann tauchen sie unter unsrer alten Lady hindurch und versuchen, zur Grotte zu gelangen.“
„Seewolf!“ brüllte jetzt Sabreras. Breitbeinig stand er am Rand des steil aufragenden Felsens. „Ich will dein Wort, daß ihr keine faulen Tricks versucht, wenn ihr die Schiffe verlaßt.“
„Liefere die Gefangenen aus“, keuchte Ferris, so laut er konnte.
„Ich verstehe nicht!“ schallte es zurück.
„Die Gefangenen sollst du freilassen!“ schrie Ben.
Sabreras lachte. „Ja, aber erst pullt ihr in den Booten bis dicht ans Ufer. Ohne Waffen. Wir lassen das Weib und die fünf Wikinger dann von der Grotte aus zu euch schwimmen.“
„Ihr wollt uns erschießen!“ rief Ben.
„Ich will den Seewolf hören“, erwiderte Sabreras mit gellender Stimme.
„Sabreras soll selbst die Geiseln bringen“, stieß Ferris mit krächzender Stimme hervor. „Er hat ja das Boot. Wir gehen auch in die Boote, und er läßt einen nach dem anderen frei.“
„Ich verstehe kein Wort!“ brüllte der Kommandant vom Felsen herunter.
Ben Brighton wiederholte, was Ferris gesagt hatte. Sabreras lehnte es ab und drohte wieder, einen der Wikinger als ersten in die See zu stoßen, falls die Seewölfe nicht bedingungslos auf seine Forderung eingingen.
Hasard und seine sechs Begleiter hatten die geröllgefüllte Bresche hinter sich, jetzt schlichen sie über das felsige Gelände. Sie nutzten Steinblöcke und Krüppelsträucher als. Deckungen aus.
Plötzlich war Sir John wieder heran. Er ließ sich auf Carberrys Schulter nieder.
„Mastspitzen an der Kimm“, plapperte er. „Backbord voraus. Klar zum Entern!“
„Will der uns auf den Arm nehmen?“ raunte Bob Grey. „Mann …“
„Quatsch, er weist uns den Weg“, sagte Carberry mit grimmigem Blick. Er streckte die Hand aus. „Da lang geht’s.“
Hasard eilte ihnen voran. Als er wenig später auf eine Schlucht traf, an deren Eingang deutliche Spuren eines Kampfes zu erkennen waren, begann sein Herz schneller zu schlagen. Er vernahm jetzt auch die schneidende, ätzende Stimme von Sabreras.
„Niemals!“ brüllte der Mann gerade. „Niemals lasse ich mich darauf ein!“
Hasard hastete durch die dunkle Schlucht. Dabei stolperte er fast über die Leichen von drei Männern. Er untersuchte sie flüchtig, stellte erleichtert fest, daß keiner der Wikinger dabei war, und glitt weiter.
„Lumpenhunde“, zischte Carberry beim Anblick der Toten. „Um die ist es nicht schade.“
„Still“, raunte Blacky ihm zu.
Sie erreichten die Geröllhalde und mußten hier besonders aufpassen, keinen Laut zu verursachen. Behutsam schoben sie sich immer weiter nach oben. Hasard sah die Gestalten auf dem Plateau als erster. Er spähte zu ihnen und stellte fest, daß keiner sich nach hinten umschaute.
Dies war der entscheidende Augenblick. Jetzt oder nie, dachte Hasard. Er erhob sich und riß die doppelläufige Reiterpistole aus dem Gurt. Die Hähne hatte er längst gespannt. Hinter ihm waren Carberry, Shane und Blacky, dann Matt, Luke und Bob.
„Keine Bewegung!“ rief Hasard den Galgenstricken zu. „Wir strekken euch nieder, wenn ihr euch nicht ergebt!“
Sabreras, Almirante, Julian und die anderen Kerle wirbelten herum. Sie heulten auf. Nein, sie dachten nicht daran, zu kapitulieren, sie zückten ebenfalls die Waffen und legten auf den heranstürmenden Trupp an.
Im Nu war der Teufel los. Hasard drückte ab. Krachend brachen die Schüsse, fauchten aus den Läufen und rissen zwei Banditen um. Dann warfen sich die Seewölfe unter dem Gegenfeuer hin, entgingen so dem sicheren Tod und antworteten mit einer Salve aus Musketen und Pistolen. Als sie die leergefeuert hatten, griffen sie zu ihren Säbeln und Degen.
Shane hatte den Bogen von der „Isabella“ mitgenommen. Im richtigen Augenblick sandte er einen Pfeil auf einen Kerl ab, der Oleg in die Tiefe stürzen wollte. Der Schuft brach in die Knie und kippte dann vornüber. Oleg ließ sich klugerweise auch fallen.
Hasard stürmte auf Sabreras zu. Der Kommandant hatte Siri-Tong gepackt, aber sie trat ihm mit voller Wucht gegen das Schienbein, ließ sich hinsinken und rollte sich zu Hasard hin ab.
Julian legte mit einer Muskete auf den Seewolf an. Doch wieder sirrte ein Pfeil durch die Luft und bohrte sich in seine Brust. Julian taumelte zurück, verlor die Balance und rutschte vom Rand des Klippfelsens ab. Sein langgezogener Schrei war das letzte, was er von sich gab.
Almirante brüllte: „Schlagt diese Bastarde tot!“
Er hielt einen riesigen Säbel und zog ihn wie eine Sense kreuz und quer durch die Luft. Es entstand ein unglaubliches Handgemenge, in dem die Seewölfe gegen die Übermacht der Strandräuber keinen leichten Stand hatten.
Die beiden Banditen, die die Grotte sichern sollten, blickten sich unschlüssig an. Oben tobte der Kampf. Wurden sie dort gebraucht?
„Ich laufe nach oben“, sagte der eine:
„Du bleibst“, erwiderte sein Kumpan scharf. „Almirante und Julian haben uns nicht den Befehl dazu gegeben.“
„Sie können es nicht.“
„Sie werden schon mit den Kerlen fertig, die sie angegriffen haben.“
„Wer, glaubst du, sind sie?“
Der andere Mann konnte nicht mehr antworten, denn in diesem Augenblick regte sich im Wasser etwas. Etwas Schemenartiges fuhr aus den grünlich schillernden Fluten hoch. Es entpuppte sich als ein menschlicher Körper. Die Banditen fluchten beide und legten mit den Musketen auf den Eindringling an.
Es war Stenmark, der da aus dem Wasser stieg und sein gedrungenes Entermesser auf die Kerle schleuderte. Gleich nach ihm tauchten Pete Ballie, Gary Andrews, Al Conroy und Sam Roskill auf – und dann die Männer vom schwarzen Schiff, die gleichfalls herübergetaucht waren. Als oben auf dem Felsen der Kampf eröffnet worden war, hatten sie alle die Gelegenheit genutzt.
Stenmarks Waffe hieb in den Leib des ersten Halunken. Gurgelnd brach er zusammen. Der zweite konnte noch feuern, zielte aber daneben. Stenmark, Pete und Gary stürmten auf ihn zu und fochten ihn nieder.
Dann hetzten sie die steinerne Wendeltreppe hinauf.
„Auf sie!“ schrie Stenmark.
Und Carberry antwortete mit dem Schlachtruf der Seewölfe: „Arwenack!“
„Ar-we-nack!“ tönte es über den Kampfplatz, und von den Schiffen kehrte der Ruf als Echo zurück.
Wenig später war die Entscheidung da. Nur Almirante, Sabreras und fünf andere Kerle waren noch am Leben. Almirante ließ den Säbel fallen und hob die Hände. Seine Kumpane folgten seinem Beispiel. Sie konnten die Wikinger nicht mehr bedrohen oder als Faustpfand benutzen, denn die hatten sich zu ihren Kameraden hin gerettet.
Nur Sabreras hielt noch Siri-Tong am Arm fest.
„Keinen Schritt weiter!“ schrie er Hasard an. „Sie stirbt!“
„Hasard“, sagte sie so ruhig wie möglich. „Dieses Opfer bringe ich.“
„Für unsere Sache?“
„Für unsere Sache. Sabreras darf nicht siegen.“
Hasard schritt auf die beiden zu.
Sabreras’ Augen weiteten sich, das hatte er nicht erwartet. Er gab einen Laut von sich, der wie ein tiefer Seufzer klang, dann stieß er Siri-Tong auf den Seewolf zu. „Da hast du sie!“
Die Korsarin stolperte auf Hasard zu, hielt sich an seinem Arm fest und sagte: „Gut, daß du mitgespielt hast.“
„Es ist mir schwer genug gefallen“, erwiderte er. „Männer, sammelt jetzt den Schmuck der Chibchas und die Geheimdokumente ein, die Sabreras aus der Mine mitgenommen hat. Dann fesseln wir diese Schurken, schaffen sie an Bord und setzen sie auf der nächsten Insel aus.“
Sabreras trat plötzlich vor. „Nein. Ich fordere dich zum Duell; Engländer. Du bist ein Feigling, wenn du diese Forderung eines spanischen Edelmannes ausschlägst.“
Hasard blickte ihn lange an. „Über die Bezeichnung Edelmann läßt sich wahrhaftig streiten, aber ich akzeptiere. Und ich lasse dir sogar die Wahl der Waffe, Sabreras. Entscheide dich, Rasch.“
„Pistole“, sagte der Spanier heiser.
Das Duell fand auf dem Felsenplateau statt. Stenmark und Matt Davies waren mit Sabreras’ Boot zur ‚Isabella‘ gepullt. Matt war dort geblieben und ließ die Kratzer, die er davongetragen hatte, vom Kutscher verarzten. Ben Brighton, Smoky, Old O’Flynn, sein Sohn und ein paar andere kehrten mit dem Boot in die blaue Grotte zurück und brachten die Duellpistolen aus Hasards Kapitänskammer mit. Diese Anweisung hatte der Seewolf Stenmark mit auf den Weg gegeben.
Die Leichen waren vom Felsen geräumt worden, und nun standen sich die Kontrahenten gegenüber.
Sabreras hatte sich seiner Jacke entledigt und die Ärmel seines Hemdes aufgekrempelt.
„Die Bedingungen“, sagte er. In seinen grauen Augen lag ein kalter Schimmer, sein Gesicht war eine Maske. „Siege ich, bin ich frei – und Almirante und seine Männer auch. Dann nehmen wir die Krone der Chibchas, den anderen Smaragdschmuck und die versiegelten Pergamentrollen aus der Ledermappe mit und haben freies Geleit.“
„Einverstanden“, erwiderte Hasard. Er stand dreißig Schritte von dem Kommandanten entfernt. „Und wenn ich den Triumph davontrage, bleibt es bei dem, was ich vorhin gesagt habe. Wir setzen euch auf einer einsamen Insel aus.“
Ben Brighton und Big Old Shane fungierten als Sekundanten für Hasard, Almirante und ein zweiter Strandräuber übernahmen diese Aufgabe für Sabreras.
„Ich schlage Thorfin Njal als Unparteiischen vor“, sagte Hasard. „In Ordnung, Sabreras?“
Erst nach einigem Zögern willigte der Spanier ein. Er ließ sich die gefütterten Holzschatullen öffnen, in denen die Pistolen ruhten, und inspizierte sie sehr genau, bevor sie von Ben Brighton geladen wurden.
Thorfin Njal mußte auf Sabreras’ Verlangen hin sogar einen Schwur ablegen, daß er für die Einhaltung der Bedingungen sorgen würde.
Danach sagte Siri-Tong: „Jetzt reicht’s aber, Sabreras. Du hast uns lange genug zum Narren gehalten. Willst du den Zweikampf hinauszögern? Hast du Angst?“
Das saß. Sabreras erbleichte, er sprach jetzt nur noch zwei Worte: „Die Pistole.“
Hasard schritt bis zu ihm, und dann händigte Ben ihnen die Pistolen aus. Hasard und Sabreras stellten sich mit dem Rücken gegeneinander, hielten die Waffen senkrecht hoch und spannten die Hähne. Es waren kostbare, reich verzierte Steinschloß-Modelle mit sehr langen Läufen, Pistolen von größter Treffgenauigkeit.
Thorfin Njal prüfte den Stand der beiden Männer.
„Jeder geht auf mein Zeichen hin fünfzehn Schritte, dreht sich dann um und feuert“, sagte er.
Er trat zurück und gab das Zeichen.
Der Seewolf schritt in die Richtung, aus der er soeben gekommen war. Er zählte die Schritte: neun, zehn, elf, war schließlich bei vierzehn angelangt, sagte leise „fünfzehn“ – und fuhr herum.
Im selben Augenblick wirbelte auch Sabreras herum, stieß die Pistole aus der Senkrechten nach unten und drückte ab.
Hasard stand still und schoß im selben Sekundenbruchteil.
Die Schüsse krachten, der weiße Pulverqualm stieg auf und wurde vom Wind davongetragen. Durch die verfliegenden Schwaden sah Hasard, wie Sabreras sich krümmte und die Pistole fallen ließ.
Er war an der Schulter verletzt.
„Du Hund“, keuchte er. „Du bist – unversehrt …“
„Die Kugel ist haarscharf an meiner rechten Wange vorbeigesaust“, entgegnete Hasard. „Ich habe ihre Hitze gespürt.“
„Säbel“, keuchte Sabreras. „Wir kämpfen weiter.“
„Sabreras – sei vernünftig.“
„Feigling!“ schrie der Spanier. „Seht ihn euch an, er unternimmt einen Rückzieher, weil er weiß, daß ich ihn doch noch schlagen werde!“
Achselzuckend wandte sich der Seewolf an Ben Brighton. „Ben, zwei Säbel. Das ist ein Befehl. Gebt Almirante Verbandszeug, er soll die Blessur des Kommandanten verbinden.“
Kurze Zeit später nahm Sabreras den Säbel entgegen und strich zweimal probeweise mit der Klinge durch die Luft. Er rückte entschlossen auf Hasard zu, tänzelte, wippte in den Kniekehlen und bewies, daß er eine ausgezeichnete Ausbildung genossen hatte.
Hasard ließ ihn fast auflaufen, dann baute er aus dem Nichts seine Verteidigung auf. Zunächst hielt er sich in der Defensive, dann aber unternahm er einen Ausfall und führte zwei glänzende Paraden gegen den erstaunten Spanier.
„Noch kannst du kapitulieren, Sabreras!“ rief er.
„Niemals.“
„Dann also – bis zum letzten?“
„Bis zum letzten!“
Hasard drängte ihn an den Rand des Plateaus, aber hier fing Sabreras sich wieder. Die maskenhafte Starre war von seinem Gesicht abgefallen, er hatte jetzt eine verbissene Miene, in der es ständig zuckte und arbeitete.
Klirrend fuhren die Klingen gegeneinander und lösten sich wieder. Sabreras tauchte weg, holte aus und stieß den Säbel zu einem Stich in Hasards Unterleib vor.
Nur knapp konnte Hasard ausweichen.
„Unfair!“ rief Thorfin Njal. „Du weißt, daß das nicht erlaubt ist, Spanier!“
„Fahr zur Hölle!“ schrie Sabreras. Er wiederholte die heimtückische Attacke. Aber diesmal war der Seewolf mehr auf der Hut. Er konterte und fegte die gegnerische Klinge mit einem mächtigen Hieb zur Seite. Er riß den Säbel wieder an sich, sprang vor und stach zu.
Die Spitze traf Sabreras Brust dort, wo das Herz sitzt.
Hasard zog den Säbel wieder heraus.
Zuerst sah es so aus, als würde Sabreras weiterkämpfen. Er hielt den Säbel noch erhoben. Doch die Kraft wich aus seinem Arm, aus allen Gliedmaßen. Seine Finger öffneten sich, und die Waffe fiel scheppernd auf den Fels.
Sabreras taumelte rückwärts. Hasard wollte ihn festhalten, aber es war schon zu spät. Sabreras kippte in die Tiefe – fast an derselben Stelle, an der auch der Galgenstrick Julian hinuntergestürzt war.
Nur gab Sabreras keinen Schrei mehr von sich. Er war schon tot, bevor er unten auf den schroffen Felsen aufschlug und in die Brandung rutschte.
Hasard wandte sich um und blickte zu Almirante und dessen Spießgesellen.
„Ihr könnt abhauen“, sagte er. „Laßt eure Habseligkeiten hier und lauft meinetwegen nach Norden, so schnell ihr könnt. Bleibt nicht stehen, ich will euch nicht mehr sehen.“
Almirante stand eine Weile mit ungläubiger Miene da. Dann drehte er sich um, winkte den Kumpanen zu und stürmte los.
Sie liefen, als hätten sie sämtliche Ausgeburten der Hölle hinter sich. „Brechen wir wieder auf“, sagte Hasard. „Unsere Mission ist erfüllt. Daß sie so blutig endet, ist allein Sabreras’ Schuld. Narren wie ihn wird es leider, immer geben. Sie sind von dieser Welt nicht wegzudenken.“
Er sah zu Siri-Tong. Ihre Blicke verfingen sich ineinander, und Hasard spürte, wie ihn etwas Warmes, unbeschreiblich Wohliges durchlief. Dieses Gefühl half ihm, alles Geschehene mit einem Ruck von sich abzuschütteln. Und er wußte, daß es der Roten Korsarin genauso ging.