Читать книгу Sanfter Missbrauch. Das schleichende Seelengift - Sabine B. Procher - Страница 10

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Schon in früheren Partnerschaften war mir aufgefallen, dass ich oft grundlos einen wahnsinnigen Groll in mir spürte. Ich malte mir in Gedanken die schlimmsten Sachen aus, wie ich meinen Freunden eins auswischen könnte. Sobald eine Beziehung zu harmonisch wurde, kamen mir die widerwärtigsten Gedanken, als ob ich es nicht ertragen könnte, glücklich zu sein. Wenn ich mich tief genug in meine Wut hineingesteigert hatte, fing ich an zu sticheln, bis es einen riesigen Krach gab. In dieser Situation war ich natürlich unglücklich aber gleichzeitig irgendwie befriedigt. Dann tat mir alles leid, ich heulte dramatisch herum und versuchte, alles wieder in Ordnung zu bringen.

Manchmal hatte ich das Gefühl, ich würde diesen Zustand regelrecht genießen. Das hatte schon Züge von einer sadistischmasochistischen Veranlagung. Ich konnte mir nicht erklären, warum ich so war und vor allem, ich konnte mit niemandem darüber reden. Diese Anwandlungen kamen aus heiterem Himmel. Da ich selbst den Grund für meine Ausbrüche nicht kannte, dies aber nicht zugeben wollte, warf ich den Männern vor, sie würden mich betrügen, obwohl ich wusste, dass es an den Haaren herbeigezogen war. Dadurch dachten meine Freunde, ich wäre übertrieben eifersüchtig und löcherten mich nicht weiter nach irgendwelchen Gründen, die ich selbst nicht kannte. Wie viel mehr dahinter steckte, ist mir allerdings erst in den letzten Jahren klar geworden.

Auch in der Beziehung mit Georg waren derartige Schwierigkeiten vorprogrammiert. Da ich in den letzten zehn Jahren keinen Freund gehabt hatte, und es dadurch zu keinen derartigen Gefühlsanwandlungen gekommen war, dachte ich irrtümlich, ich wäre inzwischen reifer und vernünftiger geworden und hätte meine Emotionen besser unter Kontrolle.

In der neuen Partnerschaft stellte ich fest, dass ich mich geirrt hatte. Genau wie früher stieg immer öfter grundlos eine unheimliche Wut in mir hoch. Ich suchte und fand immer irgendeinen Grund, weshalb ich sauer sein konnte. Mal störte mich, dass Georg so lange im Bett blieb, während ich wegen des Hundes so früh raus musste. Wenn er früher aufstand, war er mir im Weg. Ein anderes Mal hatte er anderes Obst eingekauft, als ich ihm aufgetragen hatte, das Bett war nicht so gemacht, wie ich es gewohnt war oder ähnlich unwichtige Kleinigkeiten. Ich suchte gezielt nach etwas, was mich stören und meine Aggressionen rechtfertigten würde. Man könnte meinen, dass es vorauszusehen war, dass unser Zusammenleben nicht gut gehen konnte. Es tut einer Beziehung selten gut, wenn man zu schnell zusammenzieht. Das Merkwürdige daran war, dass ich mich froh und glücklich fühlte, dass alles so gekommen war, denn ich liebte Georg von Tag zu Tag mehr. Trotzdem spürte ich einen unbezähmbaren Drang, ihm wehzutun. Wenn er mich dann mit traurigen Augen ansah und fragte:

„Warum tust du das? Was habe ich dir getan?“, bekam ich ein schlechtes Gewissen, was mich noch wütender machte. Ich wusste keine Antwort auf seine Fragen. Stattdessen litt ich genauso wie er unter meinen Ausbrüchen, konnte mich aber trotzdem nicht beherrschen. Ich weiß nicht, wie oft Georg womöglich daran gedacht hat, mich zu verlassen. Hätte er nicht gespürt, dass ich ihn liebe, und hätte er nicht so eine Engelsgeduld mit mir gehabt, wäre auch diese Beziehung nur eine weitere Episode mit schaler Erinnerung in meinem Leben geworden.

Georg gab nicht auf. Irgendetwas musste passiert sein, was mich zu diesen Ausbrüchen veranlasste. Um von mir abzulenken, wies ich Georg die Schuld zu, wenn irgendetwas nicht klappte. Wenn ich eingestanden hätte, dass die Ursache bei mir lag, hätte ich ja Schwäche zugeben müssen. Ich wurde in derartigen Situationen aggressiv und unsachlich. Bei einer Recherche im Internet stieß Georg auf mehrere Artikel und Buchempfehlungen, die sich mit ähnlichen Problemen in der Partnerschaft beschäftigten. Es wurde darauf hingewiesen, dass wir schon in frühester Kindheit Prägungen erhalten, die uns unser ganzes Leben nicht mehr loslassen.

„Es ist ja bekannt, dass unser Verhalten durch die Erziehung beeinflusst wird. Einiges habe ich tatsächlich von meiner Mutter übernommen, aber man muss sich doch beherrschen können“, meinte ich, als Georg mich auf die Lektüre aufmerksam machte.

„Du wirkst in solchen Momenten, als wenn du gar nicht mehr du selbst bist. Ich habe manchmal richtig Angst vor dir.“

„Was soll ich dir denn tun? Du bist doch viel stärker.“

„Du glaubst nicht, was du für eine Kraft entwickelst. Als ich dich neulich in den Arm nehmen wollte, um dich zu beruhigen, hast du mich derart zurückgestoßen, dass ich Mühe hatte, nicht hinzufallen.“

„Das tut mir leid. Ich weiß sowieso nicht, wie ich das wieder gutmachen kann?“

„Du tust mir jedenfalls sehr weh. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch aushalten kann.“

„Ich versuche ja, mich zu beherrschen, aber plötzlich ist es, als ob jemand einen Schalter umlegt, und ich werde ein völlig anderer Mensch.“

„Man kann schon fast sagen, du wirst zur Bestie.“

„Wie du das sagst. Ich bekomme ja richtig Angst vor mir. Wahrscheinlich gewinnt meine dunkle, böse Seite in solchen Momenten die Oberhand.“

„Hoffentlich artet das nicht weiter aus. Mehr kann ich schon bald nicht mehr verkraften.“

„Ich kann mich erinnern, dass ich auch früher mit den Männern so umgegangen bin, habe aber nie etwas gemacht, was nicht mehr gutzumachen gewesen wäre. Jedenfalls war das nie der Grund, weshalb meine Beziehungen scheiterten.“

„Bist du dir sicher?“ Georg sah mich zweifelnd an.

„Ja, die Trennungen kamen meist von meiner Seite. Allerdings habe ich mit keinem richtig zusammengelebt. Dadurch traten diese Szenen nicht so in den Vordergrund wie bei uns.“

„Irgendwas muss passieren.“

„Was sollen wir denn machen?“

„Du hast mir doch erzählt, dass du bei einer Therapeutin warst, als du deinen Vater gepflegt hast. Vielleicht kann sie dir einen Rat geben.“

„Du hast recht. Ich werde um einen Gesprächstermin bitten.“

Da es nicht so einfach war, einen Termin bei der Ärztin zu bekommen, wurde der Vorsatz aber erst einmal auf Eis gelegt.

Trotz dieser Schwierigkeiten wollte ich Georg auf keinen Fall mehr missen. Ich spürte instinktiv, dass er die nötige Ruhe und Ausgeglichenheit besaß, um mit mir fertig zu werden.

Als Georg nach einem Dreivierteljahr ein Auslandsjob angeboten wurde, wollte ich ihm die Entscheidung einfacher machen. Um ihm zu zeigen, dass ich es trotz meiner Stimmungsschwankungen ernst mit ihm meinte, schlug ich ihm spontan vor, ihn heiraten zu wollen. Wieder schien mir eine innere Stimme sagen zu wollen, dass ich das Glück festhalten soll. Obwohl Georg die Stellung dann doch nicht antrat, heirateten wir zwei Monate später in aller Stille. Ich wusste instinktiv, dass ich mit Georg das große Los gezogen hatte. Alle waren von ihm begeistert und beneideten mich um ihn. Eigentlich hätte ich ohne Einschränkungen glücklich sein können. Er war charmant, versuchte, mir jeden Wunsch von den Augen abzulesen, war ein toller Liebhaber, der mich jedes Mal zum Orgasmus brachte, half ohne Murren im Haushalt, war ordentlich, sauber und gesund. Trotzdem spürte ich weiterhin wahnsinnige Aggressionen gegen ihn und bekam Schuldgefühle. Ich verzehrte mich nach ihm, wenn er nicht da war, aber kaum war er zu Hause, suchte ich nach einem Grund, mich innerhalb der Wohnung zurückzuziehen.

Georg spürte, dass etwas nicht in Ordnung war. Mein Verstand sagte mir, dass ich ihn verlieren würde, wenn ich so weiter machte, aber ich konnte nicht gegen meine widersinnigen Gefühle ankommen. Das hatte natürlich auch Einfluss auf den Intimbereich. Obwohl wir ein erfülltes Sexleben hatten, fehlte in dieser Hinsicht etwas. Aus Angst, er würde womöglich etwas machen, was meinen Zorn hervorrufen könnte, traute sich Georg kaum, in irgendeiner Angelegenheit die Initiative zu ergreifen. Deshalb zeigte er nicht, wenn er mich begehrte, sondern wartete ab, wann ich wieder Lust bekäme. Der Sex mit ihm machte mir großen Spaß, trotzdem entschied ich nach dem Kalender, wann es wieder dran war, nicht etwa nach meinem Begehren. Der Verstand steuerte mich allerdings so, dass es häufig genug war, dass Georg nicht zu kurz kam. Ich habe ihm nie einen Orgasmus vortäuschen brauchen, so einfühlsam, zärtlich und ausdauernd war er als Liebhaber. Er schmuste gern, machte ein ausgedehntes Vorspiel und hätte mich am liebsten nach dem Höhepunkt noch ewig im Arm gehalten, aber irgendetwas trieb mich jedes Mal nach kürzester Zeit aus dem Bett. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, wenn ich so schnell zur Tagesordnung überging, aber hinterher war ich am liebsten allein.

Auch heute lag ich wieder einmal völlig verkrampft neben Georg, den ich über alles liebte, und der mir gerade zu einem wunderbaren Orgasmus verholfen hatte. Alles hätte perfekt sein können, wenn ich fähig gewesen wäre, dieses wahnsinnige Gefühl zu genießen. Den Beschreibungen nach sollte man in einem ekstatischen Sinnesrausch völlig mit dem geliebten Partner eins werden und danach befriedigt und entspannt im Arm des anderen die Glückseligkeit ausklingen lassen.

Aber irgendetwas schien bei mir anders zu sein. Ich verkrampfte mich nach dem Sex am ganzen Körper derart, dass ich an allen nur denkbaren Stellen Schmerzen bekam. Entweder hatte ich Reißen im Magen, ein anderes Mal Unterleibskrämpfe oder mein Nacken machte sich unangenehm bemerkbar. Ich spürte in diesen Momenten eine derartige Unruhe im Körper, dass ich schnellstens einen Grund suchte, das Bett fluchtartig zu verlassen und bekam plötzlich das Gefühl, ich müsste weg und allein sein. Unter einem Vorwand verschwand ich dann im Badezimmer, um ausgiebig zu duschen. Wo war nur dieses Glücksgefühl, von dem alle redeten? War ich nicht normal? Ich spürte förmlich Georgs traurige Blicke, die er mir nachschickte, wenn ich mit wehenden Fahnen die Stätte der Lust und Sünde verließ. Jedes Mal nahm ich mir vor, mich zusammenzureißen, aber etwas war stärker, etwas was ich nicht beeinflussen konnte. Das Schlimme war, dass sich mein Zustand immer mehr verschlimmerte. Ich wurde ständig nervöser, und es genügte ein kleiner Anlass oder ein falsches Wort, mich zur Furie werden zu lassen. Georg war sich wahrscheinlich nicht sicher, ob diese Bestie, die ihm gerade wieder einmal eine Szene machte, tatsächlich mit der Frau identisch war, die er liebte.

Ich bekam auch vermehrt gesundheitliche Probleme, die laut meiner Ärzte auf extreme körperliche Verspannungen zurückzuführen waren und einen psychischen Hintergrund haben sollten. Anfangs wies ich das weit von mir, aber je mehr ich mich beobachtete, je mehr musste ich einsehen, dass die Mediziner wahrscheinlich recht hatten. Jahrzehntelang kämpfte ich gegen Heuschnupfen, Ekzeme, Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Blähungen sowie Muskelverspannungen. Ich litt oft unter Bauchschmerzen und anderen unerklärlichen Befindlichkeitsstörungen. Es verging kein Abend, an dem ich nicht mit Wärmflasche auf dem Bauch im Bett lag. Schon seit meiner Teenagerzeit machte mir ein so genannter Reizdarm das Leben schwer.

Seit ich mit Georg zusammenlebte, nahm das Ganze so konkrete Formen an, dass nicht zu übersehen war, dass eine seelische Komponente im Spiel war. Inzwischen konnte ich kaum noch etwas essen, ohne Schmerzen zu bekommen. Ich aß manchmal nur trockenes Brot und trank Wasser, wodurch ich mir wie im Knast vorkam. Mir war inzwischen jede Lebensqualität genommen.

Durch das dauernde Unwohlsein wurde ich immer streitsüchtiger. Ich wachte morgens manchmal mit völlig zerkratztem Rücken und Gliedmaßen auf. Einmal hatte ich mir sogar das Gesicht im Schlaf entstellt. An nichts hatte ich mehr Spaß. Nur zu gern hätte ich Freude gehabt, aber alles, was mir Genuss bereitete, endete damit, dass ich entweder Schmerzen, Ausschlag oder ein Gefühl bekam, aus meinem Körper ausbrechen zu wollen. Schließlich bekam ich den Eindruck, ich dürfte das Leben einfach nicht genießen. Schon in früheren Jahren waren bei mir zahlreiche Nahrungsmittelallergien festgestellt worden. Aber immer wieder habe ich erfahren müssen, dass ich mit den Auslassdiäten nicht weiterkam. Irgendetwas stimmte nicht, denn nach kurzer Zeit stellte ich fest, dass ich Sachen essen konnte, die angeblich Gift für mich waren, während andere höllische Schmerzen verursachten, die beim Test ohne Reaktion gewesen waren.

Als es mir immer schlechter ging, stellte ein Doktor eine Fruchtzuckerunverträglichkeit fest. Das war endlich eine Spur, die logisch erschien. Schon immer hatte ich Schwierigkeiten, wenn ich Obst aß. Also achtete ich vermehrt auf meine Ernährung, was sich in diesem Fall als äußerst schwierig herausstellte. Obwohl ich künftig genau darauf achtete, was ich aß, wurden die Beschwerden immer bestialischer. Ich heulte nur noch rum und redete sogar von Selbstmord. Georg war inzwischen auch verzweifelt. Ich wollte niemanden mehr besuchen, weil ich keine Lust verspürte, irgendjemandem lange Erklärungen abzugeben, warum ich den liebevoll zubereiteten Kuchen verschmähte, den die Hausfrau extra gebacken hatte. Langsam sah ich keinen Sinn mehr im Leben. Auch Diätnahrung konnte ich nicht essen, da selbst in Astronautenkost irgendein Stoff drin gewesen wäre, der mir irgendwie geschadet hätte.

Ich war so am Boden zerstört, dass ich mich nur noch entscheiden konnte, professionelle Hilfe anzunehmen oder elendig zugrunde zu gehen. Gott sei Dank konnte meine Therapeutin den Hilferuf richtig deuten, denn ich hatte die Angewohnheit, nie zuzugeben, dass es mir schlecht ging. Sie gab mir innerhalb einer Woche einen Termin und brachte mich während der folgenden Monate in ausführlichen Gesprächen auf die richtige Spur. Ich lernte, Gefühle richtig zu deuten und vor allem, meinen Emotionen freien Lauf zu lassen.

Mir war inzwischen klar geworden, dass nur ich allein dem Ursprung auf die Spur kommen konnte, was vor langer Zeit passiert war und den Drang in mir auslöste, so widersinnig zu handeln. Etwas, das meiner Erinnerung bisher verborgen geblieben war. Ich wollte mein ganzes Leben Revue passieren lassen, um der Sache auf den Grund zu gehen, denn ich wollte endlich richtig glücklich werden. Niemals hatte ich bisher das Gefühl gehabt, am Ziel angekommen zu sein. Nun wollte ich endlich das Leben genießen, bevor es zu spät war.

Ich begann Fachliteratur zu lesen, besuchte Selbsterfahrungskurse und versuchte unter Hypnose, die letzten Winkel meiner Seele zu ergründen. Mir fielen plötzlich Dinge ein, die ich als Kind erlebt hatte. Nein, mir fielen sie nicht nur ein, sondern ich erlebte sie förmlich noch einmal, ich durchlebte sie mit allen Gefühlen, Emotionen und Ängsten. So viele Tränen habe ich in meinem ganzen bisherigen Leben nicht vergossen, Tränen, die viel früher hätten geweint werden müssen.

In den nächsten Kapiteln werde ich Ihnen meine Lebensgeschichte erzählen, meine Erkenntnisse durch die Psychoanalyse darstellen und Ihnen erklären, was meine Prägungen in der Kindheit mit meinem heutigen Verhalten zu tun haben. Womöglich werden Sie beim Lesen erkennen, dass der Grund für Ihr eigenes Verhalten einen Ursprung haben könnte, an den Sie bisher überhaupt nicht gedacht haben. Im Nachhinein bin ich froh, dass ich noch die Chance bekommen habe, mein Leben glücklicher und zufriedener zu gestalten, obwohl ich schon gar nicht mehr daran geglaubt hatte.

Sanfter Missbrauch. Das schleichende Seelengift

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