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BORN TO RUN: WANDERLUST, DIE WILDNIS UND DER GESCHWINDIGKEITSKULT

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»Kein großer Mann der Geschichte strebte jemals eine Heirat an.« Robert Lindner (Autor von Rebel Without a Cause: The Hypnoanalysis of a Criminal Psychopath)

Der Rebell befindet sich stets auf der Flucht vor seinem Zuhause. Dort gibt es schließlich keine Abenteuer. Ein heroisches Leben wird erst möglich, wenn der Held sein Zuhause verlässt und sich von dem, was Robert Bly das »Kraftfeld« der Frauen nennt, distanziert. In Interviews stellt Bly die Theorie auf, dass eine ganze Generation junger Männer – »Softies« – verwirrt und unglücklich sei, weil Frauen ihre Energie aufgezehrt hätten. Daher sei eine Wiederkehr männlicher Initiationsriten nötig, um sie »gänzlich in die instinktive Welt der Männlichkeit« einzuweisen. In den 1960ern war Bly Friedensaktivist und identifizierte sich nach eigener Aussage mehr mit weiblich konnotierten Werten. Doch er begann, seinen Vater »nicht mehr als jemanden zu begreifen, der mir Liebe, Aufmerksamkeit und Freundschaft verweigerte, sondern als jemanden, der selbst benachteiligt worden war, von seiner Mutter oder der Kultur.« Ähnlich wie Charles Atlas1 griff Bly nun zu den (theoretischen) Waffen. In seinem – die Wahrheit nicht so genau nehmenden – Buch Eisenhans verwandelt Bly die Ideen von C. G. Jung und Joseph Campbell (Autor von Der Heros in tausend Gestalten) in eine Art spirituelles Work-out. Laut Bly müssen Männer den Wilden Mann oder den Geist des Kriegers in sich wecken. Er ist Mitbegründer der Männerbewegung, zu deren Aktivitäten nur für Männer bestimmte Wochenendevents zur Bewusstseinsbildung in der Wildnis gehören. Ohne Frauen seien Männer in der Lage, wieder zu ihrer verloren gegangenen Männlichkeit zu finden und mit den Geistern ihrer Väter, die sie vernachlässigten, zu kommunizieren. Blys Ansicht nach stammen die Probleme der Männer von einer zu starken Identifikation mit weiblichen Vorbildern, insbesondere ihren Müttern. Er greift auf eine mythopoetische Sprache zurück, wenn er davon schreibt, dass Männer die Große Mutter zurückweisen und sich stattdessen mit der Schlange identifizieren müssen.

Robert Blys Masche erinnert stark an Jim Morrison. Man kann sich leicht vorstellen, wie aus dem Rocker, der zum aufstrebenden Poeten wurde, ein angegrauter, dickbäuchiger Barde wie Bly hätte werden können. Und tatsächlich ist Doors-Drummer John Densmore heute ein Anhänger der Männerbewegung. In seiner Autobiografie Riders on the Storm schreibt Densmore liebevoll: »Solange es junge Menschen gibt, können sie zu Jim aufblicken, damit er ihnen beim Durchtrennen der Nabelschnur helfen kann.« Zu Morrisons mythologischsten Werken gehört der epische Songzyklus »The Celebration of the Lizard« (von Absolutely Live, 1970) über die psychedelische Odyssee eines jungen Mannes. Bezeichnenderweise beginnt sie direkt nach dem Tod seiner Mutter, der ihn existenziell zu befreien scheint. Später im Songzyklus wacht er in einem Motel auf und findet ein glänzendes, schwitziges Reptil in seinem Bett: Blys Schlange, Symbol des verlorenen Phallus. Der Tod der Mutter (Morrison betonte den Umstand, dass ihr frisch begrabener Körper am Verwesen war) scheint mit dem Eintritt des Jungen ins Mannesalter in direkter Verbindung zu stehen. Am Ende des Songzyklus ist Morrisons Protagonist ein ausgewachsener Echsenkönig. Im Rahmen einer seiner unheilvollsten, groteskesten, aber auch faszinierendsten Fantasien redet Jim sein Publikum an, als wäre es ein Nomadenstamm und er sein Königssohn.

Nomadentum, Entfremdung und Flucht waren beständige Themen in Morrisons Werk (einer der intensivsten Abschnitte von »The Celebration of the Lizard« ist ein panisches, paranoides Liedchen mit dem simplen Titel »Run«). »Unsere Musik ist wie jemand, der nicht so recht zu Hause ist«, hat Morrison einmal gesagt. Die psychedelische Erfahrung in der Version der Doors drehte sich nicht um glückselige Einheit mit dem Kosmos, sondern um Desorientierung (»Strange Days«). Inspiriert von Baudelaires »great malady, horror of one’s home«2, griff Morrison sein eigenes Gefühl der Desorientierung ganz bewusst auf. Er besaß nichts und lebte nirgends. Er lebte wie ein Landstreicher und roch Zeitzeugen zufolge auch so. Frauen waren seine »Soul Kitchen«, eine wärmende Feuerstelle, an der er sich kurz erholen konnte, bevor er weiterzog.

Wirft man einen Blick auf die britische Popkultur der 1960er, fällt auf, wie oft Häuslichkeit als der Feind, als geistiger Tod gesehen wird. Von sozialrealistischen Filmen wie Nur ein Hauch Glückseligkeit oder Samstagnacht bis Sonntagmorgen (in denen sture junge Männer gegen ihren Willen zu Ehe und Mittelmäßigkeit gezwungen werden) bis zu Songs wie The Whos »A Legal Matter«. Der Protagonist des Stücks empfindet seine Ehe als einen »household fog«3 aus Möbeln, Babykleidung und Hochzeitsvorbereitungen, unter dem sein Verstand zusammenzubrechen droht. Durch das Wunder der Scheidung gelingt es ihm schließlich, in letzter Sekunde zu entkommen. Wie die sozialrealistischen Antihelden ist er in eine Falle gelaufen, in der er den ganzen Tag für seinen Boss arbeiten muss, nur um sein Geld schließlich seiner besseren Hälfte zu geben.

Die archetypische Stones-Hymne »(I Can’t Get No) Satisfaction« protestierte 1965 gegen eine Gesellschaft, die jungen Männern die Möglichkeit einer ungezähmten, wilden Existenz verweigerte. Im Lexikon der Sehnsüchte Mitte der 1960er war »satisfaction« ein mehrdeutiger Schlüsselbegriff, der sexuelle wie existenzielle Konnotationen haben konnte. Und es war die Aussicht auf »satisfaction«, die die wilden Jungs in den Käfig der Ehe lockte. 1968 schlugen die Stones mit Songs wie »Jumpin’ Jack Flash« zurück, der die triumphale Geschichte eines Jungen erzählt, der sich den Kräften, die seine Ausgelassenheit unterdrücken, widersetzt – insbesondere der Meckerziege, die ihn großzog und mit einem Gürtel in die Schranken wies. Die Furcht davor, dass die Freundin sich in die Mutter verwandeln könnte, findet sich in »Have You Seen Your Mother, Baby, Standing in the Shadow?« wieder, während »Mother’s Little Helper« – ein geringschätziger Song über Hausfrauen mittleren Alters, die auf Beruhigungsmittel angewiesen sind – Frauen als die kraftlosen Opfer der Vorstadt ausmacht.

Einer der bemerkenswertesten Songs der 1960er über die Mutter als bösartige, konterrevolutionäre Macht ist »Sarah Crazy Child« (1967) von John’s Children. Sarah ist ein wildes Mädchen, das seine Unschuld und seinen freien Geist plötzlich verliert. »Sarah Crazy Child is devouring all the street«, heißt es in der ersten Strophe noch voller Bewunderung, doch dann wird sie 13 und vergisst, »how to dream«. Ihr Bruder ist ähnlich rebellisch, doch beide sind nicht in der Lage, ihrem traurigen Schicksal zu entkommen, das irgendwie mit ihrer »broken dusty mother« und ihrem »face melted just like wax« zusammenhängt. Ihr freier Geist wird durch Konformität erstickt: »soullessly they submitted to the guillotine of their home«.

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