Читать книгу Sanfter Missbrauch. Das schleichende Seelengift - Sabine B. Procher - Страница 8

3

Оглавление

Vorm Einschlafen ließ ich den Abend nochmals Revue passieren. Ich musste zwar dauernd an Georg denken, aber andererseits hatte ich Angst bei der Vorstellung, dass er mir näher kommen könnte. Meine Gefühle rissen mich hin und her. Etwas Derartiges kannte ich schon aus früheren Zeiten. Wenn ich einen Mann kennenlernte, suchte ich einerseits seine Nähe, hatte aber gleichzeitig Angst davor. Manchmal geriet ich fast in Panik, wenn ich mir lange genug ausmalte, wie wohl eine gemeinsame Zukunft aussehen würde. Wovor ich eigentlich Furcht hatte, wusste ich selbst nicht, denn diese Gedanken hatte ich, bevor überhaupt etwas spruchreif war. Es war zu diesem Zeitpunkt ja noch gar nichts passiert, denn oft hatte man gerade mal drei Sätze miteinander gesprochen.

Meist sah ich den Menschen, über den ich mir solche Gedanken machte, sowieso kein zweites Mal. Ich hatte Bedenken wegen ungelegter Eier, wie ein Bekannter immer zu sagen pflegte. Wenn man sich doch näher kam, dauerte es lange, bis ich meine Gefühle endlich zuließ. Bis es allerdings soweit war, machte ich jedes Mal im Innern eine schlimme Zeit durch. Nun war ich nach vielen Jahren wieder einmal an diesem Punkt angelangt und spürte instinktiv, dass irgendetwas passierte, was mein Leben verändern würde. Ich wollte das nicht, aber andererseits sehnte ich mich danach. Es war zum Verrücktwerden. Nun war ich schon Mitte fünfzig, trotzdem bekam ich in dieser Hinsicht mein Leben nicht in den Griff.

„Worüber mache ich mir eigentlich Gedanken. Wir siezen uns sogar noch. Erst einmal abwarten, wie Herr Mansfeld sich verhält. Soll er doch eine Entscheidung treffen.“

Mit Gewalt riss ich mich in die Realität zurück.

Als sich Georg am ersten Januar nicht meldete, um ein frohes neues Jahr zu wünschen, war ich enttäuscht. Nachdem ich auch in den darauf folgenden zwei Tagen nichts von ihm hörte, war die Angelegenheit für mich erledigt. Einerseits wurmte es mich, andererseits war ich froh, dass auf diese Weise eine Entscheidung getroffen war. Mein Leben würde sich also nicht verändern. Trotzdem wusste ich nicht, was ich besser gefunden hätte.

Nachdem ich gar nicht mehr damit rechnete, rief Georg am Donnerstag an. Ein angenehmes Kribbeln rann durch meinen Körper. Wir sprachen fast eine Stunde miteinander. Obwohl wir beide erklärten, am Wochenende nichts vorzuhaben, schlug keiner von uns eine Verabredung vor.

Wie mir Georg später offenbarte, traute er sich nicht, die Initiative zu ergreifen, weil er Angst hatte, etwas verkehrt zu machen. Er hatte schon seit einigen Monaten Gefallen an mir gefunden und war enttäuscht, dass ich seit dem Herbst nicht mehr ins Büro gekommen war. Wir winkten uns zwar öfter zu, wenn ich mit dem Hund vorbeilief, aber er konnte ja nicht einfach zu mir heraus kommen, ohne dass er seinen Kollegen Gesprächsstoff geliefert hätte. Obwohl ich ihm in den letzten Monaten immer freundlich zugelächelt hatte, vermutete er, dass ich einen Partner hätte. Er wusste zwar seit Weihnachten, dass ich Single war, trotzdem konnte er mich nicht richtig einschätzen. Als er mich Ende Dezember besuchte, wirkte ich so kühl und distanziert, dass er sich nicht traute, von sich aus einen Annäherungsversuch zu starten, weil er sich nicht sicher war, ob ich überhaupt Interesse an ihm hätte. „Womöglich hätte ich zu diesem Zeitpunkt das zarte Pflänzchen, welches gerade zu wachsen begann, wieder zerstört, wenn ich zu forsch vorgeprescht wäre“, sagte er später zu mir.

Also wartete er erst einmal ab und ließ mich das Tempo bestimmen. Eine derartige Zurückhaltung hatte ich noch nie erlebt. Nachdem er wieder fünf Tage nichts von sich hören ließ, rief ich bei ihm an und schlug eine Verabredung in einem Restaurant in der Nähe vor. Diesmal entwickelte sich schnell ein interessantes Gespräch, welches wir zu später Stunde noch in meiner Wohnung fortsetzten. Als Georg um 1 Uhr nachts meine Wohnung verließ, waren wir aber immer noch beim „Sie“. Diese Reserviertheit war ja eigentlich ganz in meinem Sinn, aber normal fand ich das nicht. Vielleicht musste ich gerade deshalb dauernd an ihn denken.

Nachdem ich in den nächsten Tagen wieder nichts von ihm hörte, rief ich bei ihm an und lud ihn für den nächsten Freitag zum Abendessen ein. Er erschien mit einem Blumenstrauß und einem Fotoalbum mit Bildern von seinen erwachsenen Kindern. Damit er mir die Fotos besser erklären konnte, setzte ich mich neben ihn auf die Couch. Er machte keinerlei Anstalten, die Situation auszunutzen. „Jetzt müsste er doch endlich einen Annäherungsversuch starten“, dachte ich.

Aber nichts dergleichen geschah. Schließlich wurde es mir zu bunt. Ich drückte mich an ihn und sagte: „Wollen Sie mich nicht endlich in den Arm nehmen?“

Im nächsten Moment schämte ich mich dafür und drehte den Kopf weg. Georg ließ sich das nicht zweimal sagen. Ich erschauerte am ganzen Körper, als der schüchterne Mann mich zärtlich an sich drückte. Da war es wieder, dieses angenehme Gefühl, das ich aus meiner Kindheit kannte, wonach ich mich immer sehnte, wofür man mich als kleines Mädchen aber bestraft hatte. Daran wollte ich aber in diesem Moment nicht denken, sondern es nur genießen.

Ich vermied es, Georg anzusehen. Mit abgewandtem Gesicht kuschelte ich mich in seinen Arm. Ich hatte Angst, er könnte mir den Zwiespalt meiner Gefühle ansehen und würde mich verachten. Nur einmal drehte ich mich für einen kurzen Moment zu ihm herum.

„Wir duzen uns jetzt“, sprudelte es aus meinem Mund, bevor ich mich in Windeseile wieder umdrehte. Wir genossen fast eine Stunde schweigend das Zusammensein, wobei wir den „Love Songs“ von Elvis lauschten, die in einer Endlosschleife immer wieder von Neuem spielten.

Als Georg merkte, dass ich fast einschlief, trat er den Heimweg an. Da ich mit Vasco sowieso noch vor die Tür musste, begleitete ich ihn bis zur nächsten Straßenecke. Dort hielt ich ihm zum Abschied den Mund entgegen, um ihm anzudeuten, dass er mich küssen dürfte. Georg verpasste mir mit spitzen Lippen ein „Kinderküsschen“. So hatte die Oma mich früher immer geküsst, erinnerte ich mich. Ich war völlig irritiert. Was war das nur für ein Mann? Einerseits gefiel mir seine Zurückhaltung, aber dass er nicht einmal richtig küssen konnte, fand ich sehr eigenartig.

Sanfter Missbrauch. Das schleichende Seelengift

Подняться наверх