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LADYKILLERS

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Manchmal gibt es eine viel brutalere Lösung für die Kluft zwischen Schein und Wirklichkeit, von der Roxy Music heimgesucht wurden: Mord, die Vernichtung der Ungewissheit, die in der Realität steckt und deren Wandelbarkeit die Illusion zu zerschmettern droht, auf die Liebende angewiesen sind.

Edgar Allan Poe hat einmal postuliert, dass der Tod einer schönen Frau das poetischste Thema auf der Welt sei. Es ist außerdem ganz und gar ein Rock-’n’-Roll-Thema. Das Traditional »Hey Joe« (in den 1960ern oft gecovert, die berühmteste Version stammt von Jimi Hendrix) ist ein klassisches Beispiel. Der Mord an der untreuen Frau befördert den Helden jenseits der Grenzen des Gesetzes, macht aus ihm einen Flüchtling. Ein Ehefrauenmörder, der mit seiner Tat nicht davonkommt, ist der Protagonist von »Long Time Man« des 1960er-Folk-Blues-Sängers Tim Rose (der auch eine brillante Version von »Hey Joe« im Repertoire hatte). Für den Totschlag im Affekt, an dessen Beweggrund er sich nicht einmal mehr erinnern kann, bekommt er lebenslang, die Reue wird ihn bis ans Ende seiner Tage begleiten. Der Fokus liegt dabei nicht auf dem Tod der Frau, sondern auf der ruinierten Würde und dem quälenden Gewissen des Sängers. Die Tat selbst übergeht der Song sogar einfach: Er erzählt davon, wie er zu einer Pistole greift, und geht dann direkt über zu ihren letzten gehauchten Worten, in denen sie ihm noch einmal ihre Liebe beteuert. Für diesen Mann wird Mord zu einer Methode, seine intensiven Gefühle auszudrücken – Gefühle, die sonst keinen Ausdruck finden würden. Weil er nicht dazu in der Lage ist, innerlich zu bluten, muss er sie zum bluten bringen. Wortwörtlich.

In ihrem Buch Lust am Töten: Eine feministische Analyse von Sexualmorden stellen Deborah Cameron und Elizabeth Frazer4 die These auf, dass »ein existentialistischer Blick auf [die Gewalt] von Sexualmördern« sie als »die ultimativen Rebellen, die Erotizismus in seiner reinsten Form ausüben«, offenbare. In dem leidenschaftlichen Verbrechen verkommt der Körper einer Frau zum Rohmaterial des Narrativs des Helden. Der Mord ist der ultimative Ausdruck seiner Leidenschaft, der Beweis seiner Liebe. Er ist eine Form des absoluten Besitzes – und der grausamen Intimität.

Im Rock stammt die eindringlichste Erkundung dieser Ideen von der Post-Punk-Ikone Nick Cave (der zufälligerweise sowohl »Hey Joe« und »Long Time Man« als auch John Lee Hookers »I’m Gonna Kill That Woman« gecovert hat). »Ich habe schon immer gerne Songs über tote Frauen geschrieben«, gestand Cave dem Melody Maker 1986. »Das hat immer noch etwas Mysteriöses, sogar für mich.« Sowohl bei seiner Band The Birthday Party als auch in seinem Solowerk wird der Mord an einem geliebten Mädchen zu einem Weg, ihr Madonnenbild zu verewigen und die Hure in ihr auszumerzen. (Hure wird hier vielleicht mit alldem in Verbindung gebracht, das einen Bezug zur sexuellen Unabhängigkeit einer Frau hat, so auch die sich anbahnende Gefahr, sie könnte ihn für einen anderen verlassen.) Ist sie erst einmal tot, kann die unperfekte, allzu menschliche Frau sein fetischisiertes Bild von ihr nicht mehr gefährden. Er kontrolliert ihre Sterblichkeit und ihre Unsterblichkeit: Sie bleibt ihm erhalten als eingefrorenes Ideal dessen, was Barthes das Image-Repertoire des Liebhabers nennt, die Galerie gesegneter Bilder, die er in seiner Vorstellung pflegt. Letzten Endes hebt der Mord den Liebhaber hervor, macht ihn überlebensgroß, heroisch und historisch.

Ironischerweise scheint Cave sich durch einen intensiven Sinn für die Verletzbarkeit des weiblichen Geschlechts an das Thema des Mädchenmords herangetastet zu haben. »She’s Hit«, der Opener des Birthday-Party-Albums Junkyard (1982), ist ein Blues-Klagelied für all die ermordeten Mädchen der Welt. Da Cave die Bilder von verstümmelten Mordopfern und »blutenden« Röcken beklagt, scheint ihn die Möglichkeit, dass Frauen wieder zu bloßem Fleisch, zu einer »Frauen-Pastete« werden, stark zu verstören. Für Cave stehen Frauen in einer intimen Beziehung zum Tod, vielleicht aufgrund ihrer Zeugungsfähigkeit. Unter seiner Trauer versteckt sich eine seltsame Abneigung, ein Gefühl, verraten worden zu sein. Am besten lässt sich dieses wohl umschreiben mit: »Liebe niemals eine Frau, nicht einmal deine Mutter, denn sie wird dir wegsterben.« In »Six Inch Gold Blade«, auch von Junkyard, wird dieses Gefühl des Verrats wortwörtlich zum Leben erweckt. Der Protagonist des Songs nimmt blutige Rache an einer untreuen Geliebten, indem er mit einem Messer auf ihren Kopf einsticht: »She: lying through her teeth«, heißt es im Text. Ihr Liebhaber befindet sich dabei immer noch unter – und in – ihr. Der Song ist durchzogen von einer halluzinatorischen Bildsprache, die eine Verbindung zwischen Fleischeslust und Blutbad, zwischen penetrieren und perforieren herstellt.

Der Titeltrack der ersten LP von Nick Cave and the Bad Seeds, From Her to Eternity (1984), ist eine fieberhafte Geschichte von emotionalem Voyeurismus. Im Obergeschoss geht ein Mädchen schluchzend auf und ab, ihre Tränen tropfen durch den Boden und von dort in den Mund des Protagonisten. Er entwickelt eine Obsession, will ihre Wunden heilen und sie so retten. Also klettert er in ihr Zimmer und liest ihr Tagebuch. Doch die Zärtlichkeit seiner Gefühle weicht dem Wunsch, sie zu zerreißen, weil eine unwiderstehliche Logik von ihm Besitz ergreift: Er will sie besitzen, doch wenn er sie hätte, würde seine Sehnsucht nach ihr erlöschen. Also beschließt er: »That lil’ girl would just have to go!« Seine Abhängigkeit von der eigenen unerfüllten Liebe führt ihn zum Mord an ihr, um sie dauerhaft zu besitzen und gleichzeitig ihre Unerreichbarkeit auf ewig aufrechtzuerhalten.

Nach dem von Frauenmord freien The Firstborn Is Dead von 1985 kehrte Cave mit Your Funeral… My Trial 1986 mit aller Macht zu seiner grausigen Norm zurück. Ein Bild auf dem Innersleeve zeigt eine Hure, die ihre geschwollene Vagina mit einem Handspiegel inspiziert. Der Titeltrack ist eine wahnsinnige Überhöhung des Madonnen/Huren-Komplexes, voll von Heiligen Jungfrauen, die ihn zur Sünde verlocken, von »crooked bitches (mongers of pain)« und den »Glocken« der »Hurerei«, deren Läuten sein Verderben ankündigt. Der Titel Your Funeral… My Trial beschreibt den Prozess aus Roses »Long Time Man«, das Cave auf diesem Album auch covert: Durch den Tod der Frau wird der Mann erhöht, bis weit über die Köpfe all der Versager, die zu soft sind, um ihren dunkelsten Gelüsten nachzugehen. Die Gesellschaft bestraft und zerstört ihn, weil er ihre Grenzen nicht akzeptiert. »The Mercy Seat«, das Kernstück von Tender Prey (1988), ist eine weitere pompöse Ballade aus der Sicht eines zum Tode verurteilen Mörders. Die Justiz mag die Wahrheit messen und abwägen, doch seine Leidenschaft spricht viel lauter als deren unaufrichtiges Geschwätz. Die Nahaufnahme eines Eherings an der Hand, die den Mord beging, als Fessel für sein »Rebellenblut« deutet düster an, dass eine Frau sein Opfer war.

In einem Interview, das er während der Your Funeral… My Trial-Ära gab, versuchte Cave seine Faszination mit einer Art Gewaltethik zu rationalisieren. Um sich von einer »gewissen Abgestumpftheit in der heutigen Welt« zu distanzieren, definierte er das Verbrechen aus Leidenschaft als etwas Nobles, das damit im Gegensatz zu »Sadismus oder Gewalt aus Habgier« stünde. Caves Romantizismus ist also ein starker Kontrast zu den makabren Obsessionen des US-Hardcore oder dem schier endlosen Gemetzel, das Death-Metal-Gruppen wie Slayer anrichten. Der Erzähler des Songs »Kerosene« von der Hardcore-Band Big Black (vom Album Atomizer, 1986) wird von der Langeweile und Klaustrophobie seiner Kleinstadt zu einem ultimativen Akt der Befreiung getrieben. Er kombiniert die beiden Unterhaltungsformen der Stadt (Dinge in die Luft sprengen und die Stadtschlampe ficken) zu einer einzigen kathartischen Eruption. Wo Caves groteske Bildsprache etwas Nobles im Morden aus Leidenschaft entdeckt, betont der emotionslose Nihilismus von »Kerosene« pure Verzweiflung.

Eine Parallele zu diesem Kontrast zwischen Nick Cave und Big Black findet sich in dem Film River’s Edge (1986), der sich um den Totschlag eines Mädchens durch seinen Freund John und die fehlgeleiteten Versuche seiner Kumpel dreht, das Verbrechen zu vertuschen. Der Anführer der Clique überredet John, sich zusammen mit einem Typen namens Feck zu verstecken, einem angeschlagenen, heruntergekommenen Ex-Biker, der sich seit dem Mord an seiner eigenen Freundin ein paar Jahre zuvor auf der Flucht befindet. Ihre Begegnung wird zu einem Dialog zwischen zwei unterschiedlichen Gewaltethiken, zwei Arten perverser Maskulinität. Feck ist ein Überbleibsel einer romantischeren Ära (die 1960er), als sich Verbrecher in der gegenkulturellen Wildnis frei bewegen konnten. Wie bei einem Nick-Cave-Charakter resultierte sein Verbrechen aus einem tragischen Überschäumen der Leidenschaft. John hingegen ist ein Kind der 1980er und geht in die gleiche Richtung wie Big Black: Seine Gewalt ist unmotiviert, zusammenhanglos, wahllos – wie der Hardcore-Punk und der Thrash Metal, den er und seine Kumpel hören. Feck hat sein Mädchen umgebracht, weil er es liebte, John, weil sie »Scheiße erzählt« hat und weil er der Welt zeigen wollte, »wer der Boss ist«. Er trauert nicht um das Mädchen, sondern um die Vergänglichkeit des ekstatischen Moments des Mordes: »Ich habe mich so ECHT gefühlt. Ich habe mich so verdammt LEBENDIG gefühlt.« Einen Moment lang war sein Leben so intensiv wie die Hyperrealität des Fernsehens mit seinen schnellen Bildabfolgen und seiner ausufernden Gewalt. Fecks moralische und ästhetische Abneigung gegenüber Johns Mord ohne Geschichte dahinter oder »Seele« wird zum aussagekräftigsten Moment des Films. Zu Mitleid gerührt, erschießt er John schließlich, um ihn von seinem Leid zu befreien.

Der Tod der Motivation zieht sich durch River’s Edge. Ein Ex-Hippie/Lehrer schwärmt nostalgisch von den Errungenschaften seiner Generation (das Ende des Vietnamkrieges) und davon, dass es einen »Sinn in dem Wahnsinn« gegeben habe. Die Antwort eines Schülers – »Bullen kaltmachen ist radikal« – enttäuscht ihn jedoch. Die Bedeutung von »radikal« hat sich gewandelt und das Wort bedeutet jetzt so viel wie »intensiv« oder »cool«. Was in den 1960ern noch als Verbundenheit einer ganzen Generation galt, ist zu einer amoralischen Gangloyalität verkommen, oder schlimmer noch: zu Johns solipsistischer Überlebensmoral (John legt hohen Wert auf seine Fähigkeit, den Gegner auszuschalten, »selbst wenn er mich dabei kaltmacht – so kann ich wenigstens meinen Stolz behalten«).

Johns Verhalten passt in das psychopathologische Modell von Margaret Mahler. In diesem gilt der Psychopath als »Nicht-zu-Ende-Geboren«, das heißt, er wurde nie aus der Symbiose von Mutter und Kind befreit, die in den ersten beiden Lebensjahren vorherrscht. Aufgrund seines fragilen, gefährdeten Egos kann der »nicht-zu-Ende-Geborene« Mann mit der inneren Flut instinktiver Triebe oder mit besonders intensiven äußeren Stimuli nur unter Zuhilfenahme aggressiver Verteidigungsmechanismen klarkommen. Jegliche Bedrohung von außen wehrt er ab und im Mord findet er schließlich eine Methode, um seinen zerbrechlichen Selbstwert zu stärken.

Wo Tötung im Affekt im späten 20. Jahrhundert eine Art Selbstschutz vor der Verschlingung ist, verhält sich Mord nach romantischer Vorstellung zu Liebe wie Orgasmus zu Sex: ein Moment ultimativen Besitzes, ein Spannungsabbau, eine explosive Überschwemmung spiritueller Freigebigkeit. Die Deutung des Todes – ob durch die Hände des Partners oder die eigenen im Zuge eines Selbstmordpaktes – als Höhepunkt der transgressiven Erotik zieht sich vom Marquis de Sade über die Dichter der Romantik bis zu Genet, Bataille, Mishima, Miller und Marguerite Duras’ Moderato cantabile. Eine ähnliche Erbfolge gibt es im Rock, von The Doors (in Form von »The End« und »Light My Fire«, das Liebe metaphorisch als Scheiterhaufen darstellt) über The Stooges zu Nick Cave. In Stooges-Songs wie »I Wanna Be Your Dog«, »Loose« und »Search and Destroy« nimmt Iggy Pops Sexualität die eines Raubtiers an und tastet sich dabei bis an die Grenze zum Militarismus voran. Ihr Ziel: garantierte gegenseitige Zerstörung. In »Death Trip« wird Liebe zum Nahkampf: Iggy schmachtet die Drohung beziehungsweise das Versprechen: »Komm sei mein Feind«.

Nick Cave macht sich Iggys Aggressivität zu eigen und stellt sie in ein poetischeres Licht, das sich an der Spätromantik orientiert. Der Birthday-Party-Song »Zoo-Music Girl« verbindet Zuneigung und Zerstörung miteinander: In einem Moment kniet er vor ihr, um ihren Kleidersaum zu küssen, im nächsten massakriert er ihr Kleid, bis es wehtut. Auf Your Funeral… My Trial findet sich mit »Hard On for Love« ein Song, in dem Cave einen Räuber darstellt, der den »Altar der Liebe« des weiblichen Körpers plündert. Seinen Phallus beschreibt er als »Zepter« Gottes, das sich in das gefährliche, düstere Terrain der Frau vorwagt, das Cave mit dem Tal des Todes vergleicht. Wie in Iggys »Death Trip« ist Sex ein Raketen-, ein Kamikazeangriff: Caves Ziel ist es, »dieses Fräulein zu treffen«. Der Vorstoß und Krampf des Mordes werden zur grausamen Parodie der Umarmung im Orgasmus. In der nihilistischen Befreiung durch den Sexualmord wird das Objekt der Liebe und des Hasses zugleich besessen und gereinigt: Nachdem er sie von seinem Leid befreit hat, kehrt wieder Frieden ein.

1Also im Jahr der Veröffentlichung von Some Girls. Anm. d. Ü.

2Der Titel von Muddy Waters’ Version von »I’m a Man« und später der Name von David Bowies früher Bluesgruppe The Manish Boys.

3»Black Dog« ist eine klassische Metapher für ein unbenanntes Übel oder eine Depression.

4Nicht zu verwechseln mit Elizabeth Fraser, Sängerin des Dream-Pop-Duos Cocteau Twins. Anm. d. Ü.

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