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BODIES
ОглавлениеEine der extremsten Konfrontationen mit »maternalem Horror«, die sich im Rock ’n’ Roll finden lässt, liefern die Sex Pistols mit »Bodies« ab (von Never Mind the Bollocks, 1977), einem ihrer bedrohlichsten und uneindeutigsten Songs. Damals scheiterte die britische Musikpresse daran, das Anti-Abtreibungs-Statement, das der Song zu machen schien, mit ihrer Vorstellung der politischen Ausrichtung von Punk in Einklang zu bringen. Die Wut und der Ekel der Nummer positionieren »Bodies« am Abgrund der menschlichen Existenz, gleich neben »Belsen Was a Gas«. Wie auch dieser Song ist »Bodies« ein Rock-’n’-Roll-Song, der in ein schwarzes Loch übergeht – ein schwarzes Loch, das irgendwie lebendig geworden ist und nun in die Offensive gegangen ist. Rotten knurrt den katholischen Blues: Er lehnt sich gegen die Brutalität menschlicher Existenz und den Horror von Fleisch und Blut auf.
»Bodies« könnte kaum grausamer sein und Rotten gurgelt seinen Inhalt geradezu vor sich hin. Rottens Persona teilt sich zwischen dem Vater, der seine Verantwortung scheut, und dem Fötus, der schreit »Mummy, I’m not an animal«. Das Mädchen, Pauline, ist kaum besser als ein Tier. Dass sie in einer Fabrik heiratet, scheint die mechanische Natur der weiblichen Biologie zu betonen – wie ein Automat spuckt sie Leben aus. Der Fötus wird in einer Toilette abgetrieben, was uns daran erinnert, dass wir den Fäkal- und Harntrakt betreten haben. In »Bodies« wird der Mann von der weiblichen Biologie versklavt.
Später entwickelten die Industrial-Pioniere Throbbing Gristle diese Verbindung zwischen den entmenschlichenden, maschinischen Qualitäten von Abjektion und der totalitären Natur industriellen Lebens weiter. Throbbing Gristle ging es darum, »allen Annahmen zu trotzen« und die Grenzen der Toleranz ihres Publikums zu testen. Ihre Musik spiegelte eine Welt unaufhörlicher Hässlichkeit, Entmenschlichung und Brutalisierung. Sie entwürdigten und verstümmelten Sounds und erreichten dabei Tiefen, die bis heute nicht unterboten worden sind. Throbbing Gristle definierten die Bandbreite der Obsessionen des Industrial-Genres: Serienmörder, Verschwörungstheorien, unbewusste Gedankenkontrolle etc. Mehr noch formten sie die Attitüde von Industrial: das Verlangen, den Körper der alltäglichen Realität aufzubrechen und seine verschmutzten Eingeweide offenzulegen. Ihr bevorzugtes Opfer für diese Vivisektionen war die Frau. »Slugbait« erzählt die geschmacklose Geschichte eines »wicked boy«, der einer Frau im siebten Monat ihrer Schwangerschaft den Fötus aus dem Leib zieht und dessen Kopf abbeißt (eine spätere Version dieses Songs sampelte die Audioaufnahme des Geständnisses eines Frauenmörders). »Hamburger Lady« beschreibt ein echtes Opfer schwerer Verbrennungen mit der Detailfreude eines gerichtsmedizinischen Berichts. Es gibt sogar einen Song mit dem Titel »We Hate You (Little Girls)«. Der Name Throbbing Gristle2 kombiniert phallische Anzüglichkeiten mit einem Gefühl des Abjekten in der Natur des Fleisches, eine Erinnerung daran, dass lebendig zu sein bedeutet, unfreiwilligen Prozessen (Exkretion, Fortpflanzung, Verfall, Tod) sowie der immer präsenten Gefahr von Gewalt ausgesetzt zu sein.
Throbbing Gristle sind aus der radikalen Kunstgruppe COUM Transmissions hervorgegangen. Bereits deren Tabubrüche speisten sich aus der Betonung der Widerlichkeit des weiblichen Körpers und der weiblichen Sexualität. Ihre Tour de Force war eine Ausstellung am London Institute of Contemporary Arts im Jahr 1976 mit dem Titel »Pornography«. Pornohefte wurden eingerahmt und datiert wie richtige Kunstwerke. Auf jedem war COUM-Mitglied Cosey Fanny Tutte zu sehen, deren Kunstbegriff die Arbeit als Pornomodell miteinschloss. Ausstellungsstücke anderer Installationen waren etwa ein Abguss der Venus De Milo mit einem benutzten Tampon auf jedem Arm, eine Uhr im Art-déco-Stil, deren Inneres entfernt und durch die benutzten Tampons eines kompletten Monats ersetzt worden war, sowie ein Werk, das den Lebenszyklus mit einer Box voller Fliegen-Maden veranschaulichte – neben einer weiteren Ansammlung benutzter Tampons eines kompletten Monats. COUM waren so sehr von Menstruation besessen, dass sie weibliche Fortpflanzung zweifellos als »die unschöne Wahrheit« betrachteten, einen Abgrund, in den die hochmütigen Ambitionen der Hochkultur abstürzen. Aus weiblicher Abjektion wird eine Waffe männlicher Empörung, und das mit Erfolg: Die »Pornography«-Ausstellung führte zu fassungslosen Schlagzeilen in der Presse und wurde sogar im Parlament debattiert.