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So soll es nicht enden

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Lange Zeit hatte Koros auf diesen Moment gewartet.

Das Flüsternde Buch verschlimmerte von Tag zu Tag seine kranke Sehnsucht nach der Macht der Transzendenz. Darin war das Buch wirklich gut. Mit unzählbar vielen Möglichkeiten, Schaden in der ihm verhassten Welt anzurichten, vergiftete es seine Gedanken. Koros lebte regelrecht in seinen Fantasien. Eigentlich war er ein bedachter und vorsichtiger Mensch. Und fast hätte er erkannt, dass alles zu perfekt zu laufen schien. Aber ehe die Saat des Zweifels bei ihm keimen konnte, überflutete das Flüsternde Buch Koros mit seinen Wahnvorstellungen. Es waren Fantasien über seine Zukunft. Eine Zukunft, die er ohne Hürden gestalten und jederzeit verändern würde, ganz nach seinem Belieben und seinen Launen. Als Transzendenter, so glaubte er, würde er über Macht verfügen, die ihn zum Gebieter über Raum und Zeit machen würde. Das Jetzt hatte für ihn keine Bedeutung mehr. Seine Gefährten hatten für ihn keine Bedeutung mehr. Sogar Wrax war ihm egal. Er war für ihn nur noch ein einfaches Werkzeug, das man wegwirft, wenn man es nicht mehr braucht.

Das Buch wusste ganz genau, was Koros hören wollte. Das Buch sprach zu ihm, obwohl Koros es nicht zur Barriere von Valheel mitgenommen hatte. Er hatte es in der kleinen Kammer in seinem Palast gelassen, weil es dort sicherer war. Das Flüsternde Buch hatte ihm gesagt, dass er es nicht mitnehmen dürfe, weil es zu gefährlich sein könnte. Aber er solle sich nicht sorgen, denn das Buch würde trotzdem immer zu ihm sprechen und ihm sagen, was zu tun sei. Ihn lenken, wie es sich ausdrückte. Und ihn nicht allein lassen.

Ja, das Buch war äußerst listig. Die Macht der Transzendenz war in der Tat gewaltig. Aber das Buch würde es niemals zulassen, sie Koros allein zu überlassen. Koros war in Wahrheit nur ein williges Opfer. Davon durfte er nichts erfahren. Denn hier waren höhere Mächte am Werk, von denen niemand etwas ahnte. Mächte, mit denen es Antilius noch zu tun bekommen würde.

Die Stimme des Buches füllte fast die gesamte Gedankenwelt von Koros Cusuar aus. Lediglich Antilius spielte in seinem Denken noch eine Rolle. Koros wollte ihm beweisen, dass er selbst derjenige sein würde, der als Sieger vom Schlachtfeld ging. Antilius, der von der Veränderbarkeit der Welt zum Guten glaubte, der für Werte stand, die Koros niemals erfahren hatte, sollte eines Besseren belehrt werden. Es würde - vor dem Hintergrund seiner Vergangenheit, die ihm ein Rätsel war - die Lektion seines Lebens sein. Doch Antilius würde nur der Anfang sein.

Nur der Anfang, dachte Koros überhitzt.

All jene, die jemals über Koros gelacht, ihn verspottet oder nur missachtet oder übersehen hatten, würden eine Lektion erteilt bekommen. Sein Blick war der Welt entrückt. Sein Wille war eisern. Sein Denken vernarrt.

Mit dem Lächeln eines Wahnsinnigen verfolgte er das Geschehen auf der gegenüberliegenden Seite der Schlucht, die seine Armee am Vormittag erreicht hatte.

Wie genau die Dreizehn Häuser der Ahnenländer von seinem Einmarsch erfahren hatten, war ihm unbekannt. Koros wusste, dass die Bewohner der Ahnenländer großen Wert auf traditionelle Riten und Bräuche legten. Wahrscheinlich besaßen sie Wahrsager, Orakel oder etwas Ähnliches, die sie beratend unterstützen sollten. Es war ihm aber ohnehin, wie alles andere, mittlerweile gleich.

Der Nebel vom Morgen hatte sich weitestgehend verzogen, trotzdem war es ein mit Wolken verhangener und trüber Tag.

Die Entfernung war zu groß, um mit bloßem Auge Details zu erkennen. Sicherlich würden sämtliche Geschütze auf der anderen Seite aufgefahren, um dem Aggressor zu widerstehen. Koros sah ein paar größere hölzerne Geräte, die am gegenüberliegenden Rand aufgestellt worden waren. Er hielt sie für Katapulte.

Die Dreizehn Häuser waren jedoch schlecht vorbereitet. Dafür hatten sie einfach nicht genügend Zeit gehabt. Wer immer sie gewarnt hatte, wie immer sie es erfahren hatten, dass ihre Ruhe gestört werden würde, sie würden nicht vorbereitet sein. Nicht auf das, was Koros über Jahre hinweg in vielen einsamen Nächten ausgetüftelt hatte. Ein paar kleine Spielzeuge hatte er erfunden, wie die Druckluftbomben. Es waren keine gewöhnlichen Bomben. Schießpulver war extrem teuer und selten. Nein, die Bomben, die Koros entwickelt hatte, verursachten keine Explosion mit Feuer. Sie erzeugten eine gewaltige Druckwelle, die sich kreisförmig ausbreitete und ihre Ziele einfach wegpustete. Sie würden im bevorstehenden Kampf eine entscheidende Rolle spielen. Das Flüsternde Buch hatte ihm die Baupläne verraten.

Zu diesen kleinen Spielereien gesellte sich noch die Tatsache, dass er mit seiner Armee in der Überzahl war. Die Finsteren Ebenen waren für den Herrscher wie ein gedeckter Tisch, bei dem man nur zugreifen musste. Es gab also keinen Grund für ihn, beunruhigt zu sein. Das Einzige, das ihn nervös machte, war das Portal, das er auf der anderen Seite errichten wollte. Würde es nach so langer Zeit funktionieren?

Besaßen die Avioniumvorkommen in den Bergen noch genügend Energie, um das Portal zu öffnen?

Koros verharrte am Rand der Schlucht und blickte zur anderen Seite, während Wrax die Aufstellung der Armee koordinierte. Mit versteinerter Miene gab der Berater Anweisungen und drohte mit Bestrafungen, wenn sich die Gedankenwandler mit sich selbst beschäftigten, anstatt sich auf den bevorstehenden Kampf zu konzentrieren.

Er ließ die Katapulte in zweiter und dritter Reihe ausrichten und auf die richtige Entfernung eichen. Dreizehn waren es insgesamt »Für jedes der Dreizehn Häuser eines«, hatte Koros gesagt.

Die Gorgens sollten in letzter Reihe stehen.

Über den weiteren Verlauf und das Vorgehen während der Schlacht war Wrax bisher nicht informiert worden. Und das setzte ihm gehörig zu. Nicht genug damit, dass er in diesen Stunden gegen seinen eigenen inneren Widerstand ankämpfen musste, so war er jetzt auch noch gezwungen, blind Befehle seines Ersten entgegenzunehmen, ohne zu wissen, was dieser als Nächstes vorhatte.

Es war noch Zeit, erneut die Konfrontation zu suchen. Grimmig näherte sich Wrax seinem Ersten, der immer noch reglos an der Klippe stand und das Treiben auf der gegenüberliegenden Seite beobachtete.

»Wie gedenkt Ihr weiter vorzugehen, Erster?«

»Holt mir den Alten!«

»Was?«

»Holt mir den alten Mann. Er soll herkommen. Ich möchte ihm etwas zeigen.«

Wütend leistete Wrax dem Befehl folge.

Dann frage ich eben nicht mehr! Soll er doch machen, was er will! Was kümmert es mich? Wenn er meint, alles zu wissen und mich dabei zu übergehen, dann soll er auch die Konsequenzen tragen, wenn es schiefläuft, schimpfte er lautlos.

Aber die Konsequenzen, die er würde tragen müssen, müsstest du auch tragen.

Pais Ismendahl, immer noch unter der geistigen Kontrolle von Koros stehend, erschien bei ihm.

»Sieh! Da drüben, alter Mann. Was siehst du?«

Pais’ Augen waren bei Weitem nicht so gut wie die von Koros. Viele Menschentrauben sah er auf der anderen Seite. Gesichter blieben auf diese Entfernung verborgen. Doch Eines konnte er sehen. Nicht mit seinen Augen, sondern mit den Augen des anderen Ichs, das von ihm Besitz ergriffen hatte.

Für viele Jahre hatte er dieses Gesicht nicht mehr gesehen. Und der echte Pais, der von dem fremden Ich kontrolliert wurde, hatte sich stets danach gesehnt, dieses Gesicht eines Tages wiederzusehen. In Frieden wiederzusehen. Die abgerissenen Brücken neu aufzubauen. Das war es, wonach sich der echte Pais sehnte.

Mit normalen menschlichen Augen war es unmöglich, das Gesicht aus der großen Entfernung zu erkennen, das Pais nun fixierte. Das fremde Ich in ihm ermöglichte es ihm dennoch, seinen Blick auf nur dieses eine Gesicht zu konzentrieren. Es ganz detailliert wahrzunehmen. Nichts anderes fokussierte das fremde Ich mehr. Nur noch dieses eine Gesicht. Es gehörte zu Pais’ älterem Bruder. Er war der Sprecher des Vierten Hauses Kellron. Lois war sein Name.

Anstatt sich an die schönen Augenblicke, die er mit Lois in seiner Jugend erleben durfte, zu entsinnen, listete der unsichtbare Besatzer in seinem Kopf all jene Begebenheiten auf, die den Hass auf seinen Bruder noch weiter anheizten.

Seine negativen Erinnerungen wurden zum Brennmaterial für seine lodernde Abscheu.

Pais nahm seine Armbrust, die an einem Lederband locker um seine Schulter geschlungen war, in Anschlag. Er zielte jedoch nicht auf Koros, so wie es sich der unterdrückte Teil in Pais wünschte. Pais zielte auf die andere Seite der Schlucht. Er zielte auf Lois. Und drückte ab. Der Herrscher schaute seiner Marionette gelassen und amüsiert zu.

Natürlich schaffte es der Bolzen nicht, die knapp hundert Meter über die Schlucht zu meistern. Dazu war die Armbrust zu klein. Der Bolzen versank auf halber Strecke in der Tiefe. Doch allein der Versuch machte die Absichten des anderen Pais deutlich. Rache und Tod.

Tief, ganz tief in einer winzigen dunklen Ecke in Pais war sein unterdrücktes Ich dazu verdammt, tatenlos alles mitanzusehen. Es war hilflos und allein.

Koros schaute dem Bolzen hinterher. »Fühlst du dich jetzt besser, alter Mann?«

»Nein«, sagte das fremde Ich scharf.

»Du wirst noch deine Gelegenheit bekommen. Übe dich in Geduld. Dann wird die Rache dein sein.«

Wrax kam schon wieder angeschlichen. Er wurde dem Herrscher immer lästiger. Seine bloße Anwesenheit machte ihn rasend.

»Was willst du?« Wieder das ‚du’.

Wrax schluckte seine Verbitterung runter. »Es ist alles bereit, Erster. Die Katapulte sind ausgerichtet, die Gorgens sind bereit, und die Borus sind an die Brückenkonstruktionen angespannt worden.«

»Gut.« Koros erklärte seinem Berater die nächsten Schritte, die er plante. Es war eigentlich ganz einfach. Nur fiel Wrax auf, dass sein Erster anscheinend überhaupt keine Vorkehrungen getroffen hatte für den Fall, dass etwas nicht nach seinem Plan laufen würde. Wrax runzelte die Stirn, entschloss sich aber dann, dieses Problem nicht anzusprechen. »Ich empfehle, dass wir sofort mit dem Angriff beginnen, Erster, bevor unser Gegner noch mehr Zeit hat, weitere Verstärkung zu sammeln. Nennenswerter Widerstand ist zwar nicht zu erwarten, dennoch sollten wir jetzt beginnen«, sagte er stattdessen.

Du wirst noch bereuen, dass du das gesagt hast, dachte Wrax erschrocken. Kannst es wohl gar nicht mehr abwarten, in die Schlacht zu ziehen? Kannst gar nicht schnell genug in dein eigenes Verderben rennen, wie?

Koros schaute seinem Berater in die Augen, doch in Wirklichkeit sah er ihn nicht an, sondern er blickte durch ihn hindurch wie durch Glas. »Du empfiehlst mir?«

»Ja, Erster, dafür bin ich doch da.«

Der Herrscher hielt es trotz seiner Spannung für besser, seinem Berater jetzt nicht eine Lektion zu erteilen. Wrax hatte ja recht. Und er brauchte ihn - noch.

»Danke«, würgte Koros hervor. »Begebt Euch zu den Gorgens und gebt das Signal, wenn ich es befehle.«

Besorgt schaute Wrax seinen Ersten an. Der Herrscher zitterte. Schweiß floss ihm in Strömen vom Kopf. Seine Haut hatte jegliche Farbpigmente verloren. Er sah aus wie ein Untoter. Das Flüsternde Buch hatte ihn regelrecht ausgesaugt und nur noch das von ihm übrig gelassen, das es benötigte, um seine Mission zu vollenden.

Wrax bekam Angst und entfernte sich zügig, um Koros nicht merken zu lassen, dass er immer mehr zweifelte.

Koros schloss seine glasigen Augen und konzentrierte sich. Es war schwierig, aber schließlich fand er denjenigen, in dessen Kopf er eindringen wollte. Wie ein Parasit nistete er sich dort ein und konnte nun mit seinem Feind sprechen.

Lois auf der anderen Seite der Schlucht fühlte lediglich, dass seine Gedanken nicht mehr ihm alleine gehörten, als Koros sich bei ihm einschlich.

»Ist das alles, was ihr Leute zu bieten habt?«, fragte Koros im Gedanken den Bruder von Pais.

Lois ahnte, wer zu ihm sprach. Er wagte einen vorsichtigen Blick zu dem Mann im dunklen Gewand, der so regungslos am Rand der Schlucht auf der anderen Seite stand, dass man meinen könnte, er wäre zu einer der Steinfiguren geworden, die mit dem Hintergrund verschmolzen.

Angriffslustig erwiderte er ohne Worte: »Wir werden dich besiegen. Wir werden nicht zulassen, dass du das zerstörst, wofür unsere Vorfahren sterben mussten. Es wäre besser, du gibst gleich auf und ziehst dich mit deinen niederen Kreaturen in die schwarzen Höhlen zurück, aus denen ihr gekommen seid!«

Koros unbeeindruckt: »Merkwürdig! Wie viel ihr doch gemeinsam habt. Ihr beide seid miserable Spötter.

Was? Verunsichert? Wen ich meine, willst du wissen? Lass mich darauf beschränken, dass ich eine kleine Überraschung für dich mitgebracht habe. Eine ganz persönliche Überraschung.«

Koros ließ sich es nicht nehmen, dem schockierten Lois ein Bild von seiner 'Überraschung' in seinen Kopf zu projizieren. Ein Bild von Pais.

»Er freut sich schon wahnsinnig, dich wiederzusehen, Lois! Und das nach so langer Zeit. Man könnte sagen, er ist verrückt danach, seinen geliebten Bruder wiederzusehen. So verrückt, dass er dich glatt umbringen könnte!«, schallte Koros dem Anführer des Vierten Hauses ins Gehirn.

Lois versuchte, sein Entsetzen zu verbergen, aber Koros hörte alle seine Gedanken und fühlte alle seine Gefühle, als wären es seine eigenen.

»Ja, ich weiß. Es ist schlimm«, sagte Koros gehässig. »Aber jetzt ist die Zeit der Vergeltung gekommen. Hättest du ihn nicht gehen lassen, wäre er mir vielleicht nicht in die Arme gelaufen. Seine Seele flehte mich an, ihm zu seiner Rache zu verhelfen. Was hast du ihm nur angetan, du Unmensch?«

Der Herrscher traf Lois bis ins Mark. Auf einen Angriff der feindlichen Macht war er vorbereitet gewesen, nicht jedoch auf die psychische Gewalt, die Koros meisterhaft beherrschte.

»Verschwinde aus meinem Kopf! Dann werden wir sehen, wie mächtig du wirklich bist«, sprach Lois in Gedanken.

Der Eindringling durfte nicht noch mehr über ihn in Erfahrung bringen. Er durfte nicht noch mehr Schwächen erspüren.

Trotzdem war es dem Herrscher gelungen, Schuldgefühle im Bruder von Pais aufkeimen zu lassen. Immer wieder in der Vergangenheit hatte Lois sich Vorwürfe gemacht. Er bereute es, nicht das Gespräch mit Pais gesucht zu haben.

Sein kleiner Bruder war schon von immer ein Außenseiter gewesen. Er hatte ständig alles und jeden infrage gestellt. Er hatte nicht dieselben Spiele wie die anderen Kinder in seinem Alter gespielt. Und als er zu einem Mann herangewachsen war, ertrug er das Leben in den Ahnenländern nicht mehr. Er versuchte es mit Verständnis. Mit Bitten, die steifen Verhaltenskodexe aufzuweichen. Er wollte in die Welt hinausziehen. Wollte Abenteuer erleben. Die Freiheit spüren.

Lois war einer der härtesten Verfechter der Einhaltung von Regeln, Normen und vor allem Tradition gewesen. Er wäre sogar bereit gewesen, seinen eigenen Bruder aus dem Haus Kellron zu verstoßen, wenn er nicht seine »den Frieden gefährdenden« Hetzereien gegen die Ahnenländer aufgeben würde. Wenn er sich nicht fügen würde.

Er wäre bereit gewesen. Damals.

Aber Pais hatte sich nicht gefügt. Er war geflohen. Über Nacht. Ohne einen Abschiedsbrief.

Lois war einige Monate der festen Überzeugung gewesen, Pais hätte die Flucht nicht überlebt. Niemand zuvor hatte einen Versuch unternommen, von der Klippen-Insel zu türmen.

Aber Lois wusste auch, dass sein Bruder anders war. Er würde es überlebt haben. Er würde sich eine neue Existenz aufgebaut haben, und er würde glücklich geworden sein. Dieser Gedanke war für ihn die einzige Möglichkeit, über den Verlust von Pais hinwegzukommen. Den Mut aufzubringen, nach ihm zu suchen oder in Erfahrung zu bringen, ob Pais noch lebte, brachte er zunächst nicht auf. Er konnte nicht aus seiner eigenen Haut heraus. Er lebte gerne hier und wollte seine Familie nicht verlassen oder gar in Gefahr bringen. Kontakt nach außen war strikt untersagt. Alleine der Versuch wurde hoch bestraft. Dennoch hatte man auf den Ahnenländern die Möglichkeit, sich über das Geschehen außerhalb des kleinen Eilandes zu informieren, wodurch er letztlich Pais aufspüren und seinen weiteren Lebensweg im Geheimen verfolgen konnte, wenn auch nur sporadisch.

Was Lois in diesen schrecklichen Minuten von dem verrückt gewordenen Herrscher erfahren und zu sehen bekommen hatte, ließ ihn innerlich zerbrechen.

Schuldgefühle erwuchsen in ihm. Sein Bruder würde kommen und sich bei ihm rächen. Lois konnte ja nicht ahnen, dass Pais manipuliert wurde und dass er kein gewalttätiger Mensch war.

Er wollte es nicht auf diese Weise enden lassen.

Nicht auf diese Weise.

»Geh aus meinem Kopf, du Irrer!«, stammelte Lois in Gedanken zu Koros.

Koros verlor allmählich die Lust, seinen Gegner noch weiter zu quälen. Fürs Erste sollte es reichen. Mit dem, was er bisher erreicht hatte, war er ganz zufrieden. Psychologische Kriegsführung war eine nicht zu unterschätzende Methode, seinen Gegner zu schwächen, das wusste er.

»Sieh, was ich vollbringen werde, und dann urteile über mich. Pais wird ganz sicher über dich urteilen und richten«, blies er Lois ins Gehirn und verließ danach dessen Gedankenwelt und kehrte zurück in seine eigene.

Einsam wiegte Koros Cusuar sich mit halb geöffneten Augen am Abgrund. Er spürte die Unruhe der Gorgens hinter seinem Rücken. Er spürte das unbändige Verlangen zuzuschlagen und zu siegen. Er hörte sie atmen. Jeden einzelnen Angehörigen seiner und der gegnerischen Armee konnte er atmen hören. Er konnte sie alle hören. Jeden einzelnen.

Die Zeit war gekommen. Koros kniete sich auf das schroffe Gestein und las ein paar Steine auf. Er umschloss sie mit seiner Faust, wobei er den Arm ausgestreckt hielt. Mit leisem Knirschen zermalmte er sie mit seiner bloßen Hand.

Seine Stärke, sein Wille und sein Wahnsinn erreichten in diesem Augenblick ihren Höhepunkt. Das Flüsternde Buch hatte ganze Arbeit bei ihm geleistet.

»Lasst die Erde erzittern«, hauchte er nur für sich selbst.

Er hob den Arm nach oben und ließ ihn dann wie ein Fallbeil fallen. Das Signal.

»VALHEEL!«, schrie Wrax mit brechender Stimme.

Es war der Schlachtruf, der die Armee der Finsteren Ebenen zur einer Einheit formen und auf das eine Ziel einschwören sollte.

Der Herrscher Koros Cusuar verharrte apathisch auf den Knien.

Hinter ihm erhob sich eine dunkle Wolke aus lederartigen Leibern in die Luft. Eine Welle von über sechstausend Gorgens baute sich vor den Verteidigern der Ahnenländer auf und brach wie eine Sintflut über sie herein.

Verlorenend - Fantasy-Epos (Gesamtausgabe)

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