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Die Barriere von Valheel

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Viele Ausdrücke kamen Haif in den Sinn, wie er die Armee, der er folgte, am treffendsten beschreiben könnte.

Monster, Bestien, Todbringer. Doch alle die Bezeichnungen trafen nicht den Kern. Keine erfasste vollständig die merkwürdig düstere Stimmung und die ausufernde Größe der Gefahr.

Immerhin, das Nachdenken half dem kleinen Sortaner, seinen immer wieder auftauchenden Wunsch nach Heimkehr zu verdrängen. Der Mut bröckelte zwar, jedoch nicht seine Entschlossenheit. Er war in der Lage, seine Gefühle ganz klar voneinander zu trennen.

Zudem bekam er während seiner Wanderung einige erquickende Motivationsschübe, da er ab und zu in heroischer Weise diverse Stechmücken erlegt hatte - mit seinen bloßen Händen. Nachteilig war allerdings, dass die toten Insekten nun in seinem Fell klebten und dort festtrockneten. Das machte ihm aber so gut wie nichts mehr aus. Sein Fell war ohnehin schon halb ruiniert, da kam es auf ein paar zermatschte Mücken auch nicht mehr an.

Es war ziemlich genau drei Tage her, als der dunkle Schwarm Tausender Gorgens über ihn hinwegbraust war und er den Rest der Lakaien aufgespürt hatte, während sie einen Stopp eingelegt hatten. Seither hatte Koros seiner Gefolgschaft nur wenige Pausen gegönnt. Wie es schien, wollte er keine Zeit mehr verlieren.

Haif fiel niemand ein, der es überhaupt gewagt hätte, der Barriere von Valheel einen Besuch abzustatten. Der Ort war verflucht, hieß es. Davon war er fest überzeugt. Und sein Glaube sollte sich bestätigen, als er im Schutze des dichten Waldes die Barriere zum ersten Mal mit eigenen Augen sah.

Sie war viel größer, als er es sich in seiner Fantasie ausgemalt hatte. Und abstoßender.

Kein Gras, kein Baum und kein Lebewesen waren dort. Nur graues, totes Gestein unterstrich die elende Tristesse.

Es war nicht nur eine einfache Schlucht, es war, als hätte sich die Erde an dieser Stelle aufgetan. Und wenn man hinuntersehen würde, könnte man ihr brodelndes Inneres erblicken.

Die Legende musste wahr sein. Ein derart gewaltiger Graben konnte unmöglich natürlichen Ursprungs sein.

Valheel war es, der diesen Spalt in den Fels getrieben hatte und die Ahnenländer vom Rest der Inselwelt Truchten getrennt hatte.

An diesem Platz war der Transzendente in das Portal gesperrt worden. Für ewig hatte er verbannt sein sollen.

In einem Halbkreis zur Schlucht auf der Seite von Truchten ragten sechs Statuen aus Stein in den Himmel. Sie stellten gesichtslose Mönche dar, welche die Arme zu beiden Seiten ausgestreckt hielten, so als wollten sie sich an Händen halten. Die Figuren waren für Haif unfassbar hoch. Er schätze ihre Höhe auf vierzig oder gar fünfzig Meter. Ursprünglich bildeten zwölf dieser Steinskulpturen einen geschlossenen Kreis. Das musste zu der Zeit gewesen sein, als die Erdspalte, die sich mit Meerwasser gefüllt hatte, noch nicht existiert hatte. Die anderen sechs Monumente fußten auf der anderen Seite der Schlucht, in den Ahnenländern. Nie wieder würden sie eine geschlossene Einheit bilden können. Der aufgebrochene Kreis war das Symbol für die Unwiderruflichkeit des Sieges der Ahnen über den Transzendenten vor über sechshundert Jahren.

Der Triumph der Ahnen über das Böse würde nach Hunderten von Jahren ein jähes Ende finden, und der Transzendente würde erneut über die Länder herfallen und sie verwüsten.

Erst jetzt erfasste der kleine Sortaner, für den sonst nur der Gewinn die oberste Maxime war, die Tragweite der gegenwärtigen Ereignisse.

Er fühlte sich klein und unbedeutend, als er nach Nordwesten zur anderen Seite der Schlucht blickte. Links und rechts der Steinstatuen auf der Ahnen-Seite berührten hinter einer schmalen Hügelkette die Gipfel des Adler-Gebirges die Wolken. Das Adler-Gebirge war nicht, wie Haif es vermutet hatte, eine geschlossene Gebirgsformation, sondern rahmte die Barriere von Valheel nur von den beiden Seiten her ein, wobei in der Mitte ein Tal den Weg ins Innere der Ahnenländer ebnete.

Auf einmal bekam es Haif doch mit der Angst zu tun. Was wollte er hier? Er konnte doch nichts ausrichten!

Nein. Er war gekommen, um dem Menschen zu helfen. Ihn zu befreien, falls sich eine Möglichkeit dazu ergeben sollte. Wenn er schon nicht die Welt retten konnte, dann vielleicht wenigstens ein Leben.

Allerdings begann Haif auch daran zu zweifeln. Irgendetwas war mit Pais geschehen. Er war anders. Während der letzten drei Tage hatte sich Haif mehrmals die Möglichkeit geboten, den vermeintlich gefangenen Menschen zu beobachten. Und sein Verhalten stimmte absolut nicht mit seinen Vorstellungen einer Gefangenschaft überein. Pais schien fast aus eigenem Willen dem Herrscher zu folgen. Bestimmt wurde er irgendwie manipuliert. Jedenfalls war das nicht der Pais, den Haif das letzte Mal gesehen hatte.

Beobachten. Das würde das Einzige sein, was der Sortaner in den nächsten Mondstunden tun konnte. Und nichts Unüberlegtes tun.

Ein kleiner Vorsprung vor dem Herrscher ermöglichte es ihm, sich ein kleines Versteck am Waldesrand etwa zweihundert Meter entfernt vom Abgrund einzurichten.

Es dauerte nicht lange, bis die Armee aus den Finsteren Ebenen von Koros zur Schlucht angekommen war.

Und sie wurde schon erwartet.

Von der vereinten Gegenmacht der Dreizehn Häuser der Ahnenländer auf der anderen Seite der Barriere von Valheel.

Verlorenend - Fantasy-Epos (Gesamtausgabe)

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