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MISOGYNE KARRIEREN: THE STRANGLERS UND MALCOLM MCLAREN
Оглавление»Ich mag es, Frauen zu dominieren. Das heißt nicht unbedingt, dass ich finde, sie sollten dominiert werden. Ich bekomme nur einen Kick davon. Ich glaube, das tut jeder.«
Hugh Cornwell von The Stranglers, 1977
Glaubt man der offiziellen Rock-Geschichtsschreibung, war Punk eine befreiende Ära für Frauen, eine Zeit, in der die Grenzen dessen, was bei der Darstellung von Weiblichkeit erlaubt war, erweitert und gesprengt wurden. Frauen konnten sich hässlich machen, statt schön sein zu müssen, zu Gitarren und Drumsticks greifen, statt der Rolle der Chanteuse zu entsprechen, schrill kreischen, statt lieblich zu singen, und Themen ansprechen, die bislang tabu gewesen waren. Das alles stimmt auch, aber … die Kunst des Ungehorsams hat Punk von den Mod- und Garage-Bands der 1960er gelernt, deren Songs aggressiv auf Frauen zielten. Punk lenkte deren Riffs und anklagenden Machismo stattdessen auf die Gesellschaft oder ein verhasstes, anonymes »Du« um (hinter dem entweder ein gebrochener Mitläufer oder ein Unterdrücker stand). Doch dass seine Verwurzelung im Maskulinismus des 1960er-Rock wieder an die Oberfläche treten würde, war unvermeidbar. Teilweise war die Misogynie im Punk sogar noch brutaler als in den 1960ern, weil sein genereller Nihilismus und seine »Wir hassen jede/-n«-Attitüde einen schrankenlosen Angriff auf liberale Werte (das schließt den Feminismus mit ein) und Anstand förderte, bei dem alle Mittel erlaubt waren. Dieses Kapitel konzentriert sich auf die Rolle der Misogynie in den Karrieren zweier wichtiger Akteure des Punk. Der eine (Malcolm McLaren) stand im Zentrum der Bewegung und war extrem einflussreich, die anderen (The Stranglers) standen eher außerhalb, waren aber enorm erfolgreich.
The Stranglers standen außerhalb der Szene, weil sie nie als hip galten und musikalisch »ausgereifter« und exzentrischer waren, als es der sehr direkte, aufwieglerische Zorn, für den Punk zum Synonym wurde, zuließ. Gleichzeitig waren sie – möglicherweise mit Ausnahme der Sex Pistols – die kommerziell erfolgreichste »Punk«-Band: Ihre ersten beiden Alben verkauften sich je eine Viertelmillion Mal und sie hatten mehr Hits in den britischen Top Ten als jede andere »Punk«-Band. Viele hielten sie für das akzeptable Gesicht des Punk.
Und doch waren The Stranglers eine der frauenfeindlichsten Rockgruppen aller Zeiten und übertrafen sogar die Rolling Stones in ihrer schieren Bösartigkeit. Schon der Bandname war eine Drohung. Ein »strangler« ist ein Würger und damit ein Mörder, dessen Technik gemeinhin mit Morden an Frauen in Verbindung gebracht wird. Ihr Debütalbum Rattus Norvegicus (1977) wird von »Sometimes« eröffnet, einem Song, dessen Erzähler seine Freundin verprügelt. Sänger und Gitarrist Hugh Cornwell erklärte gegenüber dem NME, der Song sei von »einer persönlichen Erfahrung« inspiriert worden, »als die Kommunikation zwischen mir und einem Mädchen zusammenbrach und ich sie letztendlich schlug. Weil es keine Worte gab, die ich benutzen konnte, um zu beschreiben, was ich fühlte.« Cornwell führte aus, »Sometimes« sei ein Song über einen Typen, der eine Frau aus Protest gegen ihr Verhalten schlägt und sie wieder unter seine Kontrolle bringt. »Ich glaube, viele Männer dominieren gerne Frauen. Und viele Frauen mögen es, dominiert zu werden. […] Ich finde unterwürfige Frauen etwas erbärmlich.«
Dann wäre da noch »London Lady«, eine boshafte Herabsetzung einer Frau aus der Szene, die für das Verblassen ihrer Schönheit und ihre »vampirische« Angewohnheit, sich um Rockstars herumzutreiben, verachtet wird. Bassist und Sänger Jean-Jacques Burnel verteidigte den Song mit der Begründung, das sei »keine Art für eine Mieze. […] Wir zogen Lose, wer diese Kolumnenschreiberin knallen dürfe, und irgendjemand sagte: ›Aber das wäre ja, wie eine Wurst in den Mersey-Tunnel reinzuschieben.‹ [In dem Song] geht es nur um ein paar Weiber in einer sehr kleinen Szene.« In »Peaches«, dem ersten großen Hit der Band, ahmte Cornwell einen lüsternen Voyeur am Strand nach, dessen Vorstellung von Frauenbefreiung daraus besteht, dass Mädchen sich der Oberteile ihrer Bikinis entledigen. Das übelste Stück von allen war jedoch »Ugly«, in dem Burnel sich vorstellt, ein Mädchen nach dem Sex zu erwürgen, weil er ihre abscheuliche Akne nicht aushält. Der Song endet mit einem aggressiven Sprechchor, der die Worte »MUSCLE POWER« skandiert.
Natürlich wurden die Stranglers von der britischen Musikpresse schnell für ihren Sexismus kritisiert. Das hielt sie jedoch nicht davon ab, extrem populär zu werden. Ihre Anziehungskraft bestand darin, die Bedrohlichkeit des traditionellen Hardrock mit einer kleinen Dosis Punk-Nihilismus zu würzen. Ihr barocker, orgelgetränkter Sound hat in etwa das gleiche Verhältnis zu dem der Doors wie ein morgendlicher Kater zu einem Saufgelage. Ihre Musik war von einer ergreifenden, ruppigen Melancholie durchzogen, die einen integralen Bestandteil ihrer maskulinen Aura des einsamen Cowboys ausmachte. Diese kristallisierte sich besonders in der Single »Who Wants the World« (1980) heraus, wo es sinngemäß heißt: »Ich stehe in dieser verlassenen, gescheiterten Welt alleine meinen Mann.« (Ihr Maskottchen war die Ratte, ein Überlebenskünstler der Kanalisation, der in einer Welt voller Scheiße gedeiht.) Als reizbare Rebellen ohne Grund schienen die Stranglers irgendetwas zu beklagen – vielleicht ja, wie Jimmy Porter, die Abwesenheit großer Ziele, den Verlust des Heldentums.
All das trat mit dem Titeltrack ihres zweiten Albums No More Heroes (1977) in den Fokus, einer Elegie auf einen nicht mehr existenten Typus von »Kriegern« wie Leo Trotzki. In »School M’am« (einer überdrehten Fantasie, deren Tenor zu sein scheint, dass Frauen in der Menopause überflüssig seien) offenbarte sich wieder das hässliche Antlitz des Sexismus, ebenso in »Bring On the Nubiles«, einer Sex-Hymne, deren Refrain eine gesichtslose Vielzahl fickbarer Mädchen herbeiruft. Mehr noch als von Misogynie wimmelt es in No More Heroes von extremer Homosozialität, denn die Stranglers inszenieren sich als Anführer einer angriffslustigen Bruderschaft von übellaunigen, aber glorreichen Querulanten. »Dagenham Dave« ist ein Tribut an einen Hardcore-Stranglers-Fan, der, als er beim Buhlen um die Anerkennung der Band von einer Arbeiterklassen-Gang namens Finchley Boys verdrängt worden war, Selbstmord beging, indem er in die Themse sprang. Ganz nebenbei erwähnt der Song, dass Dave kein Bedürfnis nach Weibern hatte. »Er hielt so viel von uns, dass er einmal so weit ging, uns seine Frau zur, äh, Benutzung anzubieten«, erinnerte sich Hugh Cornwell 1983 mit Wohlwollen in einem Trouser Press-Artikel. Gleichzeitig scheint »English Towns«, wie Julie Burchill und Tony Parsons in ihrem Buch The Boy Looked at Johnny anmerken, davon zu handeln, dass es vollkommen unkritisch sei, bei Frauen in Liebesdingen nicht zu landen, solange man mit den Jungs klarkommt.
In Interviews, welche die Stranglers 1977 und 1978 gaben, tat sich Burnel als das Mitglied vor, dessen Leidenschaften und Lebensgeschichte sich als am aufschlussreichsten erwiesen. Burnel ist Kampfsportexperte: In seiner Schulzeit fing er an, Karate zu trainieren, um sich selbst zu disziplinieren und sein Temperament zu zügeln. In der Schule selbst brachte er ein Magazin mit dem Namen The Gubernator (lateinisch für Steuermann) heraus und schloss sich der British League of Youth an. Davon ausgehend entdeckte Burnel die Überholspur für sich, als er begann, sich für die Hells Angels zu begeistern (weil »sie Individualität und Freiheit glorifizierten, aber Individualität innerhalb der Gang«, wie er später erläuterte). Er wurde sogar Mitglied einer Motorradgang von Angels-Klonen. 1977 war er immer noch Fan und erklärte seine Bewunderung für ein Chapter der Angels in Amsterdam: »Sie leben in ihrer eigenen zurückgezogenen Community und müssen sich nicht um ihren Lebensunterhalt sorgen, weil all ihre Frauen AUF DEN STRICH GEHEN! So können sie ihre Zeit ihren Motorrädern widmen. Das ist großartig, sie haben eine komplett neue Gesellschaft geschaffen.« Wenn das mal kein Utopia ist …
Andere Helden Burnels waren etwa die Kray Twins1 und der japanische Autor und Protofaschist Yukio Mishima, dessen Vorstellungen über kriegerische Männlichkeit denen Robert Blys sehr ähnelten. Burnel verteidigte Mishima energisch gegen Vorwürfe, er sei »ein Rechter und ein latenter Homosexueller, nur weil er eine private Armee junger Männer hatte und sehr stolz auf seinen Körper war. Ihm gefiel es nicht, dass sein Körper alterte […]. Das war eine sehr erotische, narzisstische Angelegenheit […], wie wenn man auf der Bühne steht […]. Ich liebe es, wie sich die Gitarre in meiner Hand anfühlt.« Mishima inspirierte den Song »Death and Night and Blood« vom Album Black and White (1979), der aus der Sicht eines Sexualmörders oder Vergewaltigers auf Beutezug geschrieben ist. Im widerwärtigen Refrain warnt Burnels Alter Ego ein attraktives Mädchen, sich nicht zu bücken, denn »dein Gehirn wird entblößt« und es beinhaltet »verdorbene Gedanken, igitt!«. Burnel dazu: »In dem Refrain geht es um Frauen und er steht stark mit Yukio in Verbindung […]. Er war homosexuell – im besten Sinne eines Kriegers, wie die Spartaner, die Samurai und die Wachen von Alexander dem Großen. Es war ein wesentlicher Bestandteil ihres Kriegertums, den Kriegern an ihrer Seite sehr nahe zu sein. So muss das auch sein, denn in den Krieg nimmt man keine Frauen mit.«
Für die Stranglers war Punk deswegen von Bedeutung, weil Musik nach Jahren weichen Soft-Rocks wieder hart geworden war. »Im Jahr 1977 ist Rock zu einem Gladiatorensport geworden«, wie Burnel anerkennend bemerkte. Frauen seien zu schwach, um an dieser männlichen Aktivität teilzunehmen: »Ihre Körper lassen so schnell nach. Wenn sie 40 sind, sind sie weich und schwabbelig, während es Männer gibt, die mit 40 gut aussehen.« Wo Frauen denn Platz in dieser Ordnung hätten, kann man am besten veranschaulichen, indem man sich ein paar Beispiele für den Humor der Stranglers ansieht. Über die Frauenbewegung: »Ich mag Frauenbewegungen … während ich auf ihnen liege.« Oder ihr Kommentar zu einem Vorfall in Lansing, Michigan, als 40 Feministinnen gegen sie protestierten: »Wir versuchten also, eine zu kidnappen, und hievten sie in den Bus, während diese Frauen mit ihren großen Plakaten und Bannern uns attackierten. Es gab ein großes Durcheinander und leider entwischte sie uns, aber ich wette, sie war ganz aufgeregt und angeturnt davon.«
Der unverhohlene Chauvinismus der Stranglers war in seiner Bösartigkeit, an den allgemeinen Standards von Punk gemessen, ziemlich außergewöhnlich und wurde auch wirksam von der Presse angeprangert. Es war leicht, sie wegen des Traditionalismus ihrer Musik als rückständigen Throwback zu marginalisieren. Schädlicher war der – größtenteils ignorierte – Sexismus von Malcolm McLaren, der als Manager und Propagandist der Sex Pistols zu einem wesentlichen Vordenker des Punk wurde. Um ein berüchtigtes Zitat von Stokely Carmichael, einem Aktivisten für die Bürgerrechte Farbiger in den 1960ern, aufzugreifen: McLaren schien der Ansicht zu sein, dass »die einzige Position für Frauen [innerhalb der Bewegung] liegend ist«.
Man vergleiche die unberechenbar einfallsreichen Schwindel und Maßnahmen, die er sich für die Sex Pistols ausdachte, mit seinen Ideen für die rein weibliche Gruppe The Slits2. In einem Gespräch mit Michael Watts vom Melody Maker im Sommer 1979 offenbarte er, dass Chris Blackwell von Island Records ihm 100.000 Pfund geboten hatte, damit er sich der Slits annehmen und mit ihnen einen Film produzieren würde (der Soundtrack dazu hätte vom Eurodisco-Pionier Giorgio Moroder stammen sollen).
»McLaren hatte einen Plot ausgearbeitet, dem der unverkennbare Einfluss Russ Meyers3 anhaftete«, schreibt Watts. »Die vier Mädchen sollten von einer billigen Londoner Kabarett-Agentur nach Mexiko geschickt werden, wo sie dann feststellen, dass sie de facto in die Sklaverei verkauft wurden. Ihre Abenteuer wären sensationell gewesen.« Laut Watts erzählte McLaren immer noch voller Begeisterung von seiner Idee: »Die Mädchen glauben an diese fabelhafte Sache, eine Rock-’n’-Roll-Gruppe, die nach Mexiko geht und dort eigene Erfahrungen macht. Doch […] als sie dort ankommen, wollen die Mexikaner nur ihre Ärsche und Mösen sehen. Sie sollten als Stripperinnen enden, total deprimiert und verängstigt, und von einem Ende Mexikos zum anderen gefickt werden. Am Schluss heiraten sie mächtige Figuren Mexikos und werden fabelhafte Disco-Stars.« McLaren war eindeutig nicht in der Lage, sich das weibliche Äquivalent zu der Rebellion und Aufregung vorzustellen, die er mit den Sex Pistols ausgelöst hatte. Er kam nicht einmal auf die Idee, die Slits als wirkende Kräfte auftreten zu lassen, sondern nur als Schachfiguren. Während er sich mit den Pistols indirekt identifizieren konnte, waren seine Pläne für die Slits rein ausbeuterisch.
Nachdem das Who Killed Bambi?-Projekt mit Russ Meyer gescheitert war, fing McLaren an, mit Julien Temple am Drehbuch für den Film zu arbeiten, aus dem dann The Great Rock ’n’ Roll Swindle entstand. Laut Aussagen Temples in einem Interview mit den New Music News im Jahr 1979 gab es in einer frühen Version des Skripts eine Szene, in der Gitarrist Steve Jones »all diese jüdischen Prinzesschen in ihren Häusern im Londoner Stadtteil Stanmore aufsucht, wo er diese nackten Mädchen sieht, die ihn zu ihrer Party einladen. Es findet dort eine Art Orgie statt, weil diese Vorstadtmiezen wollen, dass all die Rockstars auf sie abspritzen, sie wollen, dass Robert Plant auf sie wichst. Das Skript hatte durchaus auch die ganzen Lektionen, es war auch ein Swindle, aber die Geschichte war anders, viel antifeministischer.« Dass es so cool wie subversiv sei, wenn die Pistols-Story einen antifeministischen Einschlag hätte, ist eine Vorstellung, die weder dem Interviewer noch Temple einen weiteren Kommentar wert ist. Als The Great Rock ’n’ Roll Swindle schließlich in einer stark bereinigten, entschärften Form erschien, war auch diese Version nicht frei von Misogynie. Es gibt eine Szene, in der eine Figur, die auf der Musikjournalistin Caroline Coon basiert, Steve Jones für seinen Sexismus kritisiert, worauf gezeigt wird, wie ihr in einem Echo/Abklatsch von Luis Buñuels Ein andalusischer Hund Ameisen über das Gesicht krabbeln.
Ein weiterer befremdlicher Aspekt in McLarens Denkweise war das Konzept von Inzest als Metapher für kulturelle Stagnation oder Entropie. Im Interview mit den New Music News erklärt er provokativ, dass der Kauf von Pistols-Platten nie der Punkt von Punk gewesen sei. Der Interviewer merkt daraufhin an, dass diese Platten in seinem Zimmer zu hören für »einen Sechzehnjährigen, der nirgendwo hinkann«, der einzige Weg sei, sich als Teil von etwas zu fühlen.
McLaren: »Das ist traurig, richtig traurig. Mir wäre es lieber, er würde sich gar nichts anhören. Sondern den Fernseher eintreten, seine Mutter schlagen, seine Mutter vögeln.«
New Music News: »Wo wir schon vom Mutterficken sprechen: Was ist aus Who Killed Bambi? geworden? Wir haben Gerüchte über eine Inzest-Szene gehört.«
McLaren: »Ja, es gab eine, und ich finde, es ist die beste Szene. Für mich war das wundervoll, wie Russ Meyer, der Inbegriff des amerikanischen Faschismus, und die Frauen mit den dicken Titten … die Sex Pistols treffen, das fand ich sehr witzig. Und die Szene, in der Sid [Vicious] zwischen alldem seine Mutter fickt, war genauso witzig und, auf gewisse Weise, sehr bewegend. Ich bin überzeugt, dass England … ein sehr inzestuöses Land und dass das ein großer Teil seiner Kultur ist. [Die Szene] war vor allem deswegen so toll, weil sie so geschrieben war, als würde er das schon seit Jahren tun, als wäre es ganz normal. Seine Mutter war ein Hippie und außerdem heroinabhängig …«
Auch Julien Temple, der Protegé McLarens, der schließlich für den Swindle auf dem Regiestuhl saß, folgte der Parteilinie: »Ich finde die stagnierende Kultur Englands obszön. Das komplette kulturelle Gefühl ist morbide und inzestuös.« Eine Schlüsselszene, die es in den endgültigen Film schaffte, ist Sid Vicious’ Version von »My Way«, die damit endet, wie er das Publikum – darunter seine Mutter – erschießt.
McLaren betrachtete Punk, irgendwo in seinem Unterbewusstsein, als Gewalt gegen eine erstickende, erdrückende Kultur. Als Sid Vicious also Nancy Spungen erstach, legte er denjenigen Teil von Punk, der seine Mutter umbringen wollte, wörtlich aus. Spungen war ein Mutterersatz, erdrückte ihn, brachte ihn gegen seine »Kumpels« auf, machte ihn heroinabhängig und förderte seine Schwächen (das behaupteten zumindest viele aus dem Pistols-Lager). Vicious’ tödliche Tat fachte McLarens erlöschendes Interesse an den Pistols wieder an und so eilte er nach New York, um für die Verteidigung an dem Fall zu arbeiten. Spungens Tod sah er als Sprungbrett für Sid Vicious, zum Weltstar aufzusteigen. Es gab Pläne, nach denen Vicious, während er auf Kaution frei war, eigene Versionen von Songs wie »White Christmas« und »Mackie Messer« (geschmacklos, oder?) aufnehmen sollte. Andere aus dem Pistols-Lager fanden mit Vicious’ Mutter Anne Beverley schnell die Schuldige und bedienten damit das alte Bild des Anti-Momism. Vivienne Westwood, Modedesignerin der Pistols und Liebhaberin McLarens, warf Beverley vor, ihren Sohn zu sehr verwöhnt zu haben. »Immer wenn Sid Ärger bekam, stützte sie die Lügen, die dazu dienen sollten, ihm aus der Patsche zu helfen, und am Ende glaubten sie dann beide an diese Lügen oder taten voreinander zumindest so, als täten sie es. Vor seiner Mutter Heroin zu nehmen, hatte für ihn etwas von ›Schau her, Mutter, ich spiele mit dem Tod! Was wirst du dagegen unternehmen?‹«
Der Traum McLarens, aus dem Mörder einen Superstar zu machen, ähnelte unheimlich einem seiner älteren Schwindel aus der Zeit, als er noch ein reiner Boutiquebesitzer war. Die Idee war, wie er den New Music News berichtete, »aus dem Vergewaltiger von Cambridge einen Popstar zu machen. Ich ging davon aus, dass sie, wenn sie diesen Typen schnappen, die Sache auf die Titelseiten bringen, ihn zur größten Gefahr für unsere Gesellschaft erklären und zum Sündenbock machen werden. Also dachte ich mir, toll, warum bringe ich ihn nicht mit Brian Epstein und den Beatles in Verbindung? Also druckte ich diese Maske, die er trug, auf ein T-Shirt, schrieb ›Cambridge Rapist‹ in Popstar-Schrift drüber, platzierte ein kleines Bild von Brian Epstein drunter und schrieb ein paar Worte dazu, dass er sich nicht selbst umgebracht hätte, sondern beim Praktizieren von SM gestorben sei.« McLaren konzipierte dieses anstößige Shirt als Geschenk für gelangweilte 15-jährige Teenager – wenn auch vermutlich nicht für die Mädchen, die tatsächlich mit der alltäglichen Bedrohung durch den Vergewaltiger von Cambridge leben mussten. »Ich denke, diese Ideen haben die Kids wirklich bestärkt. Sie fanden sie ein bisschen schockierend und das war das einzig Wichtige daran … ein paar Leute zu verärgern, weil sie so träge waren.«
Als Sid Vicious dann an einer Überdosis starb, verlor McLaren endgültig die Kontrolle über das, was von den Sex Pistols noch übrig war, und ging desillusioniert nach Paris, um dort Pornofilme zu machen. Ungefähr ein Jahr später tauchte er mit einem neuen Konzept wieder auf, das seine Frauenfeindlichkeit weniger verschleierte als je zuvor und klare Parallelen zum gescheiterten Slits-Projekt aufwies: Bow Wow Wow. Sängerin dieser Gruppe war das 14-jährige anglo-burmesische Schulmädchen Annabella Lwin. McLaren behauptete, sie in einem Londoner Waschsalon entdeckt zu haben. Bow Wow Wow wurden für ihn zum Vehikel für ein frisches Post-Punk-Ethos der »neuen Wildheit«, das Raubkopien auf Tapes, burundische Rhythmen, verwegene Kleidung und Stammesmode kombinierte. Ein weiterer Teil des Pakets war der Sex-Appeal Minderjähriger, wozu ein Magazin namens Chicken gehörte. McLaren sah es als »einen Junior-Playboy … für primitive Jungs und Mädchen«.
Doch bevor das Magazin jemals in die Gänge kam, kündigte sein Redakteur Fred Vermorel den Job. Laut dem NME warf er McLaren vor, Annabella dazu gedrängt zu haben, nackt für das Magazin zu posieren. McLaren brachte demnach ein pornografisches Element ein, das eine Zeitschrift, die eigentlich eine Art sexy Smash Hits4 werden sollte, in Wirklichkeit in »ein Erwachsenenmagazin mit Jugendlichen als Objekten« verwandelte. (Das Wort »chicken« steht in pädophilen Kreisen für Minderjährige.) Später wurde Annabella dann dazu bewegt, ihre von Vivienne Westwood designte Kluft für ein Albumcover abzustreifen, das Manets einst kontroverses Gemälde »Das Frühstück im Grünen« imitierte. Innerhalb von fünf Jahren war McLaren vom neosituationistischen Agent Provocateur zum dirty old man geworden.
1Gangster aus dem Londoner East End, die oft aufgrund ihres Ehrenkodex und ihrer paternalistischen Fürsorge für ihre Community romantisiert werden.
2Der Posten als deren Manager wurde ihm angeboten, nachdem er Anfang 1978 die Kontrolle über die Pistols verloren hatte.
3Russ Meyer war ein amerikanischer Softporno-Regisseur, der beim unvollendeten Pistols-Film Who Killed Bambi? mit von der Partie war.
4Britisches Popmagazin, dessen Hauptzielgruppe sich aus Teenagern zusammensetzte. Anm. d. Ü.