Читать книгу Sanfter Missbrauch. Das schleichende Seelengift - Sabine B. Procher - Страница 7
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ОглавлениеWenn an warmen Tagen die Türen der umliegenden Geschäfte offen standen, konnte ich meist nicht verhindern, dass Vasco dort hineinlief. In der Umgebung war der kleine Köter bekannt wie ein Filmstar. Ohne den Hund wurde ich manchmal gar nicht erkannt. Vasco flirtete mit jedem, der uns begegnete. Er hatte schnell heraus, wer ein Leckerli für ihn vorrätig hatte und richtete vermutlich seine Route danach aus.
Im Mai 2006 eröffnete in der Nähe meiner Wohnung eine Beratungsfirma. Natürlich lief Vasco bei seinem Rundgang schnurstracks in den offenen Laden hinein. Drei Herren waren damit beschäftigt, Umzugskartons auszupacken. Vasco beschnüffelte die Hosenbeine der Männer und legte sich schließlich vor Georg, dem älteren der Drei, auf den Rücken. Er zeigte durch die eindeutige Gestik mit seinen Pfoten, dass er gekrault werden wollte. Georg lachte und tat ihm den Gefallen. Man merkte, dass er mit Hunden umgehen konnte, und Vasco wollte gar nicht mehr aus dem Laden heraus kommen. Mir blieb nichts anderes übrig, als das Tier auf den Arm zu nehmen und zurück auf die Straße zu tragen.
In den nächsten Wochen besuchte Vasco seinen neuen Freund regelmäßig. Meist fiel dabei ein Stückchen Wurst oder Käse für ihn ab. Die Gespräche mit den drei Männern wurden im Laufe der Zeit immer intensiver. Besonders der neunundfünfzigjährige Georg war mir sympathisch. Er war etwa fünfzehn Zentimeter größer als ich, hatte volles graues Haar, etwas Übergewicht, was aber zu seinem Typ passte, und wohlgeformte Gesichtszüge. Sein Auftreten war äußerst charmant und vornehm zurückhaltend, wodurch er ruhig, besonnen und sehr seriös wirkte. Er strahlte eine Wärme aus, die ihm eine ungeheure Anziehungskraft verlieh. Jedes Mal, wenn ich mit ihm sprach, brachte seine Stimme etwas bei mir ins Schwingen, was noch einige Zeit nachklang. So erwischte ich mich ab und zu dabei, dass ich an ihn dachte. Als ich Georg eines Tages darauf ansprach, dass er mit Vasco so gut umgehen könnte, antwortete er: „Wir hatten auch einen kleinen Dackel.“
Dabei betonte er besonders das „Wir“. Für mich war damit klar, dass er liiert war. Folglich benahm ich mich ihm gegenüber weiterhin distanziert. Wenn ich Georg manchmal allein auf der Straße traf, kam es mir zwar so vor, als ob er sich für mich interessieren würde, aber er benahm sich wahrscheinlich schon von Berufs wegen allen gegenüber charmant. Außerdem war es sowieso egal, denn ich legte ja keinen Wert auf einen neuen Partner, und eine Affäre mit einem verheirateten Mann wollte ich schon gar nicht.
Als es im Herbst kälter wurde, blieben die Türen der Geschäfte verschlossen, wodurch Vasco nicht mehr in die Läden hineinlaufen konnte, und die im Sommer geknüpften Kontakte schliefen ein. Auf der Straße hastete man meist nur mit kurzem Gruß aneinander vorbei. Georg traf ich nur noch einmal im Oktober, als er aus einer Apotheke kam. Er begrüßte mich mit Handschlag, wobei er meine Finger eine Spur zu lange festhielt. Wieder hatte ich das Gefühl, dass zwischen uns ein Funke übersprang. Wir sprachen aber nur wenige kurze Höflichkeitssätze miteinander, bevor er sich verabschiedete. Danach sah ich ihn drei Monate lang nur durch die Scheibe seines Büros, wenn ich nachmittags mit Vasco dort vorbeispazierte.
Man hatte mir zu dieser Zeit mehrmals gesagt, dass ich in den letzten Monaten eine jugendlichere, weichere Ausstrahlung bekommen hätte. Ich bemerkte, dass mir die Männer nachblickten und versuchten, mit mir anzubändeln. Da ich schon immer gern geflirtet hatte, fand ich Gefallen daran. Ich ertappte mich sogar mehrmals bei dem Gedanken, dass es doch ganz schön wäre, nicht mehr allein zu sein. Ab und zu stieg in mir für einen Moment die Angst vor der Einsamkeit hoch, wenn Vasco, der ja inzwischen schon dreizehn Jahre alt war, eines Tages sterben würde. Im gleichen Moment kamen mir aber mehrere Gegenargumente in den Sinn, sodass ich den Wunsch nach einer Partnerschaft sofort wieder im Keim erstickte.
Einen Tag vor Heiligabend ging ich mit Vasco abends an Georgs Büro vorbei. Er saß dort allein an seinem Schreibtisch. So beschloss ich, ihm ein frohes Weihnachtsfest zu wünschen und betrat das Geschäft.
Georg strahlte mich an und ich spürte, dass er sich über mein Erscheinen freute. Er bat mich, Platz zu nehmen und verwickelte mich in ein längeres Gespräch. Durch die weihnachtliche Stimmung und den Umstand, dass wir zum ersten Mal völlig allein waren, wurden private Themen nicht nur oberflächlich angesprochen.
„Wie kommt es, dass Sie am Vorweihnachtsabend so spät noch arbeiten?“
„Mir ist überhaupt nicht nach Weihnachten zumute. Vor zwei Jahren ist meine Frau gestorben. Daran werde ich Weihnachten wieder erinnert.“
„Das tut mir leid. Ich habe im letzten Jahr meinen Vater verloren und bin nun auch allein. Deshalb kann ich verstehen, dass sie keine Freude mit den Feiertagen verbinden.“
„Ich bin froh, dass mich Freunde zum Fest eingeladen haben, sonst würde mir die Decke auf den Kopf fallen“, erwiderte Georg.
Er war um den Schreibtisch herum gekommen und hatte sich neben mich auf einen Sessel gesetzt. Seine Hand, die er auf die Armlehne meines Stuhls gelegt hatte, war keine fünf Zentimeter von meiner Hand entfernt. Ich spürte, wie es in meinem Bauch zu kribbeln anfing, und mein Herz zu rasen begann.
„Er ist also doch allein und dazu noch Witwer. Das habe ich mir doch immer gewünscht. Er sieht richtig gut aus, und vom Alter her würde er auch zu mir passen. Ob ich es wagen kann, ihm Avancen zu machen?“ Diese und ähnliche Gedanken schossen mir durch den Kopf. Gleichzeitig meldeten sich Zweifel, ob ich mich wirklich auf ihn einlassen wollte.
„Wenn Sie sich Weihnachten oder danach zufällig einsam fühlen, rufen Sie mich ruhig an. Vielleicht haben Sie ja Lust auf einen Ausflug zum Grunewaldsee mit Vasco“, schlug ich vor. Ich spürte, dass ich rot wurde. Umständlich schaute ich mich nach einem Zettel und einem Kuli um, um ihm meine Telefonnummer aufzuschreiben. Georg nickte und reichte mir lächelnd beides sowie seine Visitenkarte, auf die er noch seine Privatnummer schrieb. Nachdem ich den Laden verlassen hatte, spürte ich, dass er mir hinterher schaute, und als ich mich an der Ecke umdrehte, winkte er mir hinterher.
Ich fühlte im Innern ein lange nicht da gewesenes, wohliges Gefühl. Unzählige Gedanken gingen mir in den nächsten Tagen durch den Kopf. Ich hoffte, dass Georg sich bald melden würde, aber nichts dergleichen geschah. Auch am Silvestervorabend führte mein Weg an Georgs Büro vorbei. Da es Samstag war, hatte ich nicht damit gerechnet, dass er sich dort aufhielt. Als er mich bemerkte, winkte er mich herein.
„Na, haben Sie die Feiertage gut verlebt?“ Ich zog mir umständlich die Handschuhe aus, damit ich ihm die Hand reichen konnte.
„Ja, ich hoffe Sie auch.“
„Ganz geruhsam. Ich habe mit Vasco einige längere Spaziergänge gemacht, habe ferngesehen und gelesen.“
„Ich war bis zum zweiten Feiertag bei Freunden und habe mich von den Kochkünsten der Frau verwöhnen lassen. Ich genieße solche Einladungen, weil ich selbst nicht kochen kann.“
Ich hatte die Angewohnheit, mir zum Jahresende Nudelsalat zu machen. Schon beim Zubereiten hatte ich kurz daran gedacht, Georg etwas davon abzugeben. Mittags hatte ich mich extra hübsch angezogen und war an seinem Büro vorbeigegangen, aber ich wurde enttäuscht, denn der Laden war geschlossen.
Deshalb hatte ich nicht damit gerechnet, dass Georg ausgerechnet am Abend da sein würde. Das Gespräch entwickelte sich also genau in die richtige Richtung.
„Ich habe mir für Silvester Nudelsalat gemacht. Allerdings habe ich derart viel zubereitet, dass ich ihn unmöglich allein aufessen kann. Haben Sie vielleicht Lust, eine Portion mitzuessen?“
Ich war es gewohnt, die Initiative zu ergreifen und unterbreitete ihm deshalb diesen Vorschlag. Falls er sich zieren sollte, mich zu Hause zu besuchen, hätte ich ihm ja immer noch sagen können, dass ich gemeint hätte, dass ich ihm eine Portion ins Geschäft bringen würde. Aber Georg erwiderte schnell: „Gerne, ich bin um 18 Uhr 30 bei Ihnen.“
„Ich freue mich. Dann bis gleich.“
„Ja, bis gleich.“
Georg hielt mir die Tür auf, und ich machte mich mit Vasco eilig auf den Heimweg. Bis 18.30 Uhr blieb mir nur noch eine Dreiviertelstunde, die ich dafür nutzen wollte, mich umzuziehen. Ich wählte allerdings nichts Aufreizendes, sondern zog mir Hose und Pulli an. Es sollte ja nicht zu aufdringlich aussehen. So impulsiv ich die Einladung ausgesprochen hatte, kamen mir nun Bedenken.
„Was denkt er womöglich von mir, dass ich ihn gleich nach Hause eingeladen habe?“
Schon früher hatte sich mancher Mann durch meine auffordernde Art mehr versprochen und war von meinem unnahbaren Auftreten wie vor den Kopf gestoßen, wenn er zu einem Treffen erschien. Georg schreckte regelrecht zusammen, als er von mir mit kühler Stimme empfangen wurde.
„Sie müssen aber Ihre Schuhe ausziehen. Darauf lege ich großen Wert.“
Leicht pikiert kam er der Aufforderung nach. Ich führte ihn ins Wohnzimmer, wo ich ihm am gedeckten Esstisch einen Platz zuwies. Er traute vermutlich kaum sich zu rühren, so geschäftsmäßig kühl trat ich ihm entgegen. Beim Essen tauten wir allerdings beide etwas auf, aber über einen belanglosen Smalltalk ging das Gespräch nicht hinaus. Gegen 22 Uhr verabschiedete sich Georg und trat den langen Heimweg ans andere Ende der Stadt an.