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1.2.4 Rousseaus Methoden

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Die Methode des Aufschubs

Damit der Jugendliche im kritischen Alter richtig gelenkt, er also nicht erregt, sondern beruhigt, seine Phantasie nicht sinnlich gereizt, sondern sein Wesen durch richtige Beispiele zur Reife gebracht wird, entfaltet Rousseau eine pädagogisch angelegte Methode. Diese Methode basiert im Wesentlichen auf einer bis heute gültigen Denkfigur: die zeitliche Verlängerung der Jugendphase. Ihm schwebt dabei maßgeblich eine Verzögerung des Eintritts in die Sphären der Erwachsenen vor.

Rousseaus naturphilosophischem Verständnis nach geht es darum, den Fortschritt der Natur zugunsten der Vernunft zu verzögern und die jugendliche Einbildungskraft daran zu hindern, der Natur ungebändigt zu folgen. Sowohl für den Jugendlichen als auch für den lenkenden Erzieher sei die Phase nach der Kindheit stets zu kurz für die anstehenden Aufgaben. Dieser Lebensabschnitt erfordere eine unablässige Aufmerksamkeit:

„Das ist es, warum ich auf die Kunst, es zu verlängern, so dringe. Eine der besten Vorschriften der guten Erziehung ist, alles so lange zu verzögern, wie es möglich ist. Man mache die Fortschritte langsam und sicher; man verhindere, daß der Jüngling in dem Augenblick zum Mann wird, wo ihm nichts mehr zu tun übrig bleibt, als es zu werden.“ (Ebd., S. 286 / 287)

Pädagogische Lenkung und Vervollkommnung

In dem eben zitierten Gedanken liegt die Vorstellung begründet, man könne durch die richtige Lenkung das fördern, was der Vervollkommnung des Individuums dient. Damit korrespondiert das Bemühen, den bis zur Geschlechtsreife Unwissenden rechtzeitig aufzuklären. Die Erwachsenen, so Rousseau, haben nun zwar noch einen Schüler, aber keinen Zögling mehr vor sich.

„Denken Sie daran, dass man, wenn man einen Erwachsenen führen will, das Gegenteil von alledem tun muß, was man getan hat, um ein Kind zu führen. Zögern Sie nicht, ihn von den gefährlichen Geheimnissen zu unterrichten, welche Sie ihm so lange Zeit mit so viel Sorgfalt verhehlt haben.“ (Ebd., S. 413)

Für entscheidend hält Rousseau demnach, dass sich auch die Rolle des Erziehers sowie der Blick des Jugendlichen auf seinen Lehrer von der Kindheitsphase unterscheiden müssen. Anders als das Vertrauen des Kindes sollte das des Jugendlichen gemessen an seinem Verstand auf der Autorität der Vernunft sowie auf der Überlegenheit der guten Einsichten basieren. Emile soll erkennen, dass der Erzieher weise und aufgeklärt ist und nicht nur das Glück seines Zöglings will, sondern auch aktiv weiß, wie dieser dazu gelangt.

Das Ziel der Jugendphase ist im hohen Maße politisch ausgerichtet. Mehr als die Kindheitsphase hält Rousseau die Jugend für das entscheidende Alter politischer Orientierung. Ihm geht es in seinen pädagogischen Überlegungen stets auch um die Frage nach dem politischen Gemeinwesen. Dies zeigt sich auch in seinen anderen Schriften. So erschien im selben Jahr wie der „Emile“ der „Contract social“, in dem Rousseau seine Theorie eines Gesellschaftsvertrages entwirft und so wesentliche Gedanken der Französischen Revolution vorweg formuliert. In der Frage der Jugenderziehung beschäftigt er sich jedoch nicht mit einer abstrakten Vermittlung, sondern mit der Gefühls- und Verstandeswelt des Emile. Darum herum entwickelt Rousseau die Überlegungen zur Einführung in das Gemeinwesen sowie zum Verständnis für die Idee der Menschheit. Der jugendliche Emile soll lernen, die Liebe zu verallgemeinern, um so eine Idee der Gerechtigkeit zu entfalten.

„Wir müssen aus Vernunft, aus Liebe zu uns selbst, noch mehr Mitleid für unsere Art als für unseren Nächsten aufbringen, und das Mitleid mit den Bösen ist eine sehr große Grausamkeit gegen das Menschengeschlecht.“ (Ebd., S. 317)

Die Methode der Erfahrung

Ein zentraler Weg, die Jugend zu lehren, ist für Rousseau die Methode, sie Erfahrungen machen zu lassen. Dies würde insbesondere ihre soziale und politische Tugendhaftigkeit fördern, wobei die erste Pflicht dem Jugendlichen selbst gilt. „Ich werde nicht müde, es zu wiederholen: Man gebe jungen Leuten alle Lehren mehr in Taten als in Worten. Sie lernen nichts von dem aus Büchern, was die Erfahrung sie lehren kann.“ (Ebd., S. 315)

Zusammenfassend ist an dieser Stelle wiederum hervorzuheben, dass die Denkfigur Rousseaus, Jugend als eine Zeit des Aufschubs zugunsten der eigentlich erst zu diesem Zeitpunkt komplex werdenden Erziehung anzusehen, bis in die Gegenwart hinein existiert. Die verlängerte Jugend als Phase für individuelle Erziehung, Entwicklung, Bildung und Ausbildung hat im 18. Jahrhundert eine ihrer wichtigen Wurzeln. Auch innerhalb der Pädagogik eignete man sich diese Vorstellung an und fand dazu eine spezifische pädagogische Lesart. Im nächsten Abschnitt wird zu zeigen sein, dass das im „Emile“ dargelegte Generationenverhältnis von Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter auch mit spezifischen Vorstellungen zum Geschlechterverhältnis korrespondierte.

Einführung in die Jugendforschung

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