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2.3.2 Das Männlichkeitsideal des Wandervogels

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Anfänge des Wandervogels

1896 begann der am Gymnasium Steglitz in Berlin tätige Lehrer Herrmann Hoffman eine Gruppe von Schülern um sich zu versammeln und mit ihnen Wanderungen zu veranstalten. Sein Nachfolger Karl Fischer machte aus der lokalen Wandergruppe eine nationale Organisation, aus der schließlich der „Wandervogel“ hervorging. (Die Geschichte des Wandervogels ist vielfach dargestellt worden. Einen guten Überblick bieten nach wie vor Laqueur 1962 und der Sammelband von Koebner/Janz/Trommler 1986. Eine kritische Geschichte rekonstruiert Geuter 1994.) Man kann diese Ursprünge des Wandervogels als die bacchantische Sehnsucht nach unverwechselbarer Männlichkeit ansehen und aufzeigen, dass diese ihren Ausdruck in den Wanderungen, in den Äußerungen ihrer Führer, in der Schulkritik, der Einstellung zur Sexualität und schließlich dem Kameradschaftsideal fand. Die Leidenschaft der Zeit für ein Jugendideal fand in der Suche nach Männlichkeit ihre Form, nicht zuletzt deshalb, weil das Vorbild der Väter offenbar nicht mehr überzeugte und gesellschaftliche Prozesse die Lebens-, Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen der Mädchen und Frauen des Bürgertums veränderten. Das erzeugte eine Auseinandersetzung mit Männlichkeitskonzepten, wozu man sich auch im Wandervogel häufig diffus nach geistigen Vordenkern umsah. Zu diesen zählte auch der Philosoph Friedrich Nietzsche.

Neue Erziehung

Der Wandervogel war alles andere als antipädagogisch, vielmehr suchten sowohl die erwachsenen Führer als auch die teilnehmenden Jugendlichen „neue“ Erzieher und Leitfiguren, die sie durch die unsicher gewordene Zeit lenken sollten. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass es in dieser Epoche eine Fülle von Publikationen gab, die das Aufbruchs- und Größenpathos einerseits und das Anlehnungsbedürfnis der Jugend andererseits bedienten. Hinzu kamen eine Orientierung an historischen Vorstellungen über das, gegenüber der Moderne, „gute“ Mittelalter, eine idealisierte Hinwendung zur Natur und zur Landbevölkerung sowie eine Stilisierung des reinen Körpers.

Der Wunsch nach Neugestaltung, der in der Jugendbewegung als Innovation des Jugend-, Schul- und Familienlebens auftrat, fand seinen Ort in der Auseinandersetzung mit neuer Erziehung und der Veränderung des Geschlechter- und Generationenverhältnisses. Insofern ist die Rolle der Mädchen und Frauen in der Jugendbewegung wichtig für das Verstehen dieses Phänomens. Lange versuchte man die Geschichte der Mädchenbewegung vornehmlich aus der Perspektive ihrer gegenüber den Jungen geringeren Macht- und Handlungsspielräume zu betrachten. Inzwischen geht es eher um die grundsätzliche Geschlechterstruktur dieser Zeit, um die Auswirkungen der Geschlechterdiskurse auf die wissenschaftliche Erforschung der Jugend sowie auf reformpädagogische Diskussionen, sozialpädagogische Konzepte und schließlich auf Selbstbilder der Jugend. (DEDE RASAS 1988; KLöNNE 1990; ANDRESEN 1997)

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