Читать книгу Einführung in die Jugendforschung - Sabine Andresen - Страница 10

1.1.2 Grundlegende Annahmen der Jugendforschung aus erziehungswissenschaftlicher Sicht

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Pädagogisch normative Interessen

Eine Möglichkeit, etwas über die historischen Ausgestaltungen von Jugend als Denkfigur zu erfahren, besteht in der historischen Jugendforschung. Das nächste Kapitel (1.1.3) hat deshalb das Ziel, in die historische Sicht auf Jugend einzuführen. Deutlich soll dabei werden, dass es zwar in jeder menschheitsgeschichtlichen und kulturellen Epoche junge Menschen gegeben hat, aber nicht immer systematisch zwischen Menschen als Kinder, Menschen als Jugendliche und Menschen als Erwachsene unterschieden wurde. In diesem Zusammenhang ist Folgendes von Bedeutung: Insbesondere bei der Unterscheidung zwischen Kindern und Jugendlichen, bei der Analyse ihrer verschiedenen Kompetenzen und den normativen Vorstellungen, wie mit einem Kind und wie mit einem Jugendlichen umgegangen werden soll, spielt das Interesse der Pädagogik eine zentrale Rolle. Ein anschauliches Beispiel ist der Wandel der sexuellen Aufklärungspraxis. Wir erfahren anhand der Art und Weise, wie Jugendliche im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts zu verlässlichen Informationen über Sexualität kamen, sehr viel über gesellschaftliche Vorstellungen, Werte und Normen. Insofern kann man sagen, dass die systematische Analyse der Jugendphase eng mit pädagogischen Vorstellungen und Interessen verbunden war und ist.

Jugend als soziales Konstrukt

Eine theoretische Richtung der Gegenwart, der Sozialkonstruktivismus, geht davon aus, dass es sich bei Kindheit und Jugend um soziale Konstrukte handelt (vgl. BERGER/LUCKMANN 2003). Das bedeutet nicht, dass man es mit Konstruktionen im Sinne leicht einstürzender Gebäude zu tun hat, sondern mit konkreten, mehr oder weniger stabilen und sprachlich verfassten Denkfiguren, Konzepten oder Modellen, die sowohl unser wissenschaftliches Denken als auch unser Alltagsdenken beeinflussen. Damit solche Konstrukte entstehen können, bedarf es wirksamer, überzeugender Diskurse beispielsweise von Seiten der Philosophie oder der Medizin über die Besonderheiten der Jugendphase. Dieser Diskurs setzt also ein Bewusstsein für die Unterschiede der Lebensphasen voraus, aber er stützt sich ebenso auf bestimmte Institutionen wie die der Schule oder der Berufsausbildung. Zudem sind im Zuge der Entwicklung moderner Gesellschaften für Jugend als soziales Konstrukt auch juristische Vereinbarungen, etwa die Festlegung der Volljährigkeit oder Jugendarbeitsschutzgesetze, von Bedeutung.

Jugend als soziales Konstrukt zu betrachten, bedeutet nicht zwangsläufig, sich nur mit den Diskursen über Jugend, also der Sprache, zu beschäftigen. Hinzu kommen muss eine Materialisierung der Diskurse, das heißt, es muss danach gefragt werden, was wir über die Lebensformen, Gefühle, über den Körper, über Sexualität, über Gedanken und Werke von Jugendlichen in verschiedenen historischen Epochen, in der Gegenwart sowie in unterschiedlichen sozialen und räumlichen Kontexten sagen können (vgl. BECKER-SCHMIDT/KNAPP 2001).

Jugendforschung in interdisziplinärer Perspektive

Das Verständnis über die Phase, die wir heute Jugend nennen, ist und war stets abhängig von Raum und Zeit. Die historische Forschung verschiedener Fachdisziplinen, ebenso wie beispielsweise die Literatur und die Ethnologie, haben interessante Erkenntnisse darüber zutage gefördert. In dieser Einführung kann die Geschichte der Jugend allenfalls gestreift werden, sie kann die Erkenntnisse über Jugend in der Antike, im Mittelalter oder in verschiedenen ethnischen Kulturen nicht zu ihrem Gegenstand der Darstellung und Reflexion machen. Stattdessen muss sie sich auf die kulturelle und wissenschaftliche Reflexion über ein – gewissermaßen – modernes und international übergreifendes Konzept von Jugend und die daraus rekonstruierbaren sozial-und kulturgeschichtlichen Phänomene konzentrieren.

Die Jugendforschung ist bis heute eine interdisziplinäre Angelegenheit, bei der die Pädagogik insbesondere von der Soziologie und der Psychologie, die historische Jugendforschung auch von der Geschichts- und Literaturwissenschaft profitiert. Dieser Sachverhalt wird hier zu einer systematischen Einschränkung genutzt: Es geht vornehmlich um die pädagogische Relevanz interdisziplinärer Jugendforschung und um die pädagogisch intendierte Auseinandersetzung mit der Lebensphase Jugend.

Einführung in die Jugendforschung

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