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NO EXPECTATIONS

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Wo immer der sexuelle Nomade seinen Hut ablegt, ist sein Zuhause: eine klassische Rolle, die sich vom frühen Rock ’n’ Roll (der flüchtige Liebhaber in Dions »The Wanderer«) über den Rhythm and Blues von Mitte der 1960er (»Roadrunner« und »Don’t Bring Me Down« – was »ich brauche kein Zuhause« herausstreicht – von den Pretty Things) bis zu Heavy Metal (Led Zeppelins »Ramble On«, dessen Held sich ununterbrochen verabschiedet, um sich auf die Suche nach einer unmöglichen Traumfrau zu machen) zieht. Der Nomade steckt voller Energie und lässt sich weder auf eine Frau noch auf einen Ort reduzieren.

Die Rolling Stones verewigten diesen Typus in ihrem bereits Bewegung suggerierenden Namen und Songs wie »No Expectations« (Beggars Banquet, 1968), dem Blues eines wandernden Aufreißers. Auf dem gleichen Album greifen die Stones in »Prodigal Son« (»verlorener Sohn«) den biblischen Prototyp des ungebundenen Rebellen auf. Wie Simon Frith aufzeigt, steckt der Reiz dieser Legende in der Belohnung und Liebe, die der verlorene Sohn von seinem Vater erfährt und die jene zum Bruder, der brav zu Hause geblieben ist, noch übersteigt: Zur Feier seiner Rückkehr wird das gemästete Kalb geschlachtet. Die Sünde des verlorenen Sohnes liegt darin, dass er »die ständigen Benimmvorschriften« und »moralischen Rechtfertigungen« eines sesshaften Lebens von sich weist und sein Leben Schritt für Schritt lebt, im Jetzt. Der verlorene Sohn ist extravagant, verschwendet seine Zeit und weigert sich, vor den Konsequenzen und anderen Beschränkungen des Erwachsenseins Angst zu haben.

Doch wer ohne Gesetze lebt und seiner Sehnsucht 24 Stunden am Tag verpflichtet ist, lebt gefährlich. Die Revolte gegen das Realitätsprinzip (das eine Zurückstellung der Befriedigung erzwingt) öffnet einer existenziellen Leere die Tür, in der aus Sehnsucht etwas Dämonisches werden kann: Der ultimative Rebell entpuppt sich als Psychopath. Auf Let It Bleed (1969) hat sich der sexuelle Nomade der Stones in den herumstreunenden Sexualmörder des Songs »Midnight Rambler« verwandelt, der sich nicht einfach nur von seinem Zuhause lossagt, sondern in die Häuser anderer einbricht. Hier erkannten die Stones zum ersten Mal, dass die gegenkulturellen Anstrengungen, jede Moral von sich zu weisen, zu weit gegangen waren. Hatten sie sich einst noch in »Mother’s Little Helper« über verzweifelte Hausfrauen mittleren Alters lustig gemacht, die auf Beruhigungsmittel angewiesen sind, sind es in »Gimme Shelter« sie selbst, die sich von der Welt zurückziehen und nach einem Zufluchtsort sehnen. Einst waren die Stones bedrohlich, weil ihr auf der Jagd befindlicher Machismo von der unterschwelligen Aussicht auf eine Vergewaltigung geschwängert war; nun warnen sie uns vor der ständigen Gefahr durch »rape and mu-u-urdah«. In »You Can’t Always Get What You Want« erkennen sie die Gültigkeit von Grenzen an. Ihre Rücksichtslosigkeit lassen sie hinter sich und erklären, genug von ihrer eigenen Unersättlichkeit zu haben.

Des Lebens auf der Überholspur überdrüssig, kehren die Stones in »Moonlight Mile« (Sticky Fingers, 1970) nach Hause zurück. Von dort geht es weiter ins Exile on Main Street (1972), wo sie wirklich anfangen, Moos anzusetzen.4 Der fahrende Musikant aus »No Expectations« und der rebellische Nomade aus »Prodigal Son« werden von einer schäbigeren Bande ausgefranster Landstreicher, Obdachloser, Glücksspieler, Durchreisender und Schurken ersetzt, und allesamt haben sie sich ihre Füße auf der Straße ins Nirgendwo wundgelaufen. Die herumstolzierende Prahlerei der frühen Stones wird zur zerlumpten, ausgebrannten Hinfälligkeit von »Torn and Frayed«, der Sehnsucht nach Erlösung in »Let It Loose«, »Loving Cup« sowie »Shine a Light« und im besten Fall zu der ramponierten Widerstandskraft von »Soul Survivor«.

Doch nach diesem »Tiefpunkt« – ihrem bewegendsten Album mit der geringsten Dosis an Machogehabe – gewannen die Stones nach und nach ihre Niederträchtigkeit zurück. Mit ihrer Sadomaso-Werbekampagne für Black and Blue (1976) übertrafen sie die Misogynie ihrer Anfangsjahre sogar noch. Darin erklärt eine lädierte, gefesselte Blondine: »I’m black and blue5 from the Rolling Stones and I love it!« Selbst noch 1978 gab Mick Jagger auf dem Album Some Girls den Verfechter eines Lebens ohne Beziehungen. »Beast of Burden« verhüllt den Abscheu vor der Bindung als Akt der Großzügigkeit: Darin erklärt Jagger, dass er keine Arbeitssklavin will, die ihn umsorgt, sondern Sex ohne emotionale Fesseln.

Iggy Pop war ein weiterer archetypischer Rock-Rebell, der so sehr von Mobilität besessen war, wie ihm emotionale Stagnation Angst machte. »Ich will niemals vor einem Teller Erbsen und Kartoffeln sitzen, während irgendeine Schabracke, der die Schmiere aus dem Gesicht fällt, herumkeift und ich das schlucke«, sagte er 1979 in einem Interview mit dem NME. »Ich sage dir, all die Schlampen – all diese Frauen – wollen mich jetzt, weil sie die Stärke in mir spüren können, und sie wollen sie sooo sehr. Aber sie werden mich nicht kriegen, oh nein – nur unter meinen Bedingungen, und die sehen so aus, dass ich sie anrufe, ihnen befehle, zu einer bestimmten Zeit in einem guten körperlichen Zustand an einem bestimmten Ort zu sein, damit ich sie ficken und mich dann wieder verziehen kann, verdammt noch mal. Denn ich habe Wichtigeres zu tun und ich kann und werde meine Zeit nicht verschwenden.« Iggy hatte eine Art Sex-Lieferservice organisiert, der über bloßen sexuellen Nomadismus hinausging. Im Stooges-Song »Scene of the Crime« erzählt Iggy von einer Affäre mit einer älteren Frau in der Vorstadt: Sie gab ihm Geld, Liebe und Blowjobs, doch jetzt, wo sie alt, hässlich und begriffsstutzig wird, wird er sie verlassen. »I Gotta Right« indessen ist eine Unabhängigkeitserklärung, die nur dadurch aufrechterhalten werden kann, dass er sein Recht wahrnimmt, jederzeit weiterzuziehen.

Der raue Proto-Punk der Stooges wird gemeinhin als Antithese zum ausufernden Southern Boogie von Lynyrd Skynyrd gesehen. Doch in Wirklichkeit war der toughe Straßenslang beider Bands – abgesehen vom Akzent – nahezu identisch. Skynyrds »Free Bird« ist ein gleichzeitig standhaftes und trauriges Statement der Unabhängigkeit, in dem sich Sänger Ronnie Van Zant von seiner Frau verabschiedet und die Schuld an seinem unabänderlich rastlosen Wesen voll auf sich nimmt. Begleitet wird er dabei von einer ergreifenden Slide-Gitarre, die das Pathos eines abschwellenden Penis nach dem Sex in sich trägt. Nach den Strophen wird der Flug des »Free Bird«, der sich über das Profane erhebt, von einem langen Solo beschworen, dessen gequälte Emotionalität, verwegener Wagemut und sich endlos steigernde Crescendos aus der Nummer eine Südstaaten-Variante von Televisions »Marquee Moon« machen. In seinen Lyrics schwankte Van Zant zwischen Heimkehr zum und Flucht vor dem geordneten Leben. In »On the Hunt« erkennt er in einem Groupie eine Geistesverwandte, die ebenfalls auf der Suche nach sexuellen Kicks ohne Verpflichtungen ist und daher seinen Respekt verdient anstelle der Verachtung, die ihr der Rock-Chauvinismus traditionell entgegenbringen würde.

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