Читать книгу Josh & Emma Gesamtausgabe - Sina Müller - Страница 16
Kino
ОглавлениеIch trat nervös von einem Fuß auf den anderen, bis ich endlich klingelte. Die Schmetterlinge in meinem Bauch hatten sich auf dem Weg hierher auf wundersame Weise vermehrt. Und obwohl ich Handschuhe und Schal trug, zitterte ich – vor Aufregung. Gleich würde ich Joshua wiedersehen. Zum ersten Mal, seit er mir gesagt hatte, dass er mit mir zusammen sein wollte. Meine Knie waren weich wie Pudding und machten das Treppensteigen nicht gerade leichter.
Dann blickte ich in diese wunderbaren Augen, und meine Welt stand still. Joshua lehnte kess an der Tür, als ich die Treppe hochkam. Er trug eine grüne Strickjacke, die an jedem anderen ausgesehen hätte, als wäre sie aus Opas Schrank geklaut. Joshua allerdings wirkte darin, als hätte er den Star-Designern von Diesel Modell gestanden, während sie sie entwarfen. In meinem schwarzen Rollkragenpulli sah ich geradezu langweilig aus. Jeder Muskel in meinem Körper spannte sich vor Erwartung an, die letzten Treppenstufen kamen mir endlos vor. Doch als er mich endlich küsste, verflog meine Anspannung.
»Hallo, Freundin. Komm rein. Marc ist gerade noch am Fon«, flüsterte Joshua und deutete auf das Smartphone, das er nun wieder ans Ohr hielt. Er zog mich in die kuschelig warme Wohnung und strahlte mich an. Ab und zu nickte er, gab einen kurzen Kommentar ab und grinste mich an. Nachdem ich meine Jacke und Schuhe ausgezogen hatte, setzte ich mich zu ihm aufs Sofa. Er schlang seinen freien Arm um mich und zog mich an sich. Genüsslich kuschelte ich mich an ihn, legte den Kopf in die Kuhle unterhalb seiner Schulter und schloss die Augen. Sein Geruch füllte mich aus, und seine Stimme zauberte eine Gänsehaut auf meinen Rücken. Es fühlte sich fantastisch an, bei ihm zu sein. Als seine Freundin. Nach den Tagen des qualvollen Wartens fühlte ich mich nun endlich wieder wie ein Mensch. Glücklich und zufrieden.
»Na, Schule zu Ende? Legt sich der Trubel langsam?« Joshua strahlte mich an und legte sein Handy beiseite. Ich spürte seine Lippen auf der Stirn, sein Atem fing sich in meinen Haaren. Ich erschauderte. Würde das jemals vergehen? Ich hoffte nicht.
»Was meinst du?«, murmelte ich und schaute ihn fragend an.
»Ich zähle nur eins und eins zusammen. Ich durfte dich nicht von der Schule abholen. Was entweder bedeutet, dass du mich nicht sehen willst. Oder dass du nicht mit mir gesehen werden willst. Gegen mich selbst scheinst du nichts zu haben, sonst wärst du nicht hier.« Er legte seinen Kopf schief und zog vielsagend die Augenbrauen hoch. Er benahm sich, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt, dass ich bei ihm war, auf seiner Couch saß und mich an ihn kuschelte.
»Ach, die beruhigen sich wieder«, murmelte ich. »Irgendwann.«
»Kommst du klar?«, fragte Joshua besorgt. Er zeichnete Kreise auf meinen Bauch, und aus den Schmetterlingen wurden wilde Hummeln, die in meiner Magengegend tobten.
»Die vielen neuen Freunde, die ich ganz plötzlich habe, werden mir bestimmt über die Kommentare der anderen hinweghelfen.« Ich lächelte tapfer. Joshua schaute mich eindringlich an.
»Kann ich irgendwas tun?« Sein Atem kitzelte, und ich zog automatisch die Schultern hoch.
»Ja, du könntest dich das nächste Mal verkleiden, wenn du mich irgendwo abholst ...«, schlug ich vor.
»Ich könnt als Justin Timberlake gehen. Oder als Lady Gaga.«
Ich lachte auf. »Eigentlich hatte ich eher an einen Schnauzbart und Sonnenbrille gedacht.« Dunkle Ringe zeichneten sich unter Joshuas Augen ab. Ich berührte sie zaghaft mit meinen Fingerspitzen. »Du siehst müde aus.«
Joshua lächelte sanft. »Und du siehst hungrig aus. Los, komm. Lass uns was essen. Ich habe einen Salat gemacht.« Bevor ich protestieren konnte, zog mich Joshua in die Küche. Mein Magen knurrte beim Gedanken an Essen. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal etwas gegessen hatte, von einer Brezel oder ein paar Süßigkeiten abgesehen.
Joshua schlug vor, ins Kino zu gehen. Mir war alles recht, solange ich bei ihm sein konnte. Als wir durch die Straßen schlenderten, setzten wir unser Spiel vom ersten Abend fort. Wir linsten in die Wohnzimmer der herrschaftlichen Villen und erfanden Geschichten über die Menschen, Geister und anderen Wesen, die darin wohnten. Wir alberten rum und lachten, bis wir die eisige Kälte vergaßen, die Freiburg noch immer fest im Griff hatte, sobald die Sonne untergegangen war.
Im Kino angekommen, entschieden wir uns für eine deutsche Romantik-Komödie. Ein bisschen Liebe, gewürzt mit einem Schuss Humor war genau das Richtige. Hand in Hand stellten wir uns in einer der Schlangen an. Ich war überrascht, wie viele Leute montags ins Kino gingen.
Gedankenversunken lehnte ich den Kopf an Joshuas Schulter und schaute mir die Kinoplakate an. Es liefen die üblichen Blockbuster mit wenig Inhalt und viel Rumgeballere. Ich war froh, dass mich Joshua nicht in so einen Film schleppte.
Plötzlich hörte ich ein Räuspern hinter uns und sah, wie eine fremde Hand auf Joshuas Schulter klopfte.
»Äh, sorry. Du bist doch Josh Meyer, oder?«, fragte ein etwa sechzehnjähriges, braunhaariges Mädchen, das mit zwei Freundinnen hinter uns stand. Die drei schmachteten Joshua an, als hätten sie noch nie ein männliches Wesen gesehen. Ich blickte zu Joshua. Kannte er sie?
»Ja«, sagte Joshua gut gelaunt und lächelte die langbeinige Schönheit freundlich an. Die Mädchen brachen in ein kurzes, peinliches Gekreische aus. Als die Wortführerin wieder sprechen konnte, setzte sie ihr wahrscheinlich süßestes Lächeln auf. Sie lief rot an und fragte mit einem hollywoodreifen Augenaufschlag: »Cool. Gibst du uns ein Autogramm?« Ohne auf Joshuas Antwort zu warten, kramten sie schon in ihren Taschen und hielten ihm Zettel und Stifte hin. Langsam zog das Schauspiel die neugierigen Blicke der Umstehenden an. Merkten sie denn nicht, wie peinlich sie waren? Ich konnte mir ein spöttisches Grinsen nicht verkneifen.
»Ja, klar. Wie heißt ihr denn?«, fragte Joshua. Ich musste keine Hellseherin sein: die drei waren der Ohnmacht nahe.
»Ich bin Nadine, und das sind Lena und Anne.« Wieder hatte ihre Anführerin das Wort ergriffen. Die beiden anderen standen aufgeregt lächelnd daneben und hatten nur Augen für Joshua. Er kritzelte Nadines und seinen Namen auf das Papier.
»Mann, das ist echt krass, dass wir dich hier treffen. Davon hab ich immer geträumt. Number One ist mein absoluter Lieblingssong«, plapperte Nadine ungefragt. Dabei schmachtete sie Joshua an, als erwartete sie, dass er ihr gleich um den Hals fiel. Joshua bedachte sie mit einem Lächeln und überreichte ihr das Autogramm. Ihr Blick wanderte zu mir. Er traf mich wie ein Pfeil, und ich wich unwillkürlich ein paar Zentimeter zurück. Sie musterte mich eindringlich und suchte, was ich hatte und sie nicht bieten konnte. Ich ignorierte ihren frostigen Blick und lächelte gelassen.
»Cool, das höre ich natürlich gerne. Und eurer?«, fragte Joshua an die beiden anderen gewandt.
»Ich finde Anything’s wrong den totalen Hammer. Und Number One«, sagte Lena sichtlich aufgeregt und lief knallrot an.
»Ja, und No Lovesong'. Aber die ganze Platte ist ein Hit. Ich höre sie rauf und runter«, traute sich Anne und lächelte Joshua mit rotglühenden Wangen an.
»Dann müsst ihr unbedingt mal auf ein Konzert von uns kommen. Wir haben eine unplugged Version von No Lovesong auf unserer Setlist. Die wird euch sicher auch gefallen.« Ich schaute gespannt zwischen den Mädels hin und her.
»Wann spielt ihr denn mal wieder in Freiburg?«, säuselte Nadine. Joshua gab das Autogramm an Lena und schenkte auch ihr ein Lächeln.
»Boah, da bin ich überfragt. Ich hab’s nicht so mit Terminen. Aber das steht sicher auf unserer Homepage. Wirf doch mal einen Blick drauf«, schlug Joshua geduldig vor.
»Ne, da steht nichts. Und auch nicht auf Facebook oder Insta. Ich könnte dich ja mal anmailen, dann kannst du mir vielleicht die Daten schicken, wenn du mir deine Adresse gibst …«, versuchte Nadine ihr Glück. Joshua zwinkerte gerade Anne an, als er ihr Exemplar unterschrieben hatte. Ich schob meine Hand in seine und grinste Nadine schadenfroh an. Sie fixierte unsere verschränkten Hände und warf mir einen weiteren zickigen Blick zu.
»Am besten, du kontaktierst uns über die Homepage. Oder auch über Facebook. Dann schicken wir dir die Infos zu, okay?« Joshua erstickte jeden Widerspruch mit einem umwerfenden Lächeln. »Also dann, viel Spaß im Kino.«
An der Kasse legte Joshua einen Arm um mich und bestellte die Kinokarten. Unzählige Augenpaare bohrten sich in unsere Rücken und verfolgten uns. Ich schrumpfte innerlich und hoffentlich auch äußerlich auf Erbsengröße und hoffte, neben Joshua einfach unterzugehen.
»Kommt das oft vor?«, fragte ich, als wir mit Popcorn und Cola beladen im Kino saßen. Der Zuschauerzahl nach hatten wir wohl den falschen Film gewählt. Außer uns hatten nur fünf andere auf deutsche Romantik gesetzt. Mir war es recht. So hielt sich die Anzahl der Gaffer in Grenzen.
»Was meinst du?« Für Joshua schien es völlig normal zu sein, im Mittelpunkt zu stehen.
»Oh, nein. Bist du es? Bist du es wirklich und wahrhaftig? Ein Halbgott? Stark, wie aufregend! Kannst du uns für unseren Josh-Meyer-Gedächtnis-Schrein ein Autogramm geben? Und deine E-Mailadresse? Telefonnummer? Kontonummer? Und vielleicht noch deine Unterwäsche?«, säuselte ich affektiert und klimperte mit den Wimpern. Joshua verschluckte sich an der Cola und lachte. Er zwinkerte mich an, als er seinen Mund abwischte.
»Normalerweise fallen sie gleich auf die Knie oder wenigstens in Ohnmacht.« Er zog mich zu sich und nahm mich spielerisch in den Schwitzkasten. Als ich einem Lachkrampf nahe war, ließ mich Joshua los und kauerte sich wieder in seinen Sitz. »Spaß beiseite. Im Moment läuft es ganz gut für uns. Mit Untitled haben wir Platin geholt, und wir haben die dritte Single in den Charts. Dann neulich der Echo ... Da ist das Interesse recht hoch, und hier in Freiburg weiß ja jeder, dass man einem von uns über den Weg laufen kann.«
Ich zog eine Augenbraue hoch.
»Na ja, okay. Ausnahmen bestätigen die Regel«, entgegnete Joshua mit einem sanften Grinsen auf den Lippen und wuschelte mir durch die Haare, wie ich es sonst immer bei Felix tat, um ihn zu ärgern. Ich genoss das Kribbeln in meinem Magen. Dennoch fand ich die Szene im Foyer etwas befremdlich. Ich konnte nicht verstehen, was an einem Autogramm so toll sein sollte. Was tat man damit? Hängte man es sich übers Bett? Und dann?
»Kannst du nachts eigentlich noch schlafen, wenn du ständig hörst, wie toll du bist?«, foppte ich ihn weiter. Ich nahm den Strohhalm in den Mund und beobachtete seine Reaktion.
»Du findest mich toll?« Wie frech sein Grinsen war.
»Das hab ich nicht gesagt!«, wies ich ihn zurecht. »Aber kriegst du keinen Höhenflug?« Ich an seiner Stelle würde durchdrehen.
»Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass du dich über mich lustig machst.« Joshua kniff die Augen zusammen und versuchte, sauer auszusehen. Ohne Erfolg.
»Ne, das machst du ja schon selbst.« Ich kicherte.
»Siehst du, ein Rezept gegen Höhenflug«, sagte Joshua nun ernst. »Ansonsten haben mich meine Selbstzweifel ganz gut im Griff. Und wenn das nicht hilft, steht Marc parat und wäscht mir den Kopf. Du siehst: ich bin mehrfach abgesichert.« Joshua grinste schief. Aber ich spürte, dass ihn das mehr beschäftigte, als er zugeben wollte.
Der Film unterbrach unsere Unterhaltung. Ich kuschelte mich enger an Joshua, gab aber nach fünf Minuten mein Vorhaben auf, dem Film folgen zu wollen, und als der Film zu Ende war, trödelte ich extra lange, damit Joshua nicht noch einmal angequatscht wurde.
»Wir könnten noch auf eine Party, wenn du Lust hast. Marc und Lisa sind auch da«, schlug Joshua vor, als wir aus dem Kino schlenderten. Die kühle Luft war nach dem muffigen Kino angenehm. Ich atmete tief ein und seufzte.
»Es ist Montag. Ich habe morgen Schule«, gab ich zu bedenken. Außerdem wäre ich lieber noch ein bisschen mit ihm allein, bevor er wieder wegmusste.
»Sorry, hab ich vergessen. Bei mir ist am Montag Wochenende«, entschuldigte sich Joshua sichtlich zerknirscht. »Soll ich noch mit zu dir?« Ich schluckte. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als noch ein paar Stunden mit Joshua zusammen sein zu können. Es würde eine gefühlte Ewigkeit dauern, bis er wiederkam.
»Geht nicht. Meine Mom kriegt jetzt schon einen Koller, weil ich mit dir unterwegs bin.« Ich verdrehte theatralisch die Augen. Nach langem Hin und Her hatte ich meiner Mom erzählt, dass ich zu Joshua ging. Ich hätte ihr auch eine Lüge auftischen können. Zum Dank hatte sie einen Streit vom Zaun gebrochen und mit Hausarrest gedroht.
»Im Ernst? Sie kennt mich doch gar nicht«, entgegnete Joshua verständnislos.
»Sie weiß, dass du Musiker bist. Das reicht schon. Außerdem bist du nicht Kevin – dein zweiter Fehler«, klärte ich ihn auf.
»Oh. Okay. Soll ich mal mit ihr reden? Vielleicht, wenn sie mich kennenlernt. Ich kann ganz gut mit Müttern«, schlug Joshua vor.
»Das glaub ich gerne«, lachte ich. »Aber lass mal, ein anderes Mal vielleicht. Ich will ja nicht, dass du gleich die Flucht ergreifst.« Ich lächelte ihn traurig an. Mir blieben nur die paar Minuten, die wir zu mir nach Hause brauchten. Und die wollte ich in vollen Zügen auskosten, ohne an das Donnerwetter zu denken, das mich gleich erwarten würde.