Читать книгу Leiser Schrei - Slafa Kafi - Страница 10

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109.09.2010

Heute ist der letzte Ramadantag und ich darf endlich fasten. Für die meisten Kinder ist das erste Mal Fasten eine besondere Erfahrung, auf die sie lange warten müssen. Ich bin sieben Jahre alt, also schon alt genug, um diese Erfahrung machen zu dürfen - finde ich zumindest.

Meine Eltern dagegen sind der Meinung, dass ich noch zu jung bin und es hat sehr lange gedauert, bis ich sie überredet hatte, wenigstens am letzten Ramadantag mit zu fasten. Natürlich musste ich ihnen einiges versprechen. Ich bin nun seit ungefähr zwei Stunden wach und bis zum Fastenbrechen sind es noch knappe acht Stunden.

Die vergangenen zwei Stunden habe ich damit verbracht, meine Spielzeuge, mit denen Yail und ich bis spät in die Nacht gespielt haben, wieder schön ordentlich aufzuräumen. Jetzt sieht mein Zimmer wieder normal aus. Mein Bett ist gemacht, auf meinem Schreibtisch befinden sich keine Spielsachen mehr und auch im Schrank ist alles ordentlicher.

Yail ist übrigens mein bester Freund, eigentlich eher mein Bruder, denn wir kennen uns schon seit unserer Geburt und haben seitdem alle schönen Erlebnisse miteinander geteilt.

Das Praktische ist, dass seine Familie in der Wohnung direkt neben uns wohnt, was es einfacher macht, so viel Zeit miteinander zu verbringen. Vielleicht erzähle ich später mehr über Yail, denn wir haben auch ein kleines Geheimnis, das nur die Wenigsten kennen.

Irgendwie habe ich mich doch noch nicht ganz an das Fasten gewöhnt, denn ich wollte gerade sagen, dass ich jetzt frühstücken gehe, und das, obwohl ich gar keinen Hunger spüre. Das ist einfach nur eine Angewohnheit, nach dem Aufwachen zu frühstücken. Ich bin froh, dass ich lernen werde, dass es auch ohne geht. Meine Eltern sagen immer, es kann ein Tag kommen, an dem wir nicht dann essen können, wenn wir Hunger haben, sondern mit einer einzigen Mahlzeit am Tag leben müssen. Ich bin zwar Einzelkind, aber nicht so, wie man sich ein Einzelkind vorstellt. Was ich sagen möchte, ist, dass ich nicht alles bekomme, was ich mir wünsche, dass meine Mutter nichts Neues kocht, wenn mir das Essen nicht schmecken sollte, oder es keine Rolle spielt, welche Marken ich trage. Ich bin sehr stolz und dankbar, dass meine Eltern mir das so beigebracht haben.

Es klopft an meiner Zimmertür und einige Sekunden später kommt auch schon mein Vater herein. Ein großer, sympathischer Mann. Zudem ist er sehr hübsch, freundlich und humorvoll und nein, ich sage das nicht nur, weil er mein Vater ist, sondern weil es wirklich so ist. Er setzt sich zu mir aufs Bett und legt seinen Arm auf meine Schulter.

„Yasmin, mein starkes Mädchen, wie geht’s dir?“, fragt er.

Ich lächle ihn an und kuschle mich in seine Arme.

„Mir geht’s sehr gut.“

Seine Augen leuchten und ich erkenne sofort, dass er mit mir über irgendein Thema sprechen möchte. Wir unterhalten uns oft über verschiedene Sachen.

„Schatz, deine Mama und ich sind, wie du weißt, nicht so zufrieden, dass du jetzt schon mit dem Fasten beginnst und haben erst zugestimmt, als du uns versprochen hast, dann sofort zu essen, wenn es dir schlecht geht, stimmt’s?“

Ich nicke. „Okay. Ich möchte mit dir über die Gründe des Ramadans sprechen, denn es ist wichtig zu verstehen, warum wir das tun. Du solltest, wenn du dich später dazu entscheidest, den Ramadan jedes Jahr zu begehen, komplett überzeugt davon sein und es gerne tun, denn erst dann erfüllt es seinen Zweck. Wir haben dir schon mehrmals gesagt, dass wir vielleicht eines Tages finanzielle Probleme haben könnten, so wie jeder andere auch, dass wir mal nicht genug Essen haben, oder wir dir nicht mehr alles, was du brauchst, bieten können. Niemand kann das je ausschließen oder in die Zukunft schauen. Den Schmerz und die Schwierigkeiten der Anderen spürt man erst, wenn man das gleiche mal selbst erlebt und durchgemacht hat, und das ist einer der Gründe für den Ramadan. Wir müssen spüren, wie es ist, hungrig zu sein und nichts zu essen zu haben.“

Ich höre ihm aufmerksam zu und kann jedes Wort, das er sagt, verstehen und nachvollziehen.

Er ändert ein bisschen seine Sitzposition - die alte wurde ihm vermutlich langsam zu unbequem.

„Durch den Ramadan lernen wir außerdem, geduldiger zu sein, den Dingen im Leben ihre Zeit zu lassen. Man kann das, was man besitzt, erst dann wirklich schätzen, wenn es nicht mehr da ist, und das ist auch ein Grund, warum wir fasten. Wir müssen unser Glück spüren, wir müssen es schätzen lernen, denn man sieht häufig nur die negativen Seiten der Dinge im Leben und das ist völlig falsch, das Leben hat auch viel Positives, es ist nur die Perspektive, die es ausmacht. Es gibt viele Sachen, die man im Ramadan machen soll, eine davon ist eben Nachdenken, nämlich über die Dinge, die dich glücklich machen und für die du dankbar bist“, er lächelt.

„Über den Ramadan könnten wir uns stundenlang unterhalten, aber langsam kommen deine Großeltern und der Rest und bis dahin sollten wir bereit sein, sie zu empfangen. Eine wichtige Sache möchte ich dir aber noch sagen.“

Ich ändere jetzt auch meine Sitzposition.

„Was für viele nicht so klar ist, ist, dass man im Ramadan nicht nur auf Essen und Trinken verzichten soll, sondern auch beispielsweise auf eine negative Ausdrucksweise oder einen respektlosen Umgang mit seinen Mitmenschen. Indem du nur auf Essen und Trinken verzichtest, erfüllst du noch lange nicht deine Pflichten im Ramadan. Kurz gesagt ist der Ramadan ein Monat, in dem man Zeit dafür hat, über alles nachzudenken, um alles um sich herum besonders zu schätzen und sich zu einem besseren Menschen zu entwickeln, falls man das so sagen kann.“

Er umarmt mich und, als wäre es geplant, kommt meine Mutter zwei Sekunden später herein. Sie lächelt und strahlt genauso wie mein Vater. Ich kann den Stolz in ihren Augen sehen, als könnten sie es immer noch nicht glauben, dass ihre Tochter so alt ist, dass sie schon fastet. Sie setzt sich neben mich auf die andere Seite des Bettes. Sie erzählt mir auch ähnliche Sachen wie Papa und, als beide dann fertig sind, soll ich sie ins Wohnzim-mer begleiten.

Als wir im Wohnzimmer sind, traue ich meinen Augen nicht. Auf dem Sofa liegt es, mein Geschenk, das ich mir schon so lange gewünscht habe. Yail und ich wollten nämlich seit längerer Zeit eine Dartscheibe haben und endlich besitze ich eine. Ich bin so glücklich gerade und fange schon an, herumzuspringen. Ich würde zwar gerne gleich zu Yail rennen, um ihm mein Ramadan-Geschenk zu präsentieren, aber meine Eltern lehnen das ab, heute wird der Tag mit der engen Familie verbracht.

Meine Mutter hat auch schon alles vorbereitet und es dauert tatsächlich nicht lange bis die ersten Gäste, meine Großeltern mütterlicherseits, eintreffen. Von ihnen erhalte ich auch direkt zu Begrüßung mein Geschenk.

Damit sich keiner fragt, warum ich denn so viele Geschenke bekomme, sage ich es am besten gleich.

Bei uns bekommt derjenige, der zum ersten Mal fastet, immer Geschenke. Beim Geschenk handelt es sich meistens um Geld, da man jetzt alt genug ist, um selbst zu entscheiden, was man sich kaufen möchte. Ich habe auch schon eine Idee, was ich damit machen werde.

Es treffen immer mehr Leute ein, meine anderen Großeltern, meine beiden Tanten und meine beiden Onkel. Das Lustige ist, ich habe mütterlicher- und väterlicherseits jeweils eine Tante und einen Onkel, und das noch Lustigere ist, meine beiden Tanten sind gleich alt und ebenso meine beiden Onkel. Ich bin die einzige und erste Enkelin für beide Seiten. Von den Neuankömmlin-gen habe ich auch mein Geschenk erhalten.

Nachdem alle eingetroffen waren, begannen auch alle zu arbeiten. Jeder hat was Bestimmtes zu tun und in der Zeit habe ich ein bisschen die kleinen Suren aus dem Koran, die ich kenne, gelesen. Bis zum Fastenbrechen sind es noch ganze vier Stunden und ich merke, wie ich langsam Hunger bekomme.

Es ist nicht so, dass es sich anfühlt, als würde ich gleich vor Hunger umkippen, sondern mein Magen knurrt ein bisschen. Ich spüre, dass er essen will, was auch ganz normal ist. Wieder knurrt mein Magen, sodass ich fühlen kann, wie er sich zusammenzieht und wieder auseinander. Dieser Vorgang wiederholt sich mehrmals und ich bekomme das Gefühl, dass er nicht aufhören wird, aber er hört auf, in weniger als drei Minuten und alles wird wieder normal, bis auf die Tatsache, dass ich jetzt trotzdem gerne etwas essen würde. Anstatt länger über das Essen nachzudenken, entscheide ich mich dazu, bei den Vorbereitungen mitzuhelfen.

Die Gruppe in der Küche scheint überhaupt nicht weit zu sein, was mir nicht gefällt, denn ich befürchte, dass das Essen nicht rechtzeitig fertig sein wird. Das sind, glaube ich, die normalen Gedanken beim Fasten.

Da ich nichts Nützliches finde, was ich in der Zeit machen könnte, versuche ich, die bleibende Zeit mit Fernsehen zu verbringen, was gut klappt, denn die meisten Serien oder Filme werden für den Ramadan produziert und dadurch gibt es genug, was mich ablenken könnte.

Ich verbringe ungefähr drei Stunden ungestört beim Fernsehen und nein, ich darf nicht immer so lange vor dem TV sitzen, heute ist es eine Ausnahme.

Langsam hört man auch schon die ersten Teller klirren, was bedeutet, dass sich das Ende nähert. Verschiedene, leckere Gerüche verteilen sich im Raum und langsam versammeln sich alle wieder.

Ich schaue auf die Uhr, 19: 13 Uhr, was bedeutet, dass noch 36 Minuten übrig sind. Die restliche Zeit vergeht wie im Flug, bis auf die letzten fünf Minuten, denn da fühlt es sich an, als würde die Zeit stehen bleiben. Vielleicht liegt es daran, dass wir alle schon um den Tisch verteilt sitzen und darauf warten, dass der Gebetsruf ertönt.

Doch auch diese fünf Minuten finden ihr Ende, so wie auch alles andere auf dieser Welt, und jeder nimmt sich kurz Zeit, um am letzten Ramadantag dieses Jahres das Fasten Gott zu widmen.

Nachdem alle mit dem kurzen Gebet fertig sind, fangen wir auch schon zu essen an. Wie und was man isst, ist natürlich jedem selbst überlassen, wir fangen normalerweise mit Wassertrinken an, dann essen wir drei Datteln und anschließend, wenn vorhanden, essen wir Suppe, damit sich der Magen stufenweise auf das Essen vorbereiten kann.

Nach all diesen Schritten kommt die normale Mahlzeit. Heute gibt es Kibbe, nicht nur eine Art, sondern gleich drei verschiedene. Kibbe ist bei uns ein sehr typisches Essen, es besteht aus Bulgur- und Hackfleischbällchen, die mit gewürztem Fleisch und verschiedenen Nüssen befüllt werden. Was man dann damit macht, bleibt jedem selbst überlassen, es gibt sehr viele verschiedene Varianten. Heute zum Beispiel wurden einige frittiert, andere gegrillt und manche in Jogurt gelegt. Ich hatte eigentlich gedacht, ich würde den Tisch vor Hunger leerräumen. Im Endeffekt habe ich doch nur zwei Stück geschafft.

Nun ist der Ramadan zu Ende und man hört schon verschiedene Moschee-Lieder laufen. Damit ist dann morgen der erste Festtag und ich kann es nicht mehr erwarten, mein neues Kleid anziehen zu können. Auch heute muss ich wie gewohnt früh ins Bett, um neun Uhr liege ich da und wenig später schlafe ich schon, denn ich bekomme gar nichts mehr mit.

Leiser Schrei

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