Читать книгу Sanfter Missbrauch. Das schleichende Seelengift - Sabine B. Procher - Страница 9
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ОглавлениеUmso überraschter war ich, als Georg in den nächsten Tagen plötzlich die Initiative ergriff. Er rief dauernd bei mir an und lud sich in den nächsten Tagen sogar zweimal selbst bei mir ein. Ich fühlte mich überrumpelt, fand es aber trotzdem angenehm. Meist saß ich neben ihm auf der Couch, kuschelte mich in seinen Arm, hörte seinen interessanten Erzählungen zu und genoss seine zärtlichen Streicheleinheiten, die nie aufdringlich wirkten und mir Mut machten, mit Georg über einige intime Probleme zu reden.
Mit Schrecken dachte ich an die kleinen Wunden, die ich früher beim Geschlechtsverkehr an der Schleimhaut meiner Scheide bekommen hatte und mir den Spaß am Sex verdorben hatten. Da nicht vorauszusehen war, wie empfindlich ich nach den langen Jahren der Abstinenz sein würde, hatte ich Angst vor unserem ersten Mal. Ich befürchtete auch, durch die zwiespältigen Gefühle, die nach einem intimen Zusammensein meist auftraten, alles gleich wieder kaputt zu machen.
Mir schoss das Blut in den Kopf, als ich mit gesenktem Haupt Georg in meine intimsten Befürchtungen einweihte. Er reagiert sehr fürsorglich und versuchte, meine Bedenken zu zerstreuen. Als wir eine Woche nach unserem ersten „Du“ zum ersten Mal miteinander schliefen, waren wir schon so verliebt ineinander, dass ich meine Scheu verlor und glaubte, dass gar nichts mehr schief gehen könnte. Ich hatte ihn eingeladen, das Wochenende bei mir zu verbringen. Wir wollten die Zeit nutzen, um uns näher zu kommen, einander besser kennenzulernen und auszuprobieren, wie wir auf engstem Raum miteinander auskommen würden.
Ich erfuhr, dass Georg schon zwei Ehen hinter sich hatte. Mit seiner ersten Frau hatte er zwei Kinder, mit denen er nach der Scheidung regelmäßigen Kontakt pflegte. Nachdem auch eine zweite Ehe in die Brüche ging, ließ er sich auf eine Lebensgemeinschaft mit einer acht Jahre älteren Frau ein, mit der er sehr harmonisch zusammenlebte, bis ihr plötzlicher Tod ihm den Boden unter den Füßen wegriss. Er brauchte fast zwei Jahre, um darüber hinwegzukommen. In dieser Situation war er mir über den Weg gelaufen.
Ich war überrascht, wie gut wir miteinander harmonierten, und wie wenig ich mich durch Georgs Anwesenheit gestört fühlte. Natürlich konnte ich mich ihm gegenüber nicht völlig frei benehmen, dazu war ich innerlich viel zu verklemmt. Da meine Mutter mir beigebracht hatte, niemals Schwäche zu zeigen, verstand ich es, dies geschickt zu überspielen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, Georg hätte schon immer in mein Leben gehört.
Georg wohnte immer noch in der Vierzimmerwohnung, in der er mit seiner verstorbenen Lebensgefährtin gelebt hatte. Er plante schon seit Längerem, sich eine kleinere Wohnung in der Nähe seiner Arbeit zu suchen und hatte vor einigen Tagen eine Zweiraumwohnung direkt über seinem Büro besichtigt. Als wir an unserem ersten Wochenende miteinander essen gingen, sprachen wir darüber.
„Welche Möbel willst du aus deiner jetzigen Wohnung mitnehmen?“
„Dort stehen fast nur Antiquitäten. Die hat der Sohn meiner verstorbenen Lebensgefährtin geerbt. Bei meinem Auszug wird er die Sachen übernehmen.“
„Was hast du dir vorgestellt?“
„Von einigen Dingen werde ich mich trennen, weil zu viele Erinnerungen daran hängen. Ich nehme nur einen Sekretär, ein Schränkchen, etwas Hausrat und meine persönlichen Sachen mit.“
In den nächsten Minuten schoss mir ein Gedanke nach dem anderen durch den Kopf. „Wenn er die Wohnung anmietet, habe ich bestimmt das Einräumen am Hals. Außerdem müssen zwei Wohnungen sauber gehalten werden. Bestimmt sind wir immer nur bei mir. Er kann doch erst einmal bei mir wohnen. Wenn es nicht klappt, kann er sich immer noch ein Appartement einrichten.“
Eine Eingebung wiederholte sich immer wieder: „Greif zu! Dann bist du gezwungen, mit deinen zwiespältigen Gefühlen klarzukommen. Dann kannst du nicht mehr vor irgendwelchen Problemen davonlaufen.“
Ich traute meinen Ohren kaum, als ich mich sagen hörte: „Was hältst du davon, wenn du vier Monate zur Probe bei mir einziehst? Wenn es nicht klappt, kannst du immer noch eine Wohnung mieten. Da du dich sowieso neu einrichten willst, ist das doch gar kein großes Risiko.“
Für einen Moment herrschte Stille. Georg sah mich an und fragte: „Bist du dir sicher?“
„Sonst hätte ich es nicht vorgeschlagen.“
Ich hatte nicht einen Moment ein ungutes Gefühl, als Georg, ohne weitere Bedenken anzumelden, zustimmte. Nun gab es für mich kein Halten mehr. Den ganzen Nachmittag plante ich im Kopf, wie alles vor sich gehen sollte. Georg ließ mich machen, und ich war in meinem Element.
„Warum bist du nicht schon vorher umgezogen? Die Wohnung ist so weit weg und viel zu groß für dich allein.“
„Ich weiß, aber ich habe mich einfach nicht aufraffen können. Der plötzliche Tod meiner Lebensgefährtin hat mich in ein tiefes Loch gerissen. Ich war anfangs wie gelähmt und konnte überhaupt nicht klar denken.“
Ich nickte, konnte es aber trotzdem nicht nachvollziehen. Ich hätte in einer solchen Situation ganz anders gehandelt.
„Lass mich alles organisieren. Ich habe in den letzten Jahren einige Umzüge über die Bühne gebracht. Darin habe ich Übung.“
Wie immer, wenn ich etwas in die Hand nahm, musste es möglichst gestern schon fertig sein. Georg sortierte seine Sachen aus, Freunde halfen uns beim Packen, und ich räumte einige Fächer in meinen Schränken um. Den Rest übernahm eine Umzugsfirma. So kam es, dass Georg einen Monat später bei mir einzog. Meine Nachbarn hatten sich schon an seinen Anblick gewöhnt, da er nach unserem ersten Mal jeden Abend bei mir übernachtet hatte.
Natürlich ging nicht alles ohne Schwierigkeiten über die Bühne. Ich war mit Georg gerade erst vier Wochen zusammen, als ich mich zum ersten Mal nicht beherrschen konnte. Ich fühlte, wie aus heiterem Himmel eine nicht bezähmbare Wut in mir aufstieg. Ich hatte das Bedürfnis, mich auf Georg zu stürzen und ihn zu schlagen, konnte mich aber gerade noch zurückhalten.
„Du bist auch nicht anders als die anderen Männer“, herrschte ich ihn stattdessen an. Georg stand wie ein begossener Pudel im Türrahmen und wusste wahrscheinlich gar nicht, warum er so unvermittelt diese kalte Dusche bekam. Er hatte doch nur auf meine Frage geantwortet und erzählt, wie er seine erste Frau kennengelernt hatte. Mir war selbst nicht klar, warum ich so reagierte, als er mit fröhlichem Unterton antwortete: „Ich bin mit einer Bekannten in Urlaub gefahren und mit einer anderen Frau zurückgekommen.“
Ich dachte, mir haut es den Boden unter den Füßen weg. Vor meinen inneren Augen liefen verschiedene Filme über frühere Erlebnisse gleichzeitig ab. Ich sah rot. Georg schien sich keiner Schuld bewusst zu sein und wunderte sich, wieso mich dieser Satz so auf die Palme gebracht hatte.
„Was war denn so schlimm daran. Ich bin mit einem Freund und seiner Schwester nach Kreta gefahren. Die Kleine himmelte mich an, aber ich wollte nichts von ihr. Unterwegs lernte ich meine spätere Frau kennen. Es war Liebe auf den ersten Blick.“
„So hört sich das schon ganz anders an. Zuerst musste ich ja annehmen, dass du deine Freundin wegen einer anderen hast sitzen lassen.“
„Nein, nein, natürlich nicht. Dann wäre ich ja ein großes Schwein.“
So sehr ich mich auch bemühte, die Vernunft einzuschalten, ich schaffte es nicht. Ich brachte es nicht fertig, die bösen Gedanken abzuschütteln, die von mir Besitz ergriffen hatten. Mein Verstand sagte mir zwar, dass meine schlechten Erinnerungen nichts mit Georg zu tun hatten, trotzdem gab ich ihm die Schuld daran. Ich spürte, wie ich immer wütender auf ihn wurde und ihm fast feindselig gegenüberstand. Die Stimmung war an diesem Abend unter den Gefrierpunkt gesunken und das ausgerechnet am Abend vor Georgs Einzug in meine Wohnung.
Obwohl ich wusste, dass er sich nur falsch ausgedrückt hatte, war ich nicht in der Lage, umzudenken. Sollte ich mich in ihm getäuscht haben? Hat er es womöglich darauf angelegt, bei mir einzuziehen? Ich hatte schon einiges in dieser Richtung erlebt. Ein guter Freund sagte mal zu mir: „Wenn du nicht aufpasst, fällst du irgendwann einem Heiratsschwindler in die Hände.“
Eigentlich kannte ich Georg gar nicht. Ich hatte schon oft in den falschen Topf gegriffen. Plötzlich war sie wieder da, die Zerrissenheit, die mich jedes Mal plagte, wenn sich mein Leben verändern sollte.
Da Georg sich in meiner Wohnung nicht auskannte, blieb der Einzug an mir hängen. Ehe ich ihm erklärt hätte, wohin seine Sachen geräumt werden mussten, machte ich es am besten gleich allein. Außerdem hatte ich keine Lust, damit zu warten, bis Georg abends von der Arbeit kam.
Natürlich überschätzte ich meine Kräfte und brach nach einer Woche frustriert zusammen. Georg war völlig außer sich, als er mich abends, heulend auf einem Sessel sitzend, vorfand. Als mir bewusst wurde, wie viel Schwäche ich zeigte, wurde ich wütend auf mich und reagierte aggressiv. Ich dachte daran, dass mir meine Mutter beigebracht hatte, niemals zu zeigen, wenn es mir schlecht geht und als Georg mich tröstend in den Arm nehmen wollte, schob ich ihn resolut beiseite und meinte, dass ich noch sehr viel zu tun hätte. Ich glaube, dass Georg sehr überrascht war über meine barsche Reaktion und nicht wusste, wie er damit umgehen sollte. Da ich wieder die Alte war, als wir später ins Bett gingen, schob er es vermutlich auf den Umzugsstress.
Auch Vasco spielte nicht so einfach mit. Er hatte unruhig beobachtet, was in den letzten vier Wochen vor sich ging. Das sonst so friedliche Tier knurrte den neuen Konkurrenten bei jeder Gelegenheit an. Als er von mir dafür bestraft wurde, bekam er plötzlich gesundheitliche Probleme. Er humpelte nur noch auf drei Beinen durch die Gegend. Selbst die Tierärztin war ratlos. Gott sei Dank fand nach acht Tagen eine Wunderheilung statt, als gerade in dem Moment, als ich ihn zum Pipi machen auf die Straße trug, eine läufige Hündin an unserem Haus vorbeikam. Er vergaß seine Krankheit und lief hinter ihr her. Wieder einmal war ich auf seine Schauspielerei hereingefallen.
Aber erst nachdem Ruhe im Haus eingekehrt war, und wir uns wieder vermehrt um ihn kümmerten, wurde das Tier wieder zutraulicher. Trotzdem wollte Vasco seinen zweiten Platz in der Rangordnung nicht so ohne Weiteres hergeben und zeigte Georg auf die unterschiedlichste Art, wer der eigentliche Herr im Haus war. Da Georg ihm immer wieder Leckerlis außer der Reihe zuschob, akzeptierte Vasco den neuen Mitbewohner schließlich.