Читать книгу Seewölfe Paket 6 - Roy Palmer - Страница 19

4.

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Der Kerl, der sich Kapitän Montsalve nannte, saß aufrecht im Heck des kleinen Bootes und starrte in die Richtung, in die Dan und Batuti pullten.

Schußbereit zielte die Muskete auf die beiden Seewölfe. Wenn die Wolkendecke aufriß, leuchtete der kahle Schädel des Dürren im Sternenlicht, und seine von der hochgezogenen Oberlippe ständig entblößten Zähne schimmerten.

Auch Batutis prächtiges Raubtiergebiß blitzte ab und zu auf. Aber bei ihm war es ohnmächtige Wut, die ihn die Zähne blecken und mit den Augen rollen ließ, als werde er jeden Augenblick wie ein Fäßchen Schwarzpulver explodieren.

Dan O’Flynn keuchte verbissen, um seinen Gegner glauben zu machen, daß er sich mit aller Kraft in die Riemen legte.

In Wahrheit pullte er höchst lässig, genau wie der riesige Gambia-Neger. Sie hätten das Tempo leicht verdoppeln können, wenn sie auch nur den geringsten Grund dafür gehabt hätten. So bemühten sie sich, so langsam wie möglich vorwärtszukommen, aber Dan bezweifelte, daß ihnen das etwas nutzen würde.

Der Wind hatte aufgefrischt und wehte jetzt mit einer bösartigen Schärfe, die der kurzen Dünung bereits erste Schaumkronen aufsetzte.

Immer seltener schimmerten Sterne durch die Wolken, die wie bizarre Luftgeister am Himmel dahinjagten. Über der nördlichen Kimm schob sich die Wand undurchdringlicher Schwärze allmählich höher, und die Seewölfe wußten, daß es nicht mehr lange dauern würde, bis ein Sturm losbrach, der sich gewaschen hatte.

Ein paar Minuten später war es vorbei mit dem laschen Pullen.

Die Dünung wurde länger und türmte sich zu beunruhigender Höhe. Dan und Batuti mußten sich mit aller Kraft in die Riemen legen und höllisch aufpassen, daß das Boot nicht quer zwischen zwei Wellenberge geriet, wo es unweigerlich kentern würde. Gischt spritzte und wehte in langen Schleiern über die schwitzenden Männer hin. Der Wind sang und orgelte.

Immer wieder kletterte das Boot in schwindelerregende Höhen und schien dann ins Bodenlose zu stürzen. Irgendwann in diesem Auf und Ab übertönte plötzlich ein schriller Triumphschrei das Brausen und Heulen.

Das Gesicht des dürren Kapitäns hatte sich verzerrt.

Mit aufgerissenen Augen starrte er über das wildbewegte Wasser. Nur für die Dauer eines Herzschlags geriet die Muskete aus der Richtung – und Dan O’Flynn nutzte sofort die Chance, auf die er die ganze Zeit über gelauert hatte.

Blitzartig ließ er mit der Rechten den Riemen los und packte den Lauf der Muskete.

Mit einem Ruck riß er seinem Gegner die Waffe aus der Hand und schleuderte sie so heftig hinter sich, daß sie auf die vordere Ducht knallte. Der Dürre stieß einen krächzenden Schrei aus. Eine Sekunde schien er wie erstarrt, mit schrecklich verzerrtem Gesicht und glühenden Augen, dann schnellte er blindlings vor, um sich auf Dan O’Flynn zu werfen.

Was danach geschah, hatte die tödliche Unausweichlichkeit einer Katastrophe.

Das kleine Boot schoß mit schwindelerregender Schnelligkeit ins nächste Wellental hinunter. Dan riß instinktiv einen Arm hoch, um den Irren abzuwehren. Heißer Atem schlug ihm ins Gesicht, zwei Hände schnappten um seine Kehle. Die Luft wurde ihm knapp. Er spürte den Druck der langen, sehnigen Finger, hörte Batutis wilden Fluch und riß in einem Reflex beide Hände hoch, um den Würgegriff zu sprengen.

Gleichzeitig knallte der riesige Gambia-Neger dem Verrückten von hinten die Faust in den Nacken.

Das Boot schlug quer.

Der Dürre stieß einen gurgelnden Laut aus und sackte über Dans Riemen zusammen. Wie eine Nußschale tanzte das leichte Fahrzeug zwischen den Wellenbergen. Batuti legte sich keuchend in die Riemen, um das Boot herumzusteuern, Dan stieß verzweifelt den Bewußtlosen beiseite. Drohend wie ein brüllendes Ungetüm richtete sich der nächste Wellenberg vor ihm auf, und das Blut schien ihm in den Adern zu gefrieren, als er sah, wie sich der Wellenkamm gischtend neigte.

„Wahrschau!“ schrie Dan. „Brecher achteraus!“

Mit einem wilden Ruck riß er an dem Riemen. Das Boot kam halb herum und kletterte schräg an dem steilen Wellenberg hoch. Für einen Moment sah es fast so aus, als könne noch einmal alles gut gehen, dann packte der Sog der sich brechenden Woge das Fahrzeug und schleuderte es wie mit einer Gigantenfaust hoch.

Die volle Gewalt des Brechers prallte gegen Kiel und Planken und wirbelte das Boot wie ein Spielzeug um die eigene Achse.

Dan stürzte, hörte den kreischenden Schrei des Dürren, der aus der Bewußtlosigkeit gerissen wurde, und warf beide Arme hoch, um seinen Kopf zu schützen. Die Kante des Dollbords knallte gegen seine Ellenbogen, brühheißer Schmerz schoß bis in die Schultergelenke. Dan schrie unwillkürlich auf und schluckte Salzwasser. Der Brecher spülte über ihn weg.

Verzweifelt vollführte er Schwimmbewegungen, bis sein Kopf die Wasseroberfläche durchstieß. Dicht neben sich sah er einen dunklen Schatten dahinschießen. Mit verzweifelter Kraft schnellte er vorwärts und warf sich mit ausgebreiteten Armen über das kieloben treibende Boot.

„Batuti!“ Seine Stimme gellte und übertönte sogar das Orgeln des Sturms. „Batuti! Batuti …“

Wie ein Geschoß flog der riesige Gambia-Neger aus den aufgepeitschten Fluten. Das Kraushaar klebte ihm am Kopf, in seinem schwarzen Gesicht rollten die Augen. Gurgelnd und prustend wühlte er sich vorwärts. Ein neuer Brecher drohte ihn wegzureißen, und in letzter Sekunde schaffte er es, sich mit beiden Fäusten am Kiel des Bootes festzuklammern.

„Kleines O’Flynn okay?“ keuchte er, sobald er wieder halbwegs Luft hatte.

„Nichts ist okay! Wir werden wie die Ratten absaufen!“

„Kleines O’Flynn nix Angst! Da drüben …“

„Angst?“ schrie Donegal Daniel O’Flynn empört. „Du hast wohl Seetang im Hirn, du schwarzer Affe! Ich bin ein O’Flynn, verdammt und zuge …“

Dan gurgelte, spuckte und schnappte verzweifelt nach Luft, als der nächste Brecher das Boot überspülte. Er brauchte alle Kraft, um sich an der tanzenden, schlingernden Nußschale festzukrallen. Erst als der Sturm den Gischtschleier wieder auseinanderwehte, konnte er sehen, daß Batuti mit blitzenden Zähnen grinste.

„Insel da drüben!“ brüllte der schwarze Herkules durch das Toben der Elemente. „Wasser treibt uns zu Strand. Aber verdammtes Riff dazwischen, verdammich!“

Was Batuti „verdammtes Riff“ nannte, passierten sie fünf Minuten später.

Fünf Minuten, die sich zu höllischen Ewigkeiten dehnten und in denen die beiden keuchenden, verzweifelt an das Boot geklammerten Männer jeden Augenblick darauf gefaßt waren, daß die Brandung ihre Körper gegen die scharfkantigen Felsen schmettern würde.

Dan schrie unwillkürlich auf, als eine besonders mächtige Woge sie packte. Urgewalten schienen das Boot emporzutragen. Dans Griff rutschte ab, wie eine Geistererscheinung sah er Batutis Hünengestalt durch die Luft fliegen. Im nächsten Moment wurde er selber unwiderstehlich hochgewirbelt. Er drehte sich, verlor fast das Bewußtsein und sah nur noch ein höllisches Chaos aus Wrackteilen, scharfkantigen Felsen, brüllender Brandung und Gischt. Hart klatschte sein Körper wieder ins Wasser – und es dauerte eine volle Minute, bis er überhaupt begriff, daß die mächtige Woge ihn über die Felsen des Riffs hinweggeschleudert hatte.

„Kleines Dan! Himmel, Arsch und Ungewitter …“

Batutis gurgelnde Stimme.

Dan warf sich herum, ließ sich von einem Wellenberg hochtragen und sah ein schwarzes, verzerrtes Gesicht in einer weißgrauen Gischtwolke. Erleichtert atmete er auf – und erhielt prompt eine neue Ladung Salzwasser in die Kehle.

Der Sturm peitschte auch das Wasser der Lagune auf, aber immerhin war es den beiden Männern jetzt möglich, zu schwimmen und sich vor allem zu orientieren.

Fast eine halbe Stunde brauchten sie, bis sie Boden unter den Füßen spürten. Schwer atmend taumelte Dan auf den fahl schimmernden Strandstreifen und ließ sich einfach in den Sand fallen. Batuti plumpste neben ihn, spuckte Wasser aus, keuchte und grinste abwechselnd.

„Boot kaputt, aber Knochen von Batuti heil“, verkündete er. „Kleines O’Flynn auch heil?“

„Ich bin nicht kleines O’Flynn, du schwarzer Affe.“

„Gut, großes O’Flynn! Knochen alle heil?“

„Klar. Aber wo sind wir hier, zum Teufel?“

„Insel mit Schiff kaputtes“, verkündete Batuti. Er stemmte den Oberkörper hoch und schüttelte sich. „Wind, verdammtes! Himmel, Arsch und Bruchwolke!“

„Wolkenbruch heißt das“, knurrte Dan, während er sich mühsam aufrichtete. Der Sturm zerrte an ihm, Gischt und Regen peitschten ihm ins Gesicht. Aus zusammengekniffenen Augen starrte er über den Strand, und im nächsten Moment packte er Batuti an der Schulter.

„He! Schau dir das an! Ist das nicht unser Irrer?“

Tatsächlich bewegte sich ein dunkles Bündel im gischtweißen Saum des Wassers, überschlug sich und begann schwerfällig wie ein verwundetes Tier über den Sand zu kriechen. Nach drei, vier Yards richtete die Gestalt sich auf, wurde von der Gewalt des Sturms sofort wieder umgeworfen und kämpfte sich von neuem auf die Knie. Einen Moment blieb der dürre Mann so kauern. Sein Kopf pendelte hin und her, und dabei erfaßte sein Blick den blonden Dan O’Flynn und den hünenhaften Neger.

Der Schrei, der über die Lippen des Verrückten brach, war noch schriller als das Heulen und Pfeifen des Sturmes.

Taumelnd sprang der Bursche auf.

Zwei Sekunden stand er schwankend da, torkelte, ruderte im Kampf um sein Gleichgewicht mit den Armen. Dann warf er sich mit einem neuerlichen kreischenden Schrei herum, hetzte taumelnd durch den Sturm – und war einen Atemzug später in der Finsternis verschwunden.

„Dummy im Kopf“, sagte Batuti lakonisch.

Dan O’Flynn nickte nur. Aber er fand, daß sie im Augenblick allen Grund hatten, sich um sich selbst zu sorgen, statt um den kahlköpfigen Irren.

„Schiff ho!“ brüllte Ed Carberry gegen das Heulen des Sturmes an. „Steuerbord voraus! Himmel, Arsch und Kabelgarn!“

Seine Stimme überschlug sich. Auf dem Achterkastell stemmte sich Hasard verbissen gegen die Schmuckbalustrade, klammerte sich mit der Linken an einem Strecktau fest und nahm die Zähne zur Hilfe, um das Spektiv auseinanderzuziehen. Die „Isabella“ kämpfte sich über Bakbordbug mit Besan und Sturmfock gegen den heranorgelnden Wind vorwärts. Ringsum war die Nacht ein tintenschwarzer Hexenkessel, und aus diesem Hexenkessel schien sich jetzt jäh und drohend ein noch schwärzerer Schatten zu lösen.

„Es ist der ‚Drache‘!“ brüllte Carberry. „Wir liegen auf Kollisionskurs!“

Vor Hasards Augen beschlug das Spektiv, aber der eine kurze Blick hatte genügt. Es war der „Eilige Drache über den Wassern“, der da wie das leibhaftige Verhängnis heranrauschte. Der Schwarze Segler lag platt vor dem Wind. Siri-Tong und der Wikinger hatten vermutlich die schwerste Trosse achteraus rauschen lassen: ein Trick, den die Rote Korsarin von Hasard gelernt hatte und der wiederum von seinem Alten, dem rauhbeinigen, salzgewässerten Sir John, der als Pirat die irische See verunsichert hatte.

Der Viermaster lag verhältnismäßig ruhig im Wasser – und lief mit seinen pechschwarzen Sturmsegeln eine Höllenfahrt, die ihn beängstigend rasch auf die „Isabella“ zuführte.

Nur für den Bruchteil einer Sekunde spürte Philip Hasard Killigrew etwas wie eine unsichtbare Pranke, die sich von innen in seine Magenwände krallte.

„Anluven!“ brüllte er mit Donnerstimme. „An die Brassen! Ruder hart über! Hol dicht den verdammten Besan!“

Und wie ein fernes Echo glaubte er, im Sturmgeheul den dröhnenden Baß des Wikingers zu hören.

„Gei auf Fock! Fier weg Besan!“

Krachend schlugen die Rahen der „Isabella“ um.

In einem blitzartigen Manöver schwang die Galeone nach Steuerbord und schoß in den Wind, während auf dem schwarzen Viermaster ebenso rasch die Sturmsegel aufgegeit wurden. Der „Eilige Drache über den Wassern“ verlor an Fahrt und wurde von der nachschleppenden Trosse eisern auf seinem Kurs gehalten, einem Kurs, der ihn haarscharf an der Backbordseite der „Isabella“ vorbeischeren lassen würde. Und die nachschleppende Trosse bildete eine Schleife, die wesentlich breiter war als das Schiff, in der sich der Kiel der „Isabella“ jeden Augenblick verfangen konnte.

„Besan und Fockrah rund!“ brüllte Hasard. „Abfallen, in drei Teufels Namen!“

Das letzte knirschte er fast unhörbar durch die zusammengebissenen Zähne. Er wußte, daß er Mast- und Schot- und Ruderbruch riskierte bei diesem halsbrecherischen Manöver, aber das war immer noch besser, als von der verdammten Trosse aus dem Kurs gebracht und gegen den Schwarzen Segler geworfen zu werden.

Die „Isabella“ schien in allen Verbänden zu stöhnen, als die Rahen rundgebraßt wurden und der heulende Wind über den anderen Bug einfiel. Die Galeone holte weit nach Steuerbord über. Ganz knapp rauschte der „Eilige Drache“ an ihrem Heck vorbei, und für einen Moment konnte Hasard sogar die dunklen Gestalten erkennen, die sich an die ausgespannten Manntaue klammerten.

Da waren Siri-Tong, in deren schwarzer Mähne der Sturm wühlte, und Thorfin Njal, in Felle gehüllt, den Kupferhelm auf dem Kopf, mit flatterndem grauem Bart.

Wie ein Spuk waren sie Sekunden später vorbei. Die schwarzen Sturmsegel, die der Wikinger wieder hatte setzen lassen, verschwammen mit der Dunkelheit, und im nächsten Augenblick war die höllische Sturmnacht so undurchdringlich, als habe es die gefährliche Begegnung nie gegeben.

Diesmal ließ Hasard die „Isabella“ wesentlich vorsichtiger über Stag gehen, um wieder auf den alten Kurs zu gelangen.

Wobei von Kurs eigentlich nicht die Rede sein konnte, weil die Galeone vom heranheulenden Sturm praktisch dwars vertrieben wurde. Aber der Sturm würde auch das Beiboot in dieselbe Richtung vertreiben, falls es nicht schon längst gekentert war. Hasard biß die Zähne zusammen, und der Gedanke, daß Dan und Batuti vermutlich der Willkür dieses Irren ausgeliefert waren, verwandelte sein Gesicht in eine steinerne Maske.

Erst gegen Morgen flaute der Sturm ab.

Von dem Beiboot mit Dan O’Flynn, Batuti und dem kahlköpfigen Verrückten war weit und breit nichts zu sehen. Auch nicht von dem Schwarzen Segler, der vermutlich beigedreht hatte, nachdem ihm die „Isabella“ auf Gegenkurs begegnet war. Der „Eilige Drache über den Wassern“ konnte nicht weit sein, aber Hasard hatte keine Zeit, jetzt auf seine Verbündeten zu warten.

Er ahnte, was der Schiffbrüchige mit seinem Wahnsinnsunternehmen bezweckt hatte.

Deutlich sah der Seewolf wieder vor sich, mit welcher Erregung der ausgemergelte Mann zu der geheimnisvollen Insel mit dem Wrack hinübergestarrt hatte. Die Insel war das einzige Stück festes Land im weiten Umkreis, ein paar Felsen in der Endlosigkeit des Pazifik. Wenn überhaupt, dann waren Dan und Batuti auf diesem Eiland zu finden.

Hasard brauchte nur wenige Minuten, um den ungefähren Standort der „Isabella“ zu berechnen und den neuen Kurs festzulegen.

Er wußte, daß die Chancen für Dan und Batuti höchstens eins zu tausend standen. Aber solange er die Insel nicht gefunden und untersucht hatte, würde er nicht aufgeben.

Seewölfe Paket 6

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