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Kapitel 5 - Ausblick – Gaststättenpleiten – November 2021

Blaulicht schoss durch die Gegend wie Diskobeleuchtung.

„Komm, genug gequasselt, da vorne ist Polizei, da ist was los.“ Er nahm sie an der Hand, als sie die Motzstraße in Schöneberg entlangliefen. Fast im Takt. Aber er war minimal zu schnell für sie. Ein Sportler eben. Die Fotos von der Half-Pipe-Fahrt mit dem Board - einfach cool - vor allem die Aufnahmen mit der Helmkamera. Während sie liefen, blickte sie immer wieder zu ihm. Es hatte so richtig gefunkt bei ihr. Alles an dem Mann war aufregend.

Noch vor zwei Stunden lag sie gelangweilt auf ihrem Sofa. Online-Vorlesung: Zirkulation und Klimadynamik. Jogging-Anzug, verzuselte Haare, ungeschminkt. Das neue Ich, dachte Lea, als sie sich in ihrem Bettspiegel sah. Scheiß drauf, sagte sie sich und mühte sich durch die Veranstaltung. Die Isolation in der Pandemie belastete sie. Die fehlenden sozialen Kontakte.

Wenn sie durch die Prüfung segeln würde, wäre die Politik schuld, schlussfolgerte sie. Universität geschlossen - kein Öffnungskonzept - wieder einmal. Sie folgte den Ausführungen des Professors, aber er sah sie nicht. Ein-Weg-Kommunikation.

Ein Anruf änderte alles. Zumindest verhinderte der, dass sie eingerollt in ihrem Bett einschlief. Dann ging es ganz schnell. Ins Bad, aufgedonnert, schwarze Wäsche, sie wollte vorbereitet sein, blauer Rolli, Schlaghosen. Stiefel an, die Treppen im Hausflur hinunter und zum Bus gerannt. Geschafft. Noch zwanzig Minuten, dann würde sie ihn am Nollendorfplatz wieder küssen. Davide. Der Optimist, der Gutgelaunte, der Gestalter. Ganz im Gegensatz zu ihrer Mutter. Jedes Wort mit ihr war überflüssig

NEWSLOX: Neue Statistiken zeigen Corona-Folgen: 30 Prozent der Berliner Hotels und Gaststätten vor der Pleite; höchste Insolvenz von Soloselbständigen in der Eventbranche.

Im Stockwerk über der Kneipe „Die Wirtin“ lehnten zwei Männer in gerippten Unterhemden eng umschlungen aus dem Fenster. Daneben beobachtete ein alter Mann mit Mütze die Szenerie. Er ließ seine Augen kreisen wie ein Jäger auf der Pirsch. Lea deutete auf die große Anzahl Frauen und sah Davide fragend an. Der zeigte nur auf die Regenbogenaufkleber an der Kneipentür. Sie bat lächelnd um Vergebung, in dem sie ihn auf die Wange küsste. Er beugte sich an ihr Ohr.

„Hattest du schon mal eine Frau?“

Sie boxte ihn in die Seite, schüttelte den Kopf, entrüstet. Dann zog sie seinen Kopf an ihr Ohr.

„Nein, aber das wär‘ bestimmt aufregend.“

Dann deutete er auf ein Schild, das eine der Anwesenden in der Hand trug, während sie mit der anderen Hand ihren Weimaraner an der Leine führte.

„Mütend, Mütend, Mütend."

Lea zog Schultern und Augenbrauen nach oben.

„Eine Mischung aus müde und wütend.“

„Du Schlauberger.“

„Öffnet die Bars“, stand auf einem anderen Schild, „Freiheit für Geimpfte“ auf dem nächsten. „Geimpft = Grundrechte nutzen“ auf einem vierten. Die Menge skandierte und Davide sah, wie eine Handvoll Polizisten sich der Gruppe von Westen näherte. Intuitiv zog er seine rote Bomberjacke zu.

„Na, jetzt bin ich gespannt“, murmelte er und zog Lea näher an sich ran, bevor er einige Schritte auf die Gruppe zu machte.

„Was wollen die?“, fragte sie irritiert.

Plötzlich bellte der Weimaraner und fletschte die Zähne. Sie war keine Hundeliebhaberin und schob sich hinter Davide – wie ein kleines Kind.

„Hey, ich hab‘ auch Schiss vor Hunden“, sagte er.

„Keine Sorge, der beißt nur die Bösen“, beruhigte sie eine kleine zierliche Frau mit sanfter Stimme und drehte ihren Irokesenschnitt wieder Richtung Eingangstür. Die Polizisten kamen näher und in Hörweite griff die Anführerin zum Megafon. Sie forderte die Gruppe auf, auseinander zu gehen. Die Hundehalterin trat aus dem Pulk. Sie hielt den Hund stramm an der Leine. Noch hatte sie mehr Kraft als der Vierbeiner.

„Wir machen keine Demo, sondern wollen nur in unser Stammlokal. Wir sind geimpft“, erklärte sie mit einer Engelsstimme, die in krassem Widerspruch zu ihrem so robusten Aussehen stand.

„Wie Sie wissen, ist das Lokal weder geöffnet noch gibt es Sonderrechte für Geimpfte“, begann die Polizistin.

„Du bist aber ein Leckerchen, nur leider in der falschen Kluft“, spöttelte eine der Frauen.

„Aber es hilft doch allen: uns, dem Wirt, dem Staat und weil wir geimpft sind, darf man uns nicht weiter die Grundrechte entziehen.“

„Unsere Aufgabe ist nicht, Sie zu überzeugen, sondern dafür zu sorgen, dass sie nicht im Pulk auftreten und den Mindestabstand einhalten. In die Kneipe dürfen sie auf keinen Fall“, sagte die Polizistin.

„Aber ich bin Privatunternehmerin und darf Verträge schließen, mit wem ich will“, provozierte die Wirtin, die unter dem gleichnamigen Schild im Eingang ihres Lokals stand.

„Die kennt sich wohl aus“, kommentierte Lea anerkennend in Davides Ohr. Wieder war sie näher an ihn ran gerückt.

„Das hast du Recht, die Susanne ist vermutlich die einzige lesbische Anwältin, die im Hauptberuf Kneipenfrau ist“, kommentierte Engelsstimme wieder. „Die lässt sich nicht so leicht abwimmeln.“

Die Polizistin schien hin- und hergerissen. Ihre Augen signalisierten Diskussionsbereitschaft. Sie war als Systemrelevante geimpft und verstand die Forderung der Frauen. Schließlich erklärte sie, dass selbst bei fortgeschrittener Impfung keine Ungleichbehandlung vor dem Gesetz herrschen dürfe. Und es wäre doch für alle ratsam, noch eine Weile zu warten mit dem Kneipenbesuch.

Pfiffe und Buh-Rufe. Ihr Kollege zog sie am Arm und sprach in sein Funkgerät. Lea verstand nur irgendwas von Unterstützung.

„Gehen Sie jetzt nach Hause!“

Engelsstimme gab dem Weimaraner etwas Leine und er bellte in Richtung der Blauen. Kneipen-Anwältin Susanne meldete sich:

„Leute, die Polizistin weiß, wovon sie spricht. Das Gesetz sagt: ich darf zwar Verträge machen, mit wem ich will. Und ich darf dann Gäste aussperren, also Nicht-Geimpfte, wenn ich wieder ausschenke. Aber das Gesetz sagt auch: Im Moment darf ich euch nichts ausschenken. Also, Abflug jetzt.“

Kopfschütteln und Gebrumme.

„Kommt, geht heim. Ihr seid nah am Bußgeld wegen einer ungenehmigten Demo“, machte die Wirtin ihnen Beine.

Mürrisch drehten sich die Damen auseinander, als Engelsstimme plötzlich rief:

„Verdammt nochmal, ich hab‘ doch nicht LSBT gewählt…“

„Wen?“, fiel ihr eine andere ins Wort.

„Die PARTEI DER LESBEN, SCHWULEN, BISEXUELLEN UND TRANSGENER. Ich hab‘ die doch nicht gewählt, dass jetzt wieder nichts passiert, sondern dass die uns im Parlament vertreten. Was soll die ganze Scheiße? Die neue Regierung kann es auch nicht. Ich hab‘ genug vom eingesperrt sein. Will jetzt ein Bier.“

„Gehen Sie jetzt bitte nach Hause“, antwortete die Polizistin und machte einen Schritt auf Engelsstimme zu. Sofort ging der Weimaraner dazwischen, bellte aggressiv und begann, an der Polizistin hochzuspringen. Die griff intuitiv an ihr Pistolenholster.

„Nehmen Sie den Hund zurück, sofort“, rief ihr Kollege von hinten mit dem Schlagstock in der Hand.

Davide nahm Leas Hand und zog sie aus dem Pulk.

„Weg hier, bloß keinen Ärger. Das ist für Schwarze nie gut.“

Lea sah noch, wie sich der Hund losriss und auf die Polizistin losging. Dann knallte ein Schuss.

Brenzlige Wahlen

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