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Unmündige Kinder

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Hamburg, ziemlich genau zehn Jahre später. Die Buchhandlung im Hauptbahnhof. Eine Enddreißigerin blättert in einem Buch, sie hat noch etwas Zeit, bis ihr Zug abfährt. Die Frau arbeitet als Beraterin, sie ist auf dem Weg zum Kunden. Ein Team in einer großen Versicherung wünscht sich Unterstützung bei der Arbeit an einem wichtigen Projekt. Es läuft nicht so richtig rund im Projekt, ein Teammitglied hält immer wieder den Laden auf, die anderen sind genervt. Und das, wo doch in zwei Wochen die nächste Lenkungskreissitzung ansteht. Die Frau denkt an ihr letztes Gespräch mit der Projektleiterin zurück. Eine wirklich patente, erfahrene Frau, die das Projekt wahrlich lehrbuchmäßig organisiert hatte: saubere Auftragsklärung mit dem Auftraggeber, kompetente Leute im Projektteam und Zielvereinbarungen mit jedem Einzelnen. Sogar eine Kick-off-Veranstaltung in einem schönen Hotel im Münsterland hatte es gegeben, dort wurde das Projekt nach allen Regeln der Kunst geplant und Raum für Teamentwicklung gab es auch.

»Meine Damen und Herren, auf Gleis 14 fährt ein der ICE 70 nach Stuttgart, bitte Vorsicht bei der Einfahrt!« Die Durchsage reißt die Beraterin aus ihren Gedanken. Schnell klappt sie das Buch zu, in dem sie nun nur wenige Zeilen gelesen hat, zahlt und eilt zum Bahnsteig.

Der Titel des Buches? »Bessere Ergebnisse durch selbstbestimmtes Arbeiten« – obwohl der Titel auf Deutsch nicht so vielversprechend klang wie im amerikanischen Original (»Why work sucks and how to fix it«) hatte die Frau das Buch gekauft, ohne groß nachzudenken. Irgendwas hatte sie an dem Buch fasziniert. Statt ihre Vorbereitungen für den anstehenden Workshop noch einmal durchzugehen, fing sie im Zug gleich an zu lesen. Die Autorinnen, Cali Ressler und Jody Thompson, legten direkt los: »Wir gehen zur Arbeit und geben unser Bestes. Dabei werden wir behandelt wie unmündige Kinder, die Bonbons stibitzen, wenn man ihnen nicht auf die Finger schaut.« Und ein paar Zeilen weiter: »Wir gehen im Informationszeitalter zur Arbeit, doch unser Arbeitsumfeld hat sich seit der Industrialisierung kaum verändert. Das wirklich Tragische daran ist aber, dass wir das mitmachen.«

Lebendigkeit entfesseln

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