Читать книгу Brenzlige Wahlen - Ruben Gantis - Страница 13
ОглавлениеKapitel 7 - Rückblende – Boomende Rechte – Juli 2021
Sie trieb ihn schon seit vier Kilometern vor sich her. Erbarmungslos. Seit einer knappen halben Stunde rannte er nun schon durch den Volkspark Schöneberg. Von seiner Wohnung hinter dem Rathaus waren es nur ein paar Schritte zu seiner Sportstrecke. Immer wieder verfiel sie in einen Sprint. Er hatte Mühe, mitzuhalten. Vor der Abbiege zur Innsbrucker Straße graute es ihm. Vierzig Stufen hinauf zur Brücke – fünf Mal auf Zeit. Er liebte sportliche Herausforderungen. Sie mussten wehtun. Immer ein wenig besser werden in dem, was er machte. Er genoss es, wenn die Frauen ihm hinterherschauten und seine muskulöse Figur mit Blicken kommentierten.
Nach dem Treppensteigen sofort in Liegestütz, dreißig Wiederholungen, dann Pause, Treppen zurück und das Ganze von vorne. Er blickte sie flehend an, aber sie war unerbittlich.
„Gefällt dir, mich so schwitzen zu sehen.“
„Nein, aber einen Schlappschwanz kann ich nicht gebrauchen.“
Er drehte sich um zu ihr. Sie lachte. Und wie sie ihn reizte, von wegen Schlappschwanz. Matthias war groggy, aber seine Trainerin trieb ihn an, locker zu seiner Wohnung zurückzulaufen. Außer Atem, kaputt, aber zufrieden beendete er die Trainingseinheit.
„Noch auf nen Drink zu mir?“
„Träum weiter.“
Der Obstsalat wartete bereits auf ihn. Seine tägliche Vitaminration. Zuvor nahm er einen großen Schluck von seinem Proteinshake. Mit dem Becher in der Hand schaute er in den großen Spiegel im Flur und begutachtete seine schwarzen Haare. Jeden Ansatz von grauen Strähnen zupfte er heraus. Er zog sein Laufshirt aus und stellte sich in Pose. Zufrieden nickte er seinem flachen Bauch zu. Auf dem Weg zum Kühlschrank leerte er den letzten Rest des Shakes ins Spülbecken. Mit einem Joghurt verfeinerte sie den Obstsalat, klemmte sich sein I-Pad unter den Arm und ging auf den Balkon. Obwohl es früh war, strahlte die Sonne bereits.
NEWSLOX: Warnung vor ANTI CORONA PARTEI: Auch Hitler fing klein an.
Die Nachricht erinnerte ihn ungewollt an die unschöne Begegnung mit seinen Kumpels aus dem Berliner Fightclub, die ihn vor zwei Wochen besuchten. Er staunte nicht schlecht, die Vögel auf der Überwachungskamera seiner Wohnung zu erkennen. Schließlich ließ er sie rein. Sie machten es sich in seinem Esszimmer gemütlich. Füße auf den schwarzen Stahltisch, Bier in der Hand. Dann holten sie Wein aus dem Hängeschrank.
„Du bist ein Gewinner, wir die Verlierer der Corona-Pandemie. Du der Nutznießer, der Profiteur. Deshalb sind wir der ANTI CORONA PARTEI beigetreten. Die sorgen für Gerechtigkeit.“
„Wegen mir?“
„Nicht wegen dir, aber wegen solchen wie dir!“
„Noch ganz dicht, die Rechten zu unterstützen?“, konterte er. Aber er hatte bald keine Lust mehr gehabt auf diesen Quatsch und sie angewidert rausgeschmissen. Ihre Drohungen wischte er weg wie den Staub vom Tisch. Am nächsten Tag trat er aus dem Club aus.
Er begann, seine Emails zu lesen. Wieder nur Absagen. Matthias suchte händeringend Paketzusteller, um die Flut von Aufträgen zu bewältigen, die ihm die Pandemie bescherte. Sein mittelgroßer Logistikbetrieb war spezialisiert auf die Auslieferung von Paketen in Berlin innerhalb weniger Stunden. Seit Beginn von Corona schnellten die Auslieferungszahlen in die Höhe. Vor kurzem hatte er einen Personalberater beauftragt, ihm die Mitarbeitersuche abzunehmen. Aber der trat auf der Stelle und fand nicht die richtigen. Entweder waren die Kandidaten nicht motiviert oder täuschten Lust auf Arbeit nur vor. An Bewerbungen mangelte es nicht. Aber nach dem Erstgespräch war meist Schluss. Er brauchte weitere Kräfte. Dringend. Matthias griff zu seinem Handy und rief den Personalberater an, um sich einen genauen Überblick über den Bewerberstand geben zu lassen. Ernüchtert legte er nach einer Viertelstunde wieder auf.
Er ging zurück in die Küche, holte sich ein Glas Wasser. Geht nicht gibt’s nicht, war sein Lebensmotto, reflektierte er. Das hatte er von klein auf von seinem Vater gelernt, einem Schlosser aus Bernau. Wie er. Das war ihm auf Dauer aber nicht genug. Er studierte über den zweiten Bildungsweg Betriebswirtschaft, fing nebenher als Paketfahrer an, entschied sich schnell, sein eigener Herr zu werden. Eine gute Entscheidung. Wenn damit nur nicht die böse Geschichte mit seinem alten Kumpel Sven zusammenhängen würde. Er hatte es verdrängt. Vergessen nicht. Und die Verbrennungen vom Schweißen am Unterarm erinnerten ihn täglich an ihn. Auch wenn er sie mit einem Tattoo zu kaschieren suchte.
Bald, in wenigen Wochen schon, würde sich für ihn die Möglichkeit ergeben, dem Menschen, der ihn damals grundlos hatte hängen lassen, einen Stachel unter die Haut zu treiben. Das würde ihn jeden Tag daran erinnern, wie sich Schmerzen anfühlen. Aber das konnte Matthias Umpner zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen. Und ob er es überhaupt wollte, wusste er schon zweimal nicht.