Читать книгу Verlorenend - Fantasy-Epos (Gesamtausgabe) - S. G. Felix - Страница 38
Sie antwortet nicht
ОглавлениеGilberts entgleisende Gesichtszüge, als der erste Schluck Bier durch seine Kehle rann, war ein Bild für die Götter.
Gilbert, Antilius und Tahera stießen auf die Freundschaft an. Einmal. Zweimal. Dreimal.
Darauf konnte man schließlich gar nicht oft genug anstoßen. Nicht in dieser unwirklichen Welt, in der Häuser vor ihrem Besitzer Reißaus nahmen.
Bis hierhin hatten sie es geschafft. Sie waren so weit gekommen.
Ihr Zusammenhalt war ihre Stärke. Und jetzt, da Gilbert aus seinem Gefängnis befreit war, fühlte sich Antilius wesentlich sicherer. Er hatte das Gefühl, es schaffen zu können. Was immer dieses ‚es’ auch sein würde. An diesem Abend war es ihm egal, welche besondere Fähigkeiten er haben sollte.
»Ich bin von nun an dein Ex-Meister«, nuschelte er leicht angetrunken zu Gilbert.
Der Abend in der Taverne dehnte sich aus. Doch irgendwann wurde es auch Gilbert zu viel. Die Eindrücke einer fremden Welt waren für ihn immens. Er war müde und wollte schlafen.
Galant wollten sich die beiden Freunde von der Frau mit dem neuen Namen verabschieden. Doch erstens fiel ihnen auf, dass das viele Bier, das sie getrunken hatten, den Namen dieser Frau auf mysteriöse Weise aus ihrem Gedächtnis verdrängt hatte, und dass zweitens jene Frau schon seit geraumer Zeit verschwunden war. Dunkel erinnerte sich Antilius daran, wie sie schon früh gegangen war, um für den nächsten Tag ausgeruht zu sein. Und um die beiden noch ein wenig alleine feiern zu lassen.
Antilius und Gilbert verließen die Taverne und torkelten im Freien ziellos umher. Die Frau hatte wohl vergessen, ihnen zu sagen, wo sie schlafen konnten. Oder hatte sie es gesagt? Bestimmt! Es fiel ihnen aber nicht mehr ein.
»Egal, wir schlafen in der unberührten Natur, nich’ wah?«, nölte Gilbert. Das Bier machte ihm ganz schön zu schaffen. Er war daran nicht mehr gewöhnt. Dabei vertrug er doch mehr, glaubte er.
Sie erreichten die Klippe, an der Antilius zum ersten Mal die Frau gesehen hatte, deren Name ihm nicht mehr einfallen wollte.
Auch er war entsetzlich müde. Er hätte im Stehen einschlafen können. Dieses Mal fürchtete er sich nicht, im Freien zu übernachten. Dieser Ort war anders. Er kam sich zwar vor wie ein Fremdkörper, doch wirkte diese Welt auf ihn nicht bedrohlich.
Gilbert legte sich auf den grasbewachsenen Untergrund und schlief auf der Stelle ein.
Sein Ex-Meister wagte noch einen kurzen Blick über die Klippe. Das teerartige Meer sah noch genauso aus wie bei seinem ersten Eintreffen. Doch was war das neben ihm? Das rote Ding da. Ein kümmerliches rotes Etwas. Er hob es von der Erde auf.
»Schon wieder du?« Es war die wundersame rote Blume. Genau wie die andere, die er zu neuem Leben erweckt hatte, nur war diese schon halb verwelkt.
»Noch einmal«, sagte er. »Ich versuche es noch einmal.«
Er wollte es noch einmal fertig bringen, der Blüte wieder zu ihrer alten Pracht zu verhelfen. Doch etwas störte ihn: »Warum eigentlich? Wieso muss ich dir helfen? Sag mir, kleine Blume, warum verwelkst du? Bekommst du nicht genug Licht? Warum stirbst du, wenn die Zeit hier doch nicht vergeht und dir nichts anhaben kann? Wieso welkst du, obwohl die Zeit hier doch nicht existiert? Warum antwortest du mir nicht, kleine Blume?«
Sie antwortete nicht.
»Sprich mit mir!«, lallte er.
Er bat sie mehrfach mit ihm zu reden. Dann wurde ihm klar, wie idiotisch das war, was er gerade tat.
Er legte sich neben Gilbert hin.
Dann versank er in einen tiefen Schlaf.
Er ahnte nicht, dass seine Verwunderung über die welke Blume absolut berechtigt war. Tahera hatte ihm nämlich über die Zeit in Verlorenend nicht die Wahrheit gesagt. Die Zeit verging, und damit rückte die Bedrohung für Thalantia und für Verlorenend immer näher.