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Falsche Vorstellungen

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Joshua wohnte keine fünf Minuten von mir entfernt am Fuße des Lorettobergs. Seine Wohnung lag in einer wunderschönen alten Villa, die offensichtlich vor kurzem komplett saniert wurde. Irgendwie hatte ich erwartet, dass er in einer Art Studentenbude hauste – typisch Musiker eben. Aber die Wohnung war das komplette Gegenteil. Sie war hell, großzügig geschnitten und wirkte sehr aufgeräumt. Kein Wunder, denn Möbel gab es kaum. Die hohen Stuckdecken wirkten in dem großen Wohnzimmer nostalgisch und wollten nicht so recht zu der hellen Ledercouch und dem schlichten, weißen Sideboard passen. Eine Seite des Wohnzimmers war komplett verglast. Eine Tür führte auf einen großen, halbrunden Balkon, hinter dem sich Freiburg in seiner gesamten Schönheit ausbreitete.

Joshua trat hinter mich und schlang die Arme um meine Mitte. »Willkommen in meinem Reich. Fühl dich hier ganz zu Hause«, flüsterte er mir ins Ohr und küsste sanft meine Haare, während ich mich weiter umschaute. Selbstverständlich hatte Joshua eine ultramoderne – und wahrscheinlich sauteure – Stereoanlage mit monströsen Boxen, aus denen leise Musik erklang. In einer Ecke stand ein kleiner Schreibtisch, auf dem ein Flachbildschirm stand und einige lose Blätter rumlagen. Daneben standen zwei Gitarrenkoffer und ein Keyboard, an dem Kopfhörer angesteckt waren. Ein großer Plasma-Fernseher war wie ein Bild in einen dunklen Holzrahmen eingefasst. Aber außer ein paar wenigen Bildern auf dem weißen Sideboard wirkte der Raum leer. Er war zwar wunderschön, aber auch etwas leblos.

»Lass mich raten. Du brauchst deinen Freiraum?« Ich grinste ihn an und schmiegte die Wange an seine Schulter. Eine schmuddelige Studentenbude hätte besser zu einem Musiker gepasst. Vielleicht hatte Joshua recht, und ich hatte tatsächlich falsche Vorstellungen.

»Es ist noch ein bisschen unwohnlich, ich weiß, aber im Moment ist es etwas turbulent, und ich bin nicht wirklich oft hier. Die meiste Zeit bin ich ja mit den Jungs unterwegs.« Er schaute mich prüfend an. Er war hier nicht zu Hause. Das war offensichtlich.

»Was für eine Verschwendung. So eine schöne Wohnung.« Ich lehnte mich wieder an ihn und drehte seine Hand in meiner.

»Ja, das stimmt. Aber auch ein bisschen protzig, findest du nicht?« Autsch, erwischt. Zerknirscht nickte ich. »Meine Granny ... ihr hat die Wohnung gehört. Und als sie gestorben ist, hat meine Mom alles geerbt. Ich glaube, sie wäscht sich ihr schlechtes Gewissen damit rein, dass sie mich hier umsonst wohnen lässt.« Ich schaute ihn fragend an. »Ach, nicht so wild. Als ich zwölf war, hat sie sich von meinem Dad getrennt. Sie wollte unbedingt aus London weg. Und dann, als ich endlich hier klarkam, wollte sie sich mit Enrico – ihrem neuen Freund – ein Leben in Italien aufbauen. Ich bin dann hier bei Gran geblieben und habe mich quasi allein durchgeschlagen«, sagte Joshua ohne Verbitterung in der Stimme. Aber ich spürte, dass ihm die Geschichte mehr zu schaffen machte, als er zugab.

Mein Blick wanderte weiter durch das riesige Zimmer. Wie wohnlich es schon mit ein paar wenigen Veränderungen sein könnte. Eine Pflanze hier, ein bisschen Farbe dort, ein paar Kissen auf dem Boden. »Los, zeig mir den Rest.« Ich lächelte ihn auffordernd an, und er zog mich zum Schlafzimmer. Es war eine ganze Ecke kleiner, aber schon fast vollständig eingerichtet. Es gab einen breiten Futon aus Nussbaum, in einer Nische stand ein Schiebetürschrank, der perfekt zum Bett passte. Er war riesig und konnte sicher die gesamten Klamottenvorräte einer zehnköpfigen Großfamilie beherbergen. Ob Joshua tatsächlich so viel Kleidung hatte? Zuzutrauen wäre es ihm.

Ich fand das Zimmer zu erwachsen und perfekt ausgestattet, aber über Geschmack konnte man ja bekanntlich streiten. Ich streifte weiter durch die Wohnung und landete im Bad. Es war frisch renoviert und ließ keine Wünsche offen. Beheizbare Handtuchhalter, eine riesige Eckbadewanne, ein Waschtisch mit einem eingelassenen Waschbecken. Alles war weiß mit schiefergrauen Kacheln und wirkte zwar modern, aber eben auch ziemlich kühl. Die farbigen Handtücher und ein paar Deko-Elemente retteten das Ganze. Aber wo waren seine ganzen Sachen? Ich sah weder einen Rasierer noch eine Bürste, Parfum, Deo oder Zahnbürste. Alles war picobello aufgeräumt – wie in der ganzen Wohnung. Ich musste unbedingt noch einmal mit dem großen Kehrbesen durch mein Zimmer, bevor Joshua zu mir kam.

In der Küche fühlte ich mich endlich wieder wohler. Zwar war sie auch modern, aber durch eine Theke auf eine angenehme Art auch ziemlich gemütlich. Hinter der Tür stand ein altes Küchenschränkchen, das Joshua von seiner Großmutter geerbt hatte. Irgendwie passte es ziemlich gut zur modernen Einrichtung.

Das Licht war weich und warm. Ich lehnte mich an die Theke. Wie war es wohl, hier morgens einen Kaffee zu trinken? Nach einer romantischen Nacht? Ich schluckte und zwang mich zurück in die Gegenwart.

»Pizza oder Pizza?«, fragte Joshua und wedelte mit einem Flyer vor meiner Nase. »Sorry, ich kam noch nicht zum Einkaufen, sonst hätte ich was gekocht.«

»Lass mich überlegen. Dann wäre ich für ... Pizza. Du kannst kochen?« Erst Lukas, und nun Joshua. War das eine neue Masche?

»Ein bisschen. Wir kriegen oft nur Müll, wenn wir unterwegs sind. Da will ich wenigstens zu Hause etwas Gescheites essen.«

Während Joshua Pizza bestellte, ging ich zurück ins Wohnzimmer und schaute die Fotos auf dem Sideboard an. Joshua war seiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Die ausdrucksstarken, dunklen Augen, die langen Wimpern, der schön geschwungene, volle Mund. Lediglich die hohen Wangenknochen musste er von seinem Vater haben. Neben Joshuas Mutter stand ein kleines, süßes Mädchen. Ein dunkelhaariger Wildfang mit wachen, neugierigen Augen.

»Wer ist das Mädchen?«, fragte ich, als Joshua leise ins Wohnzimmer trat.

»Chiara, meine Halbschwester. Ein süßer Fratz, oder? Und ganz schön frech für ihr Alter.« Joshua betrachtete liebevoll das Foto und zeigte dann auf das Bild daneben.

»Das ist meine Granny. Oder besser gesagt, war. Eine echte Dame. Ich hab ihr viel zu verdanken.« Ich sah mich weiter um und blieb an einer modernen Skulptur aus Metall und Glas hängen.

»Ist das der Echo?« Liv hatte etwas von einem Musikpreis erzählt.

»Ja«, sagte Joshua halb verlegen, halb stolz.

»Ich hab dir noch gar nicht gratuliert«, murmelte ich in Gedanken versunken. Wie es wohl war, vor mehreren Millionen Zuschauern einen Preis für das zu bekommen, wofür man so hart gearbeitet hatte? Für mich wäre es der Horror. Große Menschenmassen machten mir Angst, und ich würde lieber sterben, als mir so etwas anzutun. Aber als Musiker musste man das ja mögen, oder?

»Danke.« Er trat wieder hinter mich und schmiegte seinen Körper an mich. Seine Hände lagen schwerelos auf meiner Hüfte. Ich zuckte kurz zusammen, zu ungewohnt war seine Nähe, aber sie fühlte sich gut an. Während er sein Kinn auf meine Schulter legte, flüsterte er: »Als wir da auf der Bühne standen und ich ins Publikum geschaut habe, da musste ich plötzlich an dich denken. Wusch ... mein Hirn war völlig leer.« Sein Atem kitzelte an meinem Hals, und ein wohliger Schauer strömte durch meinen Körper.

»Oh, wow. Du bist noch besser, als ich gedacht habe.« Ihm schienen alle Mittel recht zu sein, mich zu umgarnen. Dabei hatte er das überhaupt nicht nötig. Trotzdem schmeichelten mir seine Worte.

»Was meinst du?«, fragte er unschuldig.

»Du weißt genau, was Mädchen hören wollen.« Es sollte wie eine Feststellung klingen, und ich hoffte, er merkte nicht, dass mir die Möglichkeit, eine unter vielen zu sein, alles andere als schmeckte.

»So, tue ich das?«, sagte er und lachte. »Mensch Emma, du scheinst echt ein schräges Bild von mir zu haben.« Er schüttelte den Kopf, schien aber nicht verärgert zu sein.

»Findest du? Dann rück es doch gerade.« Ich versuchte, möglichst kess zu klingen.

»Ich arbeite doch daran.« Er strahlte mich von der Seite an, und augenblicklich löste sich die dunkle Wolke, die sich über meinem Herzen zusammenbrauen wollte, auf.

Der Pizza-Bote riss uns aus unserer kleinen Seifenblase. Wir setzten uns mit den Schachteln auf die Couch, und Joshua legte nach langem Hin und Her einen Film ein. Er hatte sich für ›Mr. und Mrs. Smith entschieden. Action, unverfänglich und doch romantisch. Eine gute Wahl.

Ich tat angestrengt, als würde ich mich auf den Film konzentrieren. Doch weder Brad noch Angelina interessierten mich. Ich musste ständig an Joshua denken. Joshua, der direkt neben mir saß. Es war mir noch immer ein Rätsel, warum er sich für mich interessierte. Für mich. Emma. Aber im Moment war ich einfach zu glücklich, als dass ich mir Gedanken machen wollte. Nein, heute wollte ich nehmen, was ich kriegen konnte. Und das war eine ganze Menge. Er suchte meine Nähe, als wäre es selbstverständlich, dass wir uns immerzu berührten. Er sagte ständig diese wunderschönen Dinge, die Luftbläschen in meinen Magen zauberten. Ich fühlte mich schwerelos, so als ob im Moment alles möglich wäre – selbst, dass es Joshua tatsächlich ernst meinte, wenn er sagte, dass er mich mochte. Sehr.

Aus den Augenwinkeln sah ich, dass er mich beobachtete. Er lächelte und biss in die Pizza, den Blick auf mich statt auf den Fernseher gerichtet.

»Hey, da vorne spielt der Film«, neckte ich ihn und versuchte, streng auszusehen.

»Den Film kenne ich schon – dich nicht«, entgegnete er und zuckte entschuldigend mit den Schultern. Allerdings schien es ihn wenig zu stören, dass ich ihn dabei ertappt hatte, wie er mich anstarrte. Er machte keine Anstalten, irgendwo anders hinzuschauen. Ich versuchte ihn zu ignorieren und sah auf den flimmernden Bildschirm.

Joshua nahm mir die leere Pizzaschachtel ab und rückte näher an mich. Ich kuschelte mich an die Lehne und gab ihm den Blick auf mein Profil frei. Er betrachtete mich eingehend und drehte einzelne Haarsträhnen zwischen seinen Fingern zu Locken. Sein Blick wanderte aufmerksam über mein Gesicht, als wollte er sich jeden Millimeter einprägen. Ich wurde das Gefühl nicht los, als suchte er etwas. Von Sekunde zu Sekunde stieg die Spannung, und ich konnte die elektrisierte Luft fast greifen. Ich reizte den Moment aus, bis es mir unmöglich war, weiter Abstand zu halten.

Erst als zum x-ten Mal die Abspannmusik lief, lösten wir uns voneinander. Ich war verwirrt. Ich war überwältigt. Von der Intensität meiner Gefühle. Und von Joshuas gefühlvoller Art.

Ich seufzte und rappelte mich auf. »Ich muss heim«, jammerte ich, als ich mich aufrappelte und die Schuhe anzog. »Sorry.« Bis vor ein paar Tagen war das Abi das Zentrum meines Lebens gewesen. Jetzt war es nebensächlich. Wie schnell sich Prioritäten änderten.

»Ich bring dich noch ein Stück«, sagte er und zog sich eine Lederjacke an. Die Aussicht, ihm noch ein paar Minuten länger nahe zu sein, ließ mich gleich wieder ein bisschen freier atmen.

Bevor ich es mir anders überlegen konnte, zog ich meine Jacke an und schob Joshua zur Tür. Eng umschlungen liefen wir zu mir nach Hause und genossen die friedliche, vollkommene Stimmung. Ab und zu küsste Joshua meinen Kopf oder vergrub seine Nase in meinen Haaren, als wollte er sich den Duft für immer einprägen. Ich schaute zu ihm hoch und lächelte. Ich war glücklich und aufgewühlt, und tief in meinem Inneren wusste ich, dass wir zueinander gehörten – auch wenn ich es noch nicht wahrhaben wollte.

Josh & Emma Gesamtausgabe

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