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Immer festere Knoten

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Leicht gemacht wird ihnen das oft noch immer nicht. Viel zu oft gelten Menschen in unseren Unternehmen als menschliche Ressourcen (Human Resources), noch immer werden Mitarbeiter programmiert, bevormundet und lediglich als Ausführende betrachtet. Übertrieben? Ich hoffe es, und gleichzeitig fallen mir leider (zu) viele Geschichten ein, die diese – zugegeben pointierte – Aussage unterstützen. So wie die der Personalleiterin eines großen Unternehmens im Gesundheitswesen, mit der ich am Rande einer Veranstaltung ein langes Gespräch führte.

Meike war selbst gelernte Altenpflegerin und hatte gut 10 Jahre in dem Beruf gearbeitet, bevor sie in den Personalbereich wechselte. Weshalb sie gewechselt habe, fragte ich sie, denn sie hatte vorher erzählt, dass sie den Beruf der Altenpflegerin aus tiefster Überzeugung erlernt und ausgeübt hat. Der Job war schon immer schlecht bezahlt und wenig anerkannt, aber sie wollte dennoch genau das und nichts anderes tun. Was hatte ihr die Freude an ihrem Beruf genommen? Die Kurzfassung ihrer Antwort: »Ich war zu einem Roboter geworden, der Pläne erfüllt«, sagte sie. Jeden Morgen erhielt sie einen minutiös ausgearbeiteten Plan, der ihren Tagesablauf vorgab. Jede Tätigkeit war mit Minutenangaben hinterlegt: Verband bei Herrn Müller wechseln 5 Minuten, Frau Schulze waschen 10 Minuten, Herrn Clausen eine Spritze geben 7 Minuten. Die Fahrzeiten von der Wohnung eines Patienten zur anderen waren noch dazu offenbar abends um 22 Uhr mit Google-Maps kalkuliert worden, jedenfalls hatten sie mit den realen Fahrzeiten morgens um 8.30 Uhr in einer deutschen Großstadt nichts zu tun.

Die Folgen? Stress, Hektik, keine Zeit, mit den alten Menschen ein Wort zu wechseln, geschweige denn, mit Angehörigen und Nachbarn über kluge Möglichkeiten der Unterstützung zu sprechen. Das wäre aber nötig gewesen, um die pflegebedürftigen Menschen nicht nur zu versorgen, sondern ihnen trotz ihrer Krankheiten oder Gebrechen ein möglichst selbstständiges und würdevolles Leben zu ermöglichen. Und dazu wäre es gut, nicht nur Spritzen zu geben und die Wäsche zu wechseln, sondern auch die Zeit zu haben, bei den Nachbarn zu klingeln und um Unterstützung für den Einkauf zu bitten oder den Sohn der alten Dame zu bitten, mit ihr zum Frisör zu fahren. Dafür musste Meike aber erst einmal herausfinden, dass ihre Patientin niemanden mehr zu sich einlud, weil sie sich unansehnlich fühlte. Ein Frisörbesuch hätte also erheblich zum Wohlbefinden der alten Dame beitragen können.

Doch statt Raum für solche kreativen Lösungen gab es immer mehr Prozesse und festgelegte Abläufe – immer mehr Knoten. Dieses Phänomen ist in nahezu allen Organisationen zu beobachten, in denen nach wie vor tayloristische Prinzipien gelten – also in sehr vielen Unternehmen.

Menschen wollen spüren, dass sie zu etwas Relevantem beitragen. Das ist kein »nice-to-have«!

Da Frederik Taylor sein System aber für eine Welt geringer Komplexität entwickelt hat, wir es aber heute mit einer rapide gestiegenen Dynamik zu tun haben, geraten viele Organisationen unter Druck. Doch was tun Organisationen unter Druck? Sie tun mehr von dem, was sie schon kennen. Da unterscheidet sich ihr Muster nicht von dem von uns Menschen. Auch wir sind unter Stress geneigt, das zu tun, was wir schon immer gemacht haben, nur – vermeintlich – besser.

In Unternehmen heißt das in der Regel: Mehr und genauere Planung, akribische Kontrollen, verschärfte Regeln und immer genauer vorgegebene Prozesse. Mit diesen Maßnahmen verbindet sich die Hoffnung, möglichst effizient zu sein. Immer schlanker, kaum noch Redundanzen im System, alles muss laufen wie geplant. Selbst bei gut planbaren Prozessen wie in der Produktion kann es aber vorkommen, dass eine Maschine ausfällt, ein Mensch Fehler macht oder Kunden ungeplante Bedarfe anmelden. Schon fliegt ihnen der Plan um die Ohren. Wo immer Menschen involviert sind, zum Beispiel als Kunden, werden Pläne und Prozesse gar grotesk. Ich erinnere mich noch mit Schaudern an diverse Verkaufstrainings, in denen ich simulierte Kundengespräche anhand bestimmter Formeln und Leitfäden führen sollte. Das hat nicht einmal im Training geklappt, geschweige denn im echten Kundendialog.

Bei allem, was Flexibilität und Kreativität erfordert – wie Gespräche mit Kunden – weist »mehr vom Selben« in die völlig verkehrte Richtung. Und das nicht nur, weil es der steigenden Dynamik nicht gerecht wird, sondern auch, weil es Hoffnungen der Menschen wie den Wunsch nach Selbstwirksamkeit nicht erfüllt. Menschen wollen spüren, dass sie zu etwas Relevantem beitragen. Das ist kein »nice-to-have«, sondern essenziell für unsere psychische Gesundheit. »Sinn aktiviert überhaupt erst unsere Lebensenergie« formuliert der Psychologe Mihály Csíkszentmihályi.

Meike probierte übrigens nach Kräften, dieses »mehr vom Selben« zu stoppen, die vorhandenen Knoten in den Fesseln zu lösen und neue zu verhindern. Sie unternahm immer wieder Versuche, Impulse für eine zeitgemäße, der Komplexität angemessene und menschenwürdige Art der Unternehmensführung zu setzen. »Ich habe keinen Bock mehr auf Urlaubsanträge, Arbeitszeiterfassung, Mitarbeitergespräche nach Leitfaden, 360°-Feedback, immer neue Leitbildprozesse, betriebliches Vorschlagswesen und Betriebsvereinbarungen, die Dinge regeln, die selbstverständlich sein sollten,« sagte sie, »das ist doch alles bloß Beschäftigungstherapie. Die Zeit und Energie, die wir auf all diese Prozesse verwenden, könnten wir besser zum Wohle unserer Kunden einsetzen.«

Da ist sie wieder, die Beschäftigung. Keine Frage, es wird unglaublich viel getan in unseren Organisationen. Da das Tun, das Erfüllen der Vorgaben aber oft so wenig bewirkt, ruft es noch mehr Tun auf den Plan, um endlich Wirkung zu erzeugen. Die Hoffnung erfüllt sich wieder nicht, es wird noch mehr getan und das geht immer so weiter. Kein Wunder, dass der Frust steigt und das Gefühl der Lebendigkeit immer mehr abhandenkommt. Ich fragte Meike nach der Resonanz auf ihre Impulse. Ihre eben noch heitere Mine verfinsterte sich. »Das ist leider nicht einfach«, begann sie, »anfangs hat unser Geschäftsführer meine Gedanken gar nicht verstanden. Er hat ständig nur darauf verwiesen, dass wir es schon immer so gemacht hätten und es ja so schlecht offenbar nicht wäre, das würden die Zahlen schließlich zeigen.« Später, so erzählte Meike weiter, hatte der Geschäftsführer schon nachvollziehen können, was sie meinte. Getan hatte sich trotzdem wenig. Einsicht ist eben nicht dasselbe wie Handeln. Aufgeben wollte die engagierte Frau aber nicht.

Das mit den guten Zahlen war jedoch offenbar nach unserem Gespräch nicht mehr lange der Fall. Als ich Meike zwei Jahre später wieder begegnete, war das Unternehmen aus einer drohenden Insolvenz heraus an ein großes Unternehmen der Branche verkauft worden, in dem es noch mehr Prozesse, Vorgaben und Kontrolle gab. Meike hatte gekündigt. So wollte sie nicht arbeiten. Es war eine Atmosphäre von Angst und Aggression entstanden, die die Personalleiterin nicht länger ertragen wollte. Ich konnte sehr gut nachvollziehen, was sie sagte, ich hatte so etwas auch mehrmals in meiner Karriere erlebt.

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