Читать книгу Sanfter Missbrauch. Das schleichende Seelengift - Sabine B. Procher - Страница 6
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ОглавлениеAls ich gerade fünf Jahre alt war, machte ich mich auf die Suche nach einem Gefühl, das so schön sein sollte, dass man die Engel singen hören könnte. Ein Gefühl, dass man als Kind anscheinend nicht erleben durfte, denn die Erwachsenen redeten nur hinter vorgehaltener Hand darüber. Wenn ich doch einmal etwas aufschnappte und Fragen stellte, hieß es nur: „Dazu bist du zu klein. Das verstehst du nicht.“
Inzwischen war ich 56 Jahre alt und hatte eine etwaige Vorstellung von dem, was ich suchte. In den vergangenen Jahrzehnten glaubte ich manchmal sogar, es gefunden zu haben. Aber statt im siebten Himmel zu schweben, wanderte ich durch die Hölle.
Ich war nach einer kurzen, nur wenige Monate dauernden Ehe im Alter von 20 Jahren überzeugter Single. Natürlich hatte ich ab und zu einen Freund, aber länger als zwei Jahre hielten die Verbindungen nie. Angeregt durch einen Persönlichkeitstest, fragte ich damals eine Kollegin, welchem Tier sie mich zuordnen würde. Sie antwortete: „Du bist wie ein Schmetterling. So wie dieser von Blume zu Blume fliegt, hüpfst du von einem Mann zum nächsten.“
So hatte ich mich noch gar nicht gesehen. Aus meiner Perspektive hatte ich das Pech, immer an den Falschen zu geraten. Wenn ich in späteren Jahren sah, was aus meinen früheren Männern geworden war, war ich froh, dass es mit ihnen nicht geklappt hatte. Mir war sicher viel Ärger und Kummer erspart geblieben. Nach Ansicht meiner inzwischen verstorbenen Mutter, die sich einen wohlhabenden, beruflich erfolgreichen Akademiker als Schwiegersohn gewünscht hätte, verliebte ich mich entweder in Chaoten, Nichtsnutze oder Schwindler.
Schließlich fand ich sogar Gefallen an Affären mit verheirateten Männern, was meinem Drang nach Freiheit sehr entgegen kam. Irgendwann wurde mir aber klar, dass eine derartige Liaison auch nicht das Gelbe vom Ei war. Ich brauchte zwar für meine Liebhaber nicht kochen und waschen, aber Ärger und Stress gab es trotzdem.
Nachdem ich vor vierzehn Jahren erneut eine Enttäuschung erlitt, nahm ich mir vor, mich nie wieder auf einen Mann einzulassen. Ich kleidete mich möglichst unscheinbar, ging nicht mehr aus und stürzte mich vermehrt in die Arbeit, was den Vorteil hatte, dass ich mir im letzten Jahrzehnt ein ansehnliches finanzielles Polster erwirtschaften konnte. Ich dachte, wenn ich gar nicht erst in Versuchung gerate, wäre es am einfachsten, meinem Schwur treu zu bleiben. So war ich eine der vielen Singles, die sich mit ihrem „Los des Alleinseins“ arrangiert hatten und glaubte felsenfest daran, dass diese Lebensform das Ideal für mich wäre. Ich bewohnte eine luxuriöse Dreizimmerwohnung mitten in Berlin, konnte mir leisten, jeden Tag essen zu gehen und hatte mir den Traum erfüllt, schon mit Mitte 50 in den Vorruhestand zu gehen. Eigentlich hätte ich genug Zeit gehabt, das Leben endlich in vollen Zügen genießen zu können.
Ich wusste, dass mich meine Bekannten insgeheim beneideten, wenn sie meinten: „Jetzt fehlt dir nur noch der richtige Mann.“
„Weshalb soll ich etwas ändern und mir unnötig Ärger und Arbeit aufhalsen? Da wäre ich ja dumm. Außerdem habe ich ja noch Vasco“, lautete meine Antwort.
Vasco war seit 13 Jahren mein treuer Gefährte. Nachdem ich mich von der Männerwelt losgesagt hatte, war ich auf den Hund gekommen. Ihn konnte ich bemuttern und ihm meine Liebe zeigen, ohne enttäuscht zu werden. Seitdem ich den kleinen Dackel besaß, hatte ich mich nicht einen Moment einsam gefühlt und keinen Mann vermisst. Ausgerechnet Vasco sollte schuld daran sein, dass alles ganz anders kam, als ich es mir für meine Zukunft ausgemalt hatte.