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DAM THAT RIVER

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Ein elementarer Teil von Erziehung bestand immer darin, Kindern beizubringen, ihre Körperflüssigkeiten zu kontrollieren und das Innere des Körpers als Behälter bösartiger Schmutzigkeiten zu begreifen. In Männerphantasien legt Klaus Theweleit nahe, dass die Mühen, einen »heilen und sauberen Körper« aufrechtzuerhalten, für die Männer des Freikorps, die eine strenge Erziehung genossen hatten, eng mit dem Kampf für das Deutsche Reich verbunden war. In den Schriften der Soldaten findet sich die Idee, dass die (kommunistische) Arbeiterklasse Deutschland in eine Jauchegrube ziehen würde, in den verschiedensten Variationen wieder (wahlweise zogen sie Deutschland auch in den Schlamm, Morast, Abgrund, Latrine usw.). Für diese Protofaschisten waren die Massen buchstäblich revolting3. Und so wurde der Quasi-Bürgerkrieg, der auf den Ersten Weltkrieg folgte, an zwei Fronten ausgetragen: an einer großpolitischen – im Namen des (Volks-)Körpers – und an einer mikropolitischen – der des individuellen Körpers. Das Ziel: Die bedrohliche Flut ekelhafter Emotionen einzudämmen.

Natürlich ist Erziehung von Kindern seit dem Ersten Weltkrieg deutlich lockerer geworden. Trotzdem ist es bemerkenswert, wie sehr Rock ’n’ Roll vom Ekel vor Körperflüssigkeiten geprägt ist. Es gibt sogar ein paar Rocksongs über brechende Dämme – eine der liebsten Metaphern der Protofaschisten, wenn es darum geht, ihre Ängste zu verbildlichen. Der berühmteste davon ist »When the Levee Breaks« von Led Zeppelin, einer Band, deren hyper-phallischer Bombast und Wikinger-/Tolkien-eske Besessenheit von Kriegern schon damals von vielen Kritikern als protofaschistisch attackiert wurden. Bei dem Song handelt es sich um einen alten Blues-Klassiker, den Plant und Co. zu einem so feurigen Boogie aufbliesen, dass er das Ende der Welt begleiten könnte. Warum sich Plant und Band so sehr mit dem Szenario des Dammbruchs identifizierten (das für die schwarzen Bauern, denen der Song ursprünglich galt, eine echte Bedrohung bedeutete), können wir nur raten. Aber Frauen stellen in Led-Zeppelin-Songs oft eine dämonische Bedrohung dar (»Dazed and Confused«, »Black Dog« und andere). Ist »When the Levee Breaks« etwa eine Art Allegorie dieser Furcht, in der Bedrohung der Weiblichkeit zu ertrinken, die bis in die (Ton-)Höhen kosmischer Furcht getrieben wurde?

Zwei Jahrzehnte später tauchte die gleiche Metapher in »Dam That River« von Alice in Chains (Dirt, 1992) wieder auf, einem nasskalten Klagelied voller sexueller Vorahnung. Als metallischste der Seattle-Grunge-Bands setzen Alice in Chains auf den todgeweihten, massiven Blues von Black Sabbath und Led Zeppelin. Ihre Riffs klingen verhängnisvoll, wie Gliedmaßen, die angestrengt versuchen, sich nicht in den Pfuhl der Verzweiflung ziehen zu lassen. Das morbide »Them Bones« behauptet, dass wir ins Grab geboren werden. Die Band scheint den verzweifelten Glauben des Schriftstellers Louis-Ferdinand Céline zu teilen, nach dem Menschen nichts anderes als ein Haufen vorübergehend »ausgesetzter Fäulnis« sind. Abjektion lauert auf Dirt überall: in der Paralyse der Drogenabhängigkeit (»Junkhead«, »Godsmack«), aber über allem in der »slow castration« der Liebe (»Rain When I Die«).

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