Читать книгу Josh & Emma Gesamtausgabe - Sina Müller - Страница 17

Amblish

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Die Woche zog an mir vorüber, während das Abi unaufschiebbar näher rückte. Ich ging zur Schule und lernte wie eine Besessene bis spät in die Nacht. Essen, Schlafen und andere unwichtige Dinge reduzierte ich auf ein Minimum. So verschaffte ich mir ein kleines bisschen Freiraum, um die Zeit mit Joshua zu verbringen, wenn er einmal in Freiburg war. Leider kam das viel zu selten vor.

Liv war die meiste Zeit mit Lukas und dem Abi beschäftigt, und mit Kevin stand ich noch immer auf Kriegsfuß, so dass niemand versuchte, meine Zeit zu stehlen. Der Trubel in der Schule legte sich ein wenig: die meisten hatten im Moment anderes im Sinn. Es gab zwar noch immer einige blöde Kommentare, und an die Belagerung durch meine neuen Freunde musste ich mich auch noch gewöhnen.

Aber alles in allem kehrte Ruhe in meinen Alltag ein. Er war grauer und langweiliger als bisher, aber bei dem Programm war das auch kein Wunder. Nur in den wenigen Stunden, die Joshua da war, schien meine Sonne umso heller.

Am Donnerstag war Joshua völlig unerwartet auch abends in Freiburg. Ein Konzert fiel aus – für viele Fans ein schwarzer Tag, für mich ein Geschenk. Ich freute mich darauf.

Joshua lehnte im Türrahmen und begrüßte mich mit seinem unwiderstehlich verschmitzten Lächeln. Diesem Moment fieberte ich schon den ganzen Tag entgegen. Ich spürte eine tiefe Zufriedenheit in mir. Eine Zufriedenheit, die so lange anhielt, wie ich mit Joshua zusammen war.

Er schlang die Arme um mich und grinste. Irgendetwas hatte er vor, das sagte mir zumindest dieses ganz spezielle Lächeln, das er immer dann auf sein Gesicht zauberte, wenn er etwas im Schilde führte.

»Was ist los?«, fragte ich skeptisch. Er zog alle Register. War er sich etwa nicht sicher, ob ich be- oder entgeistert sein würde?

»Ich ... hör zu, wir haben morgen ein wichtiges Konzert«, wand sich Joshua. »Wir wollen uns noch ein bisschen eingrooven und was probieren.« Das war es dann also mit dem romantischen Abend in Zweisamkeit. Ich seufzte leise.

»Oh, okay. Wann musst du los? Hast du noch ein bisschen Zeit?« Ich lehnte mich an ihn und verzog enttäuscht den Mund. Ich fühlte mich sehr egoistisch, dass ich ihn nicht teilen wollte. Aber unsere gemeinsame Zeit war zu limitiert.

»So gegen sieben.« Joshua strich mir über die Haare. »Aber ich dachte eigentlich, dass du mitkommst.« Er schaute mich erwartungsvoll an.

»Schwacher Trost. Mehr hast du nicht auf Lager?« Ich forderte meinen Begrüßungskuss ein und zog ihn an mich. »Darf ich erstmal reinkommen?«, fragte ich, als sich unsere Lippen voneinander gelöst hatten. Joshua machte den Weg frei und lud mich mit einer galanten Armbewegung ein, sein Reich zu betreten.

»Und? Kommst du mit?«, fragte Joshua, als ich unschlüssig im Wohnzimmer stand. Couch oder Boden? Ich entschied mich für den Boden und drapierte ein paar der Sofakissen auf dem hochflorigen, beigefarbenen Teppich.

»Ich weiß nicht«, sagte ich ausweichend. Klar wollte ich Joshua gerne einmal live hören. Aber jetzt? So unvorbereitet? Ich hatte Angst, dass es mich überfordern könnte. Dass es mir den Boden unter den Füßen wegziehen könnte. Außerdem hatte ich mich so auf unseren gemeinsamen Abend gefreut.

»Ach, komm schon. Bitte. Dann lernst du endlich mal Marc und die anderen kennen.« Joshua zauberte ein Lächeln auf sein Gesicht, dem ich nur schwer widerstehen konnte. Er wusste genau, wie er ans Ziel kam. Ich rang mit mir, schüttelte den Kopf und hoffte, er würde nicht allzu lange nachbohren. »Das wäre mir wirklich wichtig.« Das Leuchten in seinen Augen unterstrich seine Worte. »Bitte!« Joshua nahm meine Hände. Er küsste mich auf die Stirn und flüsterte sanft: »Sag ja.« Ich atmete tief ein. Lange konnte ich ihm nicht mehr widerstehen. Er löste die Hände und legte sie sanft in meinen Nacken. Zärtlich streichelte er die sensible Stelle hinter meinen Ohren, und augenblicklich breitete sich Gänsehaut auf meinem Rücken aus. Ich erschauderte.

»Du kämpfst mit unfairen Mitteln«, hauchte ich und versuchte mein rasendes Herz zu beruhigen.

»Anders hab ich ja auch keine Chance. Stur, wie du bist!« Und schon erstickten seine Lippen meinen letzten Widerstand. Heute Abend würde ich in Joshuas Welt eintreten. Ich war gespannt – und fürchtete mich ein kleines bisschen davor.

»Okay, ich komme mit. Aber dann habe ich was gut bei dir«, gab ich nach, als sich Joshuas Lippen lösten. Er grinste triumphierend, und es war ihm deutlich anzusehen, wie sehr er sich freute.

»Alles! Egal, was es ist«, sagte er begeistert, und der Triumph war mir deutlich anzusehen. Joshua wurde skeptisch und zog fragend die Augenbrauen hoch. »Oh je, was hast du vor? Vielleicht war ich etwas zu vorschnell ...« Ich schüttelte den Kopf und lachte.

»Ne, ne, versprochen ist versprochen. Komm, lass uns noch ein bisschen rausgehen, bevor wir losmüssen.« Ich schnappte meine Jacke, zog Joshua hinter mir her und ignorierte seine Protestversuche.

***

Wir fuhren in Joshuas altem VW-Bus. Ich hatte den Wagen sofort ins Herz geschlossen, auch wenn die alte Dame so ihre Eigenheiten hatte. An manchen Ampeln hatte sie einfach keine Lust mehr und stellte den Motor eigenmächtig ab. Joshua sprang dann leise fluchend aus dem Wagen und klopfte auf die Batterie. Nach diesen Streicheleinheiten hatte sie ein Einsehen und fuhr ohne Mucken weiter – zumindest bis zur nächsten Ampel. Ich liebte es, Joshua aus dem Auto springen und an seinem Bus rumklopfen zu sehen. Das machte ihn so herrlich normal.

»Wo fahren wir denn hin? Wo probt ihr eigentlich?« Da Joshua meistens on the road war, hatte ich mich das bisher nie gefragt.

»In Oberried. Marcs Onkel hat dort einen alten Bauernhof, den er nicht nutzt. Der Hof liegt allerdings etwas abgelegen. Es wird dir bestimmt gefallen.« Joshua freute sich ganz offensichtlich darauf, mir einen Teil seines Lebens zu zeigen. Die Gegend, keine halbe Stunde östlich von Freiburg, kannte ich gut. In der Nähe gab es einige Felsen, an denen ich oft mit Kevin klettern war.

Die steil ansteigende Straße schlängelte sich in der Dämmerung den Berg hinauf. Grüne Wiesen wechselten sich mit dichtem Wald ab. Gab es hier mitten im Nirgendwo überhaupt noch ein Haus? Die alte Dame mühte sich weiter den Berg hinauf, und tatsächlich tauchte an der nächsten Biegung ein kleiner Schwarzwälder Hof mit dem typischen tiefgezogenen Dach auf. Er war eingerahmt von Apfelbäumen und lag an einem Kiesstrand inmitten eines Meeres aus saftigem Gras.

Als ich ausstieg, hörte ich in der Ferne einen Hund bellen. Schwere, kalte Luft kroch vom Berg hinab und ließ mich erschaudern. Kaum zu glauben, dass dieser Ort, an dem die Zeit stehen geblieben schien, der Unterschlupf einer der angesagtesten Newcomer-Bands in Europa war.

Über den Hof kam uns ein dunkelhaariger, schlaksiger Kerl entgegen, die Hände in den Hosentaschen seiner ausgewaschenen Jeans.

»Hi, ich bin Marc«, sagte er mit einem freundlichen, offenen Lachen und streckte mir seine Hand entgegen. Ich mochte ihn auf Anhieb. Er war ein ganz anderer Typ als Joshua, nicht die typische Schönheit, aber er strahlte eine Ruhe und Gelassenheit aus, die ihn sehr anziehend machte. Seine kurz geschnittenen, dunkelbraunen Haare betonten die strahlend blauen Augen. Alles in allem wirkte Marc wie der nette Kerl von nebenan und nicht wie ein Rockstar. Aber gerade das machte ihn so sympathisch.

»Du musst Emma sein«, sagte er und schüttelte meine Hand. »Ich habe das Gefühl, ich kenne dich schon ewig. Josh erzählt von nichts anderem mehr.« Vielsagend grinste Marc und nickte in Joshuas Richtung, der sich daraufhin verlegen durch seine Haare fuhr.

»Hi.« Ich lächelte Marc schüchtern an. »Joshua meinte, es wäre okay, wenn ich heute mitkäme.«

»Ich hab sie eher dazu gezwungen«, berichtigte mich Joshua. Er stellte sich hinter mich und umschlang sanft meine Taille.

»Kannst du Emma alles zeigen und den anderen vorstellen? Dann kann ich mich in der Zwischenzeit mal einsingen«, sagte Joshua zu Marc.

»Bis gleich«, murmelte ich leise. Seine Hand hielt ich bis zur allerletzten Sekunde in meiner. Ich wollte ihn nicht loslassen und gehen, wohin auch immer Marc mich hinführen wollte.

»Na, euch beide hat es aber ganz schön erwischt«, sagte Marc, als wir ins Haus gingen, und grinste vielsagend.

»Wie, was?« Ich hatte ihm gar nicht richtig zugehört.

»Na, dich und Josh. Ich hab mich schon gewundert, dass du mitkommst. Aber jetzt ist alles klar.«

Ich sah ihn verständnislos an. »Ach komm, er bringt doch sicher öfter jemanden mit.« Ein Stachel bohrte sich in mein Herz. Eine von vielen, genau das wollte ich nicht sein. Scheiß Gefühl.

»Ehrlich gesagt, nein. Josh bringt nie jemanden mit. Er hat was gegen Privat-Publikum und nölt sonst immer rum, wenn wir mal Freunde mitbringen. Ich finde es toll, dass du da bist, versteh das nicht falsch ...«

»Was probt ihr denn gerade? Joshua meinte nur, dass ihr morgen ein wichtiges Konzert habt.« Marc schien mein Erscheinen zu verwirren. Vielleicht war es doch kein passender Moment, um hier zu sein.

»Wir haben einen Gig in London, und ein paar Jungs von einer Plattenfirma, bei der wir das nächste Album veröffentlichen wollen, sind da. Wir hatten überlegt, ob wir eins der neuen Stücke spielen. Aber eigentlich sind wir noch nicht so weit.« Dann erstrahlte sein Gesicht, und ich konnte fast so viel Wärme darin erkennen wie in Joshuas Lachen. »Hey, du musst uns unbedingt bald besuchen. Lisa liegt mir ständig in den Ohren. Sie kann es kaum erwarten, dich endlich kennenzulernen.«

Wir gingen eine schmale Treppe, die man fast schon als Leiter bezeichnen konnte, hinauf und landeten in einem hellen, gemütlichen Wohnzimmer. Das Zimmer war ein Schwarzwälder Bauernraum mit tiefen, schrägen Decken und Holzbalken an der Decke und den Wänden. Die stylische Inneneinrichtung war zwar ein krasser Gegensatz, passte aber ganz gut zu seinem derzeitigen Verwendungszweck als Bandhaus. Es war gemütlich, und ich konnte mir gut vorstellen, wie hier die Jungs zusammen saßen, quatschten und Musik hörten.

»Die Lounge«, sagte Marc mit einer ausladenden Handbewegung. Ich nickte anerkennend und schaute mich genauer um. Eine Ledersitzgruppe stand in der Mitte des Raums. Die niedrigen Regale unter den Dachschrägen quollen über von Büchern und CDs und machten den ansonsten recht leeren Raum gemütlich. Selbstverständlich gab es auch eine Musikanlage, die Kennern ein bewunderndes Kopfnicken entlockt hätte.

»Lisa ist deine Freundin, oder?«, versuchte ich die Unterhaltung weiter am Leben zu halten und warf einen Blick aus dem Fenster. Der Ausblick war atemberaubend. Man blickte direkt auf das Dreisamtal, in dem sich gerade ein Meer aus glitzernden Sternen spiegelte. Die vor kurzem abgetauchte Sonne zog eine rote Spur hinter sich her und zauberte eine malerische Lichtstimmung an den Himmel. Es war düster und unwirklich zugleich.

»Meine Frau. Wir sind schon ewig zusammen und haben letztes Jahr geheiratet.« Marc strahlte übers ganze Gesicht.

»Freut mich für euch«, sagte ich und lächelte ihn an.

»Da hinten sind noch die Schlafzimmer und das Bad. Ist aber nicht wirklich spektakulär. Komm, wir gehen runter in den Probenraum. Dann stell ich dir noch die anderen vor. Lucky ist ein schräger Vogel, den darfst du nicht so ernst nehmen«, warnte mich Marc vor, als wir wieder die Treppe nach unten gingen und über einen langen Gang in einem fensterlosen Raum ankamen.

Die Wände und die Decke waren mit einem seltsamen Schaumstoff ausgekleidet. Ich kam mir wie in einer riesigen Schachtel vor, in die man zerbrechliche Waren legte. Das Wattegefühl machte den Raum allerdings ziemlich gemütlich, und obwohl es kein Fenster gab, war es angenehm hell. Auf dem Boden lagen unzählige rot gemusterte Teppiche, die mich an das Wohnzimmer meiner Tante Hilda erinnerte. An der einen Wand sah ich eine Scheibe, die in einen weiteren dunklen Raum führte.

»Wir können hier auch Demos aufnehmen. Unser privates kleines Studio ...«, sagte Marc stolz. »Da stehen die ganzen Computer, das Mischpult und der Kram drin.« Marc deutete auf einen schwarzen Kasten mit unzähligen Knöpfen und Schiebereglern. Der Raum war mit dutzenden Verstärkern, Lautsprechern, Kabeln und Kram, den ich noch nicht einmal benennen konnte, vollgestellt.

Ich sah ein etwas ramponiert wirkendes Klavier und daneben ein Keyboard, ein monströses, durchsichtiges Schlagzeug, das von einer Plexiglaswand abgeschirmt wurde, einige Gitarren und jede Menge ominöser Akustikinstrumente. Erst jetzt bemerkte ich die drei Jungs, die wie versteinert in der Ecke des Raumes saßen und mich neugierig musterten.

»Hey Jungs, das ist Emma, Joshs Freundin. Emma, das ist Tom, unser Bassist, Nik, unser Wunderknabe und dann haben wir noch Lucky. Er ist für den Beat zuständig. Jungs: Mund zu und benehmt euch«, sagte Marc mit einem schelmischen Grinsen auf den Lippen. Noch immer starrten mich die drei regungslos an. Mir wurde langsam unwohl zumute, denn ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte.

»Ich habe dir ja gesagt, dass Josh nie jemanden mitbringt«, flüsterte Marc und lächelte triumphierend.

Als erstes fing sich Tom wieder. »Hey Emma, Pflänzchen. Mensch. Du hast dich ganz schön verändert«, sagte Tom und musterte mich. Schlagartig fiel mir die letzte Begegnung mit Tom ein, und ich spürte, wie ich knallrot anlief. Ich musste so ungefähr vierzehn gewesen sein und steckte mitten in der Pubertät. Suse, damals eine gute Freundin, war bis über beide Ohren in Tom verknallt. Ihre Lieblingsbeschäftigung bestand darin, sich aufzustylen (mit fragwürdigem Erfolg) und Tom aufzulauern. Und natürlich schleppte sie mich ausgerechnet an dem Tag mit, als Tom ihr oder besser uns klar machte, dass er von der Aktion weniger als gar nichts hielt.

»Äh, ja ... ich hoffe, du auch«, stammelte ich leise. Nik und Lucky prusteten los. Tom schaute etwas betreten drein. »Äh, sorry. Nein, so hab ich das nicht gemeint«, murmelte ich, als mir dämmerte, was ich gerade gesagt hatte. Wie peinlich.

»Schon gut, Em. Lukas und ich waren ja auch nicht gerade nett zu dir, als du noch so ein Pflänzchen warst. Ich habe es wohl verdient. Schwamm drüber.« Er zwinkerte mir zu.

Äußerlich hatte er sich zumindest kaum verändert. Mit seinen blonden, halblangen Haaren und den strahlend blauen Augen war er der typischer Sunnyboy, ein smarter Surfertyp. Aber er war auch die Sorte Mann, die wusste, dass die Mädchen auf ihn flogen und die diesen Vorteil auch gerne ausnutzte, sehr zum Leidwesen der weiblichen Riege, die er mit gebrochenem Herzen zurückließ. Er war eben Lukas’ Cousin, wahrscheinlich lag das in der Familie.

Nik winkte mir kurz rüber. Er hatte ein süßes Lächeln, und seine wachen Augen verrieten mir, dass er den Schalk im Nacken hatte. Sicherlich war er ein Spaßvogel. Auf seine Art war er auch hübsch. Wie Joshua hatte er eine sportlich austrainierte Figur, und seine halblangen, braunen Locken standen lustig von seinem Kopf ab. Den Klamotten nach schien er ein Skater zu sein. Er trug weite Jeans, schwarze Vans und den obligatorischen Hoodie.

Lucky stand mühsam auf und kam langsam auf mich zu. Er war fast so hoch wie breit und erinnerte mich an einen gemütlichen Bären. Mit dem runden Bauch und dem geraden Cap hatte er Ähnlichkeit mit Alvin von den Chipmunks. Er sah wirklich zum Knuddeln aus. Eine Armlänge vor mir blieb er stehen und schaute mich nachdenklich an. Dann streckte er seine langen, kräftigen Arme aus, drückte mich fest an sich und klopfte mit seinen Pranken auf meinen Rücken. Fast hätte ich mich verschluckt. Marc lächelte mich vielsagend an, als ich ihn fragend anschaute.

»Ähh, hallo Lucky, schön, dich kennenzulernen«, brachte ich leicht stotternd hervor und schaute mich unsicher im Raum um. »Was macht eigentlich Joshua?«, fragte ich verlegen und wandte mich an Marc. Er war keine zehn Minuten weg, und schon spürte ich diese Leere, die es mir fast unmöglich machte, mich zu konzentrieren.

»Er singt sich ein, das kann sich nur um Stunden handeln. Er kann zwar mittlerweile aus dem Stehgreif seinen Umfang abrufen, ohne was kaputt zu machen, aber Josh hat panische Angst, sich die Stimme zu versauen.«

»Aha.« Ich hatte zwar nur die Hälfte verstanden, aber wahrscheinlich war es wie beim Sport, da sollte man sich ja auch aufwärmen. Ich empfand das immer als unnötige Zeitverschwendung und schenkte es mir daher auch.

»Josh ist da etwas speziell. Es ist so eine Art Ritual für ihn, und da ist er lieber allein.« Marc zuckte entschuldigend die Schultern. »Spielst du auch ein Instrument oder singst du?«, versuchte Marc weiter Small-Talk zu machen. War ja klar, dass diese Frage kommen musste. Joshua hatte schon rausgefunden, dass ich eine vollkommene Niete war, was Musik betraf, und er zog mich damit auch des Öfteren auf.

»Hat Joshua dir nicht gesagt, dass ich bei euch einsteige?« Marc sah mich mit einer Mischung aus Entsetzen und Unglauben an. Ich prustete los. »Nein, war nur Spaß. Ich hab so was von keine Ahnung von Musik, und meine Stimme taugt noch nicht mal für ein Playback unter der Dusche.« Ich grinste Marc an, der sich sichtlich entspannte. Hatte er tatsächlich geglaubt, dass Joshua mich engagiert hatte, um Amblish einen weiblichen Touch zu geben?

»Hi, Jungs«, sagte Joshua beim Eintreten. Mein Herz hüpfte wie auf einem Trampolin, und ich musste mich sehr zusammennehmen, um Joshua nicht sofort um den Hals zu fallen. »Emma habt ihr anscheinend kennengelernt. Sonst alles klar bei euch?« Er ging zu den drei Jungs und begrüßte sie. Sie alberten einen Moment lang rum, und es war offensichtlich, wie gut sie sich verstanden. Als er zu mir kam, wirkte Joshua auf eine ungewohnte Weise nervös. Er küsste mich auf die Stirn und legte seine Arme um mich.

»Hat dir Marc gesagt, was wir heute machen?«, fragte Joshua leise. Die anderen waren mit ihren Dingen beschäftigt. Sie fingerten geschäftig an ihren Instrumenten rum und kramten in ihren Noten.

»Er hat was von einem neuen Stück erzählt.«

»Ja, pass auf. Wir sind eigentlich noch nicht so weit, dass wir es morgen spielen können. Du bist die Erste, die es überhaupt hört. Also sieh es uns nach, wenn es vielleicht daneben geht.« Ich liebte dieses jungenhafte, begeisterte Lächeln, das über sein Gesicht huschte.

»Okay, dir ist aber schon klar, dass ich ein absoluter Musik-Depp bin, oder?« Ich spürte die Anspannung in mir aufsteigen. Und ein kleines bisschen Stolz, dass ich die Erste sein würde, die ihren (unqualifizierten) Senf zu diesem Song abgeben würde.

»Entspann dich, Emma. Mich interessiert nur, wie du den neuen Song findest, das ist alles. Hey, du kannst dich hier hin setzen.« Joshua zeigte auf das Sofa neben der Tür zum Technikraum. Er drückte meine Hand und lächelte aufmunternd, bevor er seine Gitarre auspackte und ein paar Noten sortierte. Die anfänglich entspannte und eher ausgelassene Stimmung hatte sich inzwischen geändert. Alle schienen sich zu konzentrieren, und auf mich wirkte ihr Auftreten sehr professionell.

Nik stand in der Nähe von Joshua, stimmte seine E-Gitarre und stöpselte ein Kabel ein. Tom drehte an einem Verstärker herum, und Lucky kramte in einer Ecke, als suche er etwas. Joshua schien der Chef im Ring zu sein, und alle warteten auf sein Kommando. Er ließ es nicht raushängen, aber zum ersten Mal spürte ich eine gewisse Autorität bei ihm.

Marc sah ihn aufmunternd an und nickte fast unmerklich. Es war offensichtlich, dass die beiden eine tiefere Freundschaft verband.

»Also, legen wir los, oder?«, sagte Joshua, packte seine Noten auf einen Notenständer und hantierte gekonnt am Mikro rum.

»Schauen wir mal, was wir aus Wishcraft rausholen können. Die Version von letzter Woche?« Joshuas Blick flackerte ein letztes Mal zu mir, dann schloss er die Augen. Nach ein paar ewigen Sekunden absoluter Stille fingen Joshua und Nik wie auf ein geheimes Kommando an, die ersten leisen Töne einer bezaubernden Melodie auf ihren Gitarren zu spielen. Nach und nach stiegen Tom mit dem Bass und dann Marc mit dem Klavier ein. Lucky saß auf einer unscheinbaren Holzkiste, der er durch rhythmisches Klopfen angenehm weiche Töne entlockte.

Die Melodie war ein Ozean der Gefühle. An der Oberfläche ruhig und entspannt, aber darunter brodelte es. Verwirrung, Wut und Einsamkeit waren zu spüren und raubten mir fast den Atem. Aber trotzdem hatte die Melodie etwas Tröstliches.

Ich schaute Joshua gebannt an, aber er mied meinen Blick. Dann befeuchtete er die Lippen und öffnete sie leicht. Er sang erst leise und wurde dann lauter, fordernder, voller Gefühl für die Worte, die ich nicht verstand, da ich nur auf den Klang hören konnte. Seine Stimme war rauchig und weich in einem, und die Intensität, mit der er das Stück sang, ließ das Blut in meinen Adern gefrieren. Er wirkte so traurig, so verletzt. Eine neue Welt tat sich vor mir auf, und ich wusste nicht, wie ich die letzten achtzehn Jahre ohne so etwas traumhaft Schönes hatte verbringen können. Wo nahm Joshua nur all die Gefühle her? Was ging in ihm vor, wenn er sang?

Tausend Gefühle tobten in mir, als ich ihn so versunken in seine wundervolle Musik sah. Es war, als könnte das eine ohne das andere nicht existieren. Und unwillkürlich fragte ich mich, ob ich ihm jemals das Gleiche würde geben können.

Ich ließ meinen Blick zu Marc schweifen, der am Klavier saß und mich verschmitzt anlächelte. Offensichtlich hatte er mich beobachtet und sah, wie fasziniert ich war. Fasziniert von der Musik, die mir Gänsehaut verursachte und mich tief in meinem Innern traf.

Nach dem Song diskutierten die Jungs über einige Passagen, Bridges und Intonationen. Ich verstand nur Bahnhof und war froh, dass sie mich vergessen hatten. Sie schienen außerhalb ihres Mikrokosmos nichts wahrzunehmen, und ich versuchte, möglichst still zu sitzen, um sie nicht abzulenken. Sie spielten Teile des Stücks immer und immer wieder. Aber Joshua schien nicht zufrieden zu sein. Die anderen stöhnten, als er sie immer weiter antrieb, bis er endlich nickte. Schließlich spielten sie noch ein paar ihrer Hits, allerdings in anderen Versionen, als ich sie von der CD kannte. Aber so gefielen mir die Songs noch besser.

Nach ungefähr eineinhalb Stunden sagte Joshua: »So, ich glaube, das reicht für heute. Lasst uns morgen bequatschen, ob wir Wishcraft auf die Set-List nehmen, okay?« Ich schaute in sein glückliches, aber erschöpftes Gesicht. Ich hatte nicht geahnt, dass Musik machen so anstrengend war. Jedenfalls sahen Joshuas Augen müde aus.

Da ich noch immer nichts sagte, fragte Joshua nervös nach. »Und, was sagst du?«

»Ja, doch, war nicht schlecht ...« Die anderen packten ihre Sachen zusammen, und ich hörte Nik und Tom gelöst miteinander rumalbern.

»Nicht schlecht? Dir hat es also nicht gefallen«, stellte Joshua enttäuscht fest und fuhr sich verlegen durch die Haare. Er hatte wohl mit einer anderen Antwort gerechnet.

Länger konnte ich mir das Kichern nicht verkneifen und schlang die Arme umständlich um seinen Hals. Das war gar nicht so einfach, denn die Gitarre war ständig im Weg, und ich wusste nicht, was so ein Instrument aushielt. Ich küsste ihn und sagte dann: »Ich hab immer noch Gänsehaut, und mir ist schwindelig vor Glück.« Ein breites Lächeln zeichnete sich auf Joshuas Gesicht ab. Langsam konnte ich die Groupies ein ganz kleines bisschen verstehen. Das Bandleben hatte tatsächlich seinen ganz eigenen Charme – zumindest diese Seite fernab der Öffentlichkeit.

»Lisa hat gekocht. Wer kommt auf einen Sprung mit rüber?«, fragte Marc in die Runde und steckte sein Handy wieder in die Hosentasche. Joshua sah mich fragend an. Fast unmerklich schüttelte ich den Kopf.

»Ich muss noch lernen«, gab ich als Vorwand an.

»Ein anderes Mal gerne«, sagte Joshua. »Wir holen das nach Emmas Abi nach, okay?«

Ich war dankbar, dass Joshua nicht versuchte, mich zu überreden. Er lächelte mich zärtlich an, und ich wusste, dass er auch lieber mit mir allein sein wollte. Röte schoss mir ins Gesicht, und ich schaute schnell zu Boden.

»Wie ihr meint. Hey, war schön, dich mal kennenzulernen. Bis bald. Hoffentlich«, sagte Marc, nahm mich zum Abschied in den Arm und gab mir ein Küsschen auf beide Wangen. Mit einem eindeutig zweideutigen Grinsen sagte er zu Joshua: »Na dann, viel Spaß.« Natürlich hatte er meinen Einwand als dünne Ausrede entlarvt.

***

Wir stiegen in den VW-Bus und fuhren los. Nachdem wir einige Minuten still nebeneinandersaßen, legte Joshua die Hand auf mein Knie. Ich rückte näher an ihn und seufzte leise und zufrieden, als ich meinen Kopf auf seine Schultern legte.

»Was denkst du?«

»Ich hab mich gerade nur gefragt ... Was ging in dir vor, als du Wishcraft geschrieben hast? Es ist so traurig, und die Einsamkeit, die mitschwingt, hat mich fast erdrückt. Und doch hat mich das Lied so glücklich gemacht. Ich verstehe das nicht ...« Joshua seufzte. Nach einigen Momenten begann er zu erzählen.

»Ich war ziemlich down. Es war letzten Herbst. Meine Granny war gerade ein paar Wochen tot, und die Hochzeit von Marc und Lisa stand vor der Tür. Marc und ich saßen in einem Hotelzimmer in Berlin und haben Wein getrunken und gequatscht. Wir redeten über die Hochzeit, und er war so glücklich. Irgendwie wurde mir da klar, wie allein ich bin. Meine Mom lebt achthundert Kilometer entfernt, mein Dad interessiert sich einen Scheiß für mich, und Freunde ... Ja, gut, die Jungs sind für mich da. Aber das reicht eben nicht immer.« Ich blieb ganz still, ließ ihm Zeit, seine Geschichte zu erzählen.

»Marc versuchte, mich aufzubauen. Er meinte, dass alles seine Zeit hat und meine noch kommt. Dass Wünsche eine enorme Kraft haben und so. Dass ich niemals aufgeben und an meinen Wünschen festhalten soll, egal wie düster es manchmal aussieht. Erst fand ich das ziemlich albern, aber die Gedanken haben unaufhörlich gerattert. In der Nacht hab ich dann den Text geschrieben. Zugegeben, ich hatte schon ein paar Gläser Wein intus. Aber ich mag den Song trotzdem.« Joshua lächelte. Ich musterte ihn und versuchte zu ergründen, wie es ihm heute ging.

»Und? Bist du noch immer einsam?« Inzwischen war mir zwar klar, dass mich Joshua mochte, aber der Gedanke, dass er litt, war fast unerträglich.

»Manchmal«, gab Joshua zu. »Wenn ich allein bin, nicht bei dir sein kann und ich nicht weiß, was du gerade tust und denkst.« Er stupste mich neckisch an.

»Und wenn du bei mir bist, weißt du immer, was ich denke?« Ich musste schmunzeln.

»Natürlich. Das steht dir quasi ins Gesicht geschrieben.« Joshua drehte seinen Kopf und zwinkerte.

»Ja, klar. Und was denke ich jetzt gerade?« Ich drehte mich so, dass Joshua direkt in mein Gesicht schauen konnte, und verkniff mir ein Lachen.

»Du überlegst gerade, wie schön es wäre, wenn ich dich noch aufs Jesuitenschloss entführen und dir die Sterne vom Himmel holen würde.« Siegessicher grinste Joshua. Ich überlegte kurz und lehnte den Kopf wieder an seine Schulter. Ich wünschte mir tatsächlich noch ein paar weitere Momente mit Joshua. Morgen würde er schon wieder unterwegs sein.

»Na, wenn du mal nicht Gedanken lesen kannst. Aber die Sterne kannst du am Himmel lassen. Heute wirst du dich mit einem Stern begnügen müssen.« Ich nahm Joshuas Hand, die noch immer auf meinem Knie lag, und verschränkte die Finger mit seinen.

Statt einer Kofferraumabdeckung hatte der Bus eine eingebaute Liege. So mussten wir bei der Kälte nicht nach draußen, um die Sterne zu bewundern, sondern konnten uns gemütlich einkuscheln. Joshua zauberte eine Wolldecke hervor, und wir schmiegten uns eng aneinander. Ein Lichtermeer breitete sich vor uns aus. Unten leuchtete die Stadt, und oben glitzerten unzählige Sterne um die Wette.

Wir lagen Arm in Arm, genossen den Augenblick und wussten, dass wir zueinander gehörten. Gleichzeitig lachten wir auf, als wir die Spannung begriffen, die uns umgab. Ein so tiefes Verlangen, jemandem nahe zu sein, hatte ich noch nie gespürt. Es war kein rein körperliches Verlangen – es war tiefer, intimer.

Joshua streichelte mir zärtlich über die Wange und sah mich an. Seine samtigen Augen glühten, und doch war er ruhig und ausgeglichen, als ruhe er vollends in sich selbst.

»Emma, ich habe mich in dich verliebt«, sagte er ernst. Pures Glück durchströmte meinen Körper. Mir wurde heiß, und das Kribbeln in der Magengegend wurde noch stärker, als es eh schon war. Er hatte es neulich schon am Telefon gesagt. Aber das war etwas anderes gewesen. Jetzt war er hier. Bei mir. Ich lächelte glücklich und zog ihn näher an mich. Als er mich zaghaft und mit einer unbeschreiblichen Sensibilität küsste, richteten sich die Härchen auf meiner Haut auf. Eine ungeahnte Nervosität überkam mich, Vorfreude auf das, was kommen würde. Ein wohliger Schauer überzog meinen Rücken und ließ mich zusammenzucken. Als Joshua besorgt seine Augen öffnete, blickte ich ihn fest an. Ich wollte seine Seele greifen, wollte, dass er mich sah und mich liebte. ´

»Jetzt ist es wohl an der Zeit, mein Versprechen einzulösen, oder?« Er grinste schelmisch. Unter seinem durchdringenden Blick schoss mein gesamtes Blut in die Wangen.

»Was meinst du?«, fragte ich verwirrt. Von welchem Versprechen sprach er?

»Na, du hast doch was gut bei mir, weil du mit zur Probe gekommen bist«, half mir Joshua auf die Sprünge.

»Nein, nein, so einen Joker setz ich doch nicht für etwas ein, das du ganz offensichtlich auch willst.« Ich kuschelte meinen Kopf tiefer in die Kuhle unterhalb seines Schlüsselbeins und lächelte in mich hinein.

»Ja, schon. Aber meinst du nicht, wir sollten noch warten? Ich will alles richtig machen, es soll für dich alles perfekt sein.«

»Es ist perfekt«, unterbrach ich ihn sanft und küsste seinen Hals.

»Aber nicht, dass du denkst, dass ich mit jeder ...«

»Joshua, du redest zu viel«, flüsterte ich und legte ihm den Zeigefinger auf die Lippen, die fast unmerklich zitterten.

»Sorry, aber ich bin nervös.« Er kicherte unsicher und küsste meinen Zeigefinger.

»Ja, das bin ich auch.« Sanft strich er mir die Haare aus dem Gesicht. Ich vergrub die Hände in seinen Haaren, und endlich übernahm Joshua die Initiative.

»Du bist so wunderschön«, flüsterte er, und ein Blick in das tiefe, glitzernde Schwarz seiner Augen sagte mir, dass er es ernst meinte. Zum ersten Mal in meinem Leben glaubte ich diesen Worten und fühlte mich auch schön.

***

»Hattest du schon viele?«, fragte ich nach einer halben Ewigkeit und schmiegte mich noch enger an ihn. Ich nahm seine Hand und betrachtete sie eingehend. Seine Finger waren lang und geschmeidig, die Fingerkuppen rau vom Gitarre spielen.

»Warum ist das wichtig?« Seine Fingernägel waren ungewöhnlich gepflegt für einen Mann. Keine Kanten, keine Ränder.

»Ich weiß nicht. Ich will nur wissen, ob ich eine von vielen bin«, flüsterte ich tonlos.

»Glaubst du mir denn, wenn ich sage, dass du etwas Besonderes für mich bist? Dass ich noch nie zuvor für jemanden so etwas empfunden habe wie für dich?« Ich spürte Joshuas bohrenden Blick und vermied es, ihn anzuschauen. Stattdessen schmiegte ich seine Hand an meine Wange.

Ich wollte ihm glauben. Aber da war noch immer ein kleines bisschen Angst. Die Unsicherheit, die mich davor beschützen wollte, kopflos in eine Katastrophe zu rennen. Die imaginäre Liv baute sich wieder in meinen Gedanken auf, und sie sah mächtig sauer aus, wie sie die Augen so zusammenkniff und die Lippen schürzte. Ein Kichern entschlüpfte meinem Mund.

»Na, toll. Was ist daran denn lustig? Ich war derjenige, der noch warten wollte. Irgendwie ist das jetzt nicht gerade fair, dass du mir einen Strick daraus drehst.«

»Ja, du hast recht. Aber hast du nicht auch Angst, einfach aufzuwachen und festzustellen, dass alles nur ein Traum war?«, flüsterte ich. Joshua schlang seine Arme fester um mich und hielt mich fest.

»Ja, mir geht es genauso«, flüsterte er und küsste meinen Hals. »Mir geht es ganz genauso.«

Josh & Emma Gesamtausgabe

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