Читать книгу Sanfter Missbrauch. Das schleichende Seelengift - Sabine B. Procher - Страница 13
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ОглавлениеEines Tages tauchte ein älterer Bursche auf unserem Grundstück auf. Er mischte sich unter uns Spielende, fragte die Älteren über alle möglichen Dinge aus und verteilte Kekse.
Als er nach einigen Tagen wieder erschien, war außer mir nur der vierzehnjährige Emil, der etwas abseits an einem Roller rumbastelte, auf dem Hof. Da der Mann mir nicht fremd war, griff ich bedenkenlos zu, als er mir einen Riegel Schokolade hinhielt.
„Wenn du mehr davon willst, musst du mitkommen. Dann hole ich dir welche im Laden gegenüber.“
„Au ja, aber die mit Nüssen. Die mag ich am liebsten.“
Begeistert griff ich nach der Leckerei. Ich verlor auch die anfängliche Scheu vor dem großen Schäferhund, den er bei sich hatte.
„Du darfst mit dem Mann nicht mitgehen.“
Emil, der auf die Szene aufmerksam geworden war, trat heran und versuchte, mich aufzuhalten.
„Ich geh doch nur über die Straße. Das merkt doch keiner.“ „Bleib lieber hier. Wir sollen doch von Fremden nichts annehmen.“
Ich zögerte einen Moment, aber dann überwog der Heißhunger auf die versprochene Süßigkeit. Bereitwillig ergriff ich die Hand des jungen Mannes und folgte ihm über den Fahrdamm.
„Ich bringe dir deine Kleine bald zurück. Du brauchst keine Angst um sie zu haben. Sie gibt dir sicher auch was ab.“
Emil packte meinen Arm und wollte mich gewaltsam zurückhalten.
„Lass mich los! Ich will jetzt die Schokolade haben. Hau ab!“ Ich versetzte Emil einen Stoß. Er erkannte, dass seine Versuche mich umzustimmen, zwecklos waren. Emil folgte uns mit genügendem Abstand, um zu sehen, wohin der Kerl mich entführte. Der Unbekannte schaute sich mehrmals um, bevor er mit mir eiligen Schrittes in der unübersichtlichen Ruine auf der anderen Straßenseite verschwand.
„Hier darf ich nicht hin.“
Ich bekam ein mulmiges Gefühl im Bauch. Meine Eltern hatten mich unter Androhung einer Höchststrafe eindringlich davor gewarnt, in den ausgebombten Gebäuden zu spielen.
„Setz dich hierher. Ich hole schnell deine Schokolade. Ajax passt inzwischen auf dich auf“, beruhigte er mich und deutete auf den Hund.
Nach einigen Minuten war er zurück, setzte sich zu mir in die Sandkuhle und hielt mir die mitgebrachte Tafel unter die Nase.
„Jetzt naschen wir erst ein bisschen. Einen Riegel für dich, einen für Ajax und einen für mich.“
Der Hund schnappte ihm gierig seinen Anteil aus der Hand und verschlang diesen mit einem Happs. Fasziniert schaute ich dem Tier zu.
„Du musst langsam essen, sonst bekommt dir das nicht. Das sagt Mutti immer“, erklärte ich meinem Wohltäter. „Wie heißt du eigentlich? Ich bin Sandra.“
Der Mann zögerte einen Moment, bevor er seinen Namen verriet. „Ich bin Mecki.“
„So heißt mein Teddybär. Das ist ja ulkig.“
Ich gewann immer mehr Zutrauen und erzählte so nach und nach von meinem Zuhause, meiner Familie und meinen Freunden. Mecki war inzwischen immer dichter an mich herangerutscht und schließlich lag ich in seinem Arm. Ich fühlte mich geborgen. Ich konnte mich nicht erinnern, wann meine Mutter mich zuletzt umarmt hatte. Papa machte mit mir oft lange Spaziergänge, bei denen er mich stolz auf der Schulter durch die Straßen trug. Er spielte auch mit mir, aber Emotionen konnte ich auch von seiner Seite nicht erwarten. Und so ließ ich die angenehmen Gefühle zu, die ich bei den Berührungen von Mecki empfand. Es war einfach nur schön.
„Warum habe ich so ein Gefühl nicht schon früher gehabt? Woher kommt das? Es ist so angenehm. Das muss ich nachher unbedingt Mutti erzählen“, dachte ich.
Mecki streichelte mich immer intensiver und fuhr schließlich mit der Hand unter mein Röckchen. Bevor er aber Schlimmeres mit mir anstellen konnte, wurde er unterbrochen. Plötzlich stand Mutti vor uns. Sie wurde von Emil begleitet, der beobachtet hatte, wohin ich verschleppt worden war. Er informierte meine Mutter und führte sie zu dem Abrisshaus. Mutti schien für einen Moment wie erstarrt, als sie mich in den Armen des Burschen sah. Mecki grinste sie frech an. Ich zuckte zusammen, denn mir war klar, dass ich hier nicht sein durfte. Mutti holte, ohne ein Wort zu sagen, aus und verpasste mir eine schallende Ohrfeige.
„Was machst du mit dem Mann hier? Habe ich dir nicht gesagt, dass du mit keinem Fremden mitgehen darfst?“
Sie zog mich mit sich fort. Den jungen Mann würdigte sie keines Blickes. Sie stellte ihn nicht einmal zur Rede. Emil folgte uns.
„Irgendetwas stimmte nicht. Was ist eigentlich passiert? Warum hat deine Mutter nichts zu dem Mann gesagt?“, fragte mich Emil später. Aber ich wusste auch nicht wieso und zuckte nur mit den Schultern. Und irgendwann hatte ich das Erlebnis einfach vergessen. Aber mein Unterbewusstsein vergaß nicht, weder Muttis Auftritt noch ihre Ohrfeige, aber auch das angenehme Gefühl nicht, welches ich in den Armen von Mecki gehabt hatte. Ich wusste gar nicht, weshalb meine Mutter mich bestraft hatte. Dass ich mich verbotenerweise in der Ruine aufhielt, erwähnten die Eltern gar nicht. Während ihrer Gespräche schnappte ich mehrmals die Worte Gefahr, Glück gehabt und Sittenstrolch auf, wovon ich nichts verstand.
„Was hat Mecki mir denn getan? Er hat mir Schokolade geschenkt, mich in den Arm genommen und gestreichelt, wodurch ich dies unheimlich schöne Gefühl empfunden habe. Wieso ist das verboten? Was ist daran schlecht? Warum hören mir die Erwachsenen nicht zu, wenn ich ihnen davon erzählen will?“, überlegte ich.
„Sei froh, dass dir nicht mehr passiert ist“, sagte Papa und klopfte mir auf die Schulter, als ob ich einer seiner Kumpane wäre.
Es entging mir nicht, dass die Erwachsenen aus der Nachbarschaft mich in den nächsten Tagen mitleidig ansahen und hinter meinem Rücken tuschelten. Ich fühlte mich unbehaglich und war froh, als nach einigen Wochen nicht mehr davon geredet wurde. Die Erwachsenen beaufsichtigten künftig abwechselnd die Spiele der Kinder, was aber aus Bequemlichkeit nach einiger Zeit wieder eingestellt wurde. Es war ja nichts Schlimmeres passiert, und so durfte auch ich den Spielen wieder ohne Aufsicht beiwohnen. Aber wenn die Eltern weggingen, sorgten sie künftig für einen Babysitter, wovon in der großen Anlage mehrere Personen in Frage kamen. Am liebsten war mir, wenn Gisela das übernahm.