Читать книгу Verlorenend - Fantasy-Epos (Gesamtausgabe) - S. G. Felix - Страница 44

Die Zeit läuft ab

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»Wo bist du?«, brüllte Antilius in das weite Land von Verlorenend.

Gilbert wurde durch den Lärm grob aus seinen Träumen gerissen. Und das war wirklich bedauerlich. Es waren Träume, die er seit sehr langer Zeit nicht mehr geträumt hatte.

»Was brüllst du so?«, fragte er verschlafen.

»Wo bist du?«, schrie Antilius wieder.

»Mit wem redest du? Antilius! Was ist denn los?«

»Sie hat uns belogen«, schnaufte Antilius. »Sie hat uns die ganze Zeit nur Lügen aufgetischt.«

Gilbert war verwirrt. »Wer?«

»Tahera!«

»Wieso hat sie gelogen? Und wobei?«

»Dieser Ort hier. Er ist nicht das, für den wir ihn halten sollen.«

»So? Was ist er dann?«

Antilius raufte sich niedergeschmettert die Haare. »Ich weiß nicht. Ich weiß es einfach nicht. Wir dürfen aber nicht hier bleiben - das weiß ich. Uns läuft die Zeit davon!«

»Du sprichst in Rätseln, Meister.«

»Ja, in Rätseln zu sprechen, das scheint hier eine Krankheit zu sein«, sagte Antilius verbittert.

»Es ist keine Krankheit«, sagte Tahera, die plötzlich wie aus dem Nichts hinter Gilbert und Antilius aufgetaucht war.

»Ich wollte euch nur beschützen.«

»Da bist du ja endlich! Sag mir jetzt die Wahrheit! Wehe, du belügst mich ein weiteres Mal.«

»Nur hier seid ihr sicher!«, wehrte sich Tahera mit ängstlicher Stimme.

»Unsinn! Durch dein Verhalten hast du alles nur noch schlimmer gemacht.«

»Wovon redest du?«, fragte sie verwirrt.

»Koros war hier. Er wusste von diesem Ort. Er kennt Verlorenend, verstehst du?«, sagte Antilius zornig.

»Das kann nicht sein. Ich wollte euch doch nur beschützen.«

»Du hättest dich nicht einmischen dürfen! Du hast alles nur noch viel schlimmer gemacht, indem du mich hingehalten hast«, schrie Antilius. Er war außer sich.

»Ich wollte dir helfen!«, stieß Tahera mit zitternder Stimme hervor. Gilbert befürchtete, dass sie jeden Moment in Tränen ausbrechen würde.

»Du hast mich hingehalten! Das ist alles, was du gemacht hast! Du hast mich vom Orakel ferngehalten, obwohl du genau wusstest, dass uns die Zeit davonläuft.«

»Nun lass sie doch ausreden«, fuhr Gilbert dazwischen.

»Ja, sicher. Noch mehr Zeit für ihre Lügen verschwenden.«

Tahera bemühte sich, die Tränen hinunterzuschlucken.

»Was hast du uns verschwiegen?«, fragte Gilbert ruhig.

»Ich habe gespürt, dass die Zeit in Verlorenend wieder vorwärtsschreitet. Jeder hier hat es gespürt. Nur wollte ich es aber nicht wahrhaben. Ich habe euch beide in meinen Visionen gesehen. Ich habe eure Zukunft gesehen. Viele Versionen eurer Zukunft. Aber eine Vision hatte ich so schrecklich oft, dass ich angefangen habe, mich vor dem Tag, an dem ihr hier eintreffen würdet, zu fürchten.« Tahera machte eine Pause und schluckte trocken. »Diese eine Vision hat mir deinen Tod gezeigt, Antilius. Und seitdem war mir klar, dass ich euch beide beschützen muss. Ich glaubte, es wäre das Richtige.

Als du, Antilius, hier ankamst, war ich davon überzeugt, dass die Zeit stillstehen würde und wir uns nicht beeilen müssten, Koros aufzuhalten. Mein Verstand wusste es zwar besser, aber ich täuschte mir selbst vor, dass wir hier in Verlorenend sicher sein würden und Koros uns hier nie finden würde.«

Tahera prüfte zuerst Gilberts und danach etwas länger Antilius’ Gesichtsausdruck. Dann sagte sie: »Ja, ich weiß. Das war naiv und selbstsüchtig. Das braucht ihr mir nicht zu sagen, ich kann es an euren Gesichtern ablesen.«

Tahera tat Gilbert leid. Er glaubte an ihre Aufrichtigkeit. Antilius aber spürte, dass Tahera ihm noch etwas verschwieg.

»Meine Zukunft ist noch nicht festgeschrieben. Deine Visionen haben dir nur eine Möglichkeit gezeigt. Eine Version der zukünftigen Ereignisse.

Ich dachte, du würdest an mich glauben? Ich vertraute dir«, sagte Antilius enttäuscht, aber trotzdem verträglich.

»Es tut mir so leid.« Mehr konnte sie nicht sagen. Und Antilius konnte es nachvollziehen.

»Nein, es muss dir nicht leidtun. Es würde mich nicht überraschen, wenn Koros dir bei deinen Visionen über meinen Tod ein wenig nachgeholfen hat, um mich zu behindern. Das traue ich ihm zu. Koros will zwar, dass ich etwas über mich selbst erfahre, aber er möchte nicht, dass ich genügend Zeit habe, soviel zu erfahren, dass es ausreichen könnte, ihn sogar zu besiegen. Er will sich mir im Kampf stellen, was immer er sich darunter auch vorstellen mag. Er will aber nicht, dass ich für ihn zu stark werde. Er möchte einen leichten Sieg davontragen.

Noch ist also nichts verloren. Führe mich zum Orakel, Tahera! Jetzt!«

»Du weißt ja nicht, worauf du dich einlässt. Du bist noch nicht bereit. Du fängst gerade erst an zu verstehen«, sprach Tahera verzweifelt.

»Das ist meine Entscheidung. Ich mag vielleicht nicht verstehen, was mit mir und um mich herum geschieht, aber ich habe einen eigenen Willen. Ich treffe meine eigenen Entscheidungen, auch wenn sie falsch sind.«

»Und wenn sie tödlich sind?«

»Dann auch.«

Tahera schwieg und senkte resigniert den Blick.

»Das Orakel!«, bohrte Antilius.

»Ich werde dich hinführen«, sagte Tahera enttäuscht, obwohl sie wusste, dass es keine andere Möglichkeit gab.

»Komm, Gilbert«, sagte Antilius.

»Nein. Es ist besser, wenn dein Freund hierbleibt. Das Orakel soll sich nur auf deinen Verstand konzentrieren können.«

»Gilbert wird mich begleiten. Das Orakel wird sich damit zufriedengeben müssen.«

»Wie du meinst«, sagte Tahera. »Folgt mir!«

Verlorenend - Fantasy-Epos (Gesamtausgabe)

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