Читать книгу Einführung in die Jugendforschung - Sabine Andresen - Страница 6

Оглавление

Einleitung

In einem Wirtschaftsmagazin wurde unlängst die Frage gestellt, was Jugendliche cool finden. Dahinter steht das Problem von Marketingstrategen, das Konsumverhalten der Jugend nicht vorhersagen zu können: „Schon mal versucht, etwas an einen Mythos zu verkaufen? Unzählige Unternehmen versuchen das Tag für Tag. Unternehmen, die mit ihren Marken auf eine ebenso attraktive wie flüchtige Gruppe zielen: die Jugend.“ (Brand eins, März 05, S. 74) Attraktiv ist die jugendliche Käufergruppe wegen ihres Geldes und weil sie zudem die Kaufentscheidungen ihrer Eltern mit beeinflusst. Da aber Jugendliche Extremnutzer zu sein scheinen, die etablierte Produkte häufig zweckentfremden, muss das Jugendmarketing offenbar speziellen Regeln folgen. Aus diesem Grund sind zahlreiche so genannte Jugendforschungsinstitute entstanden. Sie hängen mit Markforschungsinstituten und Unternehmensberatungen zusammen und erheben den Anspruch, wesentliche Aspekte der Jugendphase zu untersuchen:

„Die Jugendforscher bilden ihre Fokusgruppen aus Szenetypen und Massenmenschen und quetschen sie aus. Sie wollen wissen, wie die coolen Typen aus der Schule zu Hause leben und was sie im Kühlschrank haben. Sie lesen Marktforschungsberichte und Magazine. Viermal im Jahr gleichen sie europaweit ihre Ergebnisse ab, einmal im Jahr weltweit.“ (Ebd.)

Zweifellos ist es richtig, dass Jugendliche wichtige Konsumenten sind und in Jugendkulturen und -szenen künftige Kauftrends sichtbar werden. Insofern verwundert es nicht, dass man sich mit dem Ziel der Gewinnmaximierung darum bemüht, möglichst viel über Jugend in Erfahrung zu bringen. Jugendforschung ist demnach kein geschützter Begriff und zielt nicht nur im Marketingbereich auf anwendungsorientiertes Wissen.

Im späten neunzehnten Jahrhundert erhielt die Jugendphase eine vorher kaum gekannte Aufmerksamkeit. Seither ist sie ein beliebtes Thema in Forschung, Politik, Wirtschaft, Kultur und Pädagogik, ein Thema, über das Erwachsene diskutieren, lamentieren und das sie problematisieren. Jugendliche werden dabei pädagogisch, sorgenvoll, kritisch, idealistisch, politisch oder neidisch in den Blick genommen. Diese Aufmerksamkeit korrespondiert nicht zwangsläufig mit dem konsequenten Einsatz für jugendliche Belange, Bedürfnisse oder Interessen.

Die Jugendphase gehört jedoch mittlerweile zu den zentralen Bedingungen des Aufwachsens in modernen Gesellschaften. Sie ist gerahmt von Familie und Gleichaltrigengruppe, von Schule, Freizeit, Ausbildung und Studium. Jugendliche genießen einen besonderen gesetzlichen Schutz, sind von bestimmten Pflichten befreit und haben gegenüber Erwachsenen eingeschränkte Rechte. Gleichwohl sind sie von strukturellen Veränderungen ebenso betroffen wie jede andere Altersgruppe, das heißt, dass die Risiken moderner Gesellschaften wie Arbeitslosigkeit vor Jugendlichen nicht Halt machen.

Der Jugendforscher und psychoanalytische Pädagoge Siegfried Bernfeld hatte 1926 Erziehung als Summe aller Reaktionen einer Gesellschaft auf die Entwicklungstatsache bezeichnet. (BERNFELD 1926) Dazu gehörte spätestens seit dem zwanzigsten Jahrhundert die Vorstellung, dass nicht nur Kindheit, sondern auch Jugend besonders gestaltet sein müsse: Hier wird diese gesellschaftlich organisierte und in Familien fußende Gestaltung als Moratorium bezeichnet. Ein Moratorium ist eine zeitlich befristete Befreiung von Pflichten zu dem Zweck, ein festgelegtes Ziel zu erreichen. Das Ergebnis sollte ein in die Gesellschaft integrierter, produktions- und reproduktionswilliger Erwachsener sein. Diesem Ansinnen folgten Jugendliche keineswegs immer bedingungslos, so dass zahlreiche Gefährdungsdiskurse – beispielsweise über abweichendes Verhalten, über Kriminalität oder Drogenkonsum – ebenfalls zur Summe aller gesellschaftlichen Reaktionen auf die Entwicklungstatsache gehören. Es liegt auf der Hand, dass die Pädagogik hier unmittelbar involviert ist und stets ein starkes Interesse an den Erkenntnissen der Jugendforschung hat.

Vor diesem Hintergrund stellt die vorliegende Einführung in die Jugendforschung deren Entstehungsbedingungen, Interessen, Methoden, Theorien und Ergebnisse dar. Der Ausbau der Jugendforschung hängt mit den gesellschaftlichen Interessen an Jugend und dem Problembewusstsein für diese spezielle Lebensphase im Zwischenraum von Kindheit und Erwachsenenleben eng zusammen. In diesem Prozess kam es zu einer Ausdifferenzierung in psychologische, soziologische, kulturtheoretische und erziehungswissenschaftliche Bereiche, so dass man es bis heute mit einer ausgesprochen heterogenen und vielseitigen Disziplin zu tun hat. Diese Heterogenität zeichnet sich auch im vorliegenden Einführungsband ab, obwohl nicht alle wichtigen Zugänge berücksichtigt werden konnten. Beispielsweise gibt es hier kein Kapitel über Diagnose und Prävention hinsichtlich besonderer Risiken im Jugendalter wie selbstverletzendes Verhalten oder Schulverweigerung, weil dies in anderen Einführungsbänden der Reihe thematisiert werden wird. Ebenso fehlt eine ausführliche Darstellung von Jugend und Jugendpolitik im Nationalsozialismus sowie von Jugend und Jugendforschung in der DDR. Auch diese Themen werden in anderen Bänden behandelt.

In diesem Buch geht es im Kern um den Entstehungskontext und das Wissen über Jugend, das in die Erziehungswissenschaft und pädagogische Praxis Einzug gehalten hat und an dem diese ein nachhaltiges Interesse geäußert haben. Die Frage, die sich als roter Faden durch alle Kapitel zieht, ist die nach der Erzeugung des Wissens über Jugend sowie dessen pädagogische Anwendungsmöglichkeiten.

Insbesondere die psychologisch ausgerichtete Jugendforschung hat die Unterscheidung zwischen Pubertät und Adoleszenz eingeführt. Diese spielt bis heute in wissenschaftlichen Abhandlungen eine Rolle und ist auch in unserem Alltagsverständnis wirksam. Eine schlichte Definition soll hier zunächst genügen: Mit Pubertät wird meist die einsetzende Geschlechtsreife bezeichnet. Die Forschung interessierte sich demnach vor allem für die körperlichen und hormonellen Veränderungen und für den damit einhergehenden sozialen und psychischen Wandel des jungen Menschen. Adoleszenz hingegen beschreibt die meist über die Pubertät hinausgehende Phase. Die Adoleszenzforschung erzeugte Wissen beispielsweise über die Ablösung vom Elternhaus, über die Orientierung an der Gleichaltrigengruppe, über den Umgang mit Sexualität, über Identität und Selbstfindung der Jugendlichen.

Die mit Pubertät und Adoleszenz verbundenen Theorien, Methoden und Ergebnisse werden Gegenstand der einzelnen Kapitel sein. Deutlich wird in ihnen, dass sich die Jugendphase nicht von selbst erklärt. Wir verfügen über keine eindeutige Biologie oder Natur, mit deren Hilfe gültige Schlussfolgerungen in Bezug auf den angemessenen Umgang im Generationenverhältnis, die Erziehung der Jugend oder über sinnvolle Verbote und Freiräume möglich sind. Das, was in einer bestimmten Zeit unter Jugend verstanden wird, ist ein soziales Konstrukt. Wir können zwar das Phänomen der körperlichen Entwicklung und der Geschlechtsreife beobachten und beschreiben, aber daraus resultieren keine Vorgaben hinsichtlich des Verständnisses von und des Umgangs mit der Jugendphase und den so genannten Jugendlichen. Jugend unterliegt demnach dem historischen Wandel.

Jugendliche sind allerdings, wie Kinder und Erwachsene, eigenwillige Menschen, in der wissenschaftlichen Terminologie spricht man von Subjekten, Akteuren oder Ko-Konstrukteuren. Das heißt, die Jugendphase als soziales Konstrukt wird nicht allein durch „äußere“ Bedingungen wie Elternhaus, pädagogische Institutionen, jugendgemäße Einrichtungen, Kleidung, Musik oder Ausbildung hervorgebracht. Jugendliche selbst haben ihren Anteil daran und sei es, dass sie sich all den Politisierungs-, Pädagogisierungs-oder Domestizierungsbemühungen entziehen.

Diese Dynamik versuchten auch Teile der Jugendforschung in den Blick zu nehmen. Sie werden hier unter dem Begriff der Jugendkulturforschung subsumiert. Der schon zitierte Bernfeld beschrieb die Genese der Jugendkultur und ihrer Erforschung folgendermaßen:

„Der Zwiespalt, den gegenwärtig große Kreise der Jugend lebhaft empfinden zwischen ihrem Wollen, das sie als ihre Eigenart rechtfertigen, und den bestehenden Einrichtungen für ihr Leben, die dem naiven Begriff der Erwachsenen von Jugend entspringen, hat uns auf das Problem Jugend aufmerksam gemacht.“ (BERNFELD 1915 / 1991, S. 70)

Was jeweils unter Jugendkultur verstanden wird, ist wiederum keineswegs einheitlich. Sicher ist, dass hier insbesondere von der Marktforschung Informationen über Trends erwartet werden. Das allerdings ist nicht das Anliegen dieses Bandes. Stattdessen sind Wissen und Kenntnisse über Jugendkulturen aus erziehungswissenschaftlicher Sicht deshalb interessant, weil sie einen zeitgemäßen Zugang zu den Äußerungen und Vorstellungen, der Sprache und den Symbolen, den inneren Bildern und äußeren Performances der Jugendlichen versprechen.

Einführung in die Jugendforschung

Подняться наверх