Читать книгу Josh & Emma Gesamtausgabe - Sina Müller - Страница 12

Ein Stern fällt vom Himmel

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Die nächsten Tage verbrachte ich wie in Trance. Ich konzentrierte mich auf die Schule und das Lernen. Kevin und seine um Verzeihung flehenden Blicke ignorierte ich. Und zumindest tagsüber gelang es mir, Joshua keinen Raum in meinen Gedanken zu geben.

Als ich am Donnerstagmorgen aufwachte, mischte sich Vorfreude auf das Wiedersehen mit Joshua mit der unbestimmten Angst, er könnte es sich anders überlegt haben.

Ich zog meine Lieblingsjeans und den dunkelgrünen Pulli an, von dem Liv immer behauptete, er betone das Grün in meinen Augen. Meine widerspenstigen Haare band ich zu einem Pferdeschwanz zusammen. Mechanisch absolvierte ich mein morgendliches Badritual und verschüttete den Kaffee auf dem Badezimmerschränkchen. Mein Pulli entging nur knapp einer Zahnpastakatastrophe, und als ich mir die Wimperntusche ins Auge rammte und daher mein mühsam aufgetragenes Make-up erneuern musste, überlegte ich kurz, ob es nicht besser wäre, mich einfach wieder ins Bett zu legen.

Zum Abschied blieb ich am Türrahmen hängen, der heute aus unerklärlichen Gründen an einem anderen Platz zu sein schien als sonst. Ich rettete mich die Treppe hinunter und fuhr in einem Affenzahn zur Schule. Eine Massenkarambolage, an der ich auch noch schuld gewesen wäre, konnte ich gerade noch so verhindern.

Mit klopfendem Herzen setze ich mich ins Klassenzimmer – froh, lebend angekommen zu sein. Während der nächsten Stunden versuchte ich den Lehrern zuzuhören, aber ich verstand nicht, was sie sagten. Ich hörte Worte und konnte ihre Bedeutung nicht erfassen. Irgendwann gab ich auf und kritzelte auf meinem Block herum. Ohne zu denken, formte meine Hand Strich für Strich jenes Gesicht, das ich einfach nicht mehr aus dem Kopf bekam. Das am Freitagabend in mein Leben getreten war und sich seither in mein Hirn eingebrannt hatte.

Liv bemühte sich nach Kräften, ein wenig Normalität in mein Gefühlschaos zu bringen – ohne nennenswerten Erfolg. In der letzten Schulstunde stieg meine Nervosität ins Unerträgliche. Nur ein Blick auf den Stundenplan verriet mir, dass ich im Chemiekurs saß. Nicht gerade ein Fach, für das ich große Begeisterung hegte, auch nicht an guten Tagen.

Als wir aus dem Chemiesaal traten, hielt ich den Blick vom Schulhof fern. Was, wenn er leer war? Was, wenn Joshua nicht da war? Wie könnte ich die Enttäuschung ertragen? Ich wünschte es mir doch so sehr, dass er kam.

Liv war wie immer die Neugier in Person und konnte es nicht erwarten, den mysteriösen Joshua in Augenschein zu nehmen. Sie hüpfte auf und nieder, um einen möglichst großen Bereich des Schulhofs scannen zu können, während ich mit gesenktem Kopf und einem vor Vorfreude breiten Grinsen den schmalen Flur entlangschlich. Plötzlich hielt sie mich am Arm fest und blieb stehen.

»Oh. Mein. Gott. Emma! Du errätst nicht, wer da drüben steht.« Ich schaute sie prüfend an. Machte sie sich über mich lustig? Wollte sie meine Selbstbeherrschung testen? Ihre Aufregung schien echt zu sein, also nahm ich allen Mut zusammen und schaute dorthin, wohin auch Liv unentwegt mit offenem Mund starrte. Und da stand er. Joshua. Als wäre er geradewegs vom Himmel gestiegen, lehnte er lässig an der nackten Waschbetonmauer und schaute auf die Uhr. Meine Knie nahmen die Konsistenz von Pudding an, und mein Herz schlug schnell gegen meine Rippen. Er war gekommen. Er war tatsächlich gekommen!

Wie sollte ich ihn begrüßen? Was sollte ich sagen? Wie sah ich überhaupt aus? Unsicher fingerte ich an meinem Pferdeschwanz herum.

»Mann, das ist Josh Meyer. Du weißt schon ... der Sänger von Amblish. Was will der denn hier?«

Was? Was sagte Liv da? »Nein, nein. Das ist der Typ, von dem ich dir erzählt habe. Josh ...ua.« Der Groschen, der zu Boden fiel, klirrte höhnisch laut, als wollte er sich über meine Naivität kaputtlachen. Wie blöd konnte man eigentlich sein? Josh-ua … Musiker … Die Mädels auf der Party … Dass er kaum von sich erzählt hatte … Mir wurde schwindelig. Konnte ein einzelner Mensch so doof sein? »Oh, Gott. Bist du dir sicher? Das kann doch nicht sein«, versuchte ich verzweifelt das Offensichtliche unsichtbar zu machen.

»Du bist vielleicht ein Schaf. Du und Josh Meyer. Das glaube ich nicht. Du hast doch nicht mal Ahnung von Musik!« Liv lachte hysterisch. Mich überkam die nackte Panik. Sie hatte recht. Von Musik verstand ich so viel wie von Atomphysik. Nämlich weniger als gar nichts. Wie sollte das gehen? Was sollte ich tun? Vielleicht den anderen Ausgang nehmen und ihn stehenlassen?

»Los, wir gehen. Ich muss ihn kennenlernen.« Sie ließ mir keine Wahl und zog mich hinter sich her. »Weißt du eigentlich, dass er mit seiner Band am Wochenende einen Echo gewonnen hat? Als beste deutsche Newcomer.« Ich schaute sie verständnislos an.

»Das kann ja was geben«, murmelte sie und kicherte. Ich versuchte die Gedanken zu ordnen, aber in meinem Gehirn herrschte nur Chaos. Echo. Popstar. Josh Meyer. Oh Gott.

Mit klopfendem Herzen, das meinen Körper wie bei einem mittleren Erdbeben erzittern ließ, trat ich aus der Glastür. Ich suchte Halt an meiner Schultasche, um nicht unterzugehen. Liv patrouillierte mich auf meinem Gang zu dem unbekannten Wesen.

Als Joshua mich erspähte, lächelte er und drückte sich elegant von der tristen grauen Mauer ab. Schon die Art, wie er seine Kleidung trug, unterschied ihn von allen anderen auf dem Schulhof. Dabei hatte er wie die meisten Jeans, einen Hoodie, Lederjacke und Sneakers an. Aber an ihm sahen die Klamotten wie vom Laufsteg aus. Er kam ein paar Schritte auf uns zu und blieb unvermittelt stehen. Ein nervöses Zucken huschte über sein Gesicht.

»Hey, Emma«, sagt er und schenkte mir ein umwerfendes Lächeln. Ich blieb vor ihm stehen und klammerte mich noch fester an meine Tasche. Gelähmt von meiner Nervosität verharrte ich einen Moment. Als ich zu ihm hoch linste, beugte er sich zu mir. Wollte er mich küssen oder mir Begrüßungsküsschen geben? Hilfe! Was sollte ich tun?

Ungeschickt legte ich meine freie Hand auf seinen Arm und hauchte ein Küsschen auf seine Wange. Joshua schien auf die Begrüßungsfrage auch keine Antwort gefunden zu haben und schaute mich nervös an. Ich lächelte entschuldigend und spürte, wie meine Wangen zu roten Tomaten anschwollen. Wie wunderschön er war. Joshua – ein Popstar. Mir wurde schlecht.

»Na, ich würde sagen, das übt ihr mal noch«, murmelte Liv halblaut hinter mir. Erschrocken schaute ich Joshua an. Zeitgleich lachten wir los, und eine Miniportion von der Spannung, die meinen Körper lähmte, fiel ab. Sehr peinlich. Aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, wie sich Joshua durch die Haare fuhr und verlegen zu Boden schaute.

»Äh, das ist Liv. Liv, Joshua.« Ich zeigte unkontrolliert zwischen den beiden hin und her. Wie konnte ich nur mein Herz vor dem totalen Kollaps retten?

»Hi, Josh«, hauchte Liv. Sie schien sich köstlich über die überaus peinliche Situation zu amüsieren. Bei der nächsten Gelegenheit würde ich sie erdrosseln müssen.

»Liv .. schön, dich kennenzulernen.« Joshua ging einen Schritt auf sie zu und streckte ihr die Hand entgegen. Sie schmolz förmlich dahin und musste sich beherrschen, ihm nicht gleich um den Hals zu fallen. Joshua stellte sich wieder neben mich, und ich nahm seine Hand dicht an meinem Handrücken wahr. Nur Millimeter trennten uns. Ich schluckte schwerfällig. Ich wollte ihn berühren, ihn spüren. Jetzt.

»Glückwunsch zum Echo«, sagte Liv in ihrer gewohnt direkten Art.

»Danke, das ist … Äh … nett.« Joshua wirkte angespannter als am Freitag. Nervös. Durch einen dichten Schleier hörte ich Liv und Joshua weiter miteinander plaudern, aber ich verstand nicht, über was sie sich unterhielten. Meine Gedanken waren gefangen. Nur wenige Millimeter, um mein Herz zum Stillstand zu bringen. Eine kleine Berührung, nur einmal. Ein einziges Mal. Nichts wünschte ich mir mehr.

»Emma?« Eine sanfte Stimme riss mich aus dem Tagtraum. Die Haut auf meinem Handrücken brannte, als würde jemand ein Feuer darunter entfachen. Ich zuckte einen Millimeter zurück und blickte mühsam hoch.

»Äh, was?«

»Sollen wir los?« Joshua lächelte mich sanft an.

»Äh, ja, klar.« Ich versuchte ihn anzugrinsen, doch erfolglos. Wieder spürte ich dieses Brennen auf meiner Hand, als wir langsam losliefen. Ein matter Schmerz, der sich von meiner Fingerspitze über den Handrücken ausbreitete. Unglaublich heiß und doch so sanft, als wäre er kaum da. Ein Prickeln wanderte meinen Zeigefinger entlang. Was, wenn das Joshuas Hand war? Sanft wie eine Feder. Der Flügelschlag eines Schmetterlings. Das konnte doch nicht ... Ein Lächeln verirrte sich auf mein Gesicht. Was sollte ich tun? Vor allem nicht bewegen.

»Also, ciao ihr beiden, ich muss da lang.« Liv zwinkerte neckisch, als sie sich umdrehte und uns über die Schulter zum Abschied winkte.

Allein. Ich war mit Joshua allein. Hilfe!

Zögernd schob er seine Hand in meine und verschränkte unsere Finger miteinander. Als wäre es selbstverständlich, mit mir händchenhaltend auf dem Schulhof zu stehen. In aller Öffentlichkeit.

Unsicher schielte ich zu ihm hoch. Warum konnte nicht alles so unbeschwert wie am Freitag sein? Richtig, da hatte ich noch nicht gewusst, wer Joshua in Wahrheit war: ein Popstar.

Schweigend liefen wir zum Fahrradkeller. Auf der Treppe angekommen, hüpfte Joshua eine Stufe nach unten und verstellte mir den Weg.

»Mann ... Emma ... ich wollte es dir sagen, aber ...«, sagte Joshua zerknirscht und fuhr sich mit seiner freien Hand in die Haare.

Abwehrend hob ich die Hand. »Oh Mann, ich bin echt zu dämlich. Sorry, es tut mir so leid, aber ich habe es nicht so mit Musik, ich habe dich einfach nicht erkannt. Das ist ... schon echt verdammt peinlich.« Ich blickte zu Boden und spürte, wie mir die Röte in die Wangen schoss.

»Quatsch, dafür musst du dich nicht entschuldigen. Im Gegenteil. Irgendwie fand ich das echt gut. Ist eine nette Abwechslung ...« Wie frech sein Grinsen war. Ich schluckte. »Emma?« Joshua sah mich unsicher an. Wie groß seine Augen waren. Und wie lang seine Wimpern.

»Ich kann nicht denken«, murmelte ich. Mir war schwindelig, und ich würde sicher jeden Moment umkippen. Oder noch schlimmer: aus diesem Traum aufwachen. Das Lächeln, das Joshua auf sein Gesicht zauberte, machte es nicht besser.

»Du bist echt süß«, raunte er. Er nahm meine andere Hand. Träge schloss ich die Augen, als ich seine Lippen auf meiner Stirn spürte. »Lass uns gehen, okay?« Sein Blick huschte über meine Schulter. Ein fast unmerkliches Zucken seines linken Augenlides ließ mich neugierig umblicken. Die halbe Schule schien versammelt zu sein und glotze uns vom Schulhof her an. Die Abteilung Klatsch und Tratsch würde nun auf Hochtouren laufen. Zerknirscht drehte ich mich zu Joshua um. Er grinste aber nur, legte einen Arm um meine Schultern und schob mich langsam die Treppe hinunter. Ein Schritt nach dem anderen, Stufe für Stufe.

»Und, auf was hast du Lust?«, plauderte Joshua los, als ich mit zitternden Fingern versuchte, mein Rad aufzuschließen. »Wir könnten ja einfach wieder um die Häuser ziehen. Vielleicht zum Sternwald? Es ist so schönes Wetter.« Heute war einer der ersten Frühlingstage, die nach einem harten Winter andeuteten, dass die wärmende Sonne bald die Erde zum Leben erwecken würde. Ich klammerte mich am Lenker fest, während mein Kopf zu zerspringen drohte. Wann würde das aufhören? Wann würde ich wieder klar denken können?

»Okay, lass mich noch meine Tasche daheim abladen. Ist ja nicht weit von hier.« Auf dem Weg fragte mich Joshua nach meiner Woche, was ich unternommen hatte, und wie es mir ging. Er versuchte alles, um eine möglichst normale Unterhaltung auf die Beine zu stellen. Aber was hatte ich aufregendes zu erzählen? Joshua war ein Superstar und auf den Bühnen dieser Welt zuhause. Mein Leben war – verglichen mit seinem – ziemlich öde und langweilig. Jetzt, so kurz vor dem Abi, mehr denn je. Die Schule war alles andere als spannend, die Lernerei machte es nicht besser, und die Begegnung mit Kevin im Supermarkt wollte ich lieber nicht erwähnen. Und wie ging es mir? Mal abgesehen davon, dass ich gerade erfahren hatte, dass der Typ, mit dem ich ›nur Spaß haben wollte‹, Profi darin war, Spaß zu haben, ging es mir … Ja, wie ging es mir? Irgendwie fühlte ich mich seltsam.

»So, das ist es. Mein kleines Reich.« Ich zeigte nicht ohne Stolz auf meine Tür, die sich am Ende einer engen Stahltreppe befand. Zum Glück waren meine Eltern um diese Uhrzeit noch arbeiten. So ersparte ich mir die nervenden Fragen, wer Joshua war und was er hier suchte. Ich schloss die Tür auf und war froh, dass ich die letzten Tage damit verbracht hatte, mein Chaos fein säuberlich aufzuräumen.

Aber Joshua hatte kein Interesse daran, sich irgendetwas in meinem Zimmer genauer anzuschauen. Als die Tür ins Schloss fiel und die Tasche in einer Ecke landete, hatte Joshua nur Augen für mich. Er schaute mich an. Mit einem abwesenden Lächeln auf den Lippen und dem Strahlen in den Augen, von dem ich nicht genug bekommen konnte.

Der intensive Blick ließ mich erschaudern, das Schweigen und die Spannung, die zwischen uns lag, war kaum zu ertragen. Ich wollte ihn spüren, wie am Freitag. Sehnte mich nach seinen Lippen, seiner Wärme. Als ich es nicht länger ertragen konnte, legte ich meine Arme um seinen Nacken, stellte mich auf die Zehenspitzen und atmete seinen einzigartigen Geruch ein. Er roch nach Freiheit, nach Fernweh, Erfolg und Lebensfreude. Er roch aufregend. Nach Abenteuer. Gänsehaut breitete sich auf meinem Rücken aus.

Joshua rührte sich nicht und musterte mich noch immer. Neugierig und auf eine gewisse Art amüsiert. Ich schloss die Augen und ließ meinen Mund nach seinem Gegenstück suchen. Zielsicher fanden sich unsere Lippen und tanzten den Tanz der Verliebten. Zuerst zaghaft, schüchtern; dann wurden unsere Bewegungen fordernder. Mein Puls schnellte in die Höhe, und mein Herz drohte zu explodieren. Mir wurde schwindelig vor Glück – oder wahrscheinlich, weil ich einfach vergessen hatte, zu atmen.

So war es also, einen Kerl zu küssen. Einen Kerl, der wusste, was er tat und Übung darin hatte, Frauen um den Verstand zu bringen. Stopp. Falscher Gedanke. Aber mein Kartenhaus der Gefühle war bereits eingestürzt. Krampfhaft versuchte ich, mich auf den Kuss zu konzentrieren, aber das einzigartige Gefühl wollte sich nicht mehr einstellen. Was hatte ich erwartet? Natürlich hatte er vor mir schon andere gehabt.

»Alles okay bei dir?«, fragte Joshua leise. Spürte er, dass in meinem Kopfkino ein völlig falscher Film ablief?

»Joshua, ich weiß nicht … Vielleicht ist das doch keine so gute Idee. Ich mein, du bist … du bist … ach, scheiße, du bist der fleischgewordene Teenietraum, und ich … Ich glaub nicht, dass ich das kann … ich bin nicht so eine … so eine, die daheim auf ’nen Typen wartet und ihn dann anhimmelt, wenn er grad mal Lust dazu hat … ja, gut. Ich wollte ja auch einfach ein bisschen Spaß haben. Aber irgendwie nicht so … Lass uns … Lass uns ’nen Cut machen, und du suchst dir eine andere … Ein Groupie oder so … An Auswahl dürfte es dir ja nicht mangeln.« Ich wusste nicht, wohin mit meinen Händen. Sie wollten Joshua berühren, aber sie durften nicht. Ich steckte sie in die Hosentaschen, um sie im Zaum zu halten.

»Psst.« Joshuas Zeigefinger verschloss meine Lippen. »Entspann dich, Emma. Ich mag dich.« Joshua wickelte eine meiner Haarsträhnen um seine Finger. »Irgendwie scheinst du ein seltsames Bild von mir zu haben. Weißt du, ich kann echt nett sein.« Er grinste schief, und ich glaubte ihm jedes Wort. »Gib mir eine Chance. Bitte. Ich will dich nur kennenlernen, okay?« Ich spürte seine Hand auf meiner Wange und erschauderte. »Eigentlich hatte ich am Freitag den Eindruck, dass du mich magst?« Er zog fragend eine Augenbraue hoch, als ob er eine Antwort erwartete. Automatisch nickte ich. »Na, siehst du. Ich bin immer noch derselbe. Lass uns doch einfach schauen, was daraus wird, ja? Mehr verlange ich gar nicht. Ich will dich ja nicht gleich heiraten.« Er grinste frech. »Oder stopp, streich das. Das muss ich mir noch mal überlegen.« Ich boxte ihn in den Bauch, und er krümmte sich spielerisch.

Sollte ich ihm eine Chance geben? Ich rang mit mir. In meinem Hinterkopf machte sich eine imaginäre Liv breit, die sich über mein Zögern aufregte und die Augen verdrehte. ›Du wolltest deinen Spaß haben, also: Hab. Endlich. Spaß!‹ Tausend Bedenken wollten sich zu Wort melden, doch Liv stemmte bereits ihre Hände in die Hüften. Sie hatte ja recht: Was hatte ich schon zu verlieren?

Mit einem Lächeln auf den Lippen streckte ich mich zu ihm hoch und küsste ihn.

***

Schweigend liefen wir durch die Straßen, doch die Unbeschwertheit unseres ersten Abends wollte sich nicht einstellen. Joshua hatte den Arm um meine Schulter gelegt, doch ich wusste nicht, wohin mit meinen Händen. Nach einer Weile landeten sie auf seiner Hüfte. Joshua selbst schien ebenfalls in Gedanken versunken zu sein.

Verstohlen blinzelte ich zu ihm hoch. Joshua ein Popstar. Das musste ich erst einmal verkraften. Ein Musiker und ich. Das war absurd. Weniger als ich konnte man von Musik nicht verstehen. Ich war noch nie auf einem Konzert gewesen, besaß gerade einmal fünf CDs und hatte Liv immer für ihr Rumgeschmachte belächelt. Das hatte ich nun davon.

»Du bist also ein Popstar.« Ich konnte mich nur blamieren.

»Musiker«, berichtigte mich Joshua, und das sanfte Streicheln seiner Finger auf meinem Oberarm hinderte mich daran, klar zu denken. Ich atmete tief ein, um mich zu konzentrieren.

»Musiker. Okay. Und, mit wie vielen Tattoos kannst du aufwarten?« Bei dem Gedanken an ein Arschgeweih musste ich unwillkürlich kichern. Joshua blickte verständnislos zu mir rüber.

»Na, Musiker haben doch Tattoos ... Ich will nur wissen, auf was ich mich da einlasse ... irgendwann kriege ich es eh raus«, sagte ich neckend, schaute aber gleich verlegen zu Boden. Joshua lachte auf und küsste mich auf die Haare. Gänsehaut breitete sich auf meinem Körper aus.

»Sorry, da muss ich passen. Keine Tattoos.«

»Komm schon, das gehört doch dazu. Vielleicht ein klitzekleines, ganz versteckt?«, bohrte ich.

»Nein, wirklich nicht. Weißt du, jedes Tattoo verdient eine gute Story. Und ich habe irgendwie noch nichts erlebt, was ein Tattoo rechtfertigt.« Joshua schien noch immer weit weg mit seinen Gedanken zu sein. Ich versuchte, am Ball zu bleiben und die Unterhaltung am Leben zu erhalten.

»Keine Ex, die dir das Herz gebrochen hat? Kein uneheliches Kind oder sonst eine Grenzerfahrung, die dich irgendetwas im Leben gelehrt hat?« Joshua schüttelte den Kopf. »Verstehe, dein Leben ist ja sooo öde«, foppte ich ihn. »Mmh, rauchen tust du auch nicht. Zumindest schmeckst du nicht nach Kippen. Wobei, ich habe es vergessen.« Und schon drückte ich die Lippen vorsichtig auf Joshuas Mund. Er ließ sich darauf ein. »Nein, kein Qualm.«

»Ist nicht gut für die Stimme«, krächzte Joshua, als wäre er ein Kettenraucher. Ich prustete los.

»Drogen?«, hakte ich das nächste Thema ab, das unumstößlich mit einem Musiker einherging.

»Nächste Frage.« Hörte ich einen abweisenden Unterton aus Joshuas Stimme raus?

»Aha, Volltreffer«, sagte ich. Joshua sah allerdings weder nach einer Koksnase noch nach einem Junkie aus. Vielleicht Gras? Pillen?

»Nein, so ist das nicht. Ja, okay. Ich hab schon so ziemlich alles probiert. Aber irgendwann standen wir völlig zugedröhnt auf der Bühne und haben den Gig total vergeigt. Das hat mich dann wachgerüttelt. Was ist das für ein Leben, alles nur noch wie durch einen Nebel wahrzunehmen? Nichts war mehr real ...« Joshua schien gespannt, wie ich darauf reagierte. »Und? Geschockt?«

»Nicht wirklich. Ich hätte dir das nicht abgenommen, wenn du einen auf ›Keine Macht den Drogen‹ gemacht hättest.« Die meisten Jungs, die ich kannte, hatten so ihre Erfahrungen. Kevin eingeschlossen.

»Und, wie steht’s bei dir? Ich wette, du bist ein braves Mädchen.«

»Verdammt, das hört sich verdammt langweilig an. Aber ja. Du hast recht. Als ich mal eine Tüte geraucht hab, war mir so kotzübel, das muss ich echt nicht haben.« Ich schaute verlegen auf den Weg, der sich vor uns durch den Sternwald schlängelte. »Geschockt?«

»Nicht wirklich. Alles andere hätte nicht zu dir gepasst.« War das nun gut oder schlecht? »Ich stehe auf brave Mädchen«, flüsterte er mir direkt ins Ohr. Ich zuckte zusammen, und mein Puls schnellte auf zweihundertachtzig.

»Boah, erschreck mich nicht so! Oder willst du, dass ich einen Herzinfarkt kriege?«, sagte ich lachend und presste meine Hand auf die Brust.

»Gegen ein bisschen Herzrasen ist nichts einzuwenden. Aber umfallen brauchst du wegen mir nicht gleich ...« Joshua blieb stehen und zog mich an sich. »So, das Interview ist beendet. Keine Musikerklischees mehr, sonst fragst du mich als Nächstes nach Groupiegeschichten aus.« Er zwinkerte mich verschmitzt an und verschränkte die Arme hinter meinem Rücken.

»Wäre das so schlimm?« Ich blickte ihn herausfordernd an.

»Mmmh, nicht direkt. Aber das ist quasi unsere erste Verabredung.« Ich spürte seine starken Hände an meinem Rücken. Sie fühlten sich verdammt gut an.

»Und?«, hauchte ich mit klopfendem Herzen.

»Und ich will ja schließlich, dass noch mehr folgen.« Er wusste offensichtlich, wie er mit Frauen umgehen musste, um ans Ziel zu kommen. Aber im Grunde war es egal, ob ich die Nummer zweihundertsiebenundvierzig oder -achtundvierzig war. Ich wollte es lieber nicht so genau wissen.

»So, willst du das? Kriegst du immer, was du willst?« Ich hasste es, wenn Menschen so sehr von sich selbst überzeugt waren. Bei Joshua allerdings fand ich diese Eigenschaft seltsam anziehend.

»Ich arbeite daran«, antwortete Joshua lachend. »Komm, lass uns zu mir gehen. Sonst stirbst du noch den nächsten Kältetod.« Ich spürte erst jetzt, dass es merklich kühler geworden war. Die Sonne war untergegangen, und die Kühle des Waldes kroch langsam vom Schwarzwald hinunter.

Josh & Emma Gesamtausgabe

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