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5.

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Die ersten Strahlen der Morgensonne wärmten die Felsen, trockneten den Sand und ließen Schwaden von weißem Dampf in die Luft steigen.

Dan und Batuti kauerten in einer geschützten Mulde zwischen den Palmen, deren Federwipfel sich hoch über ihnen im leichten Wind wiegten. Fünf endlose Stunden hatten der drahtige blonde O’Flynn und der schwarze Herkules in ihrem Schlupfwinkel verbracht, frierend, halb taub vom Heulen des Sturms, bis auf die Haut durchnäßt vom schräg herunterprasselnden Regen. Jetzt reckten sie ihre erstarrten Glieder in der beginnenden Wärme, rieben sich Salz und Sand aus den Gesichtern und blickten sich um.

In der Morgensonne sah die Insel aus wie der Inbegriff aller Südsee-Träume: ein kleines Atoll, palmengesäumt, mit perlfarbenen Stränden, roten Felsen und dichten, noch vom Nebel der verdunstenden Feuchtigkeit durchzogenen Wäldern, in denen es vermutlich Früchte im Übermaß gab. Die Lagune lag still in der Sonne, das dunkelblaue Wasser verriet ihre Tiefe – jene geheimnisvolle dämmernde Tiefe, in der sich manche Südsee-Insulaner ihr Jenseits vorstellten.

Weiße Schaumkronen und rote Felszacken zeichneten den sanften Bogen des Riffs nach, das der Insel vorgelagert war. Dan ließ den Blick über den friedlichen Spiegel der Lagune gleiten – und schauerte zusammen, als er die dreieckige Rückenflosse sah, die für ein paar Sekunden durch das Wasser schnitt.

„Haie!“ flüsterte er. „Verdammt …“

„Wo Haie?“ Batuti fuhr auf, denn vor den gefräßigen Räubern der Südsee hatte auch er einen Heidenrespekt. Wieder schnitt die schwarze Rückenflosse durch das ruhige Wasser, und der hünenhafte Neger schluckte erschrokken.

Mit dem nächsten Atemzug fing er sich und grinste. „Pech für Haie. Dummy im Kopf, wenn sie nicht gesehen haben fette Happen vor eigene Nase.“ Er schüttelte den Kopf. „Boot kaputt“, stellte er fest. „Aber ‚Isabella‘ wird uns suchen.“

Dan nickte nur.

Ja, die „Isabella“ würde sie suchen. Und da diese Insel die einzige weit und breit war, würde man sie vermutlich auch finden. Der blonde junge Mann atmete tief durch und sagte sich, daß man der Sache schließlich auch gute Seiten abgewinnen konnte.

„Schauen wir uns an, wo wir hier gelandet sind“, schlug er vor. „Am besten marschieren wir erst mal um die Insel herum. Vielleicht finden wir irgendwo am Strand ein intaktes Boot.“

Die Hoffnung war zwar gering, aber ein Versuch konnte nichts schaden. Jetzt, am frühen Morgen, war es sogar recht angenehm, durch die Sonne zu wandern, dicht am Wasser entlang, wo der Sand noch feucht und fest war.

Die beiden Männer folgten der sanft geschwungenen Linie der Bucht, kletterten über die vorspringenden Felsen einer Landzunge und erreichten eine weitere Bucht, die genauso aussah wie die erste. Nach Norden hin wurde das Gelände felsiger und endete schließlich in einer mächtigen Klippenformation, die weit ins Meer vorsprang.

Dan und Batuti turnten geschickt über die rundgewaschenen roten Steine und blieben am höchsten Punkt einen Augenblick stehen.

Die ganze Nordseite der Insel, etwa eineinhalb Meilen lang, war schroffe Steilküste. Auf der geröllübersäten Brandungsplatte wurde das Gehen mühseliger, aber dafür gab es kühlen Schatten. Längst waren die Kleider der beiden Männer getrocknet, und es würde nicht mehr lange dauern, bis sie die Hitze wieder als drückend empfinden würden. Sie beeilten sich nicht, sahen sich sorgfältig um, spähten immer wieder über den Strand und die Brandung, aber im Grunde rechneten sie nicht ernsthaft damit, ein Boot zu entdecken.

Der Westzipfel der Insel sah genauso aus wie ihr östliches Ende: rote, von unbekannten Naturgewalten aufgetürmte Felsen, zwischen denen sich die Hitze wie in einem Backofen staute. Dan und Batuti waren froh, als sie wieder den breiten südlichen Strandstreifen erreichten und in den Bereich der sanften Brise gerieten. Sie brauchten keine zwei Stunden, um die Insel zu umrunden. Das Wrack auf den Klippen und die Trümmer ihres eigenen Bootes, die sie schließlich wieder vor sich sahen, blieben die einzigen Zeichen menschlichen Lebens.

„Wo, zum Teufel, mag der Verrückte stecken?“ murmelte Dan, während er sich aufatmend in den grünlichen Schatten der Palmen sinken ließ.

Batuti zeigte mit dem Daumen hinter sich, dorthin, wo jenseits des Palmengürtels der eigentliche Wald wie eine dunkle Wand begann. Ein kleiner und ein höherer Felsenbukkel erhoben sich aus dem Gewirr der tropischen Vegetation. Dazwischen mußte eine geschützte Mulde liegen. Wen oder was der Irre auch immer auf dieser Insel suchte – vermutlich würde er dort oben suchen.

„Ich habe Hunger“, sagte Dan. „Und Durst! Wir sollten versuchen, eine Quelle und irgend etwas Eßbares zu finden.“

Kleines O’Flynn immer Hunger.“ Batuti grinste, während er sich bereits von dem umgestürzten Stamm erhob, auf dem er gesessen hatte.

Dan war zu müde, um aufzubrausen.

Schweigend marschierten sie los, durchquerten den lichten Palmengürtel und begannen, ins Dickicht einzudringen. Bäume bildeten ein undurchdringliches grünes Dach, in ihrem Schatten verfilzten sich Schlinggewächse zu dichten Matten. Schmale Pfade zogen sich hindurch, Wildwechsel vermutlich. Ab und zu durchbrachen rote Felsen den Boden, schließlich wurde der Wald etwas lichter. Das Gelände stieg nicht mehr so steil an, sondern bildete eine Art unregelmäßiger Hochfläche, aus der die beiden Felsenkegel hochragten.

Dan wischte sich den Schweiß von der Stirn.

„Am besten klettern wir da ’rauf“, schlug er vor. „Wir müssen uns einen Überblick verschaffen.“

„Und Essen finden“, vollendete Batuti grinsend. „Da drüben Früchte!“

Tatsächlich leuchteten faustgroße blaßrote Früchte aus den Bäumen am Fuß des niedrigen Gipfels. Die beiden Männer kannten den Namen der Dinger nicht, aber sie wußten, daß sie ausgezeichnet schmeckten und den Durst löschten. Sie beeilten sich auf dem letzten Stück des Weges, und dann legten sie erst einmal eine Pause ein, um von dem verlokkenden Angebot der Natur etwas zu essen.

Eine Viertelstunde später gingen sie weiter.

Instinktive Vorsicht ließ sie behutsamer auftreten, als sie sich dem Gewirr ansteigender Felsen näherten. Zwischen den Bäumen und über dem Dickicht hatte die Luft nahezu gekocht, hier oben wehte wieder eine erfrischende Brise.

Dan O’Flynn musterte die schroffen roten Felsen, suchte nach einem bequemen Aufstieg – und zuckte im nächsten Moment erschrocken zusammen.

Hinter einem der Steinblöcke in unmittelbarer Nähe gab es jähe Bewegung.

Ein kurzer, halb erstickter Schrei ertönte. Und dann ein heiseres, langgezogenes, irres Lachen.

„Der Verrückte!“ stieß Dan durch die Zähne.

Batuti nickte nur und kniff die Augen zusammen. Unwillkürlich tastete seine Rechte zum Gürtel, aber genau wie Dan war er unbewaffnet. Er pflegte nicht mit seinem mörderischen Morgenstern zu schlafen, und auch bei der Bordarbeit waren Waffen nur hinderlich. Wie hätten sie auch ahnen können, daß sie in den dicksten Schlamassel geraten würden, nur weil sie mal ausgetreten waren!

Dan O’Flynn bückte sich nach einem stabilen Ast, der neben seinem Fuß lag. Batuti hielt bereits einen handlichen Steinbrocken in der Faust. Vorsichtig schlichen sie um den Felsen herum – und das Bild, das sich ihnen bot, ließ sie völlig überrascht innehalten.

In der Mulde zwischen den roten Felsen lag mit dem Gesicht nach unten ein breitschultriger, bulliger Mann.

Sein Hinterkopf war nur noch Brei, ein blutbefleckter Steinbrokken verriet, auf welche Weise er getötet worden war. Über ihn beugte sich, zitternd vor Erregung, der irre Kapitän und zerrte die Pistole aus dem Gürtel seines Opfers.

Triumph zuckte über sein Gesicht, als er sich aufrichtete.

Eine Sekunde starrte er Dan und Batuti an, ohne zu begreifen. Seine Lider zogen sich auseinander, der Ausdruck seiner Augen wurde eigentümlich leer. Mit einem Fauchen wie eine gereizte Katze zog er den Kopf zwischen die Schultern – dann warf er sich heftig herum und hetzte ins Gewirr der Felsen.

Dan und Batuti dachten nicht daran, ihn blindlings zu verfolgen.

Für sie hatte sich die Lage schlagartig geändert.

Immer noch starrten sie auf den unbekannten Toten, der vor ihnen lag. Es war ein Weißer in zerfetzter Seemanns-Kleidung, vermutlich ein Überlebender von dem Wrack, das zerschellt auf dem Riff lag. Dan und Batuti wechselten einen Blick. Sie hatten geglaubt, daß die Insel bis auf den irren Kapitän leer sei, jetzt war ihnen klar, daß sie ihre Vorsicht verdoppeln mußten.

Der riesige Gambia-Neger beugte sich rasch über den Toten und zog ihm das Entermesser aus dem Gürtel.

Eine zweite Waffe war nicht vorhanden, und Dan packte den stabilen Ast fester. Einen Augenblick lauschte er, aber er hörte nichts, was darauf hingewiesen hätte, daß der Schrei und das kurze Gerangel bemerkt worden waren.

Mit zusammengepreßten Lippen starrte er zu den Felsen hoch, dann begann er, durch einen tiefen Einschnitt aufwärts zu klettern.

Batuti folgte ihm.

Binnen Minuten hatten sie den Gipfel erreicht. Ein kahler, runder Buckel markierte den zweithöchsten Punkt der Insel. Die beiden Männer kletterten nicht ganz hinauf, da sie auf der Kuppe von allen Seiten hätten gesehen werden können. Über die flach abfallende Schräge arbeiteten sie sich bis dorthin vor, wo sich das Gelände nach Osten senkte. Geduckt hinter einer roten Felsenbarriere blieben sie stehen.

„Heiliger Bambim“, murmelte Batuti.

„Bimbam“, verbesserte Dan mechanisch, während er in die weitgeschwungene, geschützte Mulde hinunterspähte.

Eine Quelle entsprang im Schatten der Felsen und suchte sich gurgelnd und plätschernd ihren Weg durch sattgrünes Gras. Fruchtbäume spendeten Schatten, in den Gesteinsfalten wucherten Ranken, die über und über mit leuchtend blauen Blüten bedeckt waren. Sie sahen eine Feuerstelle, einen Kupferkessel, der an einem provisorischen Dreibein hing, einen Haufen Ausrüstungsgegenstände, die vermutlich von dem Wrack stammten – und mindestens ein Dutzend in der Sonne dösender Gestalten.

„Männer von Schiff gebrochen“, stellte Batuti fest.

Dan nickte nur. Ja, es mußten Schiffbrüchige sein – Überlebende von dem Wrack, das der Sturm auf das Riff geworfen hatte. Abenteuerliche, verwegene Gestalten, wie Dan feststellte. Ein bunt zusammengewürfelter Haufen, der alles andere als vertrauenerweckend aussah.

Spanier?

Dan O’Flynn bezweifelte es. Zwei, drei südländische Typen waren dabei, ein Indianer mit einer seltsamen zopfartigen Haartracht, aber auch eine Reihe hellhaariger, blauäugiger Männer und etliche Mischlinge. Südsee-Piraten, vermutete Dan.

Saßen die Männer hier fest? Oder verfügten sie vielleicht noch über Boote?

Dan kam nicht dazu, weiter darüber nachzudenken.

Denn im selben Augenblick wurde es unter ihm im Gebüsch lebendig. Ein dünner, heiserer Schrei ertönte, dieser irre Schrei, den die Seewölfe jetzt bereits kannten – und von einer Sekunde zur anderen war in dem Camp der Schiffbrüchigen die Hölle los.

Eine Pistole krachte.

Aufschreiend griff sich einer der dösenden Männer an den Hals und sank ins Gras zurück. Wie der Leibhaftige brach der verrückte Kapitän durch die Büsche. Seine Stimme überschlug sich, kreischte in schrillem Diskant – und immer wieder waren die Worte „Meuterei“ und „Verrat“ zu hören.

Nur flüchtig registrierte Dan O’Flynn, daß sich der Tobsüchtige auch jetzt noch des Englischen bediente.

Vier, fünf von den Männern in dem provisorischen Camp sprangen gleichzeitig auf.

Wieder krachte es, der Irre hatte auch den zweiten Lauf der Pistole abgefeuert. Der große grauhaarige Bursche, auf den er zielte, warf sich in letzter Sekunde zur Seite. Er brüllte einen Fluch, einen englischen Fluch – und wälzte sich blitzartig am Boden herum, als der Angreifer mit einem Hechtsprung auf ihn zuflog.

„Dummy im Kopf“, flüsterte Batuti überflüssigerweise.

„Und wie!“ sagte Dan durch die Zähne.

Sein Blick hing an dem Irren, der den eigenen Schwung nicht bremsen konnte, stolperte und stürzte. Das alles hatte nur wenige Sekunden gedauert, und jetzt endlich erholten sich die übrigen Männer von ihrem Schrecken.

Wie eine Woge schlugen sie über dem Irren zusammen.

Er hatte nicht den Schimmer einer Chance. Binnen einer halben Minute lag er bewußtlos und an Händen und Füßen gefesselt auf dem Boden, und die heimlichen Beobachter zogen sich ein Stück in den Schutz der Felsen zurück.

„Und jetzt?“ fragte Batuti tatendurstig. „Kerle auf Kopf hauen?“

Dan grinste.

Er war zwar kein Bürschchen mehr, sondern längst zum Mann geworden, doch von seiner Hitzköpfigkeit hatte er wenig verloren. Normalerweise sagte er nie Nein, wenn es galt, einem Gegner aufs Haupt zu schlagen. Daß sie alles in allem nur über ein einziges Messer verfügten, hätte ihn nicht einmal sonderlich gestört. Aber im Augenblick erschien ihm die Lage einfach noch zu undurchsichtig, um irgend etwas zu unternehmen.

Er kniff die Augen zusammen und kratzte sich am Kinn.

„Nicht auf den Kopf hauen“, entschied er. „Anschleichen und ein bißchen die Ohren aufsperren. Zu allererst müssen wir wissen, was wir von den Typen da unten überhaupt zu halten haben.“

Eine knappe Stunde später wußten sie es.

Geduckt kauerten sie zwischen Büschen und Felsen, in Hörweite des Piratenlagers. Denn daß es tatsächlich Piraten waren, die der Sturm auf diese gottverlassene Insel verschlagen hatte, war Dan und Batuti inzwischen klar.

Genauso klar wie die Tatsache, daß sie mit ihrer Vermutung genau richtig lagen: die Piraten hatten gemeutert und ihren Kapitän, den Kahlköpfigen, in dem winzigen Beiboot ausgesetzt, lange bevor das Schiff im Sturm scheiterte.

Jetzt versuchten sie herauszufinden, wie der Irre hierhergefunden hatte, aber der starrte nur stumpf vor sich hin und reagierte auf keinerlei Fragen. Er war offenbar tatsächlich Engländer, und auch die meisten anderen sprachen Englisch, einige allerdings mit französischem oder italienischem Akzent.

Der Anführer der Kerle war ein großer, knochiger Mann, trotz des grauen Haars noch ziemlich jung, mit einem hageren Wolfsgesicht und steingrauen Augen. Er wurde Jean genannt, manchmal aber auch „Breton“, stammte also wohl aus der Bretagne. Er wirkte ruhig und hart: ein Mann, den nicht nur körperliche Kraft, sondern auch Intelligenz zum Führer erhob.

Dan O’Flynn beobachtete ihn aus zusammengekniffenen Augen und versuchte, sich einen Reim auf das zu bilden, was sie bisher erlauscht hatten.

Von einem Schatz war die Rede gewesen. Von unermeßlichen Reichtümern, von Maya-Gold, einem verlokkenden Ziel – und von der Unmöglichkeit, die Insel zu verlassen. Die Meuterei gegen den verrückten Kapitän war offenbar nicht der einzige Zwischenfall gewesen.

Als das Schiff im Sturm zu scheitern drohte und bereits Wasser nahm, hatten sich sechs Männer der Besatzung, darunter alle Offiziere, mit der Pinasse davongestohlen und ihre Kameraden im Stich gelassen. Von den sechs war nie wieder eine Spur gesehen worden – und die anderen hatten es nicht geschafft, ihr Schiff zu retten.

Jetzt saßen sie auf dem Eiland im Pazifik fest und konnten nur noch auf ein Wunder hoffen.

Ein Wunder in Gestalt eines Schiffs, wie Dan klar war. Er dachte an die „Isabella“, die ihn und Batuti suchen würde. Bedeuteten die Piraten eine Gefahr für die Seewölfe? Sicher nicht, dachte Dan spontan. Aber er hatte inzwischen gelernt, daß allzu leichtfertige Schlüsse üble Folgen haben konnten.

Auf jeden Fall mußte die „Isabella“-Crew gewarnt werden, wenn sie die Insel anlief. Irgendwie! Dan überlegte, und für einen Augenblick konzentrierte er seine Aufmerksamkeit mehr auf seine eigenen Gedanken als auf die Umgebung.

Batuti mit seinem hellwachen Instinkt spürte die Gefahr eher als der blonde Dan O’Flynn.

Da war etwas!

Ein winziges Geräusch in ihrem Rücken!

Der hünenhafte Neger witterte plötzlich mit jeder Faser, daß sie nicht mehr allein waren. Er nahm die Intensität eines fremden Blicks wie eine Berührung wahr – und mit der Geschmeidigkeit einer großen Raubkatze schnellte er herum.

Der Kerl, der sich zwischen den Felsen aufgerichtet hatte, stieß einen erschrockenen Schrei aus.

Er hatte bereits ausgeholt und schwang das Enterbeil hoch über dem Kopf, aber der unvermutete Anblick des schwarzen Gesichts mit den blitzenden Zähnen und den furchterregend rollenden Augen ließ ihn erstarren. Seine Augen wurden groß vor Schreck, und mit einem neuen, diesmal schrill und hysterisch gellenden Schrei zuckte der Kerl zurück, als der schwarze Herkules auf ihn zuschnellte.

Dan O’Flynn wirbelte herum.

Er sah Batutis gestreckten Körper, das blitzende Enterbeil und den Kerl, der verzweifelt und viel zu spät versuchte, die Waffe niedersausen zu lassen. Batutis schwarzer Krauskopf rammte die Magengrube des Piraten so wuchtig, daß der Bursche wie ein Schilfrohr zusammenknickte. Jäh wurde er nach rückwärts geschleudert. Das Enterbeil mußte er loslassen, da sich die Klinge in eine armdicke Wurzel gebohrt hatte.

Gurgelnd und nach Luft schnappend prallte er zu Boden. Batuti landete über ihm – und ehe der Kerl auch nur einen Finger zu rühren vermochte, schloß er bereits mit der mächtigen Faust des Negers Bekanntschaft.

Dem Piraten war zumute, als habe ihn ein Belegnagel am Kinn getroffen.

Seine Zähne klirrten aufeinander, sein Hinterkopf prallte gegen einen Stein. Er würde mindestens eine halbe Stunde brauchen, bis er sich auf den eigenen Namen besann, aber die beiden Seewölfe wußten nur zu genau, daß ihnen das wenig nutzte.

Jenseits der Buschkette wurde es schlagartig lebendig.

„Pepe!“ brüllte jemand. „Pepe le Moco …“

Schritte trampelten. Schritte, die durch das Buschwerk brachen und sich rasch näherten.

Dan und Batuti hätten ihr Heil in der Flucht suchen und laufen müssen, was ihre Beine hergaben. Aber schmählicher Rückzug war etwas, das sie in der Seele verabscheuten – und sie brauchten ein paar Sekunden, um sich zu diesem nach Lage der Dinge einzig vernünftigen Entschluß durchzuringen.

Ein paar Sekunden zu lange!

„Weg hier!“ zischte Dan.

Seine Fäuste packten den Stiel des Enterbeils und zerrten es mit einem Ruck aus der Baumwurzel. Er wollte sich herumwerfen und Batuti mitziehen, aber da brachen schon die ersten Gegner durch die Büsche.

Fünf, sechs wilde Kerle, mit Dolchen, Schiffshauern, Säbeln und Pistolen bewaffnet. Der Bursche mit dem schulterlangen grauen Haar stürmte voran. Seine Augen funkelten. Eine Sekunde lang geriet auch er aus der Fassung und prallte fast zurück angesichts der wilden schwarzen Schreckensgestalt, die da so plötzlich vor ihm auftauchte. Dann erfaßte sein Blick den reglosen Körper seines bewußtlosen Komplicen.

Das hagere Wolfsgesicht verzerrte sich.

„Pepe!“ brüllte er auf.

Wild schwang er den kurzen, gekrümmten Säbel und holte aus, um Batuti die mörderische Klinge in den Leib zu rennen.

Dan O’Flynn handelte ohne Schrecksekunde.

„Arwenack!“ schrie er gellend, schwang das Enterbeil und stürmte vorwärts. Der Grauhaarige sah die drohende Bewegung aus den Augenwinkeln und wich blitzartig zurück. Dans Hieb ging ins Leere. Gleichzeitig warf sich Batuti gegen ihn und riß ihn mit seinem ganzen Gewicht zu Boden.

Ein breitklingiges Entermesser zischte dort durch die Luft, wo Dan O’Flynn eben noch gestanden hatte. Nur eine Armlänge vor seinen Augen prallte es gegen den Felsen.

Wie eine zustoßende Adlerklaue zuckte Batutis Faust vor, und mit einem wilden Kampfschrei schleuderte er das Messer dorthin zurück, wo es hergekommen war.

Einer der Piraten kreischte schrill auf, als sich die Klinge in seinen Oberarm bohrte.

Dan O’Flynn hatte sich bereits am Boden herumgeworfen. Schattenhaft sah er den Grauhaarigen über sich und riß das Enterbeil hoch – gerade noch rechtzeitig, um den Hieb abzufangen, der ihm den Schädel gespalten hätte. Der Säbel klirrte, als er auf den Schaft des Beils traf. Dan hatte die Waffe wuchtig nach oben gerammt. Der Grauhaarige wich zurück. Wie ein Kastenteufel sprang der drahtige blonde Dan O’Flynn auf die Beine.

„Arwenack!“ schrie er.

„Ar-wenack!“ brüllte Batuti, der dem nächstbesten Gegner die Pistole aus den Fingern gefegt hatte.

Für den Piraten war das ungefähr so, als habe eine Steinzeitkeule seine Hand getroffen. Er stöhnte schmerzlich. Eine halbe Sekunde sah er nur noch bunte Funken – und für Batuti reichte das, um den Kerl zu packen und als lebendes Wurfgeschoß in die Linie seiner nachrückenden Kumpane zu schleudern.

Dan O’Flynn drang mit dem Enterbeil auf den Grauhaarigen ein. Aber der Kerl konnte mit dem Säbel umgehen, parierte Hieb um Hieb und wich nur langsam zurück, während sich der Gedanke an all die anderen wie ein glühender Nagel in Dans Gehirn bohrte.

Batuti wütete wie ein Orkan unter den Piraten. Aber die wurden immer mehr, auch ihre Kumpane brachen jetzt durch die Büsche – und Dan brauchte einfach zu lange, um mit dem grauhaarigen Bretonen fertigzuwerden.

Als dessen Säbel unter einem mörderischen Hieb durch die Luft flog, war es zu spät.

Dan wollte den Burschen anspringen, doch im selben Moment trat ihm jemand die Beine weg. Vier, fünf Männer warfen sich von hinten auf ihn. Dan hatte keine Chance. Ein brutaler Tritt traf ihn in die Seite. Als er das Enterbeil hochreißen wollte, setzte ihm jemand den Stiefel auf die Hand. Ein Knie rammte sein Kreuz, Fäuste griffen in sein Haar und preßten ihm das Gesicht auf den Boden. Dan bäumte sich vergeblich auf, und mit dem nächsten Atemzug erstarrte er, als er den nadelscharfen Schmerz im Nacken spürte.

Die Spitze eines Dolchs ritzte seine Haut.

„Weg mit dem Messer!“ fauchte eine Stimme. „Noch eine Bewegung, und der Blonde ist eine Leiche!“

Batuti war gemeint.

Dan hörte ein Stöhnen hilfloser Wut, dann ein helles Klirren – das Entermesser, das der schwarze Herkules fallen gelassen hatte. Sekunden später ertönte ein Klatschen und ein dumpfer Fall, und Dan ahnte, daß einer der Kerle Batuti bewußtlos geschlagen hatte, bevor er sich näher an ihn heranwagte.

Dan O’Flynn lag immer noch mit dem Gesicht am Boden und konnte sich nicht rühren.

Er fluchte innerlich. Und er war einsichtig genug, um vor allem auf sich selbst zu fluchen.

Seewölfe Paket 6

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