Читать книгу Josh & Emma Gesamtausgabe - Sina Müller - Страница 15
Lasst mich doch alle in Ruhe
ОглавлениеSamstag. Verschlafen schaute ich auf den Wecker. Schon halb elf? Für das übliche Familienfrühstück war es zu spät. Meine Mutter war bestimmt sauer. Ihr war es wichtig, dass wir samstags gemeinsam frühstückten. Es war eines unserer wenigen Familienrituale. Als ich noch mit Kevin zusammen war, frühstückten wir oft zu fünft. Meine Mutter vermisste ihn wahrscheinlich immer noch.
Ich quälte mich aus dem Bett und stolperte noch leicht benommen die Treppe runter.
»Morgen«, murmelte ich, als ich in die Küche schlurfte und mir einen Kaffee einschenkte. Viereinhalb Stunden Schlaf waren dann doch zu wenig, und ich wartete sehnsüchtig auf den Hallo-Wach-Effekt des Koffeins. Meine Mutter wuselte ein bisschen zu geschäftig in der Küche umher – sie schien Kuchen zu backen. Von meinem Vater und Felix fehlte jede Spur. Wahrscheinlich waren sie auf dem Fußballplatz oder zogen ein anderes Männerding durch.
»Guten Morgen, mein Schatz«, sagte sie ein bisschen zu gut gelaunt und küsste mich hektisch auf den Kopf. Sie stand schon wieder unter Strom. Wie anstrengend.
»Du hast lange geschlafen. Ich habe gestern noch ein Auto gehört. Hattest du noch Besuch?« Ihre Neugier konnte sie trotz des geschäftigen Treibens nicht überspielen. Ich verzog gequält das Gesicht. Sie bekam aber auch alles mit. Vielleicht hätte sie besser Detektivin oder Polizistin werden sollen.
»Ja«, sagte ich zögernd und gähnte übertrieben.
»War Kevin noch da?« Sie gab sich alle Mühe, es so beiläufig wie möglich klingen zu lassen. Aber wahrscheinlich freute sie sich schon den ganzen Morgen darüber, dass Kevin und ich uns wieder nähergekommen sein könnten. Das würde zumindest ihre gute Laune erklären. Ich seufzte. Vielleicht sollte ich ihr von Joshua erzählen, bevor sie sich in etwas reinsteigerte. Ich nahm einen Schluck aus meiner Kaffeetasse und genoss die Wärme, die sich in meinem Bauch ausbreitete.
»Nein, es war nicht Kevin. Es war Joshua.« Auch ohne in die Richtung meiner Mutter zu schauen, spürte ich, wie sie innehielt.
»Du hast einen neuen Freund?«, fragte sie, als sie sich wieder gefangen hatte. Sie bemühte sich um einen lockeren Ton, der Schock saß aber zu tief, um ihn zu überspielen.
»Na ja, ich würde eher sagen, ›ein Freund‹, nicht ›mein Freund‹. Das ist nichts Festes oder so.« Zumindest noch nicht, fügte ich in Gedanken dazu, und meine Mundwinkel hoben sich bei dem Gedanken.
»Aha, und was macht dieser Johann so? Macht er auch gerade Abi?«
»Joshua. Mom, er heißt Joshua. Und nein, er geht nicht mehr zur Schule.« Leiser setzte ich nach: »Er ist Musiker.«
»Musiker?« Ich konnte förmlich die Bilder sehen, die in ihrem Kopf auftauchten. Verruchte Typen mit Bierflasche in der Hand, Kippe im Mund und keine Spur Anstand. Dafür aber jede Menge Drogen, Sex und andere Dinge, die meine Mutter verabscheute. Mit Sicherheit war das nicht der Einfluss, den sie sich für ihre Tochter wünschte. Wahrscheinlich sah sie mich schon mit Tattoos und Nasen-Piercing vor sich stehen. Ein amüsiertes Kichern schlüpfte aus meinem Mund, und meine Mutter drehte sich zu mir um. Ihr Blick ließ mich augenblicklich verstummen.
»Ich finde das nicht lustig. Ich will nicht, dass du mit so Typen rumhängst. Und schon gar nicht zu der Uhrzeit.« Das nette Geplauder wurde langsam ungemütlich, und ich bereute es, meine Worte nicht sorgfältiger gewählt zu haben. Aber was hätte ich sagen sollen? Joshua ist ein Popstar? Hätte es das besser gemacht?
»Mom, komm schon. Joshua ist nicht so. Du wirst ihn mögen. Er ist echt toll.« Und sieht so unverschämt gut aus, und wenn er mich küsst, schaltet sich wie auf Kommando mein Gehirn aus. Das verschwieg ich dann lieber.
»Emma-Schatz. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was mich mehr schockiert. Dass du mit so Typen rumhängst oder dass es ... wie hast du gesagt? ›Nichts Festes oder so‹ ist. Muss das denn sein? Ein Musiker, und dann jetzt! Dein Timing war auch schon einmal besser. Du hast doch erst mit Kevin Schluss gemacht, um dich auf dein Abi zu konzentrieren. Und dann München? Ich lasse nicht zu, dass so ein heruntergekommener Kerl deine Zukunft ruiniert«, sagte sie zuckersüß, aber bestimmt. Geschäftig kippte sie das Mehl, das sie zuvor abgewogen hatte, in die Rührschüssel und schlug ein bisschen zu energisch am Rand die Eier auf.
»Oh, wow. Wir haben wohl gar keine Vorurteile, was? Aber kannst du mir verdammt nochmal erklären, was Joshua mit München zu tun hat? Habe ich etwa schon ein einziges Mal in meinem Leben einen Plan einfach so über den Haufen geworfen? Du solltest mich wirklich besser kennen. Komme, was wolle. Ich werde nach München gehen, ist das klar? Und nur falls es dich interessiert: Das Abi hat nicht das Geringste damit zu tun, dass ich mit Kevin Schluss gemacht habe. Ich habe ihn nicht mehr geliebt, und wahrscheinlich habe ich ihn nie geliebt. Aber was verstehe ich schon von Liebe? Ich bin ja nur so ein blöder Teenager, der keine Ahnung hat und eh nur alles falsch macht.« Ich schnappte mir ein Brötchen und trat den Rückzug an. Den Morgen hatte ich mir auch anders vorgestellt.
Lautstark ließ ich meine Tür ins Schloss krachen und drehte die Anlage auf. Jack Johnson klimperte auf seiner Gitarre und versuchte, gute Laune zu verbreiten. Erfolglos. Zum Glück dröhnte nicht ›Amblish‹ aus dem Lautsprecher. Bebend vor Wut schmiss ich mich aufs Bett. Wie schaffte sie es nur immer wieder, mich innerhalb weniger Sekunden zur Weißglut zu treiben?
***
Die Arme ineinander eingehakt standen wir in der Schlange zum Larry P. Liv hatte nicht lange gebraucht, um mich zu überreden. Nachdem ich den ganzen Tag gelernt – und immer wieder von Joshua geträumt – hatte, stand mir der Sinn nach Bewegung. Gut, tanzen war nicht gerade meine Leidenschaft, aber ich freute mich auf einen Abend mit Liv.
Dass sich Kevin hier auch den Samstagabend vertreiben würde, hatte ich natürlich nicht geahnt.
Er lungerte mit einer Bierflasche in der Hand an der Theke herum und verbreitete miese Laune. Ohne ihn zu beachten, drängte ich mich an ihm vorbei.
Die Luft war heute ungewöhnlich schlecht. Dank des Rauchverbotes mischte sich kalter Schweiß mit dem Geruch billigen Deodorants. Manchmal wusste ich nicht, ob der ganze Qualm, den sie nun vor den Eingang verlagert hatten, für etwas gut wäre.
Liv hatte uns Plätze auf einem braunen Cordsofa gesichert, das seine beste Zeit definitiv hinter sich hatte. Ein Southern-O und ein paar scheußliche Technobeats (die Musik war heute echt übel) später verkrümelte sich Liv auf die Tanzfläche. Da ich zu Techno einfach überhaupt nicht tanzen konnte (und mochte), war ich nun für die lauernde Meute freigegeben.
Lisa, Mara, Katie, Lou und Chrissie ließen nicht lange auf sich warten und scharrten sich um mich, als hätte ich einen goldenen Umhang um. Ihre Augen leuchteten, und alle starrten mich gespannt an – außer Mara, die mich verächtlich musterte und unbeeindruckt an ihrem Sektglas nippte. Nervös vergrub ich die Finger in den Hosentaschen und zog die Beine an, denn es war zu offensichtlich, was da kommen würde. Ich lächelte trotzdem.
»Was?«, fragte ich und versuchte meine Mundwinkel weiter zu einem Lächeln zu animieren. Immer schön freundlich bleiben.
»Oh, komm schon, Emma, sag, wie ist er? Wie küsst er? Was trägt er für Unterwäsche? Und wo hast du ihn überhaupt kennengelernt? Du musst uns alles erzählen. Das ist ja so aufregend! Ich wette, er ist einfach der Hammer, oder?« Katie hatte ihre Hand vertraulich auf meinen Arm gelegt. Dabei hatte sie die letzten zwei Jahre kaum ein Wort mit mir gewechselt. Plötzlich tat sie, als wären wir die besten Freundinnen. Sie drehte ihre straßenköterblonden, schulterlangen Haare zwischen ihren Fingern zu Locken. Lisa lächelte mich schüchtern an und reichte mir ein volles Sektglas. Sie rutschte nervös auf dem schmuddeligen Sofa hin und her und fühlte sich sichtlich unwohl. Ich konnte es ihr nicht verübeln. Mir ging es langsam, aber sicher genauso.
»Ähm, ich ..., ähm.« Ich blickte mich hilfesuchend nach Liv um, sah aber nur Kevin in der Nähe, der mich noch immer herablassend musterte und den Kopf abwandte, als sich unsere Blicke trafen. Er würde mir sicher nicht zur Hilfe eilen. Ich nippte an dem abgestandenen Sekt, um Zeit zu gewinnen. Liv tanzte und flirtete ungeniert mit ein paar gut gebauten Jungs, die ein bisschen zu alt für unseren Lieblings-Club waren. Wo war eigentlich Lukas heute Abend?
»Jetzt mach doch kein Staatsgeheimnis draus. Habt ihr schon ...?«, drängelte Chrissie. Sie hatte ihren Sessel so nahe an das Sofa gerückt, dass ich noch nicht einmal die Beine auf den Boden stellen konnte. Sie lehnte sich vor und gab einen atemberaubenden Blick auf ihren Ausschnitt frei. Ich wand mich wie eine Sardine in der Dose. Sicher war ich schon knallrot angelaufen. Zum Glück war das Licht so schummrig.
»Ach, Emma ist doch viel zu prüde für den. Der würde doch nicht mit so einer. Dafür ist der viel zu angesagt. Und schließlich kann er ja jede haben. Sicher gibt es eine andere Erklärung, warum er sich mit Emma getroffen hat. Vielleicht muss er ja Sozialpunkte sammeln oder Emma hat bei einem Preisausschreiben ein Date gewonnen. Oder ich hab’s: sicher kennen sich ihre Eltern, und Emmas Mom hat gebettelt, dass Josh was für ihr Image tut.« Mara sprach, als wäre ich nicht anwesend. In der Grundschule waren wir beste Freundinnen gewesen. Das war definitiv lange her. Das dumpfe Wummern der Musik vermischte sich mit der Wut, die sich in meinem Bauch breitmachte.
»Der ist doch eh schwul«, mischte sich Hendrik über die Schulter hinweg ein. Er musste das Verhör belauscht haben. Warum kam mir Liv nicht zur Hilfe?
»Wenn du ihn eh nicht ranlässt. Vielleicht kannst du ihn mir mal vorstellen. Der könnt von mir alles haben«, hauchte Lou mit einem verträumten Blick, und die anderen nickten zustimmend – außer Mara, die verdrehte die Augen.
»Ihr habt sie doch nicht mehr alle! Kümmert euch doch um euren eigenen Kram.« Ich zwängte mich an Chrissies Sessel vorbei, schnappte meine Sachen und stürmte nach draußen. Frische Luft schlug mir entgegen, und der eisige Wind trieb Tränen in meine Augen. Selbst wenn Liv wütend werden würde: Da brachten mich keine zehn Pferde mehr rein.
Ich schaute auf die Uhr. Halb zwölf. Konnte ich bei Joshua noch anrufen? Nach dem Konzert war er sicher noch aufgekratzt. Ich setzte mich auf die Treppenstufen vor der Volksbank und kramte mein Handy raus. Mit zitternden Fingern suchte ich Joshuas Nummer und spürte, wie die Schmetterlinge in meinem Bauch erwachten. Ich atmete tief ein. Eiskalte Luft strömte in meine Lungen und löste einen Hustenreiz aus. Zum Glück ging Joshua nicht gleich beim ersten Klingeln ran.
Als er nach einer halben Ewigkeit abnahm, war er nur undeutlich zu verstehen. Seine Stimme verschmolz mit dem lauten Wummern und Gelächter im Hintergrund. Er schien in einem Club oder einer Bar zu sein.
»Hey, ich dachte, ich melde mich mal«, sagte ich, bemüht, gut gelaunt zu klingen.
»Hallo? Hallo ... wer ist dran? Nein. Mia. Stopp! Gib das her! Hey! ... Hallo?« Joshua lachte und war offensichtlich nicht bei der Sache. Mein Herz klopfte wie wild, aber sicher nicht, weil ich endlich Joshuas Stimme hörte.
»Ich bin’s. Emma«, sagte ich nüchtern. »Aber, ich höre schon. Du bist beschäftigt. Wir können ja einfach irgendwann anders telefonieren.« Ich schloss die Augen und nahm all meine Kraft zusammen, um nicht in Tränen auszubrechen.
»Ja ... ja, okay. Mia! Jetzt gib mir meinen Schlüssel wieder!« Ich legte auf, bevor mein Herz zerbröseln konnte. Nach dem gestrigen Abend war ich mir so sicher gewesen, dass er mich mochte. Und nun das! Ich schlang die Arme um meine Knie, versuchte angestrengt, nicht auseinanderzubrechen. Mistkerl. Wie konnte er mir das antun? Mein Handy klingelte. Joshua. Unschlüssig starrte ich auf das Display. Sollte ich rangehen? Nach dem fünften Klingeln nahm ich mechanisch ab. Obwohl eine unbändige Kraft in mir wütete, zwang ich mich dazu, möglichst fröhlich und normal zu klingen.
»Sorry, das war grad«, fing Joshua in seiner zuckersüßen Stimme an, die mir bis vor wenigen Minuten die Besinnung geraubt hätte. Der Lärm im Hintergrund war verschwunden.
»Du brauchst dich nicht zu rechtfertigen«, unterbrach ich ihn ruhig. »Ist doch okay. Du kannst ja tun und lassen, was du willst.« Es sollte beiläufig klingen.
»Tu ich das? Irgendwie sehe ich das anders.« Seine Stimme wurde ernster und verlor den weichen Klang.
»Echt? Wieso? Weil wir uns ein paar Mal getroffen haben? Das heißt ja noch nicht –«
»Siehst du, genau das hab ich gestern gemeint. Du machst einen auf unverbindlich und locker, und in Wahrheit bist du aber tierisch eifersüchtig, wenn ich mit anderen weggehe«, sagte Joshua mit einem amüsierten Unterton, der mich aus einem unerklärlichen Grund an die Decke brachte. Vielleicht, weil er voll ins Schwarze traf?
»Ja, klar. Jetzt kommst du auf die Tour. Weißt du was? Langsam geht es mir echt auf den Sender, dass du mir ständig sagst, was ich fühle. Und ich weiß jetzt im Übrigen auch, wo uns das Ganze hinführen wird: nämlich in eine Sackgasse.« Ich sprang auf und drückte den roten Hörer. Männer. Joshua war auch nicht besser als die anderen. Im Gegenteil. Erst machte er mir weis, dass er mich mochte. Und dann vergnügte er sich hinter meinem Rücken. Ja, ich mochte ihn. Aber im Moment war ich einfach sauer.
Mein Handy klingelte. Was wollte er denn noch? Sollte er doch zu seiner Pia, Mira oder Mia gehen und bei ihr Süßholz raspeln. Ich drückte ihn weg und trat den Rückzug an. Vielleicht würde der Schlaf gnädig sein und mich bald von diesem Gedankenkarussell erlösen. Wieder klingelte es. Automatisch wies ich ihn ab. Aber kaum hatte ich das Handy wieder in die Jackentasche gesteckt, rief er erneut an.
»Was?«, blaffte ich in den Hörer.
»Ich liebe dich«, sagte eine sanfte Stimme.
Ich blieb stehen. Mein Gehirn war leer.
»Oh ... äh ... wow. Mächtig starke Worte, findest du nicht? Wie oft haben wir uns gesehen? Zweimal? Dreimal? Machst du das immer so? ›Hallo, mein Name ist Josh Meyer, ich bin Popstar und übrigens: ich liebe dich‹« Verdammt, warum konnte ich ihm nicht einfach sagen, dass ich ihn auch verdammt gerne hatte? Dass es mich verletzte, wenn er mit anderen flirtete. Dass ich einfach nicht klar denken konnte, weil mich all diese Hormone ganz kirre machten. Warum versuchte ich noch immer, einen auf cool zu machen, wenn ich mich doch schon längst mit Haut und Haaren in ihn verliebt hatte?
»Stopp, Emma. Stopp! Jetzt schalt mal einen Gang runter. Ich habe dir gerade gesagt, dass ich dich liebe, und du putzt mich nur runter. Ich weiß, du glaubst, ich sage das andauernd. Aber das stimmt nicht. Es ist nur ... Verdammt. Weißt du eigentlich, wie es mir gerade geht? Ich stehe auf der Bühne wie ein Volldepp und vergesse den Text von meinen Songs. Verstehst du? Ich habe die selbst geschrieben! Die Jungs denken inzwischen, ich bin total durchgeknallt. Geschlafen habe ich seit Tagen nicht mehr, geschweige denn gegessen. Und egal, was ich mache, ich kann immer nur an dich denken. Mensch, Emma, ich will mit dir zusammen sein. Verstehst du? So richtig.«
Ich schloss die Augen und lehnte mich an eine Hauswand. »Es ... es tut mir leid. Aber ... ach, es ist halt nicht so einfach«, sagte ich leise. Das ging mir alles zu schnell. Gerade noch hatte er sich mit einer anderen amüsiert. Nun sagte er mir, dass er mich liebte. Ich dachte an meine Mom. An Kevins hasserfüllten Blick. An Chrissie, Mara, Lou und ihre blöden Sprüche. An die letzten Tage und all die Gefühle, die über mich hereingebrochen waren. Sehnsucht, Eifersucht, Neid. Freude, Liebe, Hass.
»Wieso denn nicht? Ich dachte, zwischen dir und Kevin läuft nichts mehr, oder?«, fragte Joshua, nun nicht mehr so sicher.
»Ja, äh ... nein. Mit Kevin hat das nichts zu tun«, murmelte ich. Joshua seufzte.
»Und du magst mich doch auch, oder?« Er klang sanft. Ich wünschte, ich könnte seine unergründlichen Augen sehen.
»Es ist ... ich weiß nicht, ob ich das kann. Müssen ... müssen wir das am Telefon besprechen?«, fragte ich gequält. Ich dachte an das Klettercamp. An München. Und alles schien so weit weg.
»Emma. In der Liebe muss man manchmal ein Risiko eingehen.« Joshua schien überzeugt von der Sache und war nicht bereit, aufzugeben.
»Ja, vielleicht. Aber das Risiko ist ganz schön hoch, findest du nicht?« Ich seufzte. Ich mochte Joshua sehr. Ich glaubte ihm, wenn er sagte, dass er mich liebte. Aber da war auch diese Angst in mir, verletzt zu werden. Er war so verdammt viel unterwegs und lernte all diese schönen, schillernden Menschen kennen. Was, wenn er jemand anderen kennenlernte? Was, wenn ich ihm bald zu langweilig wurde? Ich wollte mit ihm zusammen sein. Mehr als alles andere. Ja. Aber meine Angst ließ mich zögern.
»Eigentlich nicht. Aus meiner Sicht geht dein Risiko stark gegen Null.«
»Wenn du es sagst. Aber warum sollte ich dir das glauben?« Ich schlenderte weiter. Langsam kroch die Kälte durch meine Jacke, und ich sehnte mich nach meinem Bett. Auf einmal war ich unglaublich müde.
»Vertrauen, mein Engel. Vertrauen ist das Zauberwort.«
»Vertrauen bekommt man aber nicht geschenkt«, flüsterte ich, doch wenn man genau hinhörte, konnte man sicher mein Lächeln erahnen, das sich auf meinem Gesicht breitgemacht hatte.
»Und wie gewinne ich das Vertrauen der Emma Stern?« Seine Stimme hatte wieder diese rauchig-weiche Note, die sie so unverwechselbar machte.
»Das musst du schon selbst rausfinden«, hauchte ich. Mein Atem stieg in den Himmel und vermischte sich mit der Nacht.
»Wenn du mir dazu eine Chance gibst, werde ich mein Bestes geben.«
»Versprich nichts, was du nicht halten kannst.« Der Schlagabtausch machte langsam Spaß.
»Keine Sorge«, entgegnete Joshua selbstbewusst.
»Du musst auch immer das letzte Wort haben, oder?«
»Stimmt«, seufzte Joshua gequält.
»Muss ganz schön hart sein«, foppte ich ihn.
»Und wie. Aber das weißt du ja selbst am besten.«
»Da hast du recht.« Ich spürte, wie sich die graue Wolke über meinem Herzen inzwischen aufgelöst hatte. Der Grund, warum ich gerade noch den Tränen nahe gewesen war, schien weit weg zu sein. War er im Grunde ja auch, denn Mia saß hunderte Kilometer weit entfernt in einer blöden Kneipe. Oder einem Club.
»Dann werden wir also die ganze Nacht am Telefon hängen ...«
»Mag sein.« Das wäre nicht die schlechteste Wahl.
»Ich hab nichts anderes vor.«
»Musst du nicht wieder zu Pia, Mia ...«, stichelte ich.
»Mia. Nein, die ist versorgt. Sie ist mit Tom da«, sagte Joshua wieder ernst.
»Das wollte ich gar nicht wissen.« Ich schaute zu Boden. Irgendwie war es mir jetzt peinlich, dass ich vorhin so ausgerastet war.
»Wolltest du doch«, neckte Joshua.
»Ja, wollte ich doch«, gab ich zu. Und ich schämte mich, dass noch immer ein klitzekleiner Funken Argwohn in mir wohnte. Er liebte mich. Das sollte mir doch genügen, oder?
»Wusste ich’s doch.« Ein leises Jubeln lag in Joshuas Stimme.
»Also, gute Nacht«, versuchte ich das Telefonat zu beenden. Ich war fast zu Hause angekommen und wollte meiner Mom nicht in die Arme laufen, während ich mit Joshua sprach.
»Nein, leg nicht auf«, jammerte Joshua.
»Doch, das tue ich«, sagte ich bestimmt, konnte mir aber ein Lachen nicht verkneifen.
»Aber wir telefonieren morgen, ja?«, bettelte er.
»Mal sehen.« Ich genoss es, ihn zappeln zu lassen.
»Ich rufe gleich ganz früh an.«
»Ich warne dich. Morgen ist Sonntag. Nicht jeder schläft so wenig wie du. Und jetzt: Gute Nacht!« Doch ich zögerte und hoffte, dass Joshua noch etwas sagte.
»Emma?«, fragte er sanft.
»Ja?«
»Ist zwischen uns wieder alles gut?« Seine Stimme klang traurig. Einsam. Ich schluckte.
»Ja, du Plaudertasche. Ich kriege dich ja doch nicht los«, neckte ich ihn und versuchte, ihn aufzumuntern.
»Nein, kriegst du nicht.« Wie gerne wäre ich jetzt bei ihm, wie gerne würde ich seine Lippen küssen. Ich vermisste ihn so sehr.
»Das ist schön. Ich leg jetzt aber wirklich auf. Schlaf gut, Joshua!«, flüsterte ich und spürte bereits die Leere, die sich gleich in mir ausbreiten würde. Ich stand vor der großen Hecke bei unserer Einfahrt. Die Sterne funkelten und schienen so weit weg wie Joshua zu sein. Unendlich.